Europäische Vorgaben für das deutsche Recht: Die Harmonisierung des Urheberrechts
Die EU kann für die Regelungen auf dem Gebiet des Immaterialgüterrechts – zum Beispiel des Urheber-, Patent-, Marken- und Geschmacksmusterrechts – Vorgaben erteilen. Geschieht dies, wie bislang überwiegend üblich, in Form von EU-Richtlinien, müssen die Gesetzgeber der Mitgliedsstaaten die europäischen Vorgaben in einer bestimmten Frist in nationales Recht umsetzen. Tun sie dies nicht oder nicht rechtzeitig, drohen Verletzungsverfahren. Ein weiteres Instrument sind Verordnungen, im Unterschied zur Richtlinie müssen sie nicht national umgesetzt werden, sondern gelten unmittelbar in der gesamten EU.
Seit 1991 hat die EU eine ganze Reihe sogenannter Harmonisierungs-Richtlinien auf dem Gebiet des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte verabschiedet. Diese Rechtsakte dienen dazu, das Urheberrecht anzugleichen und Unterschiede in den Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedsstaaten zu verringern oder aufzuheben.
Vereinheitlicht wurden in diesem Zuge unter anderem das (Urheber-) Recht an Computerprogrammen, Datenbanken, Kabel- und Satellitensendungen, urheberrechtliche und andere Schutzdauern, die Regelungen für Vermietung und Verleih, für Ansprüche bei Rechtsverletzungen, die Rechte der ausübenden Künstlerinnen und Künstler, Tonträgerhersteller und Sendeunternehmen. Weiterhin hat die EU Richtlinien für den Umgang mit Werken beschlossen, bei denen der Rechteinhaber unbekannt ist (sogenannte verwaiste Werke) sowie für Verwertungsgesellschaften wie die GEMA.
Die „Infosoc-Richtlinie“
Von besonderer Bedeutung ist vor allem die „Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“ (Richtlinie 2001/29/EG), auch als „Infosoc-Richtlinie“ bekannt. Diese regelt die Rechte im digitalen und insbesondere im Onlinebereich sowie die urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen.
Die verpflichtenden Bestimmungen daraus hat der deutsche Gesetzgeber im Jahr 2003 durch den sogenannten Ersten Korb in deutsches Urheberrecht umgesetzt. Die Infosoc-Richtlinie selbst geht zurück auf Verpflichtungen aus zwei internationalen Urheberrechtsabkommen, dem Copyright Treaty (WCT) und dem Performances and Phonograms Treaty (WPPT) der Welturheberrechtsorganisation WIPO.
Neue Schritte zur Urheberrechtsreform
Seit Ende 2015 hat die EU-Kommission eine Reihe neuer Reformen im Urheberrecht angekündigt und entsprechende Entwürfe dazu erarbeitet. Eine neue Richtlinie soll das „Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt“ weiter harmonisieren, eine zusätzliche Verordnung soll vor allem die Online-Weitersendung von Radio- und Fernsehangeboten regeln. Geplant ist zudem eine weitere Verordnung, die den Zugriff auf Streaming-Dienste und andere Angebote für Nutzer im EU-Ausland betrifft (sogenannte Portabilität).
Weiterhin hat sich die EU im internationalen WIPO-Blindenvertrag dazu verpflichtet, Regelungen zugunsten von Blinden und Sehbehinderten umzusetzen. Auch dazu hat die EU-Kommission Entwürfe für eine Richtlinie sowie eine Verordnung vorgestellt. Über all diese Entwürfe muss sich die EU-Kommission nun mit dem Parlament und dem Rat, der die Mitgliedstaaten vertritt, einig werden.
Harmonisierung durch Richter: Der Europäische Gerichtshof
In der Praxis spielt zudem der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine entscheidende Rolle dabei, das Urheberrecht in den EU-Ländern anzugleichen. Er wird von den nationalen Gerichten immer dann angerufen, wenn es um die Auslegung der europäischen Vorgaben geht. Einige Beobachter sehen den Gerichtshof sogar in der Rolle eines faktischen Gesetzgebers. Seine Urteile, die auf einheitliche Auslegung des EU-Rechts in den europäischen Staaten zielen, können jedenfalls sehr weitreichende Folgen haben.
Zu dieser prägenden Rolle des Gerichtshofs trägt auch die Tatsache bei, dass die technologische Entwicklung rasant vonstatten geht, während der politische Prozess auf EU-Ebene sehr langwierig ist. Die Rechtsfortbildung geschieht daher zu weiten Teilen über Urteile von Gerichten.
Beispielsweise hat der EuGH sich in seinen Urteilen mit der Verlinkung, dem Einbetten von Inhalten oder dem Weiterverkauf von digitalen Gütern befasst und prägt das Urheberrecht in der EU damit an vielen entscheidenden Stellen. Über den konkreten Streitfall entscheiden zwar weiterhin die nationalen Gerichte, die Auslegung des EU-Rechts durch den Gerichtshof aber ist in allen Mitgliedstaaten unmittelbar verbindlich.
Gibt es nun ein „europäisches Urheberrecht“?
