Was wir kopieren, wenn wir kopieren
Fotos und Videos aufnehmen, digitale Musikstücke versenden und empfangen, Remixes und Memes anfertigen – die digitale Technik gibt den Menschen eine Menge Möglichkeiten an die Hand, Inhalte zu kopieren.
Das Kopieren ist zu einer Alltagstechnik geworden und damit auch an vielen Stellen in den Hintergrund gerückt. Oft kopieren wir sogar, ohne dass wir dem Kopiervorgang große Beachtung schenken würden, etwa wenn wir eine Datei vom Server laden oder das Smartphone eine Sprachnachricht mit unserer Stimme verschickt.
Doch Kopie ist nicht gleich Kopie. Oder als Frage formuliert: Was sind Kopien? Welche verschiedene Formen des Kopierens gibt es und was zeichnet sie aus? Besonders im Zusammenhang mit dem Urheberrecht und Open Content lohnt es sich, genau hinzusehen und zu differenzieren – was also kopieren wir, wenn wir kopieren?
Die drei Formen der Kopie: repräsentieren, replizieren, referenzieren
Drei Formen des Kopierens lassen sich unterscheiden: das Festhalten in Repräsentationen, das Vervielfältigen in Replikationen und das Verweisen in Referenzen. Was ist jeweils darunter zu verstehen?
Repräsentieren: Die Wirklichkeit festhalten
Zunächst zum Repräsentieren: Das meint das Aufnehmen und Speichern eines Objekts in festgehaltener Form, zum Beispiel die Fotografie von einer Landschaft. Nicht die Landschaft selbst wird in der Fotografie eingefangen, sondern eine grafische Abbildung davon, gebannt auf einen Datenträger. In der Fotografie kann das etwa eine analoge Filmrolle, ein Dia oder eine Datei auf einer SD-Karte einer Digitalkamera sein.
Je nach Aufnahmetechnik enthält die Repräsentation unterschiedlich tiefe Informationen des Objekts, das sie festhält. Die Repräsentation gibt das Original also in unterschiedlicher Originaltreue wieder: Beim Foto beispielsweise als Farbaufnahme oder in Schwarz-Weiß, in hoher oder niedriger Bildschärfe, in großem oder kleinem Ausschnitt, und so weiter.
Repräsentationen sind nicht auf bildgebende Verfahren beschränkt, auch Klänge lassen sich bekanntlich speichern und festhalten: Beim sogenannten Field Recording etwa geht es um möglichst gute Audio-Aufnahmen der Natur, die auch feine Nuancen wie leise oder entfernte Geräusche einfangen.
Replizieren: Objekte vervielfältigen
Zweitens das Replizieren: Ist das Foto der Landschaft auf einem Datenträger abgespeichert, lässt sich dieser selbst oder die darauf enthaltene Abbildung vervielfältigen. Eine digitale Datei etwa ist schnell auf Instagram und Flickr hochgeladen oder per Email weiterverteilt. Das geht in Sekunden und ohne Qualitätsverlust (außer es findet eine Datenkomprimierung oder ähnliches statt). Aufwändiger ist das Kopieren eines Datenträgers selbst (zum Beispiel bei einer Vinyl-Schallplatte).
Meist lässt sich die gespeicherte Abbildung auch auf einen anderen Datenträger überführen. Oft verändert sie dabei ihre Form, beispielsweise beim Konvertieren eines digitalen Fotos zu einem Dia (oder andersherum). Bei nicht-digitalen Vervielfältigungsarten kommt es meist zu Qualitätsverlusten. Das weiß jeder, der schon mal eine CD auf eine Kassette überspielt hat oder eine DVD auf VHS.
Je nach Kopiertechnik entstehen beim Replizieren also Unikate (mit Qualitätsverlusten behaftete Kopien bei mehreren Exemplaren) oder eine Serie (in Form gleichwertiger, identischer Exemplare, teils sogar samt Metadaten). Das lässt sich gut in der Fernseh-Abteilung eines Elektronik-Markts erfahren: Hier werden Replikationen des gleichen Bilds auf diverse Fernseher und damit auch in unterschiedlichen (oder gleichen) Formaten ausgegeben.
Referenzieren: Auf’s Original verweisen
Schließlich das Referenzieren: Die Kopie hat die Kraft, Inhalte (beziehungsweise Teile davon) neu aufeinander zu beziehen. Durch das Kopieren ist es möglich, Aufnahmen zu verändern, zu rekombinieren und zu remixen, so dass neue Zusammenhänge entstehen. So ergeben etwa verschiedene miteinander kombinierte Bilder eine Collage, eine neue Bildunterschrift macht aus einem Bild ein Meme und manchmal entsteht sogar aus dem Weglassen eines Bildelements ein völlig neuer Sinn.
