Webschau: EuGH-Urteile zu Facebook-Like-Button, Sampling-Streit, Afghanistan-Papiere und Zitatrecht
Der Europäische Gerichtshof hat diese Woche mehrere für die digitale Welt relevante Entscheidungen verkündet. Darunter jene zum umstrittenen Facebook-Like-Button sowie zum jetzt zwanzig Jahre andauernden Streit zwischen Moses Pelham und Kraftwerk um ein Sample.
Facebook-Like-Button: Nur mit Erlaubnis der Nutzer
Webseitenbetreiber sind dafür verantwortlich, wenn sie auf ihren Seiten Social-Plugins einbauen, die Daten an Dritte weitergeben. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) jetzt entschieden. Konkret ging es um eine Fashion-Webseite, die Facebook-Like-Plugins eingebaut hatte, und deshalb von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westphalen abgemahnt wurde. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte den EuGH darauf hin einen Fragenkatalog übermittelt. Eine ausführliche Darstellung des Falles findet sich bei Sueddeutsche.de.
Je nachdem welchen Like-Button der Webseitenbetreiber nutzt, gehen unterschiedliche Daten an Facebook. Bei dem von Facebook selbst angebotenen Buttons werden die Daten der Nutzer_innen direkt an Facebook gesendet, egal ob sie ein Facebook-Konto haben oder nicht. In unserem Artikel „Datenschutz auf Facebook: Wem gehören meine Daten?“ haben wir uns genauer angeschaut, welche Daten Facebook verarbeitet.
Das muss jetzt aufhören, so der EuGH und folgte damit den Schlussanträgen des EU-Generalanwalts Michal Bobek: „Eine Person, die ein von einem Dritten bereitgestelltes Plugin in ihre Webseite eingebunden hat, welches die Erhebung und Übermittlung der personenbezogenen Daten des Nutzers veranlasst, ist als ein für die Verarbeitung Verantwortlicher im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 95/46 anzusehen.“
Wenig überraschend finden Branchenverbände das EuGH-Urteil problematisch. Bitkom-Chef Bernhard Rohleder meint, dass nach dem EuGH-Urteil der bürokratische Aufwand bei Webseitenbetreibern stark ansteige, ohne dass das Datenschutzniveau sich verbessere. Und der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) kritisiert, dass der EuGH die Nutzung von der Einwilligung der Nutzer abhängig mache. Das gehe an jeder Realität vorbei, so der BVDW-Vizepräsident Thomas Duhr.
Ohnehin nutzen Webseiten vermehrt Lösungen, die die Datenübertragung erst aktiv schalten, wenn die Nutzer dies aktiv bestätigen wie den Shariff-Button (auch iRights.info nutzt ein solches Plugin). Dabei tritt das Problem erst gar nicht auf.
Metall auf Metall: Samples unter gewissen Bedingungen legal?
Seit nunmehr 20 Jahren schwelt der Sampling-Streit zwischen den Rap-Produzenten Pelham/Haas und den Kraftwerk-Musikern Hütter/Schneider-Esleben, wir berichteten mehrfach darüber. Pelham/Haas hatten für den Song „Nur mir“ von Sabrina Setlur einen zweisekündigen Schnipsel des Kraftwerk-Tracks „Metall auf Metall“ übernommen, allerdings ohne Hütter/Schneider nach einer Erlaubnis zu fragen. Die sahen dadurch ihre Urheberrechte als Komponisten verletzt und klagten auf Unterlassung, Schadenersatz und Herausgabe der Tonträger.
Da der Fall grundsätzliche Fragen zu Freiheiten und Grenzen des Sampelns und Remixens betrifft, wurde er in mehreren Instanzen und 2016 sogar vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Dieses hob eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) auf und schien mit seiner Beurteilung dem Sampeln und Remixen in gewissem Rahmen eine urheberrechtliche Legitimität zuzuweisen. Daraufhin betrachtete der BGH die Sache als unklar und legte sie dem EuGH vor, damit dieser sich zu den betroffenen Grundsatzfragen äußert.
Die nun vorliegende Entscheidung (PDF) und die darin getroffenen Feststellungen des EuGH bewerten Rechtsexperten und Fachjournalisten mitunter unterschiedlich. Manche sehen Kraftwerk als Gewinner, wie Digital Music News, andere sehen Pelhams Position gestärkt, etwa die Tagesschau. Aus Sicht von Zeit Online kam der EuGH sowohl Kraftwerk als auch Pelham entgegen. Das abschließende Urteil in dem Fall obliegt nun wiederum dem BGH.
Für den Berliner Musikwissenschaftler Frédéric Döhl bedeute die EuGH-Entscheidung, dass nun das bisher strenge Bearbeitungsrecht völlig neu zu denken sei und dies Auswirkungen für die Musikindustrie und alle Künste haben werde, wie er dem Deutschlandfunk Kultur sagte.
