EU-Kommission skizziert Urheberrechtsreform: Scheibchenweise zum digitalen Binnenmarkt
Dazu hat die Europäische Kommission nun einen Fahrplan veröffentlicht, der einen „zweistufigen Ansatz“ für neue Regelungen vorsieht. Weitere Details ergeben sich aus einer Mitteilung der Kommission an die EU-Institutionen, welche den Fahrplan konkretisiert. Das Blog „IP Kat“ hat sie in einer inoffiziellen Entwurfsfassung veröffentlicht, ihr Inhalt kann sich also noch ändern.
Netflix im Urlaub und WIPO-Blindenvertrag
In einem ersten Schritt will die Kommission laut offiziellem Fahrplan Gesetzesentwürfe in zwei Bereichen vorstellen. Dem Mitteilungsentwurf zufolge soll zum einen eine neue Verordnung die „grenzüberschreitende Portabilität von Inhalten“ behandeln. Diese zielt etwa auf den Zugriff bei Streamingdiensten für Nutzer, die sich gerade in anderen EU-Ländern aufhalten.
Zum anderen sollen Regelungen zugunsten von Blinden und Sehbehinderten umgesetzt werden, zu denen sich die EU im internationalen WIPO-Blindenvertrag bereits verpflichtet hatte. Die EU-Länder müssen demnach eine Urheberrechts-Ausnahme einführen, die blindenlesbare Versionen etwa von Büchern erlaubt. Der Kommissions-Fahrplan spricht von Dezember 2015 oder Januar 2016 für erste Entwürfe, der Mitteilungsentwurf vom 9. Dezember. Weitere Schritte – die „zweite Stufe“ – sollen dann im Frühjahr 2016 folgen.
Neue Regelungen zu Data Mining, Bildung und Archiven angedacht
Laut dem Mitteilungsentwurf hält sich die Kommission zum Teil noch offen, an welchen Punkten sie Gesetze reformieren will und wo „nicht-legislative“ Maßnahmen ausreichend seien. Die weiteren Schritte sind im Mitteilungsentwurf auch weitgehend unkonkret gehalten. Die EU-Kommission hat sich demnach lediglich vorgenommen, bis zum Frühjahr eine Reihe von „Optionen zu beurteilen und Gesetzesentwürfe zu erwägen“.
Deutlicher zeichnen sich aber zumindest die Bereiche ab, in denen die Kommission tätig werden will. Über eine erste Verordnung zur Portabilität hinaus will sie demnach die grenzüberschreitende Lizenzierung für Online-Inhalte erleichtern, beim nationalen urheberrechtlichen Lizenzsystem soll es aber bleiben. Statt weiterer Gesetzesänderungen zählt die Mitteilung hier etwa die Unterstützung von „Lizenz-Hubs“ und das EU-Förderprogramm „Creative Europe“ auf.
Weiterhin überlegt die EU-Kommission, Urheberrechts-Ausnahmen im Bereich Forschung, Bildung und Wissenschaft zu vereinheitlichen oder daran nachzujustieren. So sollen wissenschaftliche Einrichtungen große Textmengen für Forschungszwecke automatisiert auswerten dürfen (Text- und Data Mining), ohne eine separate Erlaubnis zu benötigen. Im Bildungsbereich hat die Kommission leichtere Regeln etwa für grenzüberschreitende Online-Kurse im Sinn. Bibliotheken sollen digitale Werke auch per Fernzugriff über Intranet anbieten können. Museen und Archiven soll ein „Freiraum“ ermöglichen, ihre Bestände einfacher zu digitalisieren. Die Panoramafreiheit soll im digitalen Bereich „klarer gefasst“ werden.
Rechtsdurchsetzung und Pauschalvergütungen
Bei der Rechtsdurchsetzung im Internet verweist die Kommission zunächst auf Selbstregulierung und den Ansatz, illegalen Portalen die Geldflüsse abzuschneiden. Ob auch ein neuer Anlauf folgen soll, die Durchsetzungs-Richtlinie IPRED zu überarbeiten, will sich die Kommission bis Herbst 2016 überlegen.
Weitgehend unkonkret verbleibt der Mitteilungsentwurf auch beim Thema Pauschalvergütungen, die etwa bei Speichergeräten für private Kopien anfallen und EU-weit stark unterschiedlich geregelt sind. Hier werde der „Handlungsbedarf geprüft“. Klar scheint für Kommission offenbar, dass Vergütungen auch an Verlage und andere Verwerter fließen können; im Mitteilungsentwurf ist hierzu von „Rechteinhabern“ die Rede. Mit der Verlegerbeteiligung beschäftigt sich derzeit der Europäische Gerichtshof.
Auf die lange Bank geschoben wird die Idee eines EU-weit einheitlichen Urheberrechts, das als „langfristige Vision“ weiter verfolgt werden soll.
Ein wenig Binnenmarkt – oder mehr als gedacht
Erste Stimmen zum neuen Entwurf waren in den vergangenen Tagen bereits zu vernehmen. Paul Keller vom Forschernetzwerk Communia schreibt, dass im Entwurf vom selbstgesetzten Ziel eines digitalen Binnenmarkts wenig übrig bleibe. So blieben Reformen zum Geoblocking auf den Auslandszugang beschränkt; ausgeklammert bleibe etwa der Zugang zu Diensten, die von vornherein nur in anderen EU-Ländern angeboten werden. Auch die angedachte Ausnahmeregel für das Text- und Data Mining sei zu eng gefasst.
Die Rechtswissenschaftlerin Eleonora Rosati wiederum meint bei „IP Kat“, der Kommissionsplan gehe über die Erwartungen hinaus, welche die im Frühjahr veröffentlichte Binnenmarkt-Strategie der Kommission geweckt habe. Die Kommission sei auf dem richtigen Weg.
Links könnten kontrovers werden
Ein Streitpunkt an den Kommissionsplänen könnte die Frage werden, ob das Verlinken in manchen Fällen eine Erlaubnis benötigen soll. Nach der derzeitigen EU-Rechtsprechung sind Links zwar im Grundsatz urheberrechtlich neutral, Ausnahmen sind aber etwa bei Links zu zugangsgeschützten Inhalten möglich. Die EU-Abgeordnete Julia Reda (Piraten, Fraktion Grüne/EFA) kritisiert, dass über gesetzliche Einschränkungen der Verlinkung auch eine Art „Leistungsschutzrecht 2.0“ ermöglicht werde; für Leonhard Dobusch bei netzpolitik.org geht der Entwurf in eine „fragwürdige Richtung“.
Der Entwurfstext macht dazu nur Andeutungen, verweist auf nationale Regelungsversuche für Online-Aggregatoren und wirft die Frage auf, ob das EU-Recht ausreichend sei. „In diesem Zusammenhang wird die Kommission untersuchen, ob Handlungsbedarf bei der Definition der Rechte der ‚öffentlichen Wiedergabe’ und der ‚öffentlichen Zugänglichmachung’ besteht“, so die Passage.
Insgesamt zeigt der Mitteilungsentwurf, wo sich die Kommission überhaupt an eine Neuregelung wagt, nachdem das EU-Parlament sich bereits auf umfangreiche Forderungen zur Reform an der Urheberrechts-Richtlinie festgelegt hatte. Das jetzige Dokument liest sich dabei jedoch an vielen Stellen so, als versuchte die Kommission, möglichst viele kontroverse Punkte auf später zu verschieben und sich noch nicht zu stark festzulegen.
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