Micky Maus und die Gemeinfreiheit: Wie frei wird Disneys Trickfigur werden?
Dieser Beitrag wurde bereits am 25.02.2022 veröffentlicht.
Jedes Jahr am 1. Januar gehen zahlreiche Werke, die zuvor urheberrechtlich geschützt waren, in die Gemeinfreiheit über. Deshalb wird der 1. Januar international als „Public Domain Day“ gefeiert. In diesem Jahr hat der „Tag der Gemeinfreiheit“ unter anderem das Ende des Urheberrechtsschutzes für Werke von Wittgenstein oder Dorothy Parker eingeläutet. Auch das Urheberrecht an dem Kinderbuch „Pu der Bär“, englisch „Winnie-the-Pooh“, ist 2022 erloschen: Das Buch des Autors Alan Alexander Milne erschien erstmals 1926 in den USA, der Disney-Konzern erwarb im Jahr 1961 die Rechte an dem Buch und seinen Figuren.
Mit dem Jahreswechsel 2023/24 beginnt für Disney eine Zeit des Umbruchs. Denn dann verliert ein weiteres Disney-Urgestein seine Urheberrechte: Der Urheberrechtsschutz an dem Film „Steamboat Willie“ und damit an dem ersten Auftritt von Micky Maus (US-amerikanische Schreibweise: Mickey Mouse) läuft in den USA Ende 2023 aus.
Für den Journalisten Till Krause ist das „möglicherweise der Anfang einer neuen Ära, in der Figuren wie Micky, Donald oder auch Superman oder Garfield irgendwann nicht mehr ausschließlich großen Konzernen gehören könnten.“ In einem kürzlich erschienenen Text beim SZ Magazin (€) geht Krause allerdings davon aus, dass Disney sich damit nicht ohne weiteres abfinden wird. Zu lukrativ seien die Rechte an der Comic-Maus für den Konzern, den die Brüder Walt und Roy Disney 1923 gründeten und der heute mit Milliarden-Gewinnen zu den fünf größten Medienkonzernen der Welt gehört: Satte 15 der 30 erfolgreichsten Filmen aller Zeiten wurden von der Walt Disney Company produziert.
Wann urheberrechtlich geschützte Werke in die Gemeinfreiheit übergehen
Welche Werke gemeinfrei werden, hängt von der jeweils geltenden Länge der Regelschutzfrist eines Landes ab. In Europa beträgt diese Regelschutzfrist 70 Jahre nach dem Tod der Urheberin oder des Urhebers: Mit dem 1. Januar, der auf den 70. Todestag der Urheber*innen folgt, gehen die Werke automatisch in die Gemeinfreiheit über.
Gemeinfreiheit: Wie frei ist frei?
Gemeinfrei, Public Domain, freie Lizenzen – viele Werke fallen nicht unter den urheberrechtlichen Schutz, andere sind vom Urheber freigegeben. Die Unterschiede sind allerdings für Laien nicht immer nachvollziehbar. Eine Begriffsklärung. » mehr
Die USA stellen dagegen auf das Jahr der Veröffentlichung ab und garantieren Werken ab dann eine 95-jähige Schutzfrist: In diesem Jahr sind damit Werke, die 1926 veröffentlicht wurden, in die Public Domain übergegangen. Jede Person darf diese Werke nun im Internet veröffentlichen, neu herausgeben oder adaptieren (zum Beispiel für einen Film), ohne Rechte einholen zu müssen oder dafür zu bezahlen.
Was bedeutet das konkret für Pu und Micky?
Die Urheberrechte an Pu und Micky erstrecken sich auf das jeweilige veröffentlichte Werk, also auf das Kinderbuch von Milne beziehungsweise den Film „Steamboat Willie“ und alles, was darin enthalten ist – auf mehr aber auch nicht. Weiterhin geschützt sind hingegen die nachfolgenden Werke und eigenen Versionen von Disney rund um den Bären und die Maus. Und genau hier liegt das Problem, so Till Krause:
„Also noch mal ein Blick in den Film: Micky kommt darin schon ziemlich anders daher als heute. Zunächst einmal ist er nicht in Farbe. Er trägt noch nicht seine berühmten weißen Handschuhe. Und die Augen bestehen nur aus kleinen schwarzen Punkten, nicht aus den ausdrucksstarken Pupillen, für die Micky heute bekannt ist. Auch sprechen kann die frühe Micky Maus noch nicht, da Steamboat Willie zwar Musik und Toneffekte, aber Micky noch keine Stimme hat. Alle späteren Versionen von Micky sind weiter urheberrechtlich geschützt, da sie erst später erfunden wurden.“
Disney hat auch Markenrechte an Micky Maus
Hinzu komme, so Krause, dass Disney weitere Schutzrechte an der Figur Micky Maus hält, wie etwa Markenrechte.
Bei einer Marke handelt es sich um ein rechtlich geschütztes Zeichen, das in Deutschland meist Waren und Dienstleistungen kennzeichnet und schützt. Aber auch Unternehmenskennzeichen oder Werktitel, also beispielsweise Film- und Musiktitel, können als Marke eingetragen werden. Am häufigsten sind aber sogenannte Wort- und Bildmarken, wie zum Beispiel der rot-weiß geschwungene Schriftzug von Coca-Cola.
Die Markenrechte an der Figur ermöglichen es Disney, darüber zu bestimmen, was alles mit dem Motiv Micky Maus verkauft werden darf. Der Vorteil für Disney: Die Markenrechte laufen erst aus, wenn die Marke nicht mehr aktiv genutzt wird – und das kann dauern, wenn man bedenkt wie lukrativ die Marke mit der Maus ist.
