Daft Punk und die Remixkultur: Ohne Kopien kein Original
Der Sommerhit des Jahres 2013 war ohne Zweifel „Get Lucky“ des Elektroduos Daft Punk. Das Lied lief überall: in den Diskos und im Radio, auf Smartphones und MP3-Playern, bei Youtube, in Ferienorten und Großstadtcafés. Allein in Deutschland und der Schweiz hielt es sich mehr als 50 Wochen in den Charts, aber auch in Großbritannien und den USA war es ein großer kommerzieller Erfolg.
Daft Punk hatten sich für die Produktion prominente Unterstützung gesichert: Text und Gesang steuerte Pharrell Williams bei, das markante Gitarrenriff wurde von Nile Rodgers eingespielt, der in den 1970er Jahren mit der Disco-Band Chic berühmt geworden war. Laut New York Times zog sich die Produktion über eineinhalb Jahre hin.
Doch nicht allein die musikalischen Qualitäten von „Get Lucky“ waren für den Erfolg wichtig. Entscheidend war auch, wie das Lied durch Remixe, Mashups und Coverversionen von Fans bekannt gemacht wurde.
Tausende Fan-Varianten
Im Fall von „Get Lucky“ entstand eine geradezu absurde Situation: Wochen bevor das Lied überhaupt offiziell erschienen war, konnte man im Internet bereits tausende Fan-Varianten hören. Von diesen, teils sehr originellen Kopien profitierte dann auch das Original von „Get Lucky“. Es ist kaum denkbar, „Get Lucky“ zu kennen, ohne jemals einen Remix davon gehört zu haben.
Dabei war die erste offizielle Veröffentlichung nur ein wenige Sekunden langer Ausschnitt, der bei der US-Spätshow „Saturday Night Live“ als Werbung eingeblendet wurde. Etwa zur gleichen Zeit wurde das Sample auch auf der Website von Daft Punk hochgeladen – wohlgemerkt ohne Gesang, Titel oder andere Informationen. Bloß ein kurzer Instrumentalausschnitt in Endlosschleife:
Das Sample gelangte auf Youtube, wurde tausendfach von Hobbymusikern heruntergeladen und an heimischen Rechnern weiter verarbeitet. Denn plötzlich wurde überall gerätselt: Ist das der neue Song von Daft Punk? Wie klingt wohl das ganze Stück?
Ein musikalisches Meme entsteht
Angetrieben von diesen Fragen bastelten sich die Fans kurzerhand ihre eigenen Versionen und verteilten diese online. Innerhalb weniger Tage entstand ein regelrechter Wettbewerb, wer den besten Daft-Punk-Remix aus dem kurzen Sample erschaffen würde. Gleichsam über Nacht hatten Daft Punk ihr eigenes musikalisches Meme in die Welt gesetzt.
Der Hype hielt auch dann noch an, als „Get Lucky“ schließlich in voller Länge und mit Gesang veröffentlicht worden war. Von diesem Zeitpunkt an gab es ein „Original“ und die Spekulationen fanden ein Ende.
Der inoffizielle Remix-Wettbewerb wurde dadurch noch befeuert. Nun mussten sich die Kopien auch an der Originalversion messen lassen und anders herum. Professionelle Musiker und Agenturen, die von dem Hype profitieren wollten, sprangen auf den Zug auf.
In der Folge entstand für nahezu jede musikalische Richtung die passende „Get Lucky“-Version, beispielsweise als Acapella-, Dubstep-, House-, Hip-Hop-, 8Bit-, Harfe- und sogar Bluegrass-Variante.
Auch Parodien mit Barack-Obama-Zitaten oder albernem Hühnergegacker kamen dazu, alle von den Remixern selbst auf einschlägigen Plattformen und in sozialen Medien gestreut. „Get Lucky“ wurde so zu einem musikalischen Thema, das in nahezu allen Facetten ausgereizt wurde.
Insgesamt waren im Sommer 2013 sicherlich mehrere zehntausend Versionen im Umlauf. Laut Meedia sollen es seinerzeit mehr als eine Million Einträge zu Cover-Versionen von „Get Lucky“ auf Youtube gewesen sein. Ob Zufall oder geplant, das Marketing für „Get Lucky“ setzte geschickt auf die Fans von Daft Punk, die selbst zu Distributoren wurden.
Oftmals folgen Memes einer ungeplanten, „viralen“ Entwicklung und ihr Ursprung oder ein Original ist nicht klar auszumachen. Bei „Get Lucky“ war zwar klar, dass das Original von Daft Punk stammt. Wie es aber genau klingen sollte, blieb über Wochen hinweg ein Geheimnis. Erst die Veröffentlichung des Originals erlöste die Fangemeinde schließlich von ihren Spekulationen, die sie – kreativ und ideenreich – in eigenen Musikstücken ausgedrückt hatten.
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Die Kopien stabilisieren das Original
Die besondere Dynamik des Remix-Hypes um „Get Lucky“ hilft, das Verhältnis von Original und Kopie besser zu verstehen. Der Erfolg des Lieds wurde von den tausenden Kopien beeinflusst, ja sogar maßgeblich bestimmt. Anders gesagt: „Get Lucky“ wurde erst durch seine Kopien zum Original.
Dieser Befund spricht gegen die weit verbreitete und auch hinter vielen Regelungen des Urheberrecht stehende Vorstellung, Kopien schadeten dem Original. An „Get Lucky“ lässt sich erkennen, wie Original und Kopie in einer komplexeren Beziehung zueinander stehen können. Die Fanversionen befeuerten zuerst die Nachfrage und steigerten das Interesse am Original. Das „offizielle Original“ stand dann neben den zahlreichen Kopien. Fan-Versionen fungierten zugleich als Werbung für das Original und stabilisierten es.
„Get Lucky“ demonstriert zugleich die Kreativität einer globalisierten, digitalen Remixkultur. Tausende Amateure und Profis fühlten sich von einem wenige Sekunden langen Musikschnipsel zur Produktion eigener Musik angeregt. Wer diese Kreativität durch ein allzu restriktives Urheberrecht einschränkt, tut niemandem einen Gefallen – in diesem Fall nicht mal den Urhebern des Originals.
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