Bundesgerichtshof stärkt Pressefreiheit gegenüber Urheberrecht – Sampling weiterhin nur halb legal
Die Bundesrepublik Deutschland darf sich nicht auf das Urheberrecht berufen, um eine Veröffentlichung militärischer Lageberichte zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr durch die Presse zu verhindern. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) heute im Fall der sogenannten „Afghanistan-Papiere“ entschieden.
2012 hatte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) auf ihrem Onlineportal derwesten.de Unterlagen der Bundeswehr veröffentlicht. Die Unterlagen waren als Verschlusssache mit der niedrigsten Geheimhaltungsstufe gekennzeichnet, die Bundeswehr hatte eine Veröffentlichung durch die WAZ untersagt (iRights.info berichtete).
Um gegen die Veröffentlichung der Unterlagen vorzugehen, berief sich die Bundesregierung anschließend auf das Urheberrecht. Diese Vorgehensweise wies der BGH in seiner heutigen Entscheidung zurück.
Journalistische Einordung der „Afghanistan-Papiere“ durch die WAZ
Sein Urteil begründet der BGH mit der journalistischen Einordnung der Dokumente durch die WAZ: Die Zeitung habe die Lageberichte nicht einfach nur veröffentlicht, sondern auch „mit einem Einleitungstext, weiterführenden Links und einer Einladung zur interaktiven Partizipation versehen und in systematisierter Form präsentiert“.
Der BGH betont damit die zum damaligen Zeitpunkt tagesaktuelle Relevanz der Unterlagen für die öffentliche Meinungsbildung. Seiner Auffassung nach gelte die urheberrechtliche Schutzschranke für die Berichterstattung zu Tagesereignissen, also eine Ausnahme vom Urheberrechtsschutz. Die Berichterstattung der WAZ falle unter diese Schranke.
Die Zeitung behandle in ihrer Berichterstattung die Frage, ob der Einsatz „der deutschen Soldaten in Afghanistan als Friedensmission zutrifft oder ob in diesem Einsatz entgegen der öffentlichen Darstellung eine Beteiligung an einem Krieg zu sehen ist.“ Dafür benutze sie in geeigneter Form die Lageberichte, die die wöchentlichen Einsätze der Bundeswehr zeigten.
Unterlagen nach Urteil wieder verfügbar
Mit seinem heutigen Urteil stärkt der BGH Presserechte und Informationsfreiheit gegenüber dem Urheberrecht an Regierungsdokumenten. Die WAZ löschte die Unterlagen von ihrer Website bereits 2015, nachdem eine gerichtliche Anordnung erfolgt war.
Wie die Zeitung an die etwa 5000 Seiten umfassenden Unterlagen gelangt war, bleibt ungeklärt. Aber: Kurze Zeit nach der heutigen Urteilsverkündung veröffentlichte das Onlineportal fragdenstaat.de die „Afghanistan-Papiere“ auf ihrer Website. Es ist davon auszugehen, dass die Unterlagen nach dem heutigen Urteil dauerhaft im Internet verfügbar bleiben.
Tagesaktuelle Berichterstattung sticht Urheberrecht: Niederlage für Volker Beck
Auch im Urheberrechtsstreit um ein originales Buchmanuskript des langjährigen Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck urteilte der BGH heute zugunsten der Pressefreiheit. Das Gericht erklärte in seiner Pressemitteilung die Zulässigkeit der Manuskriptveröffentlichung durch das Onlinemedium Spiegel Online – auch ohne Zustimmung des Urhebers.
Beck hatte Spiegel Online vorgeworfen, durch die Veröffentlichung eines Manuskripts, das ursprünglich 1988 erschienen war, den Inhalt verfälscht wiedergegeben zu haben. In dem Text setzt sich Beck dafür ein, Sex mit Kindern teilweise zu entkriminalisieren. Seit den frühen 1990ern distanzierte sich Beck jedoch, so der BGH in seinem Urteil, von dem Text.
2013 hatte Spiegel Online das Manuskript vollständig veröffentlicht, wogegen der Politiker zunächst erfolgreich vor dem Landgericht und dem Berliner Kammergericht wegen Urheberrechtsverletzung geklagt hatte. Heute entschied der BGH allerdings, dass die Veröffentlichung des Texts durch Spiegel Online urheberrechtlich legal sei, da sie – wie die „Afghanistan-Papiere“ – unter die Schutzschranke der tagesaktuellen Berichterstattung falle.
Die unendliche Geschichte geht weiter: Kein abschließendes Urteil im „Metall auf Metall“-Streit
Im Urheberrechtsstreit um ein knapp zweisekündiges Musiksample ist indes kein abschließendes Urteil gefallen. In seiner nunmehr vierten Beschäftigung mit dem Fall verwies der BGH die Bearbeitung an das Hamburger Oberlandesgericht (OLG) zurück.
Der Streit entzündete sich bereits 1997, als der Musikproduzent Moses Pelham für sein Stück „Nur mir“ ein Rhythmussample von Kraftwerk verwendete, ohne von Kraftwerk die Erlaubnis dafür erhalten zu haben. Kraftwerk klagte, der Streit ging durch sämtliche Instanzen bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht (2016) und dem Europäischen Gerichtshof (2019).
In seinem heutigen Urteil verfügte der BGH, dass das OLG weitere Informationen zur Beurteilung des Falls heranziehen muss. Zwar erkannte der BGH prinzipiell an, dass die Verwendung des Samples durch Pelham unter die Schranke der Freien Benutzung aus Paragraf 24 des Urheberrechtsgesetzes fiel und damit urheberrechtlich legal war – allerdings nur in der Zeit vor dem 22.12.2002.
Nach diesem Datum gelten, so der BGH, die Bestimmungen der EU-Urheberrechtslinie 2001/29/EG. Das OLG müsse also nun prüfen, ob Pelham nach dem 22.12.2002 das Sample „richtlinienkonform“ benutzt habe.
Das Problem dabei: Die EU-Richtlinie ist deutlich strenger. Gemäß der Richtlinie „ist die Vervielfältigung eines – auch nur sehr kurzen – Audiofragments eines Tonträgers durch einen Nutzer grundsätzlich als eine teilweise Vervielfältigung im Sinne des Artikel 2 Buchstabe c der Richtlinie 2001/29/EG anzusehen“. Das Sample wäre damit für die Zeit nach 2002 illegal.
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