Landgericht Stuttgart: Wikipedia-Fotograf muss Museumsfotos löschen
Das Mannheimer Museum klagte gegen den Wikipedia-Nutzer, der Bilder nach dessen Ansicht ohne Erlaubnis bei Wikimedia Commons hochgeladen hatte, dem Fotoarchiv der Wikipedia. So hatte er zum einen Reproduktions-Fotos gemeinfreier Gemälde hochgeladen, die der Hausfotograf des Museums angefertigt hatte. Zum anderen hatte er Gegenstände wie antike Vasen und andere Gegenstände selbst fotografiert. Auch an diesen Objekten bestanden keine Urheberrechte. Das Museum schränkt das Fotografieren jedoch über sein Hausrecht ein.
Im Urteil (Aktenzeichen 17 O 690/15 vom 27. September 2016) hat das Gericht bestätigt, dass auch die entsprechenden Foto-Reproduktionen der gemeinfreien Gemälde eigens geschützt sind, zumindest als sogenanntes Lichtbild. Auch bei den Repro-Fotos sei ein „Mindestmaß an geistiger Schöpfung“ erfüllt.
In diesem Sinne hatte auch das Landgericht Berlin bereits Ende Mai entschieden. Dort klagte das Reiss-Engelhorn-Museum unter anderem gegen die Wikimedia Foundation als Betreiberin der Wikipedia. Das Museum ging zudem gegen weitere Nutzer der Bilder vor, die diese aus Wikipedia verwendet hatten. Wikimedia bewertet den Streit als Grundsatzfrage und will durch die Instanzen ziehen.
Gemeinfreiheit
Gemeinfrei sind Inhalte, die nicht oder nicht mehr urheberrechtlich geschützt sind. Jeder kann mit ihnen machen, was er will. In Deutschland endet der Schutz 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers. Gemeinfrei sind zum Beispiel auch Ideen, einzelne Wörter oder Töne, weil sie allein noch keine „Werke“ sind. Auch „amtliche Werke“ wie Gesetzestexte sind vom Urheberschutz ausgenommen. In Ländern wie den USA steht der Begriff „Public Domain“ für ein ähnliches Modell.
Auch bei den anderen Objekten aus dem Museum habe das Museum einen Unterlassungsanspruch gegen den Fotografen. Hier verweist das Landgericht unter anderem auf das Urteil des Bundesgerichtshofs im Fall „Preußische Schlösser und Gärten“, nach dem die Verwertung von Fotos auf Grundlage des Eigentums untersagt werden kann.
Das gleiche gelte auch für bewegliche Gegenstände im Museum. Da der Eigentümer darüber entscheide, wer wirtschaftliche Vorteile aus dem Zugang zu seinen Räumen ziehe, könne er auch die Veröffentlichung auf Wikimedia Commons verbieten, das eine kommerzielle Nutzung der Fotos erlaubt.
Updates, 12.10. und 14.10.
Das Urteil ist jetzt im Volltext (PDF) verfügbar. In einer gemeinsam mit der das Museum vertretenden Kanzlei MMR verfassten Stellungnahme begrüßte der Reiss-Engelhorn-Generaldirektor Alfried Wieczorek die Entscheidung. Man habe Sympathie für die Wikipedia, wolle aber über das Ob und Wie der Zugänglichmachung mitentscheiden.
Auf Anfrage von iRights.info bezeichnet der verklagte Wikipedianer das Vorgehen des Museums als kulturpolitisch „geradezu grotesk“. Vor dem Hintergrund aktueller Bekenntnisse Baden-Württembergs zur Digitalisierung der Kultur und modernen Ansätzen zur Kulturvermittlung sei er sich sicher, dass „jede neue Leitung der Reiss-Engelhorn-Museen diesen Unsinn sofort abstellen wird“.
