Sampling: Kunstfreiheit sticht Leistungsschutz – mit einer Prise Fair Use
Nachdem der Bundesgerichtshof bereits zwei Mal gegen ihn entschieden hatte, blieb dem Musikproduzenten Moses Pelham noch die Verfassungsbeschwerde: Es verletze die Kunstfreiheit aus Artikel 5 des Grundgesetzes, wenn selbst kleinste Teile aus Musikaufnahmen nicht ohne Erlaubnis in neuen Werken verwendet werden dürften.
1997 hatte Pelham zwei Sekunden des Kraftwerk-Stücks „Metall auf Metall“ im Song „Nur mir“ der Sängerin Sabrina Setlur verwendet. Dagegen zogen die Kraftwerk-Musiker vor Gericht. Gründer Ralf Hütter berief sich in der Verhandlung auf das biblische Gebot „Du sollst nicht stehlen“ – für Karlsruhe also auf den Schutz des Eigentums nach Artikel 14 Grundgesetz.
Nun hat das Verfassungsgericht entschieden: Die Kunstfreiheit kann beim Sampling stärker wiegen als die Urheber- und Leistungsschutzrechte. Die bisherige Rechtsprechung sei „nicht geeignet, einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Interesse an einer ungehinderten künstlerischen Fortentwicklung und den Eigentumsinteressen der Tonträgerproduzenten herzustellen.“ (1 BvR 1585/13)
„Tonfetzen“: Material der Kunst oder Eigentum?
Der Streit zwischen Kraftwerk und Moses Pelham führte vor Augen, wie unterschiedlich die Vorstellungen über künstlerisches Schaffen sind. Der Bundesgerichtshof hatte entschieden, dass Produzenten fremde Musikschnipsel zwar im Prinzip auch mal ohne Erlaubnis verwenden können, wenn es in „freier Benutzung“ geschieht.
Das gelte aber nur dann, wenn „durchschnittlich befähigte“ Produzenten die Soundsequenzen nicht selber so einspielen könnten, dass einem „durchschnittlichen Rezipienten“ kein Unterschied auffalle. Während das Urheberrecht an der Komposition erst ab einer gewissen Schwelle relevant werde, sei das wirtschaftliche Schutzrecht an der Aufnahme schon bei kleinsten Teilen berührt.
Leistungsschutzrechte an Tonaufnahmen
An einem Musikstück können unterschiedliche Rechte bestehen: Komponisten haben ein Urheberrecht an der Komposition, Textdichter am verwendeten Text. Daneben gibt es sogenannte verwandte Schutzrechte, die dem Urheberrecht ähnlich sind. So sieht das Urheberrechtsgesetz ein Leistungsschutzrecht für Interpreten vor, die ein Werk aufführen. Außerdem spricht es Tonträgerherstellern ein eigenes Schutzrecht zu, das sich auf die konkrete Aufnahme eines Stücks bezieht. Die entsprechende Schutzfrist für Tonaufnahmen wurde zuletzt verlängert und beträgt seitdem 70 Jahre ab Erscheinen.
Für Pelham muss die im Urteil des Bundesgerichtshofs anklingende Vorstellung über das musikalische Schaffen wie von einem anderen Stern geklungen haben: Die Arbeit mit fremden Soundsequenzen (Bundesgerichtshof: „Tonfetzen“) als eigenes ästhetisches Verfahren prägte den Hip-Hop und elektronische Musikgenres über Jahrzehnte. Dennoch proklamierte der Bundesgerichtshof in seinem Urteil, es stünde „einer Fortentwicklung des Kulturschaffens nicht im Wege“, fremde Soundsequenzen selbst einzuspielen.
Anders nun das Verfassungsgericht: Die „künstlerische Betätigungsfreiheit und damit auch die kulturelle Fortentwicklung“ würden eingeschränkt, wenn Musikschaffende nur die Wahl zwischen Lizenzerwerb und Nachspielen hätten. Gefordert sei eine „kunstspezifische Betrachtung“, die die „stilprägenden Elemente des Hip-Hop“ berücksichtigen müsse.
Kunstfreiheit als Korrektiv
Über die Kunstfreiheit und die Regelungen des Urheberrechts hat das Verfassungsgericht nicht zum ersten Mal entschieden. So befasste es sich im Jahr 2000 mit langen Brecht-Zitaten im Werk des Dramatikers Heiner Müller. Es urteilte seinerzeit, dass „ein geringfügiger Eingriff in die Urheberrechte ohne die Gefahr merklicher wirtschaftlicher Nachteile“ durch die Kunstfreiheit legitimiert sein kann.
Ganz ähnlich heißt es nun im Fall „Metall auf Metall“, der Kunstfreiheit stehe „bei einer erlaubnisfreien Zulässigkeit des Sampling nur ein geringfügiger Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht der Kläger ohne erhebliche wirtschaftliche Nachteile gegenüber“.
Ein wenig „Fair Use“
Allerdings ging das Verfassungsgericht nicht ganz so weit, wie Pelham und die anderen Musiker gefordert hatten, welche sich der Beschwerde anschlossen: Der Schutz kleinster Musikschnipsel sei „nicht schon grundsätzlich“ mit der Kunstfreiheit unvereinbar. Wenn das neue Stück dem Original so nahe komme, dass es „mit dem ursprünglichen Tonträger in Konkurrenz“ trete, wäre Sampling demnach weiter unzulässig.
Wann aber tritt ein neues Stück mit dem darin verwendeten Material in Konkurrenz? Bemerkenswert ist die Abwägung anhand verschiedener Faktoren, wie sie das Verfassungsgericht in seinem Urteil nennt. Sie erinnert in Teilen geradezu wörtlich an die Kriterien, wie sie bislang vor allem aus der US-amerikanischen Fair-Use-Doktrin bekannt sind. So heißt es im Urteil:
Dabei sind
- der künstlerische und zeitliche Abstand zum Ursprungswerk,
- die Signifikanz der entlehnten Sequenz,
- die wirtschaftliche Bedeutung des Schadens für den Urheber des Ausgangswerks sowie
- dessen Bekanntheit
einzubeziehen. [Randnummer 102, Gliederung: D.P.]
Ob das Sampling kleinster Teile durch die Kunstfreiheit legitimiert sein kann, muss also in jedem Einzelfall abgewogen werden.
Der Bundesgerichtshof muss nun erneut entscheiden, ob das Sampling im Fall „Metall auf Metall“ zulässig ist. Dafür lässt das Verfassungsgericht verschiedene Wege offen: Die Ausnahmeregelung der „freien Benutzung“ könne weiter ausgelegt werden als zuvor. Oder der Bundesgerichtshof könne entscheiden, dass der Leistungsschutz an Tonaufnahmen nicht so umfassend gelten solle wie bisher.
Bemerkenswert deutlich hält das Verfassungsgericht schließlich fest: „Der Schutz kleiner und kleinster Teile durch ein Leistungsschutzrecht, das im Zeitablauf die Nutzung des kulturellen Bestandes weiter erschweren oder unmöglich machen könnte, ist jedenfalls von Verfassungs wegen nicht geboten.“
Was sagen Sie dazu?