Urheberrechtsreform, neuester Stand. Lob und Kritik von Kulturerbe-Akteur*innen
Die seit Sommer 2019 geltende Urheberrechts-Richtlinie der EU für den digitalen Binnenmarkt (DSM-RL) ist bis Juni 2021 in deutsches Recht umzusetzen. Das bedingt zahlreiche Änderungen und Anpassungen im Urheberrechtsgesetz.
Hierbei kann der deutsche Gesetzgeber einerseits von mehreren Reformen zehren, die in den vergangenen Jahren erfolgten und die dem neuen EU-Recht teilweise gerecht werden.
Andererseits enthält die EU-Richtlinie mehrere Neuregelungen, die einem Paradigmenwechsel gleichkommen und daher grundsätzliche „Umbauarbeiten“ im Urheberrecht unumgänglich machen: darunter etwa neuartige Lizenzierungspflichten für große Internet-Plattformen, Kollektivlizenzen mit erweiterter Wirkung und die umstrittenen Uploadfilter.
Ursprünglich plante das BMJV, die notwendigen „Baumaßnahmen“ am Urheberrecht in mehreren Schritten durchzuführen, beispielsweise mit einer vorgezogenen Novelle zu Leistungsschutzrecht und Verlegerbeteiligung. Doch dann entschied sich das Ministerium, ein ebenso großes wie umfassendes Reformpaket zu schnüren, mit dem es sowohl die DSM-Richtlinie als auch die Online-SatCab-Richtlinie der EU umsetzen will.
Rückblick: Diskussionsentwürfe im Januar und Juni …
So ergänzte das BMJV den im Januar diesen Jahres vorgelegten Diskussionsentwurf für ein „Erstes Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes“ schon im Juni durch einen weiteren Diskussionsentwurf, der die Vorschläge aus dem Januar erweiterte.
In diesem zweiten „Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes“ findet sich unter anderem das neuartige Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG), das die Rechte und Pflichten großer Internet-Plattformen näher regelt – und damit die Frage, wer dort künftig für Uploads urheberrechtlich geschützten Materials verantwortlich ist.
Zudem formulierte der neue Entwurf neue Grenzen für die strittigen Uploadfilter sowie eine Ausnahmeregelung, nach der es möglich wäre, urheberrechtlich geschützte Inhalte nicht nur für Karikaturen, Parodien und Pastiches, sondern auch ganz allgemein für „Bagatellnutzungen zu nicht-kommerziellen Zwecken“ zu nutzen.
Dies zielt offenkundig darauf, dass die Verbreitung von Memes und GIFs rechtssicher möglich sein soll. Dem Aufruf des BMJV, sich zu diesem Entwurf zu äußern, folgten Verbände, Einzelpersonen, Rechtswissenschaftler*innen und Organisationen, die insgesamt über 120 Stellungnahmen einreichten.
… und der Referentenentwurf im Oktober
Mitte Oktober veröffentlichte das BMJV einen Referentenentwurf, sozusagen die Vorstufe zur Eröffnung des nötigen Gesetzgebungsverfahrens. Dieser Referentenentwurf weicht vom vorangegangen Diskussionsentwurf mitunter deutlich ab, etwa bezüglich der Vergütung von Bagatellnutzungen oder beim „Pre-Flagging“, mit dem Nutzer*innen die Rechtmäßigkeit der von ihnen hochgeladenen Inhalte markieren können.
Wie künftig das Uploaden, Lizenzieren, Filtern, Markieren (Pre-Flagging), Blockieren und das öffentliche Wiedergeben nutzergenerierter Inhalte im Sinne des UrhDaG ablaufen könnte, soll eine vom BMJV veröffentlichte Visualisierung erläutern (PDF):
Allerdings wies das BMJV ausdrücklich darauf hin, dass der Referentenentwurf – und damit auch die Regelungen des UrhDaG zu den Uploadfiltern – noch nicht mit den anderen Bundesministerien abgestimmt war. Wie nötig dieser Abstimmungsprozess aber ist, zeigen die Stellungnahmen von zwei Bundesministerien und der Bundeskulturbeauftragten, die kürzlich an die Öffentlichkeit gelangt sind.
Insbesondere das Wirtschaftsministerium sowie die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien äußern Kritik an einzelnen Vorschlägen: beispielsweise zu den bereits erwähnten Ausnahmen für Bagatell-Nutzungen, zum Pre-Flagging oder zum Presseleistungsschutzrecht.