Angesichts der Anzahl der Harmonisierungsmaßnahmen kann man sagen, dass so etwas wie ein europäisches Urheberrecht existiert. Man spricht von einem acquis communautaire, einem gemeinschaftlichen Besitzstand des Urheberrechts.
Das heißt nicht, dass die deutschen, niederländischen, italienischen und andere Urheberrechtsgesetze nun nicht mehr oder nur noch eingeschränkt gelten würden. Man wird auch ein Europäisches Urheberrechtsgesetzbuch vergeblich suchen. Vielmehr wird das Urheberrecht nach wie vor überwiegend durch die Gesetze der einzelnen Staaten geregelt. Die Aktivitäten der EU dienen bislang mehrheitlich dazu, die nationalen Gesetzgeber zu verpflichten, ihre jeweiligen Gesetze an die Vorgaben der EU-Richtlinien anzupassen. Hierdurch kommt es zu einer Angleichung der innerstaatlichen Rechtsordnungen in den Mitgliedstaaten.
Eine völlige Identität der Urheberrechtsordnungen in den EU-Staaten wurde hierdurch jedoch nicht erreicht – nicht einmal annähernd. Vielmehr gibt es auch im EU-Raum sehr viele Unterschiede in den Urheberrechtsgesetzen der einzelnen Länder. Zum einen sind einige Regelungsbereiche des Urheberrechts bislang nicht Gegenstand europäischer Richtlinien gewesen. Dies gilt insbesondere für das Urheberpersönlichkeitsrecht, das in Deutschland einen relativ hohen Stellenwert genießt, in den Copyright-Systemen (also in Irland und England) hingegen nur eine geringe Bedeutung hat.
Nationale Regelungen bleiben divers
Diese Unterschiede haben eine europaweite Angleichung bisher verhindert. Soweit es um Richtlinien geht, verbleibt den EU-Staaten bei ihrer Umsetzung zudem ein mehr oder weniger großer Spielraum, in dessen Rahmen die nationalen Gesetzgeber Entscheidungsfreiheit genießen. Dies kann sowohl dazu führen, dass sich die innerstaatlichen Regelungen auch nach Umsetzung einer Richtlinie noch inhaltlich unterscheiden, als auch dazu, dass manche Staaten eine bestimmte Regelung vorsehen, andere hingegen nicht.
Die Infosoc-Richtlinie hat den Mitgliedstaaten bei der Regelung der Schrankenbestimmungen (die Beschränkungen des Urheberrechtsschutzes festlegen) eine so große Entscheidungsfreiheit belassen, dass nur ein geringer Harmonisierungsgrad erzielt werden konnte. Zwar enthält die Richtlinie die Vorgabe, keine Schranken vorzusehen, die in ihrem – abschließenden – Katalog von Bestimmungen nicht enthalten sind. Abgesehen von einer einzigen Ausnahme war die Umsetzung der Schrankenbestimmungen aus der Richtlinie jedoch freiwillig. Dies hat dazu geführt, dass die Schrankenkataloge der einzelnen Mitgliedsstaaten nach wie vor erheblich voneinander abweichen. In der Praxis bedeutet das, dass in einem Land verboten sein kann, was anderswo erlaubt ist, etwa beim Verwenden von geschütztem Material im Unterricht oder bei den Regelungen für das private Kopieren.
Auch wenn die Regelungen des Urheberrechts durch neue Reformen weiter angeglichen werden, bleibt ein einheitliches EU-Urheberrecht bis auf Weiteres noch Zukunftsmusik. Entsprechend spricht die EU-Kommission in ihren Entwürfen auch von einer „langfristigen Vision“. Ebenso hat sich das EU-Parlament im Reda-Bericht dafür ausgesprochen, die Wirkung eines einheitlichen europäischen Urheberrechts zu untersuchen, das als langfristiges Ziel jedoch von den derzeit erarbeiteten, weiteren Schritten zur Harmonisierung zu unterscheiden ist.
Eingeschränkte Regelungsfreiheit für den deutschen Gesetzgeber
Das Engagement der EU auf dem Gebiet des Urheberrechts hat zur Folge, dass der deutsche Gesetzgeber in seinen Entscheidungen über die Ausgestaltung des deutschen Urheberrechtsgesetzes weniger Freiheiten genießt. Immerhin aber ist er an den Verhandlungen über die europarechtlichen Regelungen beteiligt und kann hierauf nicht unerheblich Einfluss nehmen. Das oftmals vorgebrachte Argument, diese oder jene geplante Regelung sei der Regierung von der EU vorgegeben, ist daher oft nur die halbe Wahrheit.
Dennoch: Bei europäischen Gesetzgebungsverfahren sitzen alle EU-Mitgliedstaaten gemeinsam am Tisch. Die zu bewältigenden Interessengegensätze sind hier naturgemäß noch wesentlich größer als bei einer nationalen Rechtssetzung. Das Urheberrecht hat einen bedeutenden kulturellen und wirtschaftlichen Bezug, dessen Verständnis aus historischen, traditionellen und sonstigen Gründen in den einzelnen EU-Staaten zum Teil erheblich voneinander abweicht. Die notwendigen Kompromisse bei der Einigung auf europaweit geltende Regelungen erfordern also mitunter wesentliche Zugeständnisse, die nicht immer gemacht werden.