Auch juristisch sei die Tendenz zu einem „Recht am Bild der eigenen Sache“ höchst fragwürdig. Zusammen mit dem Lichtbildschutz für Repro-Fotos bedeute dies eine faktische „Verlängerung des Urheberrechts für an sich gemeinfreie Werke“. Er hält es für gut möglich, nach weiterer Prüfung der Sache in Berufung zu gehen. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil sollen auch die fraglichen Bilder online bleiben.
Der Beklagte, seit 2004 Wikipedia-Autor und -Fotograf, ansonsten in der kirchlichen Verwaltung tätig, weist zudem darauf hin, dass er „bisher immer nur positive Rückmeldungen, und zwar aus der ganzen Welt“ zu seinen Beiträgen erhalten habe. Auch Museen und andere Einrichtungen verwendeten seine Bilder oft in eigenen Publikationen.
Korrektur: In einer früheren Fassung des Artikels wurden irrtümlich auch Abbildungen von Münzen genannt. Es handelt sich aber um andere Gegenstände, darunter ein Medaillon und ein Tondo.
11 Kommentare
1 Schmunzelkunst am 11. Oktober, 2016 um 18:43
Zu den Reprofotos gibt es hoffentlich inzwischen genug Argumente, die der Wikipedia weiterhelfen.
Zu den “Preußische Gärten und Parkanlagen” ist noch zu sagen, dass hier die Auffassung des BGH von fast allen Rechtsexperten in der Luft zerrissen wurde (s. u. a. Uhlenhut, Theresa: Panoramafreiheit und Eigentumsrecht, Schriftenreihe zum Urheber- und Kunstrecht, “Die Autorin legt dar, warum diese Rechtsprechung nicht aufrechterhalten werden kann. Sie zeigt die Grenzen des Eigentumsrechts auf und weist nach, warum dem Sacheigentümer kein Immaterialgüterrecht an seinen Eigentumsgegenständen zusteht”). Ich glaub, sogar der BGH selbst hat inzwischen kalte Füße bekommen. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten ist jetzt erstmals auch mit einem Rechtsstreit bis zum BGH vorgedrungen, in dem es um Beeinträchtigungen durch Fotos von beweglichen Sachen ging. Es ging um Fotos von alten gemeinfreien Gemälden, die in den Innenräumen der Schlösser hängen. Damit bestand die Chance, in der Urteilsbegründung, die Frage zu klären, ob sich die bisherige Rechtsprechung auch auf bewegliche Sachen übertragen lässt. Der BGH ist uns eine Antwort auf diese Frage nach wie vor schuldig geblieben und hat entschieden, dass die Fotos in diesem Fall aus anderen Gründen verwendet werden durften. Siehe auch GRUR 6/2015 BGH, 19.12.2014 – V ZR 324/13, Keine Störerhaftung bei Vervielfältigung von Fotos alter Kunstwerke – Preußische Kunstwerke (m. Anm. v. Dr. Felix Laurin Stang “Die Entscheidung überzeugt im Ergebnis, enttäuscht aber in der Begründung … Der BGH ergreift bedauerlicherweise die Möglichkeit zur Klärung der bisher offenen Rechtsfrage nicht”).
MfG
Johannes
2 David Pachali am 11. Oktober, 2016 um 19:04
Danke!
3 Tobias Grüterich am 12. Oktober, 2016 um 21:43
Eine eklatante Fehlentscheidung! Die Literatur tendiert nämlich stark zu der Auffassung, dass bei einem bloß reproduzierenden Fotografieren von zweidimensionalen Vorlagen gerade keine „Urbilder“ und somit auch kein Lichtbildschutz entsteht. In der Urteilsbegründung (S. 52) heißt es, die „möglichst unveränderte, natur- und farbgetreue Abbildung eines Originals erfüllt das Erfordernis eines Mindestmaßes an geistiger Schöpfung.“ Man zog den Kommentar Wandtke/Bullinger, 2014, § 72 Rn. 6 zu Rate. Dort geht es aber um „Produktabbildungen in Warenkatalogen“. Dass damit dreidimensionale Vorlagen gemeint sind, wird daran deutlich, dass die Bearbeiterin des § 72, RAin Dorothee Thum, hier u.a. die Entscheidung in GRUR 1993, 34 (BGH, Urteil vom 10.10.1991 – I ZR 147/89) anführt, in der die Nutzung einer Fotografie von einer Motorsäge(!) in einer Bedienungsanweisung verhandelt wurde. Am Ende der Rn. 6 wirft Thum sogar das Problem als solches auf: Es sei noch ungeklärt, ob ein Lichtbildschutz beim Fotografieren zweidimensionaler Vorlagen überhaupt zustande kommen kann. Sie verweist auf Rn. 11, wo sie ebenso ausführlich wie überzeugend herleitet, der Schutz des § 72 würde in solchen Fällen eben nicht erreicht (m.w.N.!).