Daher ist damit zu rechnen, dass die Reformvorschläge in diesen und womöglich weiteren Punkten noch einmal überarbeitet werden, bevor sie dann in einen ersten Gesetzesentwurf eingehen, der vermutlich im Frühjahr 2021 vorgelegt wird.
Aufregerthemen überschatten weitere wichtige Neuregelungen
Wie schon beim Ringen um die EU-Richtlinie werden die bundespolitischen und öffentlichen Diskussionen über die Reformvorschläge von einem Tauziehen um Uploadfilter, Leistungsschutzrecht und Bagatellnutzungen dominiert. Diese durchaus bedeutenden und zentralen Aufregerthemen überschatten jedoch andere, ebenso wichtige Regelungen des Referenten-Entwurfs.
So sind zum Beispiel die zahlreichen Änderungen bezüglich vergriffener beziehungsweise „nicht mehr verfügbarer“ Werke sowie gemeinfreier Werke in den Hintergrund getreten. Hier ermöglicht die EU-Richtlinie zahlreiche Regelungen, die die Nutzung solcher Werke insbesondere für Museen, Archive und Bibliotheken weiter erleichtern sollen.
Über die Neuerungen der EU-Richtlinie und die Chancen, die sich im Zuge der Umsetzung in deutsches Urheberrecht für Kulturerbe-Einrichtungen ergeben, diskutierten auch mehrere Panels mit über 250 Teilnehmenden bei der Konferenz „Zugang gestalten! 2020“. Diese wurde Ende Oktober als Online-Version durchgeführt und ist hier komplett per Videostream dokumentiert.
Stellungnahmen von Kulturerbe-Akteur*innen
Wie wichtig den Kulturerbe-Einrichtungen diese Urheberrechtsänderungen sind, zeigt sich an den zahlreichen Stellungnahmen von Verbänden und Dachorganisationen. Viele betonen darin, wie dringend sie den Abbau urheberrechtlicher Hürden brauchen, um mit den ihnen überlassenen, von ihnen gesammelten und kuratierten Werken ihren Kernaufgaben noch besser nachkommen können: kulturelles Erbe auch und gerade in digitalen Sphären so breit wie möglich zugänglich und nutzbar zu machen.
Anhand von fünf Schwerpunkten geben wir einen Einblick, wie die Kulturerbe-bezogenen Verbände und Organisationen einzelne Reformvorschläge bewerten und welche Änderungen sie sich wünschen oder vorschlagen.
1) Nutzung nicht verfügbarer Werke durch Kulturerbe-Einrichtungen
Die vom Justizministerium geplanten Neuregelungen betreffend der Nutzung nicht verfügbarer Werke sieht der Deutsche Museumsbund (DMB) in seiner Stellungnahme (PDF) als großen Fortschritt. Sie würden den Museen ermöglichen, „einen Teil ihrer Sammlungsgegenstände einfacher öffentlich zugänglich und damit für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen“. Zugleich würden sie dazu beitragen, „relevante Bestände für die Forschung erschließbar und auffindbar zu machen“, so der DMB.
Auch für den Deutschen Bibliotheksverband (dbv) ist die im Entwurf verankerte Erweiterung der Nutzungsregelungen „auf Werke, die vorher nie im Handel gewesen sind (die also im Wortsinn auch nicht ‚vergriffen‘ sein können, zum Beispiel Plakate, Archivalien, etc.)“, sehr begrüßenswert. „Dadurch wird es insbesondere Archiven ermöglicht, Werke, die kulturell oder historisch von besonderer Bedeutung sind, der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.“
Zudem weist der dbv in seiner Stellungnahme (PDF) auf die hierfür vorgesehenen „kollektiven Lizenzen mit Wirkung für Außenstehende“ hin, die es Verwertungsgesellschaften ermöglichen sollen, für solche Werke Lizenzen anzubieten und Vergütungen einzufordern. Dass diese Kollektivlizenzen in bestimmten Fällen nachrangig zu behandeln wären, etwa wenn sich betroffene Rechteinhaber*innen melden und entgegenstehenden Willen kundtun, sei aus Sicht des Bibliotheksverbands „ein angemessener Kompromiss“.