Nicht jede Verweistechnik lässt gleich ein völlig neues, ausreichend individuelles Werk entstehen, das urheberrechtlich geschützt beziehungsweise urheberrechtlich legal ist. Doch steckt in der Setzung von Referenzen eine produktive, schöpferische Ausdrucksform, die die Kopie von ihrem Original entfernt.
Die Art der dabei entstehenden Referenzen reicht von eindeutig identifizierbaren Zitaten über lockere Andeutungen bis hin zu nahezu vollkommen verblassten Bezügen. In diesem Beispiel ist die Referenz der Varianten glasklar, sie beziehen sich auf das berühmte Gemälde der Mona Lisa.
Urheberrecht behandelt die drei Kopierformen unterschiedlich
Wie andere technische Umwälzungen auch bringt die digitale Kopie gesellschaftliche Veränderungen und Debatten mit sich. Nicht alles, was technisch möglich ist, ist gesellschaftlich akzeptiert oder legal. Zuständig für die Regulierung der Kopiertechniken ist unter anderem das Urheberrecht. Auch der Datenschutz oder Gesetze, die die Arbeit von Unternehmen betreffen, sowie weitere rechtliche Regelungen, können berührt sein.
Im Urheberrecht machen sich die drei Formen des Kopierens unterschiedlich bemerkbar. Die folgende Auflistung ist nicht abschließend (und stellt wie sonst auch auf iRights.info keine Rechtsberatung dar). Die Auflistung dient aber dazu, die urheberrechtliche Handhabung der drei Kopierformen nachzuvollziehen.
Festhalten für private Zwecke: Meist sind Repräsentationen problemlos
Das Repräsentieren der Wirklichkeit, etwa durch Foto-, Video- oder Klangaufnahmen für private Zwecke, ist in den meisten Fällen urheberrechtlich problemlos: Häufig entsteht durch das Festhalten überhaupt erst ein urheberrechtlich geschütztes Werk, etwa durch eine Fotografie oder bei einer Aufnahme eines Musikstücks im Studio.
Es gibt Fälle, in denen das Festhalten alleine schon eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts darstellt. Zum Beispiel, wenn eine Aufnahme „die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt“, so dass dadurch ihr höchstpersönlicher Lebensbereich verletzt wird.
Replizieren: Die Grenze zur Veröffentlichung ist schnell erreicht
Beim Replizieren geht das Urheberrecht in der Regel davon aus, dass es ein Original-Werk gibt, das in irgendeiner Form rechtlich geschützt ist (etwa durch Urheberrechte oder sonstige Schutzrechte).
Das Urheberrechtsgesetz gesteht der Urheberin in verschiedenen Regelungen Priviliegen zu, unter anderem das „Vervielfätigungsrecht“ (§ 16 UrhG) oder das „Verbreitungsrecht“ (§ 17 UrhG). Das hat Folgen für die Nutzer*innen: So kann es urheberrechtlich problematisch werden, wenn eine Kopie eines urheberrechtlich geschützten Werks auf einer Online-Plattform landet. Hat der Nutzer dafür keine Genehmigung von der Urheberin (etwa durch eine pauschale Creative-Commons-Lizenz) oder fällt die Nutzung unter keine gesetzliche Ausnahme (beispielsweise die Privatkopie), können bei der Veröffentlichung Urheberrechte verletzt werden.
Ein anderer Fall hat mit der Originaltreue der Aufnahme zu tun. So kann eine Aufnahme Details enthalten, die von der aufnehmenden Person gar nicht beabsichtigt waren oder im Zentrum der Aufnahme stehen. Zum Beispiel beim Filmen der privaten Wohnung, während im Hintergrund das Radio läuft. Enthält eine solche Videoaufnahme Ausschnitte eines urheberrechtlich geschützten Lieds – egal ob beabsichtigt oder nicht – und wird diese Aufnahme veröffentlicht, kann das zu Problemen führen (etwa wenn beim Hochladen der Upload-Filter automatisch anschlägt). Auch können bei Personen, die vielleicht unbeabsichtigt und ohne ihr Wissen aufgenommen worden sind, Persönlichkeitsrechte betroffen sein.
