Referentenentwurf des BMJV leitet entscheidende Phase für umfassende Urheberrechtsreform ein
Einen fairen Interessensausgleich – das soll der Gesetzesentwurf zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie für alle Beteiligten bringen. Dies betonte Justizministerin Christine Lambrecht, nachdem das Bundesjustizministeriums (BMJV) den Referentenentwurf am Mittwoch veröffentlichte.
Alle Interessen unter einen Hut zu bekommen und fair gemeinsam auszutarieren, ist wahrlich keine leichte Aufgabe. Neben den Kreativschaffenden, also den eigentlichen Urheber*innen, gilt es, auch die Interessen der Nutzer*innen, der Internet-Plattformen sowie der Verwerter und etablierten Medienindustrien zu berücksichtigen.
Aus den teils widerlaufenden Interessen dieser vier Gruppen resultiert eine Gemengelage, die sich nicht ohne weiteres auflösen lässt. Die seit vielen Jahren engagiert geführten Debatten gehen in die nächste entscheidende Runde.
Leistungsschutzrecht für Presseverleger
Das zeigt sich beispielsweise am Leistungsschutzrecht für Presseverleger. In seinem Diskussionsentwurf vom Juni 2020 hatte das BMJV den Vorschlag gemacht, dass Textausschnitte bis zu acht Wörtern Länge ohne Zustimmung der Verlage von Internetdiensten, wie etwa Google News veröffentlicht werden dürften.
Das Bundeswirtschaftsministerium intervenierte und setzte eine wesentlich engere Formulierung durch. Nun steht im Referentenentwurf, dass Presseverlage das ausschließliche Recht haben, Veröffentlichungen im Ganzen oder in Teilen für die Nutzung durch Internetdienste zugänglich zu machen – mit Ausnahme „einzelner Wörter oder sehr kurzer Auszüge“. Bliebe es bei dieser Formulierung, schlösse das die erlaubnisfreie Länge von bis zu acht Wörtern aus.
Welche Textlängen mit „sehr kurzen Auszügen“ gemeint sind, spezifiziert der Entwurf nicht. In den Begründungen erläutert das Ministerium, dass die Auszüge auch „aus einer Kombination verschiedener Arten von Werken und Schutzgegenständen“ zusammengesetzt sein können. Sofern eine Presseveröffentlichung beispielsweise neben Text auch Grafiken, Fotografien oder audiovisuelles Material enthalte, könne die kumulative Nutzung mehrerer Elemente zulässig sein, soweit es sich jeweils um einen „sehr kurzen Auszug aus der Presseveröffentlichung“ handele.
Damit zielt der Entwurf wohl auf die bei Suchmaschinen oder für Presseschauen üblichen „Snippets“ ab, die auf Zeitungs- und Zeitschriftenartikel verweisen und dafür Kurztexte, Bilder oder auch Videoausschnitte übernehmen, oft automatisiert, aber auch manuell. Ob die nun gewählte Formulierung der „sehr kurzen Auszüge“ hilfreich ist, um Anbietern solcher Snippets – allen voran Google-News – eine Rechtssicherheit zu bieten, darf bezweifelt werden. Denn eine ähnliche Formulierung erwies sich im 2019 vom EuGH kassierten deutschen Presseleistungsschutzrecht als problematisch.
Upload-Filter mit Pre-Flagging
Ein anderer, in der öffentlichen Wahrnehmung womöglich noch größerer Streitpunkt ist die Verpflichtung der Internet-Plattformen auf die sogenannten Upload-Filter. Nach Verabschiedung der DSM-Richtlinie durch die EU hatte die Bundesregierung angekündigt, die Einführung von Upload-Filtern verhindern zu wollen.
Während im Diskussionsentwurf noch vorgesehen war, dass Nutzer*innen beim Hochladen (Upload) ihre Inhalte als legal kennzeichnen können („pre-flagging“), etwa bei Zitaten, Parodien oder Pastiche-Nutzungen, liest sich dies im Referentenentwurf anders. Zwar räumt er weiterhin eine Ausnahme für solche Werknutzungen ein. Jedoch müssten die Plattformen die Uploads zuerst automatisiert auf etwaige Urheberrechtsverletzungen prüfen und filtern – erst wenn der Filter irrtümlich anschlägt sei den Nutzer*innen die nachträgliche Kennzeichnung möglich, etwa als Parodie, Zitat oder Pastiche.
Diese Upload-Filter-Regelung im Referentenentwurf lässt sich als Versuch einer „Kompromisslösung“ betrachten, die zwischen den beteiligten Gruppen vermitteln soll. Ob das gelingt, ist angesichts deutlicher Kritik, die in ersten Reaktionen deutlich wurde, durchaus fraglich.
Neue Regelungen für Repros gemeinfreier Bildwerke
Wie das BMJV erläutert, setze der aktuelle Referentenentwurf sowohl die Urheberrechtsrichtlinie als auch die Online-SatCab-Richtlinie in deutsches Recht um. Zudem führe er die im Januar und im Juni 2020 vorgelegten Diskussionsentwürfe zusammen. Das damit sehr umfassende Reformpaket enthält daher eine Vielzahl weiterer Neuregelungen.