Der Verein Freiburger Archiv Soziale Bewegungen, in dem Archive, Dokumentationsstellen und Bibliotheken sozialer Bewegungen zusammenarbeiten, findet es besonders lobenswert, dass der Entwurf von „nicht verfügbaren Werken“ spricht.
Anders als der in Hinblick auf bestimmte Bücher bislang im Vertungsgesellschaftengesetz (VGG) genutzten Begriff der ‚vergriffenen Werke‘ macht diese Bezeichnung deutlich, dass sie auch solche Werke umfasst, die ‚ursprünglich nicht für gewerbliche Zwecke gedacht waren oder niemals gewerblich genutzt wurden‘, wie es in Erwägungsgrund 30 der DSM-Richtlinie heißt.
Gemeint sind unter anderem Flugblätter oder Broschüren von sozialen und politischen Bewegungen oder Bürgerinitiative, sowie ähnliche „digitale Publikationen, für die eigentlich niemand einen Verwertungsanspruch erhebt“, heißt es in der Stellungnahme der Archivar*innen (PDF).
Die Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Archivverwaltungen des Bundes und der Länder (KLA) regt in diesem Zusammenhang in ihrer Stellungnahme (PDF) an, das geplante Gesetz möge genauer beschreiben, welche Kulturerbe-Einrichtungen als „berechtigt“ zum Anwenden der neuen Nutzungsregelungen gelten sollen:
Unersetzliche Zeugnisse der Geschichte werden nicht nur in Archiven der öffentlichen Stellen des Bundes, der Länder und Kommunen, sondern auch in Archiven privater Institutionen wie Firmen und Vereinen verwahrt und zugänglich gemacht. […] Zur Rechtssicherheit für nichtstaatliche und nichtöffentliche Archivträger empfehlen wir bei der Gestaltung der Regelungen der berechtigten Kulturerbe-Einrichtungen alle solche mit einzubeziehen, welche grundsätzlich der Öffentlichkeit zugänglich und in nicht-kommerziellem Interesse tätig sind, unabhängig von ihrer Finanzierung oder Rechtsform […].
2) Einzelwerke, Sammlungen und Konvolute von Werken
Der Verband deutscher Archivarinnen und Archivare (VdA) begrüßt nachdrücklich die Absicht des Entwurfs, die Nutzungsmöglichkeiten für urheberrechtlich geschützte Werke durch Kulturerbe-Einrichtungen zu erweitern. Indes weist der VdA in seiner Stellungnahme auf eine Problematik hin, die speziell Archive betrifft.
Ihnen lägen einzelne Werke meist in größeren „Aktenkonvoluten“ oder in Foto- und Plakatsammlungen vor. Demgegenüber würden die Regelungen des Referentenentwurfs – wie bereits die DSM-Richtlinie – von Einzelwerken ausgehen. Für Einzwelwerke wären jedoch im Vorfeld der Nutzung komplizierte einzelfallbezogene Ermittlungen mit unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand erforderlich.
„Eine differenzierte Rechteprüfung für Einzelstücke ist bei der Masse des Archivguts, innerhalb dessen urheberrechtlich geschützte und ungeschützte Stücke vermischt vorliegen, in der Praxis nicht möglich. Damit widersprechen die Einzelregelungen aus archivischer Sicht der Zielsetzung der Novellierung hinsichtlich der unkomplizierten Nutzung vieler Werke“, heißt es in der Stellungnahme.
3) Digitalisierung von Beständen
Dem Verband Deutscher Kunsthistoriker (VdK) reichen die geplanten Neuregelungen für Kulturerbe-Einrichtungen in einem bestimmten Punkt nicht weit genug. Gemeint ist die Möglichkeit für Museen, ihre Bestände zu digitalisieren, die laut Gesetzesvorlage jedoch nur zum Zwecke des Erhalts der Werke zulässig ist.
Nach Ansicht der Kunsthistoriker*innen sollte den Kulturerbe-Einrichtungen auch „das Recht auf öffentlich zugängliche Dokumentation von Beständen (in gedruckter wie in digitaler Form) zugestanden werden, um die allgemeine Teilhabe am Kulturerbe im öffentlichen Besitz zu verbessern und die wissenschaftliche Erforschung des Kulturerbes in seiner gesamten Breite zu fördern.“ Und weiter heißt es in der VdK-Stellungnahme (PDF):
Die Digitalisierung bietet die Möglichkeit, umfangreiche Bestände an Kunstwerken, Bildern, Artefakten etc., die derzeit in Depots verwahrt werden und oftmals auch der wissenschaftlichen Öffentlichkeit kaum bekannt sind, als neue Gegenstände der Forschung und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Da die Aufgabe, Kulturerbe zu erhalten, im weiteren Sinne auch die Verpflichtung umfasst, die Bedeutung und den Wert des Kulturerbes in Gegenwart und Zukunft erkennbar und erfahrbar werden zu lassen, ist es für die zuständigen Einrichtungen unerlässlich, die neuen, technisch verbesserten Möglichkeiten der Dokumentation und Zugänglichmachung offensiv nutzen zu können.
