Der lange Streit um kleinste Teile: „Metall auf Metall“ vorm Bundesverfassungsgericht
Dieser Rechtsstreit beschäftigt seit mehr als einer Dekade die Gerichte: Der Musikproduzent Moses Pelham hat eine kurze Rhythmussequenz von zwei Sekunden Länge aus dem Stück „Metall auf Metall“ von Kraftwerk entnommen und als Loop dem Song „Nur mir“ von Sabrina Setlur unterlegt. Nun befasste sich auch das Bundesverfassungsgericht mit dem Streit und verhandelte am 25. November darüber. Der Verfassungsbeschwerde des Produzenten und der Sängerin haben sich mehrere namhafte Künstler angeschlossen.
In dem Rechtsstreit geht es darum, ob die Musik-Praxis des Samplings zulässig ist oder für das Sampling eine Lizenz erworben und die Verwendung des Samples vergütet werden muss. Er berührt zugleich eine der Kernfragen des Urheberrechts: Was ist zugunsten des kreativen Fortschritts erlaubt?
Sampling im musikalischen Schaffensprozess
Ralf Hütter, Gründungsmitglied von Kraftwerk und Pionier in der Geschichte der elektronischen Musik, beschreibt in der Verhandlung seine Wertvorstellung des musikalischen Schaffens mit dem siebten Gebot der Bibel: Du sollst nicht stehlen. Bereits in den 1970er Jahren, als es noch keine Digitaltechnologie gab, hatten Kraftwerk mithilfe von Tonbandaufnahmen experimentelle Klangwelten erzeugt. Das Equipment mussten sich die damaligen Studenten mühsam zusammensparen. Dennoch machten sich Kraftwerk schon früh neue Technologien für die Musikproduktion zunutze. Ihre Pionierleistung prägte verschiedene Musikstile und die nachfolgenden Künstlergenerationen.
Ganz anders beschreibt der Musikproduzent Moses Pelham den kreativen Prozess. Pelham betreibt ein Archiv, in dem er Samples aufbewahrt. Er habe die verwendete Sequenz dort gefunden und „gemerkt, das gehört dahin“, sagt er. Es sei ihm dabei „um die Kälte gegangen, die in dem Stück war“. Dass es von Kraftwerk stammt, sei ihm damals gar nicht bewusst gewesen.
Pelham repräsentiert die Kulturtechnik und das Urheberrechtsverständnis der häufig als „Digital Natives“ bezeichneten Generation. Musikschaffende wie Pelham befürchten, durch eine Erlaubnispflicht in ihrer Kreativität behindert zu werden. Das Zustandekommen einer Produktion dürfe nicht davon abhängig gemacht werden, ob die Verwendung des Samples und die Person desjenigen, der ein Sample verwendet, beim Urheber des Originals Gefallen findet.
Für Ralf Hütter dagegen gehören Anfragen von anderen Musikern, die an der Verwendung von Samples interessiert sind, zum guten Ton. Chris Martin von Coldplay habe ihn sogar auf Deutsch angeschrieben und um Erlaubnis gebeten, um Material von Kraftwerk zu nutzen, führt er aus.
Florian Sitzmann, Professor an der Mannheimer Popakademie und selbst Produzent, beschreibt Sampling als Phänomen, dass je nach Genre differenziert betrachtet werden müsse. Nicht alle Musikstile seien in gleichem Maß auf die Verwendung des Originals angewiesen. In manchen Bereichen kann stattdessen auf Soundbibliotheken zurückgegriffen werden, um zum Beispiel Bezüge zu anderen Musikstilen herzustellen. Andere Genres wiederum, zum Beispiel der Hip-Hop, leben von der Authentizität des Originals.
Sampling als Einnahmequelle
In dem Rechtsstreit treffen nicht nur unterschiedliche Wertvorstellungen und kreative Schaffensprozesse aufeinander. Am Beispiel von Kraftwerk wird deutlich, dass die wirtschaftliche Dimension nicht zu unterschätzen ist. Nach Angaben des Verlags der Band werden knapp ein Viertel der Lizenzeinnahmen durch die vier populärsten Samples generiert.
Vertreter der Musikindustrie bestätigen in der Verhandlung, dass ein Markt für Musiksamples existiere und auch kleine Teile eines Tonträgers selbstständig auswertbar seien. Das Sample-Clearing sei sowohl für Major-Labels als auch kleinere Unternehmen geübte Praxis. Für einige Produzenten bildeten die Erlöse aus dem Sample-Clearing eine feste Größe, um andere Produktionen durch Quersubventionierung zu finanzieren. Oft würden die Produzenten auch eine Doppelrolle einnehmen und gleichzeitig als Lizenzgeber und -nehmer fungieren. In der Praxis gehe es vor allem um die Höhe der Vergütung, welche üblicherweise nach der erwarteten Auswertung eines Stückes bemessen werde.
Schutz auch kleinster Teile: Das Urteil des Bundesgerichtshofs
Diese unterschiedlichen Interessen bilden den Prüfungsmaßstab für die Verfassungsrichter. Zuvor hatte der Bundesgerichtshof erstmals im Jahr 2008 in einem wegweisenden Urteil (Aktenzeichen I ZR 112/06, Metall auf Metall I) Stellung zu den urheberrechtlichen Fragen genommen.