Internationale Verträge
Diese Situation wird noch komplexer, wenn internationale Regelungen gefunden werden sollen. Im Urheberrecht gibt es auch internationale Verträge (zum Beispiel die Berner Übereinkunft, das TRIPS-Abkommen oder die erwähnten WIPO-Verträge WCT und WPPT). Bei der Einigung auf solche Verträge müssen sich noch mehr Parteien verständigen als im EU-Raum, was zu größeren Meinungsverschiedenheiten und im Ergebnis zu immer weitgehenderen Kompromissen führt. Häufig sind die internationalen Regelungen daher nur wenig konkret und belassen einen großen Spielraum bei der Ordnung des nationalen Rechts.
Trotz aller Unzulänglichkeiten europäischer und internationaler Rechtssetzungsprozesse haben sie eine wichtige Bedeutung. Das Urheberrecht bezieht sich auf Nutzungshandlungen mit geschützten Werken. Diese Handlungen haben heutzutage immer mehr grenzüberschreitende Bezüge. Man denke allein an Internetangebote, die in der ganzen Welt abrufbar sind. Das bisherige Urheberrecht basiert auf dem Territorialitätsprinzip, das besagt, dass jedes Land in seinen Grenzen eigene Urheberrechte festschreiben darf.
Unterscheiden sich die Regeln in den einzelnen Ländern in wesentlichen Punkten, wächst die Unsicherheit der Nutzer über die Rechtmäßigkeit ihrer Handlungen ebenso wie die der Rechteinhaber über ihre Befugnisse. So ist der Fall denkbar, dass eine Wissenschaftlerin nach deutschem Recht zulässigerweise einen Aufsatz für Kollegen in einem europaweitem Forschungsverbund online zur Verfügung stellt, diese Handlung aber nach spanischem Recht verboten ist. Sie liefe dann Gefahr, hierfür nach spanischem Recht belangt zu werden.
Wären alle Urheberrechtsordnungen dagegen gleich, könnte sie sich relativ leicht darüber informieren, was im In- und damit auch im Ausland zulässig ist. Daran zeigt sich die Bedeutung von internationaler Rechtsangleichung. Von einem weltweiten, internationalen Urheberrecht ist man gegenwärtig allerdings noch weit entfernt.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 28.11.2004. Wir haben ihn im Oktober 2016 überarbeitet und um neuere Entwicklungen beim Urheberrecht in Europa erweitert.
3 Kommentare
1 dr. motte am 13. Oktober, 2016 um 09:12
danke für den tollen artikel und eure arbeit!
ich habe ja den verdacht, daß die majors labels und die verlage zusammen mit der gema (urheberrechtverwerter) auf eu ebene mächtig am europäischen urheberecht herumgeschraubt haben. das problem dabei ist, musiker und autoren haben von der rechtlichen seite des urheberrechts nicht so den nötigen durchblick und die finanziellen mittel wie universal oder sony zb. um ihre interessen durchzusetzen. die gema tut es auch nicht. da liegt der verdacht des mißbrauchs zu gunsten der urheberrechteverwerter nahe. am ende verdienen alle daran, aber der künstler nicht. der kann ja von seinen auftritten leben, höre ich dann sagen. auch wenn ich dann z.b. in den “sozialen” netzwerken diesen artikel poste, interessiert es neimanden, weil z.b. facebook die reichweite veringert. und erst wenn ich dafür bezahle… ja dannn … das ist ungerecht. ist doch unfair dem musiker gegenüber.
2 David Pachali am 13. Oktober, 2016 um 11:47
Vielen Dank für das Lob. Wenn man sich den oben verlinkten, aktuellen Entwurf zum Urheberrecht im Binnenmarkt ansieht, scheint die Handschrift der Majors und Verlage darin tatsächlich stark durch.
Allerdings: Zum ersten Mal auf EU-Ebene finden sich auch Vorgaben zum Urhebervertragsrecht darin (Kapitel 3: Faire Verträge mit den Urhebern und ausübenden Künstlern über die Vergütung). Von daher ist die Tendenz nicht ganz eindeutig und man wird schauen müssen, ob sich diese ersten Ansätze behaupten können.
3 Nicole am 14. Oktober, 2016 um 15:05
Ich finde die Labels und Verleger überlassen den Musikern viel zu wenig Prozente, und manchmal werden Musiker etc auch einfach komplett gekauft! Mein Bruder ist Bassprofessor und professioneller Musiker, er beklagt sich ständig über die GEMA, sei es als Urheber oder als Coverband! Ohne seine Gigs und Unterricht könnte er nicht nur von seiner, sehr guten übrigens, Musik leben! Und bei jedem Cover Auftritt sahnt die GEMA fett ab! Die Urheber sollten endlich wieder mehr Respekt verdienen, und damit auch Anteile aus dem Pott, und dass die EU das schafft, glaube ich allerdings nicht ganz!
[Anm. d. Red.: Bitte verