Neues Urteil: Sampling-Streit zwischen Kraftwerk und Pelham geht in die nächste Runde

Im Kern geht der Streit um die Frage, ob der Musikproduzent Moses Pelham ein etwa eineinhalb Sekunden langes Rhythmusfragment der Elektrogruppe Kraftwerk ohne Lizenz benutzen durfte: nämlich einen Ausschnitt aus Kraftwerks „Metall auf Metall“, den Pelham für sein Stück „Nur mir“ (mit Sabrina Setlur) gesampelt, also als Klangkopie übernommen hatte.
Wie das juristische Branchenmagazin LTO berichtet, urteilte das Hamburger Oberlandesgericht (OLG) gestern zum dritten Mal über den Fall und ließ erneut die Revision zu.
Drei Zeiträume, drei Rechtslagen: Was das neueste Urteil besagt
Weil sich der Rechtsstreit bereits über zwei Jahrzehnte hinzieht, hat sich auch die Rechtslage mehrfach geändert. Das Gericht musste deshalb zeitlich differenzieren: LTO zufolge definiert das OLG drei Zeiträume, die die Legalität des Samples betreffen.
So sei die Nutzung des Samples zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung von „Nur mir“ (1997) unter die Urheberrechtsschranke der „Freien Benutzung“ gefallen. Diese wurde erst 2021 durch die sogenannte Pastiche-Regelung ersetzt. Zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung war sie allerdings in Kraft und auf den konkreten Fall anwendbar. Punkt für Pelham.
Nach dem 22. Dezember 2002 habe neben der nationalen Regelung im Urheberrecht auch das EU-Recht in Form der InfoSoc-Richtline eine Rolle gespielt. Dem Gericht zufolge hatte Pelham in diesem zweiten Zeitraum weitere Tonträger mit dem Sample veröffentlicht: „Die Beklagten haben durch das unstreitige Angebot zweier Tonträger (‚Best of‘) im Jahre 2004 für die Zwischenzeit Wiederholungsgefahr für eine Vervielfältigung begründet“, zitiert LTO das Oberlandesgericht. Dafür stehe Kraftwerk Schadensersatz zu. Eins zu eins.
Ein dritter zeitlicher Abschnitt sei, wie LTO erläutert, ab Sommer 2021 maßgeblich: Damit beginne der Zeitraum, in dem die Pastiche-Regelung in Deutschland gelte, die durch die letzte Urheberrechtsreform eingeführt worden ist. Das Gericht stellte fest, die Nutzung des „Metall-auf-Metall“-Samples sei ab diesem Zeitpunkt im Sinne des Pastiches zu bewerten. Es sei aber noch nicht endgültig geklärt, was genau unter einem Pastiche zu verstehen sei. Das sei wieder eine Frage der Auslegung von europäischen Recht: Denn die Pastiche-Regelung geht auf die DSM-Richtlinie zurück. Daher ließ das Gericht für diesen Zeitraum die Revision zu. Kraftwerk könnte also weiter prozessieren und die Frage vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) klären lassen.
Original und Kopie: Zum Hintergrund von „Metall auf Metall“
Die dreiteilige Beurteilung des Oberlandesgerichts zeigt, wie verzwickt die Causa „Metall auf Metall“ ist und welche unterschiedlichen urheberrechtlichen Maßgaben zu berücksichtigen sind. Wie konnte es dazu kommen, dass ein kleines Sample so viel Ärger macht?
Kraftwerks „Metall auf Metall“ stammt aus dem Jahr 1977 und erschien auf dem Album „Trans Europa Express“ – der Albumtitel spielt auf den gleichnamigen Zug an, der bis in 1980er Jahre zwischen Europas Metropolen verkehrte. Der Titel „Metall auf Metall“ ist ebenfalls als Referenz zu verstehen: Die am Synthesizer programmierten Klänge sollen an das rhythmische Geklacker erinnern, das durch das Fahren eines Zuges auf Stahlschienen entsteht.
1997, also 20 Jahre später, benutzte Moses Pelham einen Ausschnitt aus „Metall auf Metall“ (im Original ist der entsprechende Ausschnitt ab ca. 0:35 min zu hören, siehe oben). Pelham eröffnet „Nur mir“ mit dem besagten Rhythmus-Sample. Etwas verlangsamt, als fortlaufende Schleife und unterlegt mit einer anderen Melodie. Nach einigen Takten kommen weitere Elemente dazu, das Kraftwerk-Sample ist nicht mehr zu hören. „Nur mir“ entwickelt im weiteren Verlauf einen eigenen Charakter (zum Nachhören siehe das Musikvideo bei YouTube).
