Wikimedia e.V. plädiert für Pre-Flagging und Bagatellschranke sowie für Gemeinfreiheit bei digitalen Abbildern historischer Werke
Wenn Nutzer*innen selbst erstellte Inhalte auf Plattformen hochladen und sie dabei als rechtlich zulässig kennzeichnen können, nennt man das Pre-Flagging. Die Nutzung kleinster Werkteile, etwa für Memes und Reaction-GIFs, erlaubnisfrei zu gestatten, ist als „Bagatellschranke“ bekannt. Beide Regelungen sollten nach Auffassung von Wikimedia Deutschland künftig fest ins Urheberrecht verankert werden.
Zudem sei es aus Sicht von Wikimedia Deutschland erforderlich und zu begrüßen, dass künftig digitale Abbilder historischer, gemeinfreier Werke genauso frei von Exklusivrechten sein sollen wie die abgebildeten Werke.
Dagegen sei das geplante Leistungsschutzrecht für Presseverleger in seiner jetzigen Form im Grunde abzulehnen, weil es unter anderem massive Auswirkungen auf die „Belegverweise“ hätte, die für enzyklopädische Beiträge in der Wikipedia essenziell sind.
Mit diesen vier Kernforderungen setzt sich der Wikimedia Deutschland e.V. im jüngsten seiner regelmäßig herausgegebenen Politikbriefe mit der EU-Urheberrechtsnovelle auseinander und wendet sich damit an den Gesetzgeber und die Öffentlichkeit.
Der 2004 gegründete, gemeinnützige Verein ist Träger der deutschen Version der Online-Enzyklopädie Wikipedia, hat nach eigenen Angaben rund 80.000 Mitglieder und finanziert sich aus Spenden.
„Reform auf der Kippe“
In dem 16-seitigen Politikbrief mit dem Titel „Reform auf der Kippe“ konstatieren die Autor*innen, dass das Urheberrecht heutzutage nicht mehr allein Erwerbsinteressen Kreativer und Geschäftsmodelle von Verwertungsindustrien schütze. Vielmehr regele es den Großteil des gesellschaftlichen Diskurses mit. Und weiter heißt es:
Heute wirken die absoluten Schutzrechte des Urheberrechts in so gut wie alle Kommunikationsprozesse hinein, weil dank des Netzes heute jede und jeder das tun kann, was früher nur Verlagen, anderen Medienunternehmen und öffentlichen Stellen vorbehalten war: Für alle Welt sichtbar veröffentlichen.
Den daraus resultierenden Herausforderungen müsse ein modernes Urheberrecht gerecht werden. Und zwar, indem es für einen Ausgleich zwischen den Interessen von Kreativen und Verwerter*innen auf der einen Seite und Verbraucher*innen und der Gesellschaft auf der anderen Seite sorgt, so Wikimedia.
Viele vom Bundesjustizministerium im Sommer vorgelegten und im neuen Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz gebündelten Regelungsvorschläge zum Pre-Flagging und zur Bagatellschranke würden ein gewisses Maß an Ausgewogenheit erreichen und seien daher begrüßenswert.
Doch leider stünden diese Reformansätze durch den jüngsten Referentenentwurf des BMJV nun wieder auf der Kippe. So setze die veränderte Pre-Flagging-Regelung eine „flächendeckende Durchleuchtung von Uploads“ voraus, so Wikimedia – sprich: unumgängliches Filtern.
Presse-Leistungsschutzrecht gefährde Wikipedia-Praxis der „Belegverweise“
In Bezug auf das geplante Leistungsschutzrecht für Presseverleger weist Wikimedia in seinem Politikbrief darauf hin, dass Projekte wie Wikipedia und das Schwesterprojekt Wikidata darauf angewiesen seien, auf Artikel in Zeitungen und Zeitschriften mit einzelnen Sätzen oder kurzen Auszügen zu verweisen und kurze Auszüge übernehmen zu können.
Diese Belegverweise seien für eine Enzyklopädie immens wichtig. Daher müsse der Gesetzgeber klarmachen, dass mit „sehr kurze Auszüge“ wenigstens die Schlagzeilen von Presse-Artikeln sowie ein einzelner Satz mittlerer Länge abgedeckt seien.
Gemeinfreiheit für digitale Abbilder gemeinfreier Werke
Nicht zuletzt geht Wikimeda auf die in der EU-Urheberrechts-Richtlinie verankerte Regelung zu digitalen Abbildern historischer, gemeinfreier Werke ein, die künftig als ebenso gemeinfrei gelten sollen:
Damit wird es in Zukunft nicht mehr dazu kommen, dass Wikipedia-Ehrenamtliche erfolgreich verklagt werden, weil sie ein solches Digitalisat eines gemeinfreien Werkes in die Online-Enzyklopädie einbauen.
Hier nimmt der Verein Bezug auf den jahrelangen Streit zwischen Wikimedia Deutschland und den Reiss-Engelhorn-Museen, der damit endete, dass die betreffende Reproduktion eines Gemäldes nicht mehr in der Wikipedia verwendet werden darf. Die EU-Richtlinie legt fest, dass in solchen Fällen das digitale Abbild als gemeinfrei einzustufen ist.
Gleichwohl müssten bei der Umsetzung dieses Teils der EU-Richtlinie in deutsches Recht entsprechende Regelungen verhindern, dass sich Kulturerbe-Institutionen mittels vertraglicher Nutzungsbedingungen dann doch wieder bestimmte Exklusivrechte bei Digitalisaten sichern können.
2 Kommentare
1 Schmunzelkunst am 31. Dezember, 2020 um 15:42
Anmerkung zum letzten Absatz im Abschnitt “Gemeinfreiheit für digitale Abbilder gemeinfreier Werke”.
Vgl. auch: https://irights.info/artikel/chancen-nutzen-positionen-vertreten/29781
Zitat aus Abschnitt “Gemeinfrei bleibt gemeinfrei?”: “Allerdings erkennt Specht-Riemenschneider in Artikel 14 der Urheberrechtsrichtlinie eine generelle Aufwertung der Gemeinfreiheit … Hieraus leitet die Rechtswissenschaftlerin eigene Überlegungen ab, wonach der deutsche Gesetzgeber beispielsweise die Praxis von Fotografierverboten im Fall gemeinfreier Werke für unwirksam erklären könnte. Zitatende”
Wenn der Gesetzgeber die Praxis von Fotografierverboten im Fall gemeinfreier Werke für unwirksam erklärt, was auch m. E. eine zwingende Folge der Umsetzung des Art. 14 der EU-Richtlinie in deutsches Recht ist, sollte er auch ganz deutlich klarstellen, dass die Herstellung und Verwertung von Vervielfältigungen (also auch von Fotos) grundsätzlich keine Eigentumsrechte tangiert. Auch das ist m. E. eine zwingende Folge der Umsetzung des Art. 14 der EU-Richtlinie in deutsches Recht.
Guten Rutsch
2 Feli am 16. Januar, 2021 um 21:24
Gleichzeitig akzeptiert Wikipedia nach eigener Erfahrung nur noch Bilder zum Upload mit weitreichendster CC-Lizenz, bei denen alle Nutzungsarten, also auch kommerzielle Nutzung frei sind. Auf den einzelnen kleinen Fotografen wird dadurch ein hoher Druck ausgeübt, Bilder zur Verwendung freizugeben (die Besten natürlich), mit denen er danach nie wieder etwas verdienen kann…
Was sagen Sie dazu?