Kopiervergütung: VG Wort darf nicht pauschal an Verlage ausschütten
Darf die VG Wort das Geld aus Kopierabgaben pauschal zwischen Urhebern und Verlagen aufteilen? Es geht um Millionen in dem seit 2011 währenden Streit. Der Bundesgerichtshof hat heute geurteilt: Sie darf es nicht. Zumindest unter bestimmten Bedingungen: Pauschal die Hälfte der Vergütung an Verlage zu überweisen, das erklärt der Bundesgerichtshof für rechtswidrig. „Die gesetzlichen Vergütungsansprüche für die Nutzung verlegter Werke stehen kraft Gesetzes originär den Urhebern zu“, heißt in der Pressemitteilung zum Urteil (Aktenzeichen I ZR 198/13).
In dem Streit klagte der Urheberrechtler und wissenschaftliche Autor Martin Vogel dagegen, dass die VG Wort ihm nur einen Teil der Kopiervergütung zusprach und den anderen Teil an Verlage überwies. Vogel hält die von der VG Wort praktizierte Aufteilung für willkürlich und rechtswidrig. Im Ergebnis bekam Vogel schon in den bisherigen Instanzen weitgehend Recht.
Abgaben fürs Kopieren: So funktioniert die Pauschalvergütung
- Die VG Wort lässt Pauschalvergütungen zum Beispiel für Kopien in Copyshops einsammeln und verteilt sie an Urheber und Verwerter. Im Jahr 2014 schüttete sie laut Geschäftsbericht 105,9 Mio. Euro aus.
- Autoren übertragen der VG Wort bestimmte Verwertungsrechte, denen ein Vergütungsanspruch entspricht. Im Gegenzug erhalten sie pauschale Vergütungen.
- Auch Verlagen überweist die VG Wort einen pauschalen Anteil der Vergütungen. Rechtlicher Kern des Streits: Sie übertragen der VG Wort keine eigenen Rechte.
- Verlage können in Verlagsverträgen aber vorsehen, dass Autoren Vergütungsansprüche an sie abtreten, um sie in die VG Wort einzubringen.
- Bei Publikumsverlagen verteilt die VG Wort das Geld laut ihrem Verteilunsplan pauschal im Verhältnis 70:30 zwischen Autor und Verlag, bei wissenschaftlicher Literatur je zur Hälfte.
- Nach eigenen Angaben nimmt die VG Wort Rechte von rund 400.000 Autoren und rund 10.000 Verlagen wahr.
Kopiervergütung bei der VG Wort. Stein des Anstoßes: Der EuGH kippte im Reprobel-Urteil Regelungen, bei denen die Vergütung an Verlage fließt, „ohne dass die Verleger verpflichtet sind, die Urheber auch nur indirekt in den Genuss des ihnen vorenthaltenen Teils des Ausgleichs kommen zu lassen“ (Grafik: David Pachali)
Beim Kläger Martin Vogel war die Konstellation wie folgt: Vogel hatte zuerst einen Vertrag mit der VG Wort geschlossen, anschließend mit einem Verlag. Wollte sich ein Verlag dann noch Vergütungsansprüche abtreten lassen, laufe das ins Leere, argumentierte er, denn er habe sie ja bereits in die VG Wort eingebracht. Kein Anspruch, keine Ausschüttung. Die VG Wort sei nur ein Treuhänder der Autoren und dürfe das Geld nicht willkürlich aufteilen. Im Ergebnis hat der Bundesgerichtshof Vogels Position bestätigt.
In einem ähnlichen Verfahren hatte der Europäische Gerichtshof bereits im November entschieden: Ausschüttungen an Verlage auf Kosten der Autoren sind europarechtswidrig. Der BGH hatte das Verfahren bis zu diesem Urteil ausgesetzt. Mit der für ihn verbindlichen Auslegung des EU-Rechts hat er nun die Situation in Deutschland beurteilt.
Was folgt für die Kopiervergütung?
