Entwurf zum Urheberrecht: EU-Kommission skizziert weitere Schritte
Die Plattform Statewatch hat dazu am Donnerstag einen 181 Seiten umfassenden Entwurf einer Folgenabschätzung (PDF) der EU-Kommission veröffentlicht. In dem als „vertraulich“ gestempelten Konvolut machen sich dessen Autoren an eine Bewertung möglicher Schritte und schätzen Auswirkungen und Widerstände ab.
Während sich bereits mit der von der EU-Kommission vorgestellten Strategie zum digitalen Binnenmarkt und einem weiteren Arbeitsplan abzeichnete, auf welchen Gebieten die Kommission Änderungen am Urheberrecht anstrebt, nehmen nun auch die Mittel und Wege dazu deutlichere Konturen an.
Dass der Entwurf zuerst den Weg auf Statewatch gefunden hat, lässt jedoch vermuten, dass noch keine Einigkeit über die darin vorgeschlagenen Schritte besteht. Der Lobbyverbund Copyright for Creativity, welcher Verbände von Nutzern, Internetwirtschaft, Bildung, Forschung und Zivilgesellschaft versammelt, weist darauf hin, dass die federführende Abteilung der Kommission, die Generaldirektion DG Connect, derzeit die Einschätzungen anderer Kommissionsressorts sammele.
Leichterer Lizenzerwerb soll es richten
Dem grenzüberschreitenden Lizenzerwerb – seit vielen Jahren ein Lieblingsthema und Dauerbaustelle der EU-Kommission – widmet sich auch der jetzt bekannt gewordene Entwurf an erster Stelle. Dass die Kommission die Zeit für EU-weite Lizenzen und ein einheitliches Urheberrecht noch nicht gekommen sieht, war bereits aus früheren Ankündigungen bekannt.
Das Problem des Geoblockings, der länderspezifischen Sperren für Inhalte, hat sich damit für die Kommission in viele Detailaspekte unterschiedlicher Regelungen aufgefächert. Manche Auswüchse, vor allem bei Streamingdiensten, soll die bereits im Dezember vorgestellte Portabilitäts-Verordnung angehen, auf die der Entwurf nur kurz verweist.
Daran anschließend sei die Folgenabschätzung der zweite Schritt, um die Strategie zum digitalen Binnenmarkt umzusetzen, heißt es im Entwurf. Es bleibt also beim erklärten Leitmotiv der Kommission, das gemäß ihrer Diktion darin besteht, „mehr Binnenmarkt in die gegenwärtigen Regelungen des EU-Urheberrechts zu injizieren und sie an neue technologische Realitäten anzupassen“ (S. 5). Für die Kommission ergeben sich daraus drei Handlungsfelder: den EU-weiten Zugang zu Inhalten, urheberrechtliche Ausnahmeregelungen und die Schaffung eines „wohlfunktionierenden Markts um Urheberrechte“.
Rechteklärung für Radio-, TV- und Videodienste
So sprechen sich die Autoren des Entwurfs dafür aus, Radio- und Fernsehsender im Internet einem Herkunftslandsprinzip zu unterwerfen, das ihnen den Online-Lizenzerwerb vereinfachen soll (S. 22ff.). Ein europaweiter Sender müsste demzufolge nicht für alle EU-Länder, in denen er zu empfangen ist, Lizenzen erwerben, sondern nur im eigenen Land. Eine Pflicht zum EU-weiten Angebot folge daraus aber nicht, wird im Entwurf betont. Reine Online-Sender und -Angebote sollen von dem Grundsatz ausgenommen werden. Ausdrücklich verworfen wird von den Autoren die Option, das Prinzip auf alle Online-Inhalte zu erstrecken, etwa auch auf Streaming-Dienste. Ebenso verworfen wird die Option, auf bestimmte Verwertungsgebiete beschränkte Verträge zu verbieten.
Daneben will der Entwurf den Lizenzerwerb für internetbasierte Dienste erleichtern, die Zugang zu Fernseh- und Radiosendern im Paket anbieten (IP-TV-Dienste, S. 35ff.). Sie sollen Lizenzen über Verwertungsgesellschaften erwerben können, wie es bei klassischen Kabel- und Satellitenanbietern bereits vorgesehen ist. Entsprechende Vorgaben sollen dabei auf Angebote über „geschlossene Netze“ beschränkt bleiben, wie sie von den Angeboten der Internetprovider bekannt sind. Sogenannte Over-the-top-Angebote über das offene Internet sollen von der Regelung ausgenommen werden. Sie stellten ein Risiko für bestehende Vertriebsstrategien dar.