4) Repräsentative Verwertungsgesellschaften
Um für die Nutzung vergriffener und nicht verfügbarer Werke prinzipiell eine vom Urheberrechtsgesetz verlangte Vergütung zu ermöglichen, sollen Verwertungsgesellschaften das Werkzeug der kollektiven Lizenzen mit erweiterter Wirkung in die Hand bekommen. Doch die im Entwurf enthaltene Vorgabe, dass hierbei jeweils für bestimmte Werkarten „repräsentative Verwertungsgesellschaften“ in Frage kämen und es generell eine Vergütungspflicht geben soll, stößt auf Kritik.
Denn wie wäre vorzugehen, wenn es für einzelne Werkarten keine „repräsentative Verwertungsgesellschaft“ gibt? Der Freiburger Archivar*innen-Verein nennt als Beispiel Plakate, für die sich augenblicklich keine Verwertungsgesellschaft als zuständig erkläre.
Für solche und ähnliche Fälle sei eine Vergütungspflicht strikt abzulehnen, argumentieren auch die Bewegungsarchive, ein Verbund von (derzeit) 27 unabhängigen Archiven, Bibliotheken und Dokumentationsstellen, entstanden aus dem Spektrum der Protest- oder Oppositionsbewegungen.
In ihrer Stellungnahme (PDF) erklären die Bewegungsarchive, eine solche Regelung sei mit europäischem Recht nicht vereinbar: „Denn sie widerspricht der klaren Intention des europäischen Gesetzgebers, die Nutzung von nicht verfügbaren Werken dort unentgeltlich zu ermöglichen, wo es keine repräsentativen Verwertungsgesellschaften gibt“.
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Vergütungspflicht für die Materialien sozialer Bewegungen im Sinne ihrer Urheber*innen ist. Ihre Werke entstanden im Rahmen von politischem Aktivismus und waren nicht auf eine Verwertung gerichtet. Viele dieser Werke haben keine persönliche Autor*innenschaft, sondern sind bewusst anonym veröffentlicht worden. Eine Vergütungspflicht käme nicht den Urheber*innen zugute, da diese bis auf wenige Ausnahmen nicht in Verwertungsgesellschaften organisiert sind. […] Insofern ist fraglich, welche Verwertungsgesellschaft beispielsweise Pauschalvergütungen für die Nutzung von Flugblättern geltend machen kann.
Zudem gibt der Verbund zu bedenken, das Archive Inhalte nicht „verwerten“ würden. Und da keine Verwertung stattfinde, sei auch eine Beteiligung an einer solchen Verwertung hinfällig.
Ähnlich äußert sich die Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Archivverwaltungen des Bundes und der Länder (KLA) in ihrer Stellungnahme:
Repräsentative Verwertungsgesellschaften existieren nur für Werke, die auch kommerziell verwertet werden bzw. verwertbar sind. Geschützte Werke in Archivgut sind häufig wirtschaftlich nicht kommerzialisierbar. Damit die im Entwurf vorgesehene erlaubte Nutzung von Archiven auch praktisch genutzt werden kann, empfiehlt die KLA bei der Bestimmung repräsentativer Verwertungsgesellschaften im Wege der Rechtsverordnung nur solche konkreten Gruppen von Werken aufzunehmen, die kommerzialisiert und damit auch tatsächlich von Verwertungsgesellschaften berücksichtigt werden.
5) Umgang mit Reproduktionen gemeinfreier Werke
Eine weitere für Kulturerbe-Einrichtungen wichtige Regelung betrifft den Umgang mit Reproduktionen gemeinfreier Werke. Spätestens mit dem gerichtlich ausgetragen Streit zwischen dem Reiss-Engelhorn-Museum und Wikimedia rückte die Schutzfähigkeit von originalgetreuen Abbildungen gemeinfreier Werke wohl endgültig die Aufmerksamkeit des Gesetzgebers.
