Urheberverbände diskutieren Abgaben für Plattform-Betreiber

Rechtswissenschaftler Matthias Leistner. Foto: (c) Gezett
„Wer digitale Inhalte transportiert, der verantwortet sie auch“, sagte EU-Kommissar Günther Oettinger vergangene Woche zum Auftakt einer Konferenz von Urheberverbänden in Berlin. Mit den Transporteuren meinte er die Zugangsprovider und Plattformbetreiber, sein Hinweis auf deren „Verantwortung“ den Umgang mit urheberrechtlich geschützten Werken.
Die folgenden Beratungen zwischen Urheberverbänden, Rechtswissenschaftlern und Politikern auf der von der Initiative Urheberrecht ausgerichteten Konferenz beschäftigten sich dann auffallend häufig mit den mächtigen Internet-Unternehmen, die als Vermittler oder auch „Intermediäre“ beim Zugang zu Inhalten gelten. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, ob und wie die technischen Mittler stärker rechtlich in die Pflicht genommen werden sollten, um Urheber und Rechteinhaber zu vergüten, wenn ihre Werke transportiert, öffentlich zugänglich gemacht oder vermarktet werden.
Der Rechtswissenschaftler Matthias Leistner, Professor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, stellte dazu seinen Ansatz vor, das europäische und deutsche Urheberrecht anzupassen (Folien, PDF). Auf der Konferenz selbst wurde seine Gedankenskizze als vielversprechend bewertet. Es könnte den Weg zu einer Art „Internet-Vergütung“ ebnen, die in erster Linie von Plattformen im Internet zu leisten wäre.
Vorbild Privatkopie-Abgaben
Um die Überlegungen Leistners zu verstehen, ist zunächst das System der Privatkopie-Vergütung zu nennen, das in Deutschland seit den 1960er Jahren in Kraft ist. Dabei müssen Hersteller und Verkäufer beispielsweise von DVD-Rohlingen, USB-Sticks oder von Computern, Festplatten und Druckern eine Privatkopie-Abgabe leisten. Die Höhe der Abgaben ist Festlegungs- und Verhandlungssache. Erst kürzlich gab die von den Verwertungsgesellschaften beauftragte Verteilstelle ZPÜ eine lang erwartete Einigung bei Smartphones und Tablets bekannt. Hinzu kommen Abgaben von Bibliotheken und Copyshops sowie weitere spezifische Vergütungsansprüche.
Den Ansatz könne man, so die Überlegungen Leistners, auf Cloudspeicher- und andere Onlinedienste übertragen. Auch die Server von Videoportalen wie Youtube oder Vimeo, von Fotodiensten wie Instagram oder Flickr erfüllten für Nutzer diese Speicherfunktion, dort ergänzt um weitere Funktionen für die Benutzer. Auch hier sei davon auszugehen, dass es sich bei den Dateien überwiegend um urheberrechtlich geschützte Werke handele.
Doch aus Sicht des Urheberrechts würden die Cloud-Speicher und Content-Plattformen bisher nicht als „Großkopierer“ oder „Großnutzer“ gelten. Zudem seien die höchstrichterlichen Urteile beispielsweise zum Einbetten fremder Videos oder Fotos unter Rechtsexperten sehr umstritten.
Erster Schritt: Öffentliche Wiedergabe neu regeln, zum Beispiel bei Embedding
An diese Betrachtungen knüpft Leistner seinen Vorschlag an, den er in drei Schritte unterteilt. So regt er an, zunächst das Recht der „öffentlichen Wiedergabe“ für das Internet neu zu regeln.
Die Gerichte hätten lediglich klargestelt, so Leistner, dass das Verlinken urheberrechtlich zulässig ist, wenn Inhalte mit Zustimmung des Rechteinhabers und ohne technische Schutzvorkehrungen ins Netz gestellt wurden. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gilt das gleiche für das Einbetten, auch wenn nicht erkennbar ist, dass das Material aus einer fremden Quelle stammt. Nur wenn das Material ursprünglich ohne Zustimmung des Rechteinhabers ins Netz gestellt wurde, ist auch das Einbetten nicht erlaubt, so das Urteil des Bundesgerichtshofs im Anschluss.
Das Urteil zum Embedding kritisiert der Bonner Rechtswissenschaftler, es stelle „eine „überschießende Lösung“ dar, weil es den Plattformbetreibern und anderen kommerziellen Anbietern im Netz zu viel erlaube. „Nicht nur Plattformen, mit dem für sie typischen Transaktionskostenproblem, sondern auch andere kommerzielle Nutzer werden durch dieses Urteil für Embed- oder Frame-Links komplett und vergütungslos freigestellt – obwohl sie sich das Material – aus Sicht der Internetnutzer – zu eigen machen, ohne dass überhaupt noch erkennbar wird, dass es aus einer anderen Quelle stammt“, so Leistner zu iRights.info.