Kurz gesagt: Beim Abfotografieren platter Vorlagen entstehen keine Lichtbilder. Es ist insofern konsequent (aber zugleich auch lächerlich), dass die Klägerin geltend macht, Gemälde seien dreidimensional (S. 45).
Zum Verhältnis Eigentum und Immaterialgüterrecht hat Herr Röhnelt (s.o. Schmunzelkunst) alles Wichtige gesagt.
4 peter brunner am 13. Oktober, 2016 um 10:17
Zur Risikioabschätzung fände ich es höchst hilfreich zu wissen, welche Strafe einem Fotografen für die Veröffentlichung eins von ihm selbst – “illegal” – gemachten Fotos droht.
5 David Pachali am 13. Oktober, 2016 um 11:29
Um es noch einmal klar zu sagen: In diesem Fall ging es nur um Unterlassung, nicht um Schadensersatz.
6 AndreasP am 14. Oktober, 2016 um 11:28
Als Ergänzung aber dennoch: “Nur Unterlassung” kann in unserem anwaltfreundlichen Rechtssystem auch ganz schön teuer werden. Die “Bitte um Unterlassung” der REM kam nämlich als Anwaltschreiben mit Kostenforderung knapp unter 2000 Euro.
7 David Pachali am 14. Oktober, 2016 um 15:39
Stimmt, das „nur“ müsste hier eigentlich Anführungszeichen tragen.
8 Schmunzelkunst am 14. Oktober, 2016 um 21:26
So “ganz ohne” ist die Begründung in BGH 19.12.2014 – V ZR 324/13 (vgl. meinen Beitrag vom 11. Oktober) für unseren Fall hier nicht. Sie enthält folgenden wichtigen Satz:
http://lexetius.com/2014,5339 RN 13 “… Derjenige, der auf dem Markt Fotos und Reproduktionen solcher Kunstwerke erwirbt, muss grundsätzlich nicht davon ausgehen, dass diese unter Verletzung der Rechte ihrer jetzigen Eigentümer angefertigt worden sind …”
Diesen Satz würde ich wie folgt verallgemeinern:
“Derjenige, der in Umlauf befindliche Reproduktionen zweidimensionaler gemeinfreier Kunstwerke verwendet, muss nicht davon ausgehen, dass diese unter Verletzung von Rechten Dritter angefertigt worden sind.”
Praktisch würde dies bedeuten, dass, selbst wenn man am Lichtbildschutz für die Originale der Ablichtungen von Gemälden festhielte, deren Schutzumfang so gering wäre, dass schon die ersten davon abgeleiteten Kunstdrucke frei kopiert und weiter verbreitet werden dürften, soweit nicht andere Hemmnisse (z. B. das Wettbewerbsrecht) dem entgegenstehen. Der Reprofotograf wäre dann als Lichtbildner immerhin noch aktivlegitimiert bei urheberrechtlichen Streitigkeiten um Rechte, die an den Originalen haften.