Nach Ansicht von Rechtswissenschaftler Leonard Dobusch enthalte das EuGH-Urteil gute Nachrichten für Fans von Sampling, weil solches zukünftig auch ohne Rechteklärung auf zwei Wegen legal sei, wie er auf Netzpolitik schreibt:
„Einerseits ist Sampling dann erlaubt, wenn ‚es in geänderter und beim Hören nicht wiedererkennbarer Form in einem neuen Werk‘ verwendet wird. Andererseits kann Sampling auch unter das Zitatrecht fallen, gerade weil das entnommene Audiofragment ‚beim Hören des neuen Werks wiedererkennbar ist‘. Voraussetzung dafür ist, dass ‚die Nutzung zum Ziel hat, mit dem Werk, dem das Audiofragment entnommen wurde, […] zu interagieren.‘ Eine solche Interaktion kann es schon aus logischen Gründen nur geben, wenn das zitierte Werk zu erkennen ist.“
Gleichwohl, so Dobusch, sei die Entscheidung kein Freibrief für Remixe und Mashups. Der EuGH setze mit den formulierten Vorbedingungen dem erlaubnisfreien Verwenden von Audiofragmenten klare Grenzen, erläutert unter anderem Spiegel Online. Was jedoch besonders bedeutsam an der Entscheidung sei, darauf weist Heise Online in einem Artikel hin, dass sie die im deutschen Urheberrecht verankerte Ausnahme für die „freie Benutzung“ eines Werkes (Paragraf 24 Urheberrechtsgesetz) als „nicht mit dem Unionsrecht vereinbar“ feststellt. Daraus dürfte sich Handlungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber ergeben.
Mehr noch: Für die ohnehin anstehende Umsetzung der EU-Urheberrechts-Richtlinie müssten sich bestimmte Politiker*innen in Deutschland aufgrund der EuGH-Entscheidung wohl von ihren Versprechen hinsichtlich einer Abmilderung der problematischen Uploadfilter verabschieden, meint Leonard Dobusch: „Ideen, wie Uploads ‚unterhalb einer zeitlichen Grenze‘ von Lizenzgebühren freizustellen oder für längere Uploads eine ‚gesetzlich verpflichtend ausgestaltete Pauschallizenz‘ einzuführen, sind demnach auf Ebene des deutschen Urheberrechts definitiv unmöglich.“
Afghanistan-Papiere: Dürfen Journalisten urheberrechtlich geschützte Werke veröffentlichen?
Die Journalisten der Funke Mediengruppe hatten 2012 geheime militärische Lageberichte aus Afghanistan auf der Webseite derwesten.de veröffentlicht. Darauf hin nutzte die Bundesregierung das Urheberrecht, um gegen die Veröffentlichung vorzugehen (auch irights.info berichtete). Die Funke Mediengruppe verlor in zwei Instanzen vor deutschen Gerichten, ging aber dann vor den Bundesgerichtshof. Dieser rief wiederum den EuGH an.
Für Christian Rath von der TAZ ist die EuGH-Entscheidung „deutlich pressefreundlicher“ als die deutschen Urteile. Zum einen stellt der EuGH die Schöpfungshöhe der Afghanistan-Papiere in Frage. Das heißt, dass sie nicht ausreichend originell seien, um überhaupt urheberrechtlichen Schutz zu genießen. Zum anderen stelle er fest, dass die EU-Urheberrechtsrichtlinie so ausgelegt werden müsse, „dass die Pressefreiheit und die Meinungsfreiheit im Konfliktfall ‚Vorrang‘ vor dem Urheberrecht hätten.“
Arne Semsrott von Netzpolitik.org hat eine genau entgegengesetzte Interpretation: Er meint, dass Behörden durch das EuGH-Urteil bestärkt werden könnten, das Urheberrecht als Zensurinstrument zu benutzen: „Der EuGH hat dazu heute festgestellt, dass die Informationsfreiheit und Pressefreiheit in der Regel keine Ausnahmen von Urheberrechten zulassen. Im Klartext: Ist ein Werk tatsächlich urheberrechtlich geschützt, darf es meist – anders als im Fall der Afghanistan-Papiere – nur von der Urheberin selbst veröffentlicht und vervielfältigt werden.“
Wie weit reicht das Zitatrecht für die Presse?
Um das im Urheberrecht verankerte Zitatrecht geht es bei einem Streit zwischen dem Grünen-Politiker Volker Beck und dem Magazin Spiegel Online. Auch hier hatte der EuGH grundsätzliche Fragen zu verhandeln. Ausgangspunkt war ein Buchbeitrag von Beck, in dem auch die etwaige Entkriminalisierung von gewaltfreiem Sex mit Kindern debattiert wird, von dem er sich später distanzierte. Der Streit entfachte sich an unterschiedlichen Versionen dieses Textes sowie bestimmten Veröffentlichungen, die Beck nicht erlaubt hatte – für die sich Spiegel Online aber auf die Pressefreiheit und das Zitatrecht beruft.
