EU-Kommission: Mehr vom alten statt neuem Urheberrecht
Die Katze ist aus dem Sack: Die EU-Kommission hat heute ihre Pläne zur Urheberrechtsreform offiziell vorgestellt. Im Großen und Ganzen bleibt es bei dem, was vorab durchgedrungen war: Presseverleger sollen ein 20-jähriges Leistungsschutzrecht erhalten, der Lizenzerwerb in verschiedenen Bereichen erleichtert werden, Plattformen sollen zur Zusammenarbeit mit Rechteinhabern bewegt werden. Mit Einschränkungen gibt es manche Erleichterung für die Arbeit von Archiven, Forschungs- und Bildungseinrichtungen.
Die EU-Abgeordnete Julia Reda hatte die Pläne im Vorfeld bereits mit „einem weiteren ACTA“ verglichen. Man mag das zunächst für politische Rhetorik halten. Doch der Vergleich ist nicht abwegig. Das zeigt sich vor allem an den vorgesehenen Regeln für Onlinedienste: Wo Nutzer viele Inhalte hochladen, sollen die EU-Länder den Diensten neue Auflagen machen können. Dazu gehören Technologien, um nach geschützten Werken zu suchen.
Haftung auf den Kopf gestellt
Was Youtube bereits mit Content-ID praktiziert, könnte für viele weitere Dienste verbindlich werden. Wo sich die Dienste nicht mit Rechteinhabern einigen, sollen sie zur Kooperation mit ihnen angehalten werden. Was das konkret heißt, bleibt weiterhin vage.
Auch wenn die Kommission das Gegenteil beteuert: Ihre Pläne laufen darauf hinaus, die Haftungsprivilegien, wie sie für Online-Dienste gelten, auf den Kopf zu stellen. Sie laufen auf ein Internet hinaus, in dem Inhalte vorab von Rechteinhabern identifiziert und autorisiert werden müssten.
Dabei hat sich schon bei Content-ID gezeigt: Gesetze werden von einem Privat-Urheberrecht überwuchert, in dem Plattformen, Musik- und Filmindustrie die Regeln setzen. Die Kommission hat zwar noch die Wörter „angemessen und verhältnismäßig“ eingefügt, doch was das bedeuten soll, bleibt ebenfalls offen. Am Ende dürften mehr Kontrollen die Krise des Urheberrechts nur verstärken, an dessen Reform sich die Kommission nicht traut.
Bestehende Plattformen werden gestärkt
Der Entwurf macht auch deutlich, dass sich die EU-Kommission die Rede von einem value gap – einer „Wertschöpfungskluft“ zwischen Rechteinhabern und Onlinediensten – zu eigen gemacht hat. Doch gerade mit ihren Vorschlägen stärkt die Kommission am Ende die großen Plattformen. Wer in Europa einen Onlinedienst mit Nutzerinhalten anbieten will, wird sich das noch einmal überlegen. Im Zweifel müsste er riesige Mengen geschützter Inhalte abgleichen. Youtube kann sich zurücklehnen: Es hat bereits eine Datenbank dafür aufgebaut.
Kollateralschäden könnten auch bei Seiten wie der Wikipedia und anderen Projekten drohen. Wie schon beim Presse-Leistungsschutz in Deutschland, der die Hürden für neue Dienste erhöht hat, würden am Ende gerade die etablierten Player gestärkt. So verfängt sich die EU-Kommission in einer paradoxen Regulierung, die Geschäftsmodelle mit untauglichen Mitteln schützen will – und damit vor allem Schaden anrichtet.
Obsession mit Lizenzen
Die Vorschläge fügen sich in eine Obsession der EU-Kommission: Lizenzen scheinen ihr als Allheilmittel für die Probleme im Urheberrecht zu gelten. Für viele Nutzungen im digitalen Alltag ist der Ansatz untauglich. Gesetzliche Befugnisse könnten stattdessen Klarheit schaffen – und in vielen Fällen sogar zusätzliche Vergütung. Verpflichtende Urheberrechtsausnahmen aber finden sich im Entwurf kaum.
Nicht einmal dort, wo Lizenzen das wichtigste Werkzeug bleiben, kommt die Kommission wirklich voran. Etwa beim Rechtehandel zwischen Streamingdiensten und Filmstudios: Ein vager „Verhandlungsmechanismus“ und ein Dialog der Beteiligten soll einen Binnenmarkt um Urheberrechte schaffen, der seit Jahrzehnten proklamiert, aber nie wirklich erreicht wurde. Beim Geoblocking vieler Inhalte dürfte es auch in Zukunft bleiben.
Selbst bei den geplanten Erleichterungen für den digitalen Unterricht wird die geplante Ausnahmeregel durch einen Lizenzvorbehalt entwertet: Die EU-Länder können vorsehen, dass Verlagsangebote Vorrang vor gesetzlichen Nutzungsfreiheiten haben. Bibliotheken in Deutschland können ein Lied von solchen Regelungen singen.
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