Diese betreffen unter anderem die Nutzung von Reproduktionen gemeinfreier visueller Werke, die zukünftig erkennbar liberalisiert wäre – ein insbesondere für die Arbeit von Gedächtnisinstitutionen und Kulturerbe-Einrichtungen wichtiger Aspekt. Die trifft auch auf die geplanten Änderungen betreffend der Nutzung verwaister und vergriffener Werke zu.
Als eine ebenso zentrale wie bedeutende Neuerung enthält der Entwurf die sogenannten „kollektive Lizenzen mit erweiterter Wirkung“, mit denen zukünftig die Verwertungsgesellschaften bestimmte Werknutzungen erfassen, abrechnen und vergüten sollen.
Zudem sind Anpassungen im Urhebervertragsrecht vorgesehen, die die Position der Urheber*innen gegenüber Verwertern stärken sollen, sowie Regelungen zur in Deutschland umstrittenen Verlegerbeteiligung.
Nicht zuletzt adressiert die Reformvorlage gesetzliche Erlaubnisse für das Text- und Data-Mining und den grenzüberschreitenden Unterricht.
Mit Neuregelungen „zum grenzüberschreitenden Zugang der europäischen Zivilgesellschaft zu Rundfunkinhalten“ geht das Reformpaket auch das sogenannte Geoblocking an, das von der Online-SatCab-Richtlinie der EU reguliert wird.
Die öffentliche Diskussion – Stellungnahmen erwünscht
Ob die Regelungen in den vorgeschlagenen Formulierungen wirklich umgesetzt und damit bis Juni 2021 in nationales Recht überführt werden, hängt nun auch von der öffentlichen Diskussion ab.
Gerade die Diskussion um die Upload-Filter hatte großen Wellen geschlagen, Tausende gingen auf die Straßen, um dagegen zu demonstrieren. Bis zum 6. November können Privatpersonen, Verbände und interessierte Kreise Stellungnahmen beim BMJV einreichen.
3 Kommentare
1 Schmunzelkunst am 17. Oktober, 2020 um 10:19
Kann es sein, dass die Bezeichnung “§ 68 Vervielfältigungen gemeinfreier visueller Werke” im Referentenentwurf auf ein Übersetzungsproblem zurückzuführen ist oder steckt mehr dahinter?
Der Artikel 14 der EU-Richtline ist m. E. sowohl in der englischen als auch in der deutschen Fassung gut formuliert. Mit “visual arts” ist die “bildende Kunst” gemeint. Die Übersetzung in “visuelle Werke” kann leicht zu Unsicherheiten führen, wie auch das folgende Zitat von Prof. Hoeren aus der Zeit vor Übersetzung des Artikels 14 in die deutsche Fassung zeigt: „Diese Ausnahme gilt aber nur für digitale Reproduktionen visueller Werke, was auch immer das sein mag.“ Siehe hierzu auch meinem Kommentar vom 27. April 2019 unter https://blog.wikimedia.de/2019/04/16/freies-wissen-auf-europaeischer-ebene-angekommen/
In dem Aufsatz, dem das Zitat entstammt, wird u.a. die Befürchtung geäußert, “dass die orthodoxen Urheberrechtler auf den Ausnahmecharakter dieser Schranke bauen und den Begriff visueller Werke sehr eng auslegen. MFG Johannes
2 Schmunzelkunst am 18. Oktober, 2020 um 11:17
Inzwischen fand ich im Referententwurf in der Begründung auf Seite 133 eine ausführliche Antwort auf meine Frage. Zitate daraus: “Zu Nummer 26 (§ 68 UrhG-E – Vervielfältigungen gemeinfreier visueller Werke) … Der in der englischen Sprachfassung (zugleich Verhandlungssprache der Richtlinie) des Artikels 14 DSM-RL verwendete Begriff des „work of visual art“ ist in der deutschen Sprachfassung unzutreffend mit „Werk der bildenden Kunst“ übersetzt. Denn gemeint ist damit nicht das Regelbeispiel des § 2 Absatz 1 Nummer 4 UrhG, sondern ein darüber hinaus reichender autonomer Begriff des Unionsrechts, den § 68 UrhG-E nunmehr mit dem Begriff „visuelles Werk“ aufnimmt …Die Kategorie der visuellen Werke umfasst neben den Werken der „bildenden Künste“ („fine art“ in der englischen Sprachfassung der Verwaiste-Werke-RL) noch weitere Werkarten …) MfG
3 Kristof Doffing am 18. Juni, 2021 um 16:44
Interessant wäre zu wissen, ob § 68 UrhG-E auch rückwirkend gilt. Also ob bereits erstellte Fotos von gemeinfreien “visuellen Werken” ihre Schutzrechte verlieren.
Was sagen Sie dazu?