Genau das mache sich Disney zunutze, analysiert Krause und bezieht sich dabei auf einen Artikel des US-Fachmagazins Journal of Intellectual Property & Entertainment Law: Die Autorin Sarah Sue Landau geht davon aus, dass Disney Micky Maus durch ständige Weiterentwicklung und Abänderungen zu einem so vielschichtigen Charakter mache, dass jede Verwendung der Maus irgendein Recht von Disney verletze. Auch die ursprüngliche Version der Maus aus „Steamboat Willie“ finde sich in späteren Produkten von Disney wieder und sei mittlerweile Teil der Markenrechte von Disney.
Das amerikanische Urheberrecht und der „Mickey Mouse Act“
„Bisher hat Disney alles dafür getan, dass die Maus möglichst lange geschützt bleibt“, zeigt Krause auf. Denn die in den USA geltende 95-jährige Schutzfrist gibt es erst seit 1998. Als „Steamboat Willie“ 1928 veröffentlicht wurde, galt nur ein Urheberrechtsschutz für 56 Jahre nach der Veröffentlichung. Wäre es dabei geblieben, wäre der Film bereits 1984 in die Gemeinfreiheit übergegangen. 1976 passten die USA jedoch ihr Urheberrecht an die „Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken aus Musik und Literatur“ (von 1886) an, ein internationales Völkerrechtsabkommen, das geistigem Eigentum Schutz über 75 Jahre bietet.
Doch auch dabei blieb es nicht. Verschiedene Firmen, darunter auch Disney, lobbyierten erfolgreich für eine weitere Verlängerung des Urheberrechtsschutzes. 1998 erwirkten sie unter dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton mit dem Gesetz zur Verlängerung des Urheberrechtsschutzes (englisch: Copyright Term Extension Act) eine Verlängerung der Schutzdauer um weitere 20 Jahre. Das Gesetz ist auch bekannt als „Mickey Mouse Act“.
Eine weitere Verlängerung sei aber nicht in Sicht, prognostiziert Krause. Ein Grund sei vielleicht auch, dass sich die Gesellschaft und der Umgang mit Urheberrechten gewandelt hat:
„Im Internet ist längst eine Kultur entstanden, die gern Inhalte teilt (…). Bei jener Clinton-Fristverlängerung 1998 spielten Konzerne wie Google oder Facebook noch keine Rolle. Mittlerweile sind sie gewaltige Akteure und wollen ihrerseits, dass möglichst viele Inhalte im Netz frei verfügbar sind, damit Menschen sie posten können und Digitalkonzerne sich nicht mit Urheberrechtsverletzungen herumärgern müssen.“
Die heilige Maus: Kann Disney von ihr lassen?
Disney könnte also eine neue Taktik fahren, die nicht mehr darauf baue, bestehende Urheberrechte zu verlängern, sondern den Schutzbereich der Marke Micky Maus auszubauen. Dabei könnte es für den Konzern um mehr als Vermarktungsrechte gehen, so Krause:
„Damit könnte für Disney etwas viel Größeres als Geld auf dem Spiel stehen: Menschen könnten Micky Maus völlig anders auftreten lassen, als Disney es will. Die Maus gilt als perfekte Familienunterhaltung, immer freundlich, immer beherrscht, ohne Abgründe oder Widersprüche. Was, wenn sie künftig als Verbrecher auftritt? Oder in gezeichneten Sex-Filmchen?“
Wirft man einen Blick in den Online-Shop von Disney, wird deutlich, wie wichtig die Vermarktung von der Figur für das Unternehmen ist: Man findet etwa Kuscheltiere, Tassen, Bekleidung, Kissen, Geschirrtücher und Anstecknadeln, um nur einige der Produkte mit Micky Maus darauf zu nennen. Deshalb klagt die Rechtsabteilung von Disney gegen jede aus ihrer Sicht unzulässige Verwendung:
„Die Liste der Copyright-Schlachten von Disney ist beinahe endlos. Mal muss eine Schule in den USA 250 Dollar zahlen, weil sie auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung den Film König der Löwen gezeigt hatte, mal liefern sich der bekannte DJ Deadmau5 und Disney einen Rechtsstreit darüber, ob der Musiker bei seinen Auftritten eine Maske mit großen schwarzen Ohren tragen darf, die laut Disney ‚nahezu identisch‘ mit den Mausohren von Micky sind und deshalb ‚Verwirrung stiften‘ könnten.”
Micky Maus ist mehr als nur ein Markenzeichen für Disney, sie ist längst in die US-amerikanische Kultur übergegangen und dort als Ikone fest verankert. Die stets optimistische und gut gelaunte Figur ist Teil einer von Disney geschaffenen, idealen Welt.
Verliert Disney die absolute Kontrolle über die Figur, könnte das die enggeführte Marke Micky Maus beschädigen, was der Konzern zu verhindern versucht. Auf der anderen Seite dürfte die Allgemeinheit davon profitieren, wenn Micky Maus frei(er) wird – und Disney sich im Loslassen und Kontrollverzicht üben muss.
Seine Recherche hat Till Krause unter dem Titel „Wem gehört Micky?“ im Süddeutsche Zeitung Magazin veröffentlicht, der Text steht derzeit hinter einer Paywall. Die hier verwendeten Zitate stammen von dort.
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