Laut Tagesspiegel könnten nach der Entscheidung des EuGH beide Seiten weiter auf einen Sieg vor dem Bundesgerichtshof hoffen, der den Fall dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt hatte und nun endgültig darüber entscheiden muss.
Zwar bedürfe laut EuGH das Zitieren geschützter Werke bei der Berichterstattung über aktuelle Ereignisse nicht zwingend der Zustimmung des Urhebers. Allerdings müsse die Nutzung laut EuGH den „anständigen Gepflogenheiten“ entsprechen und durch den besonderen Zweck gerechtfertigt sein, darauf weist Martin Gerecke auf Legal Tribune Online hin. Um sich auf die betreffende Ausnahme zu berufen, sei es zudem unbedingt erforderlich, dass der Rechteinhaber der ursprünglichen Veröffentlichung des zitierten Werks zugestimmt habe. Und genau das sei nicht der Fall gewesen, da Beck die Freigabe nur für jene Version erteilte, die seinen Distanzierungsvermerk enthielt.
4 Kommentare
1 Schmunzelkunst am 2. August, 2019 um 09:53
Nur ein Hinweis zum Satz: “Was jedoch besonders bedeutsam an der Entscheidung sei, darauf weist Heise Online in einem Artikel hin, dass sie die im deutschen Urheberrecht verankerte Ausnahme für die „freie Benutzung“ eines Werkes (Paragraf 24 Urheberrechtsgesetz) als „nicht mit dem Unionsrecht vereinbar“ feststellt.”
Der Orakelspruch unter RN 65 der EuGH-Entscheidung lautet: “Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass ein Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht keine Ausnahme oder Beschränkung in Bezug auf das Recht des Tonträgerherstellers aus Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 vorsehen darf, die nicht in Art. 5 dieser Richtlinie vorgesehen ist.”
Unter den Ausnahmen und Beschränkungen des Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG sind aber auch diese aufgeführt: “k) für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches”.
Was ist das anderes als freie Nutzung? Siehe auch dort den 2. Absatz: https://irights.info/artikel/andy-warhols-farbige-prince-portraets-sind-erlaubte-foto-bearbeitungen/29549#comment-79726.
2 Schmunzelkunst am 12. November, 2019 um 12:32
Inzwischen sind auch in Fachzeitschriften Aufsätze und Anmerkungen zu der EuGH-Entscheidung erscheinen. Hier ein Fragment aus Homar, Enge Handlungsspielräume für das Sampling, ZUM 10/2019: “… die in Art. 5 Abs. 3 lit. k InfoSoc-RL vorgesehene Ausnahme hat der deutsche (ebenso wie der österreichische) Gesetzgeber bislang nicht umgesetzt … Insofern wird es erforderlich sein, die in Art. 5 Abs. 3 lit. k InfoSoc-RL vorgesehene Parodienschranke ins nationale Urheberrecht umzusetzen …”.
Ich hatte gedacht, das muss bezogen auf diesen Fall nicht unbedingt sein, weil die freie Benutzung im Sinne des § 24 UrhG, um die es hier geht, eine Untermenge der in Art. 5 Abs. 3 lit. k InfoSoc-RL vorgesehenen Parodienschranke ist. Aber wahrscheinlich wäre das zu einfach ;-).
3 Schmunzelkunst am 2. Dezember, 2019 um 18:08
Siehe hierzu jetzt auch “MMR 11/2019, Kristina Wagner, Entstehung eines neuen Urheberrechtswerks am Beispiel des Musiksampling”. Darin wird die freie Benutzung des § 24 UrhG durch die EuGH-Entscheidung zwar als europarechtswidrig betrachtet. Es heißt dort aber auch: “Da die Schrankenbestimmungen des Art. 5 InfoSoc-RL jedoch vom nationalen Gesetzgeber umzusetzen sind, ließe sich der § 24 UrhG in einem begrenzten Anwendungsbereich erhalten.” Meine Auffassung oder – als Nichtjurist vorsichtiger formuliert – meine Hoffnung besteht dagegen nach wie vor darin, dass die freie Benutzung des § 24 UrhG gar nicht europarechtswidrig ist, weil sie bereits jetzt vollständig durch Art. 5 Abs. 3 lit k “für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches” InfoSoc-RL abgedeckt wird.
4 Schmunzelkunst am 14. Februar, 2020 um 17:24
In GRUR 2/2020 ist jetzt von Gernot Schulze dieser Aufsatz erschienen: Die freie Benutzung in Lichte des EuGH-Urteils “Pelham”. Zitate aus dem Fazit: “Die in Art. 5 III k InfoSoc-RL unionsrechtlich vorgesehene Schranke zugunsten von Karikaturen, Parodien und Pastiches wird mit § 24 I UrhG bereits hinreichend umgesetzt … Im Einklang mit den Harmonisierungsbestrebungen könnte es jedoch sinnvoll sein, eine ausdrückliche Schranke zugunsten Karikaturen, Parodien und Pastiches einzuführen.” Na, das ist doch schon mal was.
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