Referenzieren: Zitat, Pastiche, Karikatur, Parodie, Bearbeitung
Beim Referenzieren unterscheidet das Urheberrecht ebenfalls verschiedene Fälle. Diese kreisen im Prinzip um das Verhältnis zwischen dem alten, vorbestehenden und dem neuen, abgeleiteten Werk (oder Objekt). Das beinhaltet weitere Fragen, etwa wie umfangreich und wesentlich der übernommene Teil ist, ob und wie sich seine Funktion durch die Übernahme ändert, ob das Original durch die Übernahme Nachteile erleidet und ähnliches.
Typisch ist hier etwa die Nutzung von Ausschnitten fremder Werke im Rahmen des Zitatrechts (§ 51 UrhG). Oder im Rahmen der sogenannten Pastiche-Regelung (§ 51a UrhG), die seit Sommer 2021 die Verweisformen der Karikatur und der Parodie ergänzt. Der Pastiche löst gleichzeitig die sogenannte „Freie Benutzung“ ab (§ 24 UrhG aF), die zuvor in Kraft war. Außerdem regelt das Urheberrecht über die sogenannte „Bearbeitung“ (§ 23 UrhG) Fälle, bei denen ein urheberrechtlich geschütztes Werk so umgestaltet wird, dass bei Veröffentlichung eine Einwilligung der Urheberin notwendig wird.
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Kopie nicht gleich Kopie – auch nicht fürs Original
Vor allem Vervielfältigungen können eine Gefahr für Originale und deren Urheber*innen darstellen, sofern diese (noch) keine Kontrolle über die Ausspielwege haben und die Originaltreue der Kopie(n) hoch ist. Die Musikindustrie machte vor etwa 20 Jahren damit Erfahrung, als gut klingende MP3-Dateien mit kompakter Speichergröße global repliziert wurden. Mittels Streaming und Marktkonzentration sind die Ausspielwege mittlerweile monetarisiert und wieder unter Kontrolle der Musikindustrie gebracht.
Auf der anderen Seite gibt es Bereiche, die den Kontrollverzicht über Kopien geradezu forcieren. Zum Beispiel die OER-Community, deren Mitglieder Lehrmaterialien offen lizenzieren und bewusst für die Weiterbearbeitung durch Dritte freigeben (sogenannte Open Educational Resources, abgekürzt OER). Hier zeigt sich: Die Kopiertform des Referenzierens schadet dem Original gar nicht, sondern passt es auf neue Kontexte an. So entwickeln sich OER fortlaufend weiter.
Auch in anderen Bereichen – wie den Internet-Memes und der Remix-Kultur – ist ein bloßer Verweis kein Ersatz für ein Original. Vielmehr setzt man sich über Referenzen mit einem Original auseinander, begutachtet und interpretiert es, stellt es – meist ausschnittsweise – in einen anderen Kontext und macht damit auf den ursprünglichen Kontext aufmerksam. Oftmals nutzt genau diese Beschäftigung dem Original mehr, als dass sie ihm schadet, indem sie die Reichweite erhöht.
Die Kopier-Wut im digitalen Zeitalter
Egal ob Musikindustrie oder OER: Das Besondere am digitalen Zeitalter ist, dass sich die technischen Kopier-Möglichkeiten in allen drei Formen steigern. Moderne Aufnahmegeräte erreichen eine enorme Detailtiefe beim Repräsentieren von Objekten, können riesige Datenmengen erfassen, verarbeiten und speichern. Solche digital gespeicherten Inhalte lassen sich – je nach Situation – prinzipiell unbegrenzt replizieren, also vervielfältigen, verteilen und ohne große Kosten an mehreren Orten gleichzeitig veröffentlichen. Und schließlich lässt sich das digitale Material in unerschöpflicher Weise miteinander kreuzen, genre- und medienübergreifend remixen und neu zueinander in Beziehung setzen.
Repräsentieren, Replizieren und Referenzieren können dabei in enger Abfolge vorkommen oder sogar miteinander verbunden sein, ohne dass es immer gleich auffällt. Moderne Smartphones etwa halten digital die Welt fest (per Foto, Video oder Audio), haben Funktionen zum schnellen Teilen der aufgenommenen Daten und bieten verschiedene Remix-Möglichkeiten (Filter, Werkzeuge zur Bearbeitung und Rekombination) – oft sogar gebündelt in einer einzigen App.
So bequem und vielversprechend die technischen Möglichkeiten auch sind – es ist notwendig und hilfreich, sich die Unterschiede zwischen den einzelnen Formen des Kopierens klar zu machen. Und sensibel dafür zu sein, wie das Urheberrecht jeweils damit umgeht.
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