Dem oft mager bestückten Angebot von Video-on-Demand-Diensten will der Entwurf weitgehend ohne direkte regulatorische Eingriffe begegnen (S. 47ff.). So soll ein neuer runder Tisch (Stakeholder-Dialog) einberufen werden, ergänzend sollen die EU-Länder verpflichtet werden, einen nicht klar umrissenen „Verhandlungsmechanismus“ einzuführen, um Hürden beim Lizenzerwerb zu überwinden. Die Regelungen für Radio- und Fernsehsender wie auch diejenigen für IP-TV-Dienste sollen laut Entwurf durch eine unmittelbar geltende Verordnung eingeführt werden. In allen anderen Gebieten plädiert der Entwurf für Richtlinien, die durch nationale Gesetze umgesetzt werden müssten.
Bildung, Kultur und Forschung: Verpflichtende Ausnahmen, viele Bedingungen
Um das Kulturgut von Museen, Archiven und Bibliotheken leichter online zugänglich zu machen, setzt der Entwurf darauf, dass die EU-Länder den kollektiven Lizenzerwerb über Verwertungsgesellschaften erleichtern (S. 58ff.). Hier werden Lizenzierungsmodelle wie das aus Skandinavien bekannte „Extended Collective Licensing“ aufgeführt. Die Ergebnisse sollen dann grenzüberschreitend gelten.
Präferiert wird ein Modell für alle nicht mehr in Verwertung befindlichen Werke (out-of-commerce works), das im Entwurf einem engeren, nur Bücher und Fachzeitschriften umfassenden Ansatz gegenübergestellt wird. Eine gesetzliche Ausnahmeregelung erwägen die Autoren hier nicht, wollen sie aber dort einführen, wo es um interne Kopien der Einrichtungen zur Bestandserhaltung geht (S. 109ff.). Mangels Auswirkungen auf Märkte soll diese Variante einer Ausnahme vergütungsfrei bleiben.
Verpflichtende urheberrechtliche Ausnahmeregelungen (Schranken) nimmt der Entwurf daneben auf nur zwei weiteren Feldern in den Blick: So sollen die EU-Länder Regelungen einführen, nach der Bildungseinrichtungen geschützte Werke auch digital verwenden können, um sie veranschaulichend im Unterricht zu nutzen (S. 78ff.). Die Regelung soll auf geschlossene Onlinebereiche wie Intranets oder spezielle Lernumgebungen beschränkt bleiben. Als weitere Einschränkung soll den EU-Ländern die Option verbleiben, die Berufung auf die Ausnahmeregel davon abhängig zu machen, dass Verlage oder andere Rechteinhaber keine Lizenzen für die gewünschte Nutzung anbieten.
Automatisiertes Durchforsten großer Datenberge für Forschungszwecke (Text und Data Mining) soll dem Entwurf zufolge teilweise aus der Grauzone geholt werden (S. 93ff.). Eine ausdrückliche Urheberrechtsausnahme soll demnach für Universitäten und andere öffentliche Forschungseinrichtungen gelten, innerhalb der Einrichtungen sowohl für kommerzielle als auch für nicht-kommerzielle Forschungszwecke. Kommerzielle Einrichtungen als solche, etwa die Forschungsabteilungen von Unternehmen, sollen außen vor bleiben. Rechteinhaber wie die Wissenschaftsverlage seien hier zwar gegen jede Änderung des Status quo, würden diese Variante aber vielleicht akzeptieren, konstatieren die Autoren.
Online-Dienste sollen mehr prüfen und mehr Verträge schließen
Als Problemfeld haben die Autoren des Entwurfs Online-Dienste mit nutzergenerierten Inhalten ausgemacht (S. 124ff.). Sie seien zu zentralen Distributionswegen für Inhalte avanciert, ohne dass Rechteinhaber noch die Kontrolle über ihre Inhalte behielten. Zudem könnten sie sich mit den Diensten nicht immer auf Verträge einigen. In Fußnoten werden dazu Youtube, Vimeo, Pinterest, Flickr, Tumblr, Soundcloud und andere Dienste aufgeführt.
Der Entwurf will Online-Dienste mit „großen Mengen“ nutzergenerierter Inhalte verpflichten, Vereinbarungen mit Rechteinhabern anzustreben. Das Ergebnis sollen Lizenzverträge oder andere Modelle wie Vereinbarungen zur Erlösbeteiligung sein. Zudem sollen die Dienste zu Maßnahmen wie dem Einsatz von „Technologien zur Inhalte-Erkennung“ verpflichtet werden, wie sie vor allem von Youtube bereits bekannt sind. In „Kooperation mit Rechteinhabern“ soll dabei bestimmt werden, wann die Maßnahmen „angemessen und verhältnismäßig“ seien.
Sofern sich die Beteiligten nicht auf individuelle Vereinbarungen einlassen, sollen die EU-Länder verpflichtet werden, die „Kooperation zwischen Diensteanbietern und Rechteinhabern zu fördern“, heißt es eher vage. Die Haftungsprivilegien, die die E-Commerce-Richtlinie für Hosting-Dienste vorsieht, würden dabei nicht tangiert. Das darin verankerte Erfordernis zum Löschen oder Sperren rechtsverletzender Inhalte ab Kenntnis werde weiterhin für solche Inhalte gelten, die unidentifiziert bleiben oder von den neuen Vereinbarungen nicht erfasst würden.