In der Pressemitteilung heißt es weiter: „Die Beklagte nimmt auch keine den Verlegern von den Urhebern eingeräumten Rechte oder abgetretenen Ansprüche in einem Umfang wahr, der eine Beteiligung der Verleger an der Hälfte der Einnahmen der Beklagten begründen könnte.“
Hier scheint der Bundesgerichtshof auf die besondere Konstellation im Fall Vogel hinzuweisen: Die „Hälfte der Einnahmen“ – wie bei wissenschaftlichen Autoren – auszuschütten, hält er für unzulässig. Umfassender hatte der EuGH sich bereits dagegen gewandt, auch nur „einen Teil“ der Vergütung auf Kosten der Autoren an Verlage zu überweisen. Tritt ein Autor dagegen Ansprüche per Verlagsvertrag wirksam ab, scheint eine Ausschüttung an Verlage nicht komplett ausgeschlossen. Hier bleibt wohl die genaue Urteilsbegründung abzuwarten.
Angenommen jedenfalls, die Verlage blieben mit den Autoren im gemeinsamen Boot der VG Wort, müsste die Verwertungsgesellschaft ihren Verteilungsplan ändern. Sie müsste vor allem genauer prüfen: Welche Einnahmen stehen den Urhebern zu, welche den Verlagen? Das Problem: Die VG Wort sagt bislang, sie könne das nicht leisten. Sie wisse gar nicht, wer wann mit wem Verträge geschlossen hat. Kläger Martin Vogel entgegnete darauf, das erfordere lediglich „ein einziges Häkchen“ in der Datenbank.
Bislang verließ sich die Verwertungsgeselllschaft darauf, die Aufteilung sei so in Ordnung. Verleger und Urheber in einem Boot: Darauf basiert ihr Modell. Sprechen ihre Vertreter über das System, fügen sie stets das Adjektiv „bewährt“ hinzu. Nun steht fest, dass die Verteilung vielleicht bewährt, aber – zumindest in Teilen – rechtswidrig war.
Verlegerbeteiligung: Politik bereits im Spiel
Ob das Urteil dazu führt, dass Autoren dauerhaft mehr Geld bekommen, muss sich erst zeigen. Schon bislang riefen Verlage umso lauter nach der Politik, je mehr sich abzeichnete, dass sie Ausschüttungen möglicherweise rechtswidrig erhalten. Schafft der Gesetzgeber ihnen einen eigenen Anspruch, könnte es beim bisherigen Modell bleiben, das auf rechtlich neue Füße gestellt wäre.
Der Börsenverein des deutschen Buchhandels hat sich nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs dafür bereits warmgelaufen. Im Februar hatten auch Justizminister Heiko Maas und Kulturstaatsministerin Monika Grütters in einem Schreiben an EU-Kommissar Günther Oettinger erklärt, die Verlagsbeteiligung solle in der EU-Urheberrechtsrichtlinie verankert werden.
Dann würde sich auf europäischer Ebene eine Entwicklung abzeichnen, die in ähnlicher Form bereits in Deutschland stattgefunden hat. Als Urheberrechtler hatte Vogel selbst an einem Gesetz aus dem Jahr 2002 mitgewirkt, das die Position der Urheber stärken sollte. Eine Abtretung an Verlage wäre nicht mehr möglich gewesen, der VG-Wort-Verlagsanteil wäre ein Auslaufmodell geworden. Mit einer weiteren Gesetzesänderung im Jahr 2008 wurde die Abtretung an Verlage dann wieder ermöglicht, sie bekamen weiterhin einen Teil des Kuchens. Alles sei nicht so gemeint gewesen, hieß es damals aus der Bundesregierung.
Rückzahlungen: Wie weit reicht das Urteil?
Während Kläger Martin Vogel in seinem Fall Recht bekommen hat, muss sich nun zeigen, wie die Verwertungsgesellschaften mit Rückforderungen insgesamt umgehen. Im Verlauf des Streits hatten VG Wort und auch die VG Bild-Kunst für Bildurheber ihre Ausschüttungen an Verlage zunächst unter Vorbehalt gestellt. Später wurden Ausschüttungen von einer Rückzahlungs-Verpflichtung der Verlage abhängig gemacht oder ganz ausgesetzt. Für die im Jahre 2012 ausgeschütteten Beträge hat die VG Wort Verlage bereits zur Rückzahlung aufgefordert.
