Das wäre neu im „UrhDaG“: Freiräume für Internet-Nutzer*innen, Werk-Vergütungen verpflichtend für Plattformen

Ölplattform Curacao, dronepicr unter CC BY 2.0
In einem am Mittwoch veröffentlichten Diskussionsvorschlag legt das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) dar, wie die im Frühjahr 2019 beschlossene Urheberrechtsrichtlinie der Europäischen Union in nationales Recht umgesetzt werden könnte.
In dem knapp hundert Seiten umfassenden Dokument setzt das BMJV verschiedene Schwerpunkte, um das Verhältnis der wichtigsten Akteure, also der Plattformen, Nutzer*innen, Urheber*innen („Kreative“), Verwerter*innen sowie Verwertungsgesellschaften neu auszutarieren.
Der „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes“, wie das Papier vollständig heißt, schlägt eine ganze Reihe von Neuregelungen vor.
Einige davon sollen an dieser Stelle näher betrachtet werden. Darunter: neue Bagatellregelungen für Nutzer*innen, Vergütungspflichten für Plattformen und die Pastiche-Schranke.
UrhDaG sieht genehmigungsfreie Uploads für Nutzer*innen vor
Interessierte werden sich wohl eine neue Abkürzung einprägen müssen: Das sogenannte Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz, abgekürzt UrhDaG, ist ein Kernstück des Diskussionsentwurfs.
Wie der Name bereits andeutet, soll das UrhDaG die Rechte und Pflichten der „Diensteanbieter“ näher regeln – und damit die Fragen, wer auf Plattformen zukünftig für Uploads urheberrechtlich geschützten Materials verantwortlich ist. Insbesondere wird adressiert, in welcher Form sogenannte Bagatellnutzungen vergütet werden.
Konkret schlägt der Entwurf eine Ausnahmeregelung vor, die genehmigungsfreie Uploads von Plattformen-Nutzer*innen erlaubt, wenn diese „kleine Teile von Werken oder Werke geringen Umfangs zu nicht kommerziellen Zwecken“ umfassen.
Die Umfänge der verschiedenen Werkarten regelt Paragraf 6: So sollen urheberrechtlich geschützte audiovisuelle Werke in einem Umfang von bis zu 20 Sekunden (Video- und/oder Tonspur), Textwerke bis zu 1.000 Zeichen sowie Bilder und Grafiken bis einer Dateigröße von höchstens 250 Kilobyte genehmigungsfrei auf Plattformen hochgeladen werden dürfen.
Höchstgrenzen von Bagatellnutzungen: Format vs. Dateigröße
Interessant hierbei ist die unterschiedliche Behandlung der Werkarten: Die genehmigungsfreie Nutzung der audiovisuellen und textlichen Werke ist über Längenangaben des jeweiligen Formats geregelt: Die Laufzeiten- beziehungsweise die Zeichenbeschränkung lässt eine relativ präzise inhaltliche Begrenzung zu – auch wenn in der derzeitigen Formulierung noch unklar bleibt, ob innerhalb der Grenze von 1.000 Zeichen auch Leerzeichen gezählt würden.
Bei Bild- und Grafikwerken definiert das UrhDaG die Höchstgrenze nicht über das Format, da die ausschnittsweise Nutzung von Abbildungen in der Praxis nicht möglich sei. Stattdessen schlägt der Entwurf eine technische Qualitätsgrenze vor, das heißt eine maximale Speichergröße der Datei von 250 Kilobyte vor.
Zwar lässt dieser Höchstwert derzeit keine großen, hochauflösenden Bilder zu. Es ist aber aufgrund der bisherigen Entwicklung technischer Komprimierungsverfahren nicht ausgeschlossen, dass sich dies zukünftig ändern wird.
Zudem wären Bilder und Grafiken, die beispielsweise in Schwarz-Weiß oder anderen einfachen Farbkompositionen gehalten sind, gegenüber vielfarbigen und damit mehr Speicherplatz verbrauchenden Darstellungen privilegiert.