Kurzes Sample, langer Streit: Warum sich der Fall so hochschaukelte
Pelham hatte für die Benutzung des Samples in „Nur mir“ keine Lizenz bei Kraftwerk eingeholt. Es kam zum Rechtsstreit, der 1999 vor dem Landgericht Hamburg begann und sich durch die verschiedenen Instanzen seinen Weg bahnte.
2008 urteilte der Bundesgerichtshof, dass bereits kurze und kürzeste Klangschnipsel durch das Leistungsschutzrecht der Tonträgerhersteller geschützt seien. Das spielte Kraftwerk in die Karten, die das Album auf dem eigenen Label veröffentlicht hatten und damit als Tonträgerhersteller galten. Die Frage, ob das Originalsample aus „Metall auf Metall“ überhaupt die notwendige Schöpfungshöhe für Urheberrechtsschutz erreichte, wurde umschifft.
Pelham war damit nicht einverstanden, der Streit ging 2012 beim Bundesgerichtshof weiter: Dem Gericht zufolge hätte Pelham auf eine unlizenzierte Übernahme des Samples verzichten müssen, weil er in der Lage war, die Rhythmussequenz mit eigenen Mitteln nachzustellen. Dagegen wehrte sich Pelham erneut. Sein Argument: Ein derart strenges Urheberrecht beschneide seine Kunstfreiheit als Hip-Hop-Produzent. Diese würde traditionellerweise mit der Kunstform Sampling arbeiten.
Die Wende brachte das Bundesverfassungsgericht
Im Herbst 2015 landete der Fall beim Bundesverfassungsgericht, das im Sommer 2016 die vorherige Rechtssprechung aufhob: Sampling sei als Kunstform für Hip Hop konstitutiv. Bei einer urheberrechtlichen Betrachtung sei daher eine „kunstspezifische Betrachtung“ notwendig. Diese solle die „stilprägenden Elemente des Hip-Hop“ angemessen berücksichtigen. Geringfügige wirtschaftliche Nachteile von Tonträgerherstellern seien wegen des hohen Guts der Kunstfreiheit in Kauf zu nehmen.
Aufgrund dieser Argumentation musste der Bundesgerichthof die Causa erneut prüfen. Das führte dazu, dass der Fall abermals weiterverwiesen wurde und beim Europäischen Gerichtshof landete. In dessen vielschichtigem Urteil wurde die Referentialität des Samplings stärker gewürdigt: Einerseits könnten Samples so sehr manipuliert sein, dass die Originalquelle für durchschnittliche Hörer*innen nicht mehr zu erkennen sei und ein Konflikt mit dem Leistungsschutzrecht der Tonträgerhersteller ausscheide; andererseits könne Sampling unter bestimmten Umständen sogar unter das Zitatrecht fallen.
Von der Freien Benutzung zum Pastiche
Weiter stellte der Europäische Gerichtshof fest, dass die deutsche Urheberrechtschranke „Freie Benutzung“ (§ 24 UrhG a. F.) „nicht mit dem Unionsrecht vereinbar“ sei. Damit wurde eine weitere Dimension des Streits freigelegt, die weit über den konkreten Fall hinausreichen sollte. Die Konsequenz: Mit der Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie in nationales Recht im Sommer 2021 flog die „Freie Benutzung“ aus dem deutschen Urheberrecht. An ihre Stelle trat die relativ offene, der Zitatschranke untergeordnete Pastiche-Regelung, die iRights.info hier erklärt.

Wie der „Pastiche“ ins Urheberrecht kam und was er für das kreative Schaffen bedeutet
Im Urheberrecht steht ein neuer Begriff: Der „Pastiche“. Damit sollen sich Nutzer*innen kreativ ausdrücken und fremde Inhalte rechtssicher unter bestimmten Bedingungen verwenden dürfen, etwa für Memes, Remixes oder Cosplays. Eine Annäherung, was „Pastiche“ genau meint und welche Regeln nun gelten. » mehr
Ein Pastiche liegt vor, wenn sich eine Person mit dem Werk einer anderen erkennbar kreativ auseinandersetzt, sich offen (in der Regel wertschätzend) auf das vorbestehende Werk bezieht und dieses nicht als das eigene ausgibt. Eine Quellenangabe ist nicht notwendig, sofern man voraussetzen kann, dass das Publikum das referenzierte Werk erkennt. Ist das nicht der Fall, ist eine Quellenangabe sinnvoll.