Auf Rückzahlungen bis zum Jahr 2012 haben sich die Verwertungsgesellschaften mit diesen Schritten bereits vorbereitet. Sie sind der Ansicht, Fehlausschüttungen vor 2012 seien „mit großer Wahrscheinlichkeit“ verjährt. Andere bestreiten das und halten Rückforderungs-Ansprüche auch für die letzten zehn Jahre für möglich. Hier könnte weiterer Streit lauern.
Laut Börsenvereins-Justiziar Christian Sprang bleibt für die Verlage auch die Verfassungsbeschwerde als Option. Der Beck-Verlag sei dem Verfahren auch mit dieser Perspektive beigetreten, erklärte er im November. Die Urteilsgründe werden alle Beteiligten bis aufs Komma studieren – schließlich geht es um Millionen. Noch sind sie aber nicht veröffentlicht.
Update, 4.5.2016: Urteilsgründe veröffentlicht
Heute hat der Bundesgerichtshof auch die Urteilsgründe veröffentlicht. Wie hier bereits aufgrund der Pressemitteilung vermutet, hat der Bundesgerichtshof zwar die pauschale Beteiligung der Verlage klar als rechtswidrig bewertet, nicht aber jede Ausschüttung an Verlage per se. Dann, wenn die Urheber Vergütungsansprüche in einem Vertrag wirksam abgetreten haben, können die Verlage laut BGH auch Ausschüttungen erhalten. Die Höhe müsse sich dabei an den Erlösen orientieren, die sie daraus erzielen.
Wörtlich heißt es in den Urteilsgründen:
Die Verleger können von der Beklagten [der VG Wort, D.P.] allerdings aufgrund von zwischen den Verlegern und der Beklagten abgeschlossenen Wahrnehmungsverträgen beanspruchen, mit einem Anteil an ihren Einnahmen beteiligt zu werden, der den Erlösen entspricht, die sie durch die Wahrnehmung von gesetzlichen Vergütungsansprüchen erzielt, die die Wortautoren den Verlegern nach der Entstehung dieser Ansprüche abgetreten und die Verleger der Beklagten eingeräumt haben. Es ist jedoch weder festgestellt noch sonst ersichtlich, dass die Verleger der Beklagten solche Vergütungsansprüche in einem Umfang zur Wahrnehmung übertragen haben, der es rechtfertigt, die Verleger in Höhe des in den Verteilungsplänen vorgesehenen Verlagsanteils an den Einnahmen der Beklagten zu beteiligen. (Randnummer 76, Hervorhebungen D.P.)
Update II, 23.5.2016: Verfassungsbeschwerde angekündigt
Es zeichnet sich nun ab, dass der Streit um die VG-Wort-Ausschüttungen vor dem Bundesverfassungsgericht landen könnte. „In dieser Sache hat der am Streit beteiligte Verlag – mit Unterstützung des Börsenvereins – entschieden, einen solchen ungewöhnlichen Schritt zu unternehmen“, so Jessica Sänger, Co-Justiziarin des Börsenvereins in einem Interview mit dem Magazin Publishing Perspectives. Dabei wolle man vorbringen, dass urheberrechtliche Schrankenregelungen wie die Privatkopie den Verlagen nicht vergütungsfrei auferlegt werden dürften.
2 Kommentare
1 Fuschtei, Ralf am 27. April, 2016 um 10:57
Wie soll man logisch denken, wenn es nicht so richtig wäre?
2 Fuschtei, Ralf am 27. April, 2016 um 11:00
Der Autor gehört zum Text. Weil, wenn er nur zitiert wird, der Text immer noch, wenn auch nur zum Teil, dem Urheber, dem Autor gehört. Dem ist Rechnung zu tragen, das wird ja auch seit Staufenberg & Co. so gehandhabt.
Was sagen Sie dazu?