Die im UrhDaG definierte technische Qualitätsgrenze von 250 Kilobyte deutet außerdem darauf hin, dass von der formativen Begrenzung auf 128 mal 128 Pixel aus dem ersten Diskussionsentwurf (Seite 9) Abstand genommen werden soll. Dieser Regelungsversuch aus dem Januar 2020 beschränkte genehmigungsfreie Uploads von Bildern, etwa bei Vorschauen von Bildersuchen, im Zuge des Leistungsschutzrechts, und stieß auf vielfache Kritik.
„Angemessene Vergütung“ für Urheber*innen vorgesehen
Während Paragraf 6 den Plattform-Nutzer*innen genehmigungsfreie Höchstgrenzen für Bagatellnutzungen einräumt, schreibt Paragraf 7 den Plattformen selbst eine Vergütungspflicht für eben diese Werknutzungen vor: Der „Dienstanbieter“, also die Plattform, habe „dem Urheber eine angemessene Vergütung zu zahlen“.
Die Begründung: Die Plattform profitiere „wirtschaftlich von der Aufmerksamkeit, die das Publikum auf diese Uploads der Nutzer verwendet“. Heißt im Klartext: Die Plattformen, seien es Facebook oder TikTok, verdienten an den von den Nutzer*innen hochgeladenen Werken oder Werkteilen und müssten die Urheber*innen entsprechend beteiligen.
Die kurzen Werkausschnitte von Musik, Videos und Texten sieht der Entwurf dabei nicht prinzipiell in Konkurrenz zu den vollständigen, anderweitig erhältlichen Originalwerken, sondern versteht sie mehr als Werbemittel.
Kostenlos verfügbare Werkausschnitte gehörten heute, so der Entwurf, zu den „üblichen Geschäftspraktiken“ und dienten wie Filmtrailer, Song- oder Text-Snippets zu „Werbezwecken“. Die teilweise freie Verfügbarkeit geschützter Werke würde den Absatz des Primärmarktes offenkundig nicht schädigen, sondern wäre dem Absatz der Werke sogar förderlich.
Neue Herangehensweise für transformative Werknutzung: „Pastiche“ soll „Freie Benutzung“ beerben
Der Diskussionsvorschlag des BMJV berührt aber nicht nur die Rechtmäßigkeit von kurzen untransformativen Werknutzungen, sondern berücksichtigt auch die transformative Nutzung „zu den Zwecken der Karikatur, der Parodie und des Pastiches“. Diese neue Regelung wird unter Paragraf 5 eingefügt und unter Paragraf 51a näher geregelt.
Die „Freie Benutzung“ aus Paragraf 24 der alten Fassung würde demnach aufgehoben. In ihrer derzeitigen Auslegung ermöglicht die „Freie Benutzung“ lediglich eine erlaubnisfreie transformative Werknutzung, wenn die ästhetischen Züge des Originalwerks hinter denen des neu entstandenen Werks zurücktreten.
Die Wesensmerkmale des alten Werks müssen also zugunsten der Merkmale des neuen Werks „verblassen“ – ein Miteinander, Nebeneinander, Übereinander der Werke ist im Sinne der Freien Benutzung demnach nur innerhalb sehr enger Grenzen möglich.
Die Regelung der freien Benutzung, so der Entwurf, sei aufgrund der Vielzahl von digitalen transformativen Werknutzungen im Internet aber nicht mehr zeitgemäß: „Zitierende, imitierende und anlehnende Kulturtechniken sind ein prägendes Element der Intertextualität und des zeitgemäßen kulturellen Schaffens und der Kommunikation im ‚Social Web‘“.
Konkret führt der Entwurf in diesem Zusammenhang moderne Techniken, Phänomene und Genres wie Internet-Memes, Sampling, Remixes, GIFs, Mashups, Fan Fiction und Cover-Versionen an. Bei diesen stünde Intertextualität im Vordergrund, also Verweispraktiken und Beziehungen zwischen den Werken, und weniger die Überwindung des alten Werks zu Gunsten eines neuen.
Meinungs- und Kunstfreiheit abdecken
Eine Pastiche-Regelung ginge über die engen Grenzen der derzeitigen Auslegung der Freien Benutzung hinaus, da sie die Erkennbarkeit von Werkteilen zu einem ästhetischen Merkmal erheben und entsprechende Werknutzungen legalisieren würde.
