Castex vs. Vitorino: Die Zukunft der Privatkopie in Europa
Nicht nur in Österreich sind die Privatkopie und die „Leerkassettenvergütung” ein intensiv diskutiertes Thema. Schon die ur-österreichische Debatte um die Einführung einer „Festplattenabgabe” weist über die Grenzen. Händler, Hersteller und Importeure argumentieren gegen die Erweiterung der Abgabe auf jegliche Speichermedien(geräte), dass im europäischen Ausland geringere Vergütungen an die Verwertungsgesellschaften bezahlt werden müssten und ihnen damit im Binnenmarkt ein Wettbewerbsnachteil zugemutet werde. Denn jeder Konsument könne im Ausland billiger Speichermedien erstehen und dann zum eigenen Gebrauch nach Österreich einführen.
Doch nicht nur die Höhe der Abgabe ist in Europa unterschiedlich geregelt. Auch die Art, wie die Vergütung eingehoben wird, ist von Land zu Land unterschiedlich. Zwar knüpfen die meisten Länder, wie Deutschland, Finnland, die Niederlande usw., die Einhebung an die Geräte oder Leermedien. Doch in Polen ist die Abgabe Teil des Endverbraucherpreises der urheberrechtlich geschützten Werke wie Bücher, Filme usw., also nicht an ein Leermedium geknüpft.
Und in Norwegen – nicht Mitglied der EU, aber Teil des Europäischen Wirtschaftsraumes – wird die Abgabe aus Budgetmitteln abgeführt, das heißt indirekt über die Steuerbelastung. Luxemburg kennt als einziges EU-Land zwar das Recht zur Privatkopie, aber keine Kompensation dafür, was einerseits in der Theorie mit internationalen Verträgen und EU-Recht nicht vereinbar ist, andererseits in der Praxis natürlich dazu führt, dass Luxemburg eine Drehscheibe für den Import und Handel von Leermedien und Speichergeräten ist.
Beim Thema „Privatkopie und Vergütung” in Europa an einem Strang zu ziehen, ist also auch ohne die Binnenmarkt-Doktrin plausibel.
Vitorino: Abgabensysteme vs. Binnenmarkt
Der ehemalige EU-Kommissar für Justiz und Inneres, António Vitorino, war im Auftrag des Binnenmarkt-Kommissars Michel Barnier mit dem Vorsitz einer Vermittlung zwischen den Interessengruppen beauftragt worden und hat im Januar 2013 seinen Abschlussbericht vorgelegt.
Drei grundlegende Aspekte streicht sein Bericht heraus:
- Der Begriffs des (tatsächlichen) „Schadens”, der Urhebern und Rechteinhabern durch das Recht zur Privatkopie entsteht und für den die Höhe der Kompensation entscheidend ist, soll EU-weit einheitlich geregelt werden.
- Wenn private Endkunden von einem Werk eine Nutzungslizenz für mehrere Endgeräte erwerben, sind diese lizenzierten Kopien auf den verschiedenen Geräten keine Privatkopie im Sinne des Gesetzes und sind darum auch nicht vergütungspflichtig.
- Das Abgabensystem soll beim Händler vor Ort ansetzen und nicht – wie bislang üblich – beim Importeur, der zwar die Abgabe abführen muss und dafür haftet, jedoch die Kosten an die Händler weitergibt.
In jedem Fall soll das System für alle Beteiligten praxisnaher, vor allem auch die Endverbraucher transparenter und grundsätzlich einfacher werden. Am System der Geräte- bzw. Medien-abhängigen Abgabeneinhebung soll jedoch festgehalten werden.
Castex: Privatkopievergütung vor Nutzungslizenzen
Einen weiteren Bericht als Anstoß für eine Resolution des Europäischen Parlaments hat die französische Europaabgeordnete Françoise Castex kürzlich veröffentlicht, der von der Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights, Partnerorganisation von VIBE, kommentiert wurde.