Beim Sampling kommen diese gleich in mehrfacher Hinsicht ins Spiel, denn an der Originalaufnahme von Kraftwerk bestehen unterschiedliche Schutzrechte. Einerseits das Urheberrecht der Komponisten an ihrem Werk, andererseits die flankierenden Rechte des Interpreten sowie des Tonträgerherstellers an der Einspielung und der konkreten Aufnahme.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs befasste sich mit dem Schutz des Tonträgerherstellers und war in zweierlei Hinsicht von grundsätzlicher Bedeutung:
- Der Bundesgerichtshof unterstellte selbst kürzeste Teile eines Tonträgers dem Investitionsschutz des Tonträgerherstellers. Die Regelung aus Paragraf 85 Urheberrechtsgesetz spricht Tonträgerunternehmen für siebzig Jahre ab Erscheinen die Vervielfältigungs- und andere Rechte an der konkreten Aufnahme zu.
- Zugleich erklärte der Bundesgerichtshof die Regelung zur „freien Benutzung“ auf das Investitionsschutzrecht des Tonträgerherstellers für anwendbar. Die Regelung aus Paragraf 24 Urheberrechtsgesetz erlaubt es, ein fremdes Werk zu verwenden, wenn es in einem völlig neuen Werk verblasst.
Der Schutz von Teilen von Werken bzw. Aufnahmen ist daher unterschiedlich stark ausgeprägt. Begründet wird diese Diskrepanz mit den unterschiedlichen Zielsetzungen der Schutzrechte: Da kein Teil des Tonträgers – der konkreten Aufnahme – ohne die Investition des Tonträgerherstellers existieren könnte, sind alle Teile gleichmäßig geschützt. Mit Blick auf den Urheberschutz am Werk selbst sind Teile dagegen nur dann selbstständig geschützt, wenn in ihnen eine urheberrechtlich schützenswerte Leistung erkennbar ist.
Das Tonträgerherstellerrecht kann daher weiter reichen als das Urheberrecht. Andererseits verbietet es das Tonträgerherstellerrecht nicht, eine Aufnahme selbst einzuspielen. Eine Aufnahme ist in dieser Hinsicht nicht vor Nachahmung geschützt wie im Urheberrecht.
„Freie Benutzung“ als Grenze
Nachdem der Bundesgerichtshof zunächst den Tonträgerherstellerschutz weit ausgelegt und auch „kleinste Teile“ geschützt hatte, diente ihm die „freie Benutzung“ als Korrektiv. Die Regelung trägt dem Gedanken Rechnung, dass Kreativschaffen niemals aus sich heraus entsteht, sondern immer im Kontext mit dem sozialen Umfeld und gelebten Erfahrungen zu sehen ist. Die „freie Benutzung“ markiert den Grenzbereich zwischen erlaubter Inspiration aus Werken anderer Urheber und dem nicht zulässigen Ausnutzen fremder Leistung.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die freie Benutzung auf das Tonträgerherstellerrecht allerdings nicht anwendbar, wenn
- die Tonfolge in gleichwertiger Qualität selbst eingespielt werden könnte oder
- eine Melodie erkennbar ist.
Das zweite Kriterium ist auch bereits in Paragraf 24 Absatz 2 Urheberrechtsgesetz festgeschrieben. Das erste Kriterium ist konsequent, weil das Tonträgerherstellerrecht – wie erwähnt – keinen Schutz vor Nachahmung gewährt.
Die Rechtsprechung musste zudem ein Kriterium finden, um die „freie Benutzung“ von der „Bearbeitung“ abzugrenzen, die zustimmungspflichtig ist. Die „freie Benutzung“ ist auf urheberrechtlich geschützte Werke zugeschnitten, sodass die bislang verwendeten Abgrenzungskriterien für den Investitionsschutz des Tonträgerherstellers nicht passen. Die „fehlende gleichwertige Nachspielbarkeit“ wirft jedoch eine Reihe von Abgrenzungsschwierigkeiten auf, mit denen sich der Bundesgerichtshof in einem zweiten Urteil im Jahr 2012 (Aktenzeichen I ZR 182/11, Metall auf Metall II) auseinandergesetzt hat.
Warten auf Europäischen Gerichtshof möglich
Das Bundesverfassungsgericht wird vor diesem Hintergrund zu entscheiden haben, ob die Auslegung des Bundesgerichtshofs die Kunstfreiheit hinreichend berücksichtigt, wie sie Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes garantiert.
Möglich ist aber, dass Musikschaffende noch länger auf eine Antwort warten müssen, ob und in welchem Rahmen das Sampling zulässig ist. Das Vervielfältigungsrecht ist durch die Urheberrechts-Richtlinie der EU harmonisiert und muss europaweit einheitlich ausgelegt werden. Wenn es um die Auslegung des Unionsrechts geht, ist der Europäische Gerichtshof zuständig. Auch dieser erhält daher möglicherweise noch Gelegenheit, sich mit dem Musik-Sampling zu befassen.
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