Laut Referenten-Entwurf sollen originalgetreue Vervielfältigungen und Reproduktionen von gemeinfreien Werken ihrerseits nun künftig unter keinem urheberrechtlichen oder vergleichbaren Schutz mehr stehen.
Nach Einschätzung des Kunsthistoriker-Verbands (VdK) entspräche diese Neuregelung der Zielsetzung der EU-Richtlinie, dazu beizutragen, dass die Beschäftigung mit dem kulturellen Erbe spürbar intensiviert und vertieft werden könne. Zudem erläutern die Kunsthistoriker*innen:
Sofern überhaupt für Fälle, in denen das vervielfältigende Material eine „eigene geistige Schöpfung“ darstellt, in der Umsetzung der Richtlinie eigens eine Ausnahme geschaffen wird, sollte diese Ausnahme auf wenige, klar und eng umschriebene Fälle beschränkt bleiben. […] Die Eigenschaft von Vervielfältigungen [sollte] daran festgemacht werden, dass sie ein Werk originalgetreu oder zumindest in wichtigen Teilen verlässlich und aussagekräftig wiedergeben. Leitend sollte mithin der vorrangige Zweck bzw. die primäre Funktion des vervielfältigenden Materials sein.
Eine solche Bestimmung des Begriffs von Vervielfältigung umfasst auch Abbildungen von dreidimensionalen und räumlichen Werken der bildenden Künste (Skulpturen, Kunsthandwerk, Architektur, Gartenanlagen etc.), für die bisher bisweilen – aufgrund der Wahl von Blickwinkeln und Entfernung durch den vervielfältigenden Fotografen – der Charakter einer eigenen geistigen Schöpfung in Anspruch genommen wird. Da aber Abbildungen von dreidimensionalen und räumlichen Werken, sofern sie als getreue Wiedergaben entstehen, dezidiert dem Zweck dienen, das Objekt oder wesentliche Teile möglichst verlässlich und aussagekräftig vor Augen zu führen, gibt es keinen plausiblen Grund, sie anders zu behandeln als Wiedergaben von Gemälden, Druckgraphiken oder Zeichnungen.
So geht’s weiter
Die Frist, um beim Bundesjustizministerium Stellungnahmen zum Referenten-Entwurf einzureichen, endete am 6. November. Doch weitere Eingaben und Anfragen werden ebenso möglich sein, wie sich öffentliche Debatten zwischen Verbänden, Organisationen und Politik fortsetzen.
Eine nächste Gelegenheit dazu bietet unter anderem die 8. Urheberrechtskonferenz der Initiative Urheberrecht, die am 16. November aus gegebenem Anlass komplett digital stattfindet.
1 Kommentar
1 Schmunzelkunst am 11. November, 2020 um 14:56
Die Ausführungen im letzten Abschnitt 5) kann man mit Verweis auf eine vor kurzem wirksam gewordene Änderung des Zitatrechts unterstützten. Der dt. Gesetzgeber hat das Problem erkannt und durch Einführung eines Satzes 3 in den § 51 UrhG beseitigt: “Von der Zitierbefugnis gemäß den Sätzen 1 und 2 umfasst ist die Nutzung einer Abbildung oder sonstigen Vervielfältigung des zitierten Werkes, auch wenn diese selbst durch ein Urheberrecht oder ein verwandtes Schutzrecht offenbar geschützt ist.” Die Änderung gilt für Lichtbilder und Lichtbildwerke und es gibt offenbar auch hier keinen plausiblen Grund, “Abbildungen von dreidimensionalen und räumlichen Werken anders zu behandeln als Wiedergaben von Gemälden, Druckgraphiken oder Zeichnungen”.
Bei der jetzigen Umsetzung der EU-Richtlinie kann der dt. Gesetzgeber aber leider wegen Art. 14 (“… , es sei denn, dieses Material stellt eine eigene geistige Schöpfung dar”) nicht so frei agieren. Wer hat bloß diesen Halbsatz in Art. 14 eingeführt? Sonst könnte der neue § 68 im Referenten-Entwurf in Analogie zum Zitatrecht so einfach lauten: “Vervielfältigungen gemeinfreier visueller Werke werden weder durch Urheberrechte noch verwandte Schutzrechte geschützt.” MfG
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