Françoise Castex unterstreicht die Wichtigkeit des Rechts zur Privatkopie und besonders auch die Höhe der eingehobenen Summen (EU-weit 600 Millionen Euro jährlich), die Künstlern bzw. Rechteinhabern direkt oder indirekt zugute kommen und damit den Sektor Kunst und Kultur nachhaltig fördern. Ähnlich wie für die österreichische Initiative „Kunst hat Recht” sind für sie die Einnahmen aus der Privatkopie ein wesentliches finanzielles Standbein von Kunst und Kultur. Darum rät sie auch dazu, etwaige „Anti-Piraterie”-Kampagnen in „Pro-Privatkopie“-Kampagnen umzuwidmen und bei aus Mitteln der Privatkopie geförderten Produktionen ausdrücklich darauf hinzuweisen.
Zusätzlich zu Speichermedien und -geräten sieht Françoise Castex die Möglichkeit, grundsätzlich auch bei Diensten („services”), die Privatkopien ermöglichen, eine Abgabenpflicht vorzusehen. Im Unterschied zum Vitorino-Report schlägt sie vor, weiterhin die Abgabe einheitlich bei Herstellern und Importeuren zu erheben. Und sie betont, dass private Nutzungslizenzen kein Ersatz für die Privatkopie darstellen und dass diese Nutzungslizenzen das Recht zur Privatkopie nicht aushebeln können. Folgerichtig fordert sie die Industrie dazu auf, DRM-Schutzmaßnahmen nicht anzuwenden, da diese ja eine legale vergütungspflichtige Privatkopie verhindern.
Den bei jeder „Leerkassettenvergütung” bestehenden Widerspruch, eine konkrete tatsächliche Höhe des monetären Ersatzes für den möglichen, das heißt fiktiven Schaden zu ermitteln, greift sie in ihrem kurzen Papier jedoch nicht an, sondern belässt es beim üblichen Status quo: Auch in Österreich wird die Höhe der jeweiligen Vergütung vornehmlich zwischen Verwertungsgesellschaften und Wirtschaftskammer ausgehandelt.
Zwei mal Festhalten am bestehenden System
Dem Vitorino-Report gehören deutlich mehr Sympathien seitens der Digitalen und Kreativwirtschaft, während beim Castex-Papier natürlich die Handschrift der Verwertungsgesellschaften und Rechteinhaber-Vertretungen sichtbar ist. Die Verhandlungen sind im Fluss und beide Stellungnahmen sind Teil des politischen Willensbildungsprozesses.
Allgemein fraglich ist jedoch: die übereinstimmende Verknüpfung der Privatkopie-Abgabe an multifunktionale physische Geräte und Datenträger und die Tatsache, dass eine Kompensation für einen fiktiv oder tatsächlich erlittenen Schaden für Urheber und Rechteinhaber als eine unverzichtbare Säule zur Kunst- und Kulturfinanzierung festgeschrieben wird.
Jedenfalls ist das Modell, einen Gutteil des (kulturellen) Lebens nicht durch Leistungen, sondern durch Entgelte aus Schadenersatzansprüchen zu finanzieren, nicht auf den Markt und nicht auf unser eigenes Leben plausibel anwendbar. Was aber der Lebensunwirklichkeit des Urheberrechts auch allgemein entspricht.
Dieser Beitrag ist ein Crosspost von unwatched.org mit freundlicher Genehmigung.
1 Kommentar
1 Schmunzelkunst am 15. November, 2013 um 18:39
Das System ist zum Scheitern verurteilt, weil es eine gerechte Ausschüttung der Einnahmen gar nicht geben kann. Es lässt sich nicht feststellen, wie oft ein Werk für den Privatgebrauch kopiert worden ist. Auch das Klickzählen ist unabhängig von datenschutzrechtlichen Problemen keine Lösung, weil das Betrachten einer Webseite urheberrechtsfrei ist. Die Anzahl der Seitenaufrufe darf keinen Einfluss auf die Höhe der Ausschüttung haben. Auch die flüchtigen Zwischenkopien gem. § 44a UrhG, die beim Aufruf von Internetseite entstehen, dürfen hier keine Rolle spielen.
Und schlimmerschlimm: Hobbyfotografen, die ihre Bilder lediglich im Internet präsentieren, gehen seit zwei Jahren ohne urheberrechtlich vernünftigen Grund leer aus.
Siehe: http://www.bildkunst.de/vg-bild-kunst/faq/auswertung-bild.html Wann muss ich den Nachweis einer künstlerischen Tätigkeit erbringen?
MfG
Johannes
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