Digitaler Binnenmarkt: Ein Internet für zahlende Kunden

Foto: Leandro Neumann Ciuffo, CC BY
Der „Digital Single Market“ – der digitale Binnenmarkt – ist eines der ambitioniertesten Projekte der EU-Kommission. Aus einem fragmentierten, fast schon zerklüfteten europäischen Markt will das politische Brüssel ein Gegengewicht zu den USA und dem Silicon Valley formen. Während Klein-Provider schon seit einiger Zeit um ihre Zukunft fürchten, zeigen die Strategiepapiere, die Politico veröffentlicht hat, dass sich mehr Branchen auf neue Spielregeln einstellen müssen.
Die Lage ist nicht gut für das europäische Internet, wenn man nach der Zustandsbeschreibung im Strategiepapier geht. Zwar habe die EU die einstigen Telekom-Staatsmonopolisten erfolgreich durch einen regulierten Wettbewerb ersetzt. Doch nun lahme Europa hinterher: beim Breitbandausbau, beim Ausbau des mobilen Internets und auch in der Bildung. Ergebnis: So sei der IT-Kommunikations-Sektor zwischen 2001 und 2011 in Europa zwar um 30 Prozent gestiegen, in den USA jedoch um 55 Prozent.
Inwieweit die Probleme hausgemacht sind, ist offenbar Streitsache: So zeigen Bearbeitungshinweise, dass die unterschiedlichen Kommissare offenbar noch um die endgültige Fassung des Papiers ringen, das laut Politico im Mai offiziell veröffentlicht werden soll.
Jeder soll überall kaufen können
Einen Grund für den digitalen Rückstand Europas haben die Autoren des Strategiepapiers ausfindig gemacht: Die ökonomische und regulatorische Zersplitterung der EU – vom Vertragsrecht über Werbevorschriften bis hin zum Datenschutz. Viele Unternehmen trauten sich nicht, in mehr als einem Mitgliedsstaat tätig zu sein.
Auch die Konsumenten seien nur selten bereit, grenzübergreifend einzukaufen. „In einem einheitlichen Markt sollten Konsumenten in jedem Geschäft kaufen können“, fassen die Autoren die ambitionierte Vision zusammen. Würde man dies branchen- und länderübergreifend umsetzen, könne Europa 3,8 Millionen Arbeitsplätze schaffen und die öffentlichen Verwaltungen bis zu 20 Prozent billiger machen, rechnen die Autoren vor.
Online- und Offline-Grenzen
Gute Nachrichten für die Fans von Filmen und TV-Serien: Die EU-Kommission will das Geoblocking beenden oder zumindest zurückfahren. Auch anderen Branchen wie zum Beispiel dem Autoverleih soll es verboten werden, ihre Dienste Kunden aus unterschiedlichen Ländern zu unterschiedlichen Preisen anzubieten. Völlig abschaffen will die EU-Kommission das Geoblocking allerdings nicht: Eingriffe in das Urheberrecht sieht das Papier ausdrücklich nicht vor.
Oft hakt es aber auch an der Verknüpfung von Offline- und Onlinewelt. So kritisiert die EU-Kommission den Zustand auf dem Markt der Zustelldienste: Die seien auf Briefzustellung fixiert. Folge: Die Preise der Warenzustellung seien zu hoch, Qualität und Komfort zu niedrig. Noch bis Ende des Jahres haben die Lieferdienste Zeit, ihre Probleme selbst zu lösen, dann will die Kommission entscheiden, ob sie zu schärferen Maßnahmen greift.
Auch Staaten sollen ihre Hindernisse abbauen: So soll es der Vergangenheit angehören, dass Kunden ihre Ware beim Zoll abholen müssen, um die Mehrwertsteuer für Lieferungen aus dem Ausland nachzuzahlen. Negative Nachricht: Auch die Freigrenzen für Kleinlieferungen sollen abgebaut werden.
Datenschutz als Verkaufsargument
Dass die ständigen Datenpannen den Handel lähmen, ist auch bei der EU-Kommission angekommen. So soll den Firmen eine Pflicht auferlegt werden, ihre Kunden über Datendiebstähle zu informieren. Im Gegenzug plädieren die Autoren dafür, dass die Daten zwischen den Mitgliedsstaaten viel freier fließen sollen. So will sie von der boomenden Big-Data-Sparte profitieren, die derzeit Milliardenumsätze und damit Arbeitsplätze verspricht. Doch eine konsequente Umsetzung des Versprechens, Datenvermeidung zur Grundeinstellung zu machen, würde dieser Industrie den wichtigsten Rohstoff entziehen.
Gleichzeitig will Brüssel eine Pflicht zur Datenportabilität schaffen. Ob damit aber auch Bürger ihre Daten zwischen Anbietern umziehen können, oder das Ganze nur als Arbeitserleichterung für Unternehmen gedacht ist, lässt das Papier offen.
Mehr Sperren für Inhalte?
Sogenannte „Intermediäre“ – Mittler im Internet wie Suchmaschinen und Hosting-Provider – müssen sich auch auf neue Regeln einstellen. So beklagt das Strategiepapier, dass es heute zu kompliziert und langwierig sei, illegal eingestellte Inhalte aus dem Netz zu entfernen. So will die Kommission einen Mechanismus etablieren, europaweit Inhalte zu sperren. Solche Strukturen sind schon bei der Bekämpfung von Kinderpornografie erfolgreich etabliert worden und sollen wohl auch auf Urheberrechtsverletzungen ausgedehnt werden.
Der bisherigen Praxis, bei Plattformen wie Google und Youtube Millionen Links sperren zu lassen, stellt die EU-Kommission kein gutes Zeugnis aus: Einerseits ließen sich zu viele illegale Anbieter dadurch nicht beeindrucken, andererseits würden auch zu viele legale Inhalte gesperrt. Außereuropäischen, illegalen Streaming-Seiten will die EU-Kommission mit einem „Follow the money“-Ansatz beikommen. Plattformen, die Urheberrechte verletzen, sollen finanziell ausgetrocknet werden, indem sie von Zahlungsströmen und Werbeverträgen ausgeschlossen werden.
Solche Initiativen gibt es allerdings schon lange, durchschlagenden Erfolg hatten sie bisher nicht. Welche konkreten Pflichten auf die Provider zukommen, wird wohl erst im Herbst 2015 veröffentlicht werden.
Fazit
Die EU-Kommission verfolgt in dem Papier eine klare Vision: Gut ist, was Umsätze schafft. Durch die Konzentration auf das Ökonomische hängt das Papier aber noch in der Luft: Wer ernsthaft etwas gegen Geoblocking tun will, muss notgedrungen auch den Rechteinhabern auf die Füße treten. Spannend wird sein, wie sich das Strategiepapier am Ende vom Entwurf unterscheidet. Denn auch innerhalb der EU-Kommission gibt es besonders im Bereich Urheberrecht deutliche Meinungsunterschiede.
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