Martin Kretschmer: „Autoren sollten gesetzliche Vergütungsrechte begrüßen“

Foto: CREATe, University of Glasgow
iRights.info: Herr Kretschmer, seit dem VG-Wort-Urteil des Bundesgerichtshofs wird darum gerungen, ob und wie man Verleger künftig an pauschalen Kopiervergütungen beteiligt. Wie sehen Sie diesen Streit?
Martin Kretschmer: Für mich zeigt sich darin ein grundsätzliches Problem der Urheberrechtspolitik: Wollen wir pauschale Vergütungsrechte einräumen oder wollen wir mit Ausschließlichkeitsrechten und Verbotsrechten arbeiten – und Vergütungsrechte nur tolerieren, wenn es mit der Rechtsdurchsetzung nicht klappt?
Typischerweise klaffen beim Urheberrecht drei Perspektiven auseinander: Was ist sozial und ökonomisch begründbar? Was ist im europäischen rechtlichen Rahmen oder internationalen Übereinkünften möglich? Und was ist politisch durchsetzbar?
Leider verfängt man sich dann sehr schnell in einer rechtlichen Detaildiskussion, die dazu führt, dass wir über Jahrzehnte in einem Kreislauf immer wieder die gleichen Fehler begehen.
iRights.info: Welche Fehler meinen Sie?
Martin Kretschmer: Ich würde sagen, die Ursünde des Urheberrechts ist, dass es die Interessen der Schöpfer mit denen der Verwerter verquickt. Die Berner Übereinkunft orientiert die Autorenrechte zwar am Autor, aber sie erlaubt es, diese an Verwerter zu übertragen. Dies ermöglicht, dass sich ausschließliche Nutzungsrechte mitunter für 140 Jahre in der Hand von Verwertern befinden.
iRights.info: Was haben die Vergütungsrechte damit zu tun?
Martin Kretschmer: Autoren sollten meiner Meinung nach gesetzliche Vergütungsrechte begrüßen. Denn sie ersetzen Verträge durch gesetzliche Zusicherungen. Zudem kann es für Urheber vorteilhaft sein, dass sie bestimmte Rechte gar nicht übertragen können und auf jeden Fall an der Verwertung beteiligt werden. Das ginge bei Verbotsrechten nicht.
Zudem würde es auch Innovationen befördern, wenn man für bestimmte Nutzungen von Verbots- und Ausschließlichkeitsrechten auf Vergütungsrechte umschaltet: Die Nutzer müssten dann nicht um Erlaubnis fragen, sondern könnten neue Verwertungen testen, weil sie die Urheber dafür vergüten. Das heißt, eigentlich ist es aus sozialen und ökonomischen Gesichtspunkten sinnvoll, Vergütungsrechte ernst zu nehmen.
iRights.info: Womit wir wieder bei der Kopiervergütung wären. Nacheinander stellten der Europäische und der Bundesgerichtshof fest, dass die Verwerter keinen Anspruch darauf haben. Was halten Sie von den beiden Urteilen?
Martin Kretschmer: Ausgehend von den eben formulierten sozialen und ökonomischen Zielen sind beide Urteile zu begrüßen. Weil sie versuchen, die Vergütungsrechte wieder an den Autoren zu orientieren und nicht an Verwertern, die Urheberrechte vertraglich erworben haben.
Damit hat das Verlagswesen nicht gerechnet, weil in der VG Wort über Jahrzehnte die Verlegerinteressen und die Autoreninteressen eng verflochten wurden. Diese Interessen wieder auseinander zu ziehen ist in der gegenwärtigen politischen Konstellation schwierig.
iRights.info: Was werden die Folgen dieser Urteile sein?
Martin Kretschmer: Es scheint vorhersehbar, was nun passiert. Entweder wird der Gesetzgeber gesetzlich eingreifen und den Verlegern Beteiligungsansprüche ermöglichen. Oder es wird ein neues, allgemeines Leistungsschutzrecht für Verlage geschaffen, eine Lobbyinitiative auf europäischer Ebene.
Aber so ein Recht sollte es, aus grundsätzlichen Erwägungen heraus, besser nicht geben. Investitionsanreize sollten für die Verleger eben gerade nicht über Vergütungsrechte organisiert werden, weil das diese Vermischung der Interessen verstärkt.
iRights.info: Welche Anreize könnten stattdessen funktionieren?
Martin Kretschmer: Die Anreize für Verleger müsste man meiner Meinung ähnlich betrachten, wie man sie für die pharmazeutische Industrie sieht. Dort erhalten die Unternehmen über ein Patent ein Ausschließlichkeitsrecht für eine bestimmte Nutzung, das hinreichend ist, um in Entwicklung und Produktion zu investieren.
Wenn ein Patentschutz für 20 Jahre zum Entwickeln von Medikamenten ausreicht, dann müsste dieser Zeitraum doch auch für Verlage genügen. Es müsste ihnen möglich sein, ihre Investitionen so zu kalkulieren, dass sie mit diesen exklusiven Schutzrechten auskommen. Und dann verschiebt man den Vergütungsanspruch auf die Autoren.
iRights.info: Das wäre ein Paradigmenwechsel in der Urheberrechtspolitik. Sehen Sie den wirklich kommen?
Martin Kretschmer: Kurzfristig bleibe ich sehr pessimistisch. Die Trennung zwischen Verlegern und Autoren mit verschiedenen Interessenlagen, die ich vorschlage, ist politisch im Augenblick nicht durchsetzbar.
iRights.info: Also zurück zur pauschalen Verlegerbeteiligung, die derzeit rechtswidrig ist und heftig diskutiert wird. Werden die Verwertungsgesellschaften weitermachen können wie bisher – mit neuen gesetzlichen Regelungen oder müssen sie sich mittelfristig reformieren?