Presse-Leistungsschutz soll kommen, Verlegerbeteiligung gerettet werden
Darüber hinaus soll dem Entwurf zufolge ein neues Leistungsschutzrecht eingeführt werden, das „Online-Nutzungen von Nachrichtenpublikationen“ umfassen soll (S. 141 ff.). Es soll deren Verlegern das ausschließliche Recht zur „öffentlichen Zugänglichmachung“ und zu bestimmten Vervielfältigungen ihrer Produkte zusprechen. Allein bei der Schutzdauer sind die Autoren erklärtermaßen noch unentschieden und können sich Szenarien mit unterschiedlichen Laufzeiten (1 bis 5 Jahre, 5 bis 10 Jahre, 10 bis 50 Jahre) vorstellen.
Unklar bleibt, wer dem Entwurf zufolge Lizenzen erwerben müsste. Die Rede ist hier allgemein von „Online-Diensteanbietern“. Im einleitenden Problemaufriss werden Suchmaschinen, Newsaggregatoren und soziale Netzwerke genannt, die mit Verlagen in einer „komplexen Beziehung“ stünden. Dass entsprechende Regelungen in Deutschland und Spanien bislang nicht zu den erhofften Ergebnissen führten, erklären sich die Autoren mit einem „unvollständigen Schutz“.
Zusätzlich soll auch die jüngst als europarechtswidrig gekippte Beteiligung der Verleger an Kopiervergütungen wieder legalisiert werden (S. 148ff.). Dazu soll die Kommission laut Entwurf „klarstellen“, dass die Rechteübertragung von Autoren an Verlage eine ausreichende Rechtsgrundlage für den Vergütungsfluss an Verleger bilde und die EU-Länder entsprechende Regelungen vorsehen können. Lediglich ein umfassendes Verlegerschutzrecht, das auch Buch- und sonstige Verlage umfassen würde, verwerfen die Autoren im Entwurf.
Verwerter sollen über Erlöse informieren
Beim Urhebervertragsrecht und der Frage nach angemessener Vergütung machen die Autoren vor allem einen „Mangel an Transparenz“ und eine „Informationsasymmetrie“ als Problem aus (S. 158ff.). Sie zeige sich an Verträgen mit unklar definierter Verwertung, aber auch an mangelnder Informationspolitik von Verwertern gegenüber Urhebern.
Hier will der Entwurf eine Berichtspflicht für Verwerter einführen, die regelmäßig und unaufgefordert Auskunft über Werknutzungen und damit verbundene Erlöse geben sollen. Zusätzlich soll ein Verfahren zur Streitbeilegung eingeführt werden, eventuell auch ein Anspruch auf Nachvergütung ähnlich der etwa in Deutschland bekannten Bestseller-Klausel.
Weitere Änderungen ausgeklammert
Andere Aspekte des EU-Urheberrechts, die in früheren Ankündigungen noch vorkamen, werden nur noch in Fußnoten erwähnt und sind jedenfalls laut Entwurf bis auf weiteres vertagt. Das betrifft die Vorgaben zum elektronischen Verleih und zu Online-Leseplätzen von Bibliotheken, für die lediglich auf anstehende Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs verwiesen wird.
Gleiches gilt für die Panoramafreiheit. Hier verweist der Entwurf auf „jüngere Entwicklungen“ in den EU-Staaten, denen die Kommission hier offenbar den Ball überlassen will. Auch weitere Maßnahmen bei der Rechtsdurchsetzung klammert die Kommission im Entwurf ihrer Folgenabschätzung aus, diese würden „separat erwogen“.
Die nächsten offiziellen Schritte der EU-Kommission werden allgemein Mitte September erwartet. Derweil hat sich am Donnerstag bereits die Mozilla Foundation an die Öffentlichkeit gewandt. Die für den Browser Firefox bekannte Nonprofit-Organisation ruft Nutzer dazu auf, eine Petition für ein modernes Urheberrecht zu unterzeichnen. Davon ist im jetzigen Entwurf trotz mancher bemerkenswerter Details nicht gerade viel zu finden.
Update, 31.8.: Erster Richtlinien-Entwurf verfügbar
Zu den von der EU-Kommission geplanten Regelungen kursiert jetzt auch ein erster Richtlinien-Entwurf (via IP-Kat). Der Entwurf für eine Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt enthält konkrete Formulierungen, die den in der Folgenabschätzung bereits umrissenen Regelungen entsprechen. Zur Schutzdauer beim Presse-Leistungsschutz wird darüber hinaus eine Laufzeit von 20 Jahren genannt.
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