Prozess non-stop: Wie weit wird der Streit noch gehen?
Während sich der Streit in den Anfangsjahren um eher enge urheberrechtliche Fragen drehte, kamen mit der Zeit weitere Sachverhalte dazu. Und damit auch komplizierte Fragen. Insbesondere das Verhältnis von Kunstfreiheit und Urheberrecht brachte einen neuen Spin in die Bewertung, die restriktive Rechtsprechung um Sampling fand ein vorläufiges Ende.
Bemerkenswert dabei: Der Streit um das kurze Sample führte nicht nur zu zahlreichen Gerichtsentscheidungen. Er ebnete auch den Weg für die Pastiche-Regelung – die nun tatsächlich auch auf den Fall selbst angewendet wird.
Das Ende der Auseinandersetzung um „Metall auf Metall“ dürfte mit der neuesten Entscheidung indes noch nicht erreicht sein. Auch wenn manche schon genug von dem Fall haben: Die Chance um eine angemessene Diskussion der Pastiche-Regelung ist nun da. Es könnte in die nächste Runde gehen.
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3 Kommentare
1 DJones am 29. April, 2022 um 11:40
“2008 urteilte der Bundesgerichtshof, dass bereits kurze und kürzeste Klangschnipsel durch das Leistungsschutzrecht der Tonträgerhersteller geschützt seien … Die Frage, ob das Originalsample aus „Metall auf Metall“ überhaupt die notwendige Schöpfungshöhe für Urheberrechtsschutz erreichte, wurde umschifft.”
Was hat “Schöpfungshöhe” mit dem Leistungsschutzrecht zu tun?
“Ein Pastiche liegt vor, wenn sich eine Person mit dem Werk einer anderen erkennbar kreativ auseinandersetzt, sich offen (in der Regel wertschätzend) auf das vorbestehende Werk bezieht und dieses nicht als das eigene ausgibt.”
Pelham verwendet das Sample NICHT
a) im Sinn einer kreativen Auseinandersetzung, und er
b) bezieht sich NICHT auf das Ursprungswerk und
c) das Sample ist für 99% des Publikums NICHT zu erkennen.
Wie kommt des Oberlandesgericht Hamburg auf die Idee, hier könne ein Pastiche (whatever that may be) vorliegen?
Danke!
2 Georg Fischer am 29. April, 2022 um 11:45
Zu Frage 1: Das LSR wurde miteinbezogen, weil Kraftwerk keine Schöpfungshöhe bei dem Ausschnitt gelten machen konnten (meine Interpretation).
Zu Frage 2: Schwer zu beurteilen, das Urteil des OLG wurde noch nicht veröffentlicht. Zum Pastiche siehe die verlinkten Artikel bei iRights.info, etwa https://irights.info/artikel/wie-der-pastiche-ins-urheberrecht-kam-und-was-er-fuer-das-kreative-schaffen-bedeutet/31105
3 Schmunzelkunst am 5. Mai, 2022 um 19:56
Mit der freien Benutzung und der Pastiche-Regelung gerät man m. E. leicht auf den Holzweg. Lt. Rn 39 der EuGH-Entscheidung ist es dem Tonträgerhersteller gestattet, “sich dagegen zu wehren, dass ein Dritter ein (…) Audiofragment seines Tonträgers nutzt, um es in einen anderen Tonträger einzufügen, es sei denn, dass dieses Fragment in den anderen Tonträger in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form eingefügt wird.” Das heisst nicht, dass der Tonträger gar nicht genutzt werden darf.
Ein immer wieder schönes Beispiel ist ein Tonträger mit urheberrechtsfreiem Vogelgezwitscher. Der Gesang der Nachtigall darf wiedererkennbar bleiben, es darf aber nicht erkennbar sein, aus welchem Tonträger ggf. der Gesang – wenn nicht aus eigener Aufnahme – entnommen wurde.
Was sagen Sie dazu?