Martin Kretschmer: Auf einen längeren Zeithorizont bezogen werden sie sich in der gegenwärtigen Form nicht halten. Verwertungsgesellschaften sind aufgestellt wie „marktbeherrschende Unternehmen”, und das wird ja schon seit den 1960er Jahren auch kartellrechtlich verstanden.
iRights.info: Dennoch gibt es bis heute so gut wie keinen Wettbewerb zwischen Verwertungsgesellschaften und infolgedessen für die Urheber eines Genres selten Auswahl.
Martin Kretschmer: Das wird sich ändern, ebenso wie der Umstand, dass sie als Mitgliederorganisationen ihre eigenen Schicksale kontrollieren.
Es kann nicht sein, dass Organisationen, die an einem wichtigen Schnittpunkt der Informationsgesellschaft Milliardenbeträge einziehen und verteilen, dies ohne öffentliche Transparenz tun. Die Verwertungsrechte, unter denen sie arbeiten, sind ja eine öffentliche Entscheidung.
Doch sofern sich in der Öffentlichkeit die Glaubwürdigkeit und die Akzeptanz des Urheberrechts verändern, wird auch der institutionelle Unterbau umzubauen sein.
iRights.info: Was meinen Sie damit?
Martin Kretschmer: Zum Beispiel wird die Öffentlichkeit wissen wollen, wie eine Verwertungsgesellschaft ihre Verteilung anlegt: Wer hat diese Entscheidungen getroffen, unter welchen Bedingungen, wann wurde abgestimmt?
Auf Dauer wird auch die Trennung von Autoren- und Verlegerinteressen kommen. Denn für das gegenwärtige System wird die gesellschaftliche Akzeptanz sinken und bald nicht mehr ausreichen, insbesondere Vergütungsrechte werden nicht verstanden.
iRights.info: Kürzlich urteilte das Bundesverfassungsgericht zum Streit um ein Kraftwerk-Sample. Es bewertet das Sampling im Grunde als spezifische Kulturtechnik, die Rechteinhaber dulden müssten. Und es stellt dem Gesetzgeber frei, eine Vergütungsregelung für Samples einzuführen. Sehen Sie das kommen?
Martin Kretschmer: Im Prinzip geht das in die richtige Richtung, aber ob es hilft, das Grundproblem zu lösen, weiß ich nicht.
Mein Hauptansatz ist ja, Vergütungsrechte für Autoren und Verbotsrechte für Verwerter zu trennen. Wenn das funktioniert, bräuchte man wahrscheinlich Ausnahmen für Samples nicht.
Die Nutzer müssten sich dann lediglich 20 Jahre oder vielleicht sogar nur fünf Jahre gedulden, und dann kann jeder sampeln wie er will. Doch wenn man darauf, wie derzeit, 70 Jahre oder länger warten muss, dann ist das ein Problem.
Allerdings sehen wir für derart lange ausschließliche Schutzfristen derzeit die gesellschaftliche Akzeptanz schwinden.
iRights.info: Bis es soweit ist: Könnte eine Ausnahmeregelung für Samples, die mit Vergütungen einhergeht, eine Lösung zugunsten der Nutzer wie auch der Urheber sein?
Martin Kretschmer: Eine Vergütungsregelung für Samples wäre eigentlich nur ein Druckventil, so wie die erlaubte – und kompensierte – Privatkopie. Doch am Ende verunsichern solche Druckventile die Nutzer und die Verbraucher nur noch mehr, weil sie alle nicht wissen, an wen ihr Geld geht.
Käme eine Ausnahme- und Vergütungsregelung für Sampling, würden die Plattenfirmen und die Verlage ganz vorne in der Schlange stehen. Für sie wäre das eine weitere Einnahmequelle – warum sollten sie diese Gelder nicht nehmen? Das gleiche trifft auch beim Leistungsschutzrecht für Presseverlage zu: Ein neues Recht nehmen potenzielle Rechteinhaber immer gerne.
iRights.info: Woanders wertete man pauschale Vergütungsrechte auf, etwa in Skandinavien, wo es erweiterte, kollektive Lizenzen gibt. Angenommen, die EU würde in diese Richtung gehen: Könnten Verwertungsgesellschaften hier eine Schlüsselrolle spielen, um beispielsweise Vergütungen für niedrigschwellige Nutzungen zu organisieren?
Martin Kretschmer: Die Verwertungsgesellschaften verfügen über die notwendigen Strukturen, mit Nutzern zu verhandeln, Mitglieder zu verwalten, Einnahmen und Ausschüttungen abzurechnen.
Wenn man ihnen einräumte, dass sie künftig – dem skandinavischen Modell folgend – ausgeweitete Vergütungsrechte wahrnehmen, dann könnten Verwertungsgesellschaften quasi-gesetzliche Abrechnungsorganisationen sein, die Verwertungsrechte für Autoren wahrnehmen und gleichzeitig Innovationen in der Gesellschaft fördern.
Das wäre denkbar, aber dafür müssten sie sich institutionell und strukturell reformieren und zudem, meiner Meinung nach, weitergehenden Regulierungen unterwerfen.
Martin Kretschmer ist Professor für Immaterialgüterrecht an der Universität Glasgow und Leiter des CREATe Centre (School of Law). Zudem gehört er der European Copyright Society an, einem Verbund europäischer Urheberrechtswissenschaftler.
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