Gleichermaßen würde die neue Formulierung die Konvergenz aus Kommunikation und ästhetischen Praktiken ernst nehmen, was insbesondere für GIFs und Memes eine deutliche Entspannung bedeutete – und darüber hinaus auch für die Meinungsfreiheit, wie der Entwurf selbst betont.
Bemerkenswert ist zudem das Wording: Mit „Intertextualität“ und „Pastiche“ benutzt der Entwurf zwei Begriffe, die vor allem aus Literatur- und Kunstwissenschaft bekannt sind. Beide Begriffe bieten Aspekte, die durch die bisherige urheberrechtliche Einordung nicht abgedeckt waren – sie standen sozusagen neben den bereits etablierten Schranken der Parodie- und Zitatfreiheit.
Mit der Einführung des Pastiche-Begriffs, der von der EU-Richtlinie genannt und vom BMJV offensichtlich übernommen wurde, wird dieses Versäumnis nun beseitigt. Ein Pastiche, so der Entwurf, „muss eine Auseinandersetzung mit dem vorbestehenden Werk oder einem sonstigen Bezugsgegenstand erkennen lassen“. Dies könne auch einen „Ausdruck der Wertschätzung und Ehrerbietung für das Original enthalten“.
Wie sollen „unerlaubte Nutzungen“ geregelt werden?
Der Vorschlag enthält also Regelungen für erlaubnisfreie Bagatellnutzungen und transformative Werknutzungen im Sinne des Pastiches. Doch wie sieht es mit Werknutzungen aus, die davon nicht abgedeckt sind?
Sogenannte „unerlaubte Nutzungen“ werden in den Paragrafen 10 bis 12 des Entwurfs geregelt. Plattformen könnten sich demnach nicht auf das sogenannte „Hostprovider-Privileg“ stützen (Seite 30); stattdessen müssten sie unerlaubte Nutzungen sperren oder sogar entfernen, wenn Rechteinhaber*innen dies verlangten.
Dafür habe der Dienstanbieter einerseits „hohe branchenübliche Standards einzuhalten“, müsse sich andererseits aber auch um den Erwerb geeigneter Nutzungsrechte bemühen, wenn diese „angeboten oder bei Verwertungsgesellschaften verfügbar sind“.
Ausnahmen für kleine Plattformen und Start-Ups
Die Regelung zielt offenbar auf große Plattformen, deren Geschäftsmodell wesentlich auf den Uploads von Nutzer*innen und deren geschäftsmäßiger Auswertung basiert. Kleinere Dienstanbieter und Start-Ups, die durchschnittlich weniger als 5 Millionen unterschiedliche Seitenbesucher*innen pro Monat haben, sind von der Regelung ausgenommen.
In diesem Zusammenhang weist der Entwurf auch auf die sogenannten „Uploadfilter“ hin: Diese hatten im Vorfeld für weitreichende Diskussion gesorgt, da sie eine automatisierte Sperrtechnologie zur Unterbindung unerlaubter Inhalte bedeuten würden. Für kleine Firmen mit weniger als 1 Million Euro Umsatz pro Jahr würde „der Einsatz von Filtertechnologien regelmäßig einen unverhältnismäßigen Aufwand verursachen“, so der Entwurf.
Ansonsten bietet der Entwurf in Bezug auf Uploadfilter wenig Konkretes. Er betont lediglich, dass die vorgeschlagene Regelung dazu beitrage, „die Anwendung von Filtertechnologien und dadurch verursachtes Overblocking möglichst zu verhindern“.
Wie geht es nun weiter?
In knapp einem Jahr soll das Gesetz zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie in Kraft treten. Stichtag: 7. Juni 2021. Mit der Veröffentlichung des konkreten Entwurfs hat die öffentliche Diskussion gerade erst begonnen.
Bis zum 31. Juli 2020, also etwa fünf Wochen lang, können interessierte Kreise und Verbände zu dem Diskussionsentwurf Stellung nehmen. Unter diesem Link finden sich die dazugehörigen Informationen.
Der iRights e. V., der als Betreiber des Portals iRights.info fungiert, hat im September 2019 eine eigene Stellungnahme zur Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie veröffentlicht.
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