Noch ein Hinweis zum Vergleich mit den einfachen Knipsbildern. Die Auffassung, die schon das LG Berlin vertritt, es sei nicht nachvollziehbar, dass ein einfaches Knipsbild eines Gemäldes dem Lichtbildschutz unterliegen, ein mit größerem Aufwand hergestelltes Reproduktionsfoto aber gemeinfrei sein solle“, greift nicht. Wenn Reproduktionsfotos von Gemälden ungeschützt sind, dann muss dies natürlich auch für den Ausschnitt des Gemäldes auf dem Kipsbild gelten. Der dürfte dann „ausgeschnitten“ (wohlgemerkt nicht aus dem Original) und beliebig bearbeitet werden (also z. B. in ein rechteckiges Format zurücktransformiert werden).
MfG
Johannes
9 Tobias Grüterich am 16. Oktober, 2016 um 21:05
Ich komme noch mal auf einen speziellen Punkt in der Argumentation des Beklagten zurück:
„Es leuchte nicht ein, weshalb derjenige, der den Auslöser eines Fotoapparates betätige, anders behandelt werden solle, als derjenige, der auf den Auslöser eines Scanners drücke. Dafür sprächen im Übrigen auch historische Argumente.“ (S. 52)
Die Grenze zwischen klassischem Fotoapparat und „ohnehin plattem“ Scanner sind inzwischen fließend. Dies habe ich vor wenigen Wochen erst selbst praktisch und sehr eindrucksvoll erlebt. Wenn man von einem Archivierungs-Dienstleister historische, i.d.R. sehr großformatige Bücher digitalisieren lässt, dann setzt dieser hierfür Buchscanner oder sog. Buchwippen ein. Diese Geräte gelten als besondere Scanner. Aber deren Schärfentiefe ist enorm (mehrere cm) und somit eher „fotoapparattypisch“. Das muss auch so sein, denn das Buch liegt aufgeschlagen und mit evtl. leicht welligen Seiten da. Man könnte fast sagen: Der Buchscanner „fotografiert“ die Seiten des Buches. Ich schließe mich der h.M. an, die einen Lichtbildschutz für reproduzierende Aufnahmen ablehnt. Einen rechtlichen Unterschied zwischen Fotoapparaten und Scannern kann und sollte man nicht (mehr) machen – zumal bereits „Erzeugnisse, die ähnlich wie Lichtbilder hergestellt werden“ (§ 72 Abs. 1 UrhG) buchstäblich ein Panoptikum von bildgebenden Verfahren eröffnen. All diese sonstigen „Erzeugnisse“ (Röntgenbilder, Radaraufnahmen, Laserscan u.a.) weichen im Prozess ihrer Entstehung (Transmission, Reflexion, Laufzeitmessung; aktive vs. passive Verfahren) ohnehin so stark vom klassischen Fotografie-Lichtbild ab, dass der Unterschied zwischen klassischer Fototechnologie (Handykamera bis professionelle Spiegelreflexkamera) und Scannertechnologie vergleichsweise marginal ist.
10 Alex am 1. Juni, 2018 um 16:27
Hallo, das Urheberrecht ist doch gar nicht übertragbar, wie kann also hier das Museum etwas einfordern, was es gar nicht besitzt? Wenn der Fotograf nicht selbst klagt, müsste das gar nicht zulässig sein, oder?
11 WahnBerlin am 20. Dezember, 2018 um 15:36
Jeder, der sich mit professioneller Fotografie und Buchherstellung auskennt, weiß wie schwierig, aufwändig und teuer die gelungene Reproduktion eines Gemäldes in einem Katalog ist (es gibt unendlich viele Printerzeugnisse, die ein Scheitern dokumentieren). Das als Arbeit zu würdigen halte ich für sinnvoll.
Allerdings verstehe ich den Begriff „gemeinfrei“ nicht, wenn er, sobald ein Besitzer aktiv wird, hinfällig wird. Es gibt immer einen Besitzer, ein Gemälde wäre nie wirklich frei, sondern nur dann, wenn der Besitzer es zulässt – was durchaus auch schon zu Lebzeiten des Künstlers passieren kann. Damit ist doch der Begriff „gemeinfrei“ völlig unnötig, es bleibt von Anfang bis Ende bei „wer hat, der hat“.
Was sagen Sie dazu?