Den Urhebern bleibe nur, sich auf ihre Urheberpersönlichkeitsrechte zu berufen, für die es aber keine EU-weiten Vorgaben gebe. Hier drohe weitere Zersplitterung im Binnenmarkt. Für Leistner müsste daher zuerst die Embedding-Rechtsprechung durch die Politik korrigiert werden, sodass das Einbetten wieder vom Urheberrecht erfasst wäre.
Zweiter Schritt: „Vergütete Schranken“ für Internet-Plattformen
Diese zunächst „schutzstärkend wirkende Regelung“ (Leistner) sei jedoch notwendig, um in einem zweiten Schritt eine Ausnahmeregelung (Schranke genannt) für die öffentliche Wiedergabe geschützter Werke einzurichten. Wenn die Spielarten der öffentlichen Wiedergabe auf Internet-Plattformen neu und klar definiert seien, könne anschließend deren Nutzung auf solchen Plattformen wieder erlaubt werden, etwa beim Embedding – sofern die Betreiber entsprechende Abgaben zahlen, die den Urhebern als Vergütung zugute kommen sollen.
Wer dafür zahlen müsse, dafür seien weitere Überlegungen vonnöten. Leistner denkt daran, unterschiedliche Erscheinungsformen von Aggregatoren, Plattformen und Portalen als „Regelbeispiele“ gesetzlich aufzuführen. Zudem sei „ergebnisoffen“ über eine zusätzliche, moderate Vergütungspflicht der Access-Provider nachzudenken. Eine solche Schranke mit Vergütungsanspruch sei entfernt vergleichbar mit entsprechenden Ausnahmen im Urheberrecht für Bibliotheken oder die Privatkopie. Auch dort dürfen Werke durch eine gesetzliche Erlaubnis genutzt werden, für die Pauschalabgaben vorgesehen sind. Das Modell bringe mehr Rechtssicherheit für Nutzer und Plattformen, so Leistner.
Dritter Schritt: Vergütung über Verwertungsgesellschaften
Dem dritten Teil seines Modells entsprechend müssten dann Verwertungsgesellschaften festlegen oder aushandeln, wie hoch die jeweiligen Abgaben wären. Auch eine staatliche Festlegung hält Leistner für denkbar, falls die Verhandlungsprozesse erfolglos bleiben. So oder so würden Verwertungsgesellschaften die Abgaben von den Plattformen einsammeln und als Tantiemen ausschütten.
Die von Leistner aufgeworfene Neudefinition der „öffentlichen Wiedergabe“ ist seiner Aussage nach eine Aufgabe für den EU-Gesetzgeber, da für die Verwertungsrechte EU-weite Vorgaben bestehen. Auch eine anschließende Ausnahmeregelung mit Pauschalvergütung ließe sich nur sinnvoll auf EU-Ebene einführen.
Nur Umrisse einer Internet-Vergütung
Der Vorschlag des Bonner Rechtsgelehrten Matthias Leistner bietet interessante Ansätze, lässt aber auch etliche Fragen offen. Zum Beispiel, wie die öffentliche Wiedergabe im Internet nach seinem Modell definiert sein müsste und ob mit dem Modell überhaupt mehr Nutzungen als zuvor pauschal erlaubt werden sollen. Auch konkretisierte er nicht, wie die Vergütungszahlungen für Internet-Plattformen gemessen werden sollen und wer genau diese zahlen müsste. Wären für Internet-Plattformen zum Beispiel Views, Klicks oder das transportierte Datenvolumen eine Bemessungsgrundlage?
Leistner erntete bei vielen Akteuren und Teilnehmern der Berliner Urheberrechtskonferenz Zustimmung. Aus einigen nachfolgenden Redebeiträgen, Publikumsfragen und Pausendiskussionen war deutlich herauszuhören, dass viele Urheber regelrecht danach dürsten, Internet-Plattformen, Suchmaschinen oder Cloud-Dienste urheberrechtlich in die Pflicht zu nehmen.
Viele dieser Unternehmen machen tatsächlich sehr gute Geschäfte mit Werbeschaltungen auf ihren Plattformen. Zwar bieten manche dieser Unternehmen eine Beteiligung an Werbeerlösen an, davon profitieren aber nicht alle und nicht systematisch. Daher sei, so der Tenor auf der Konferenz, schon lange eine andere Vergütungsmechanik für Internet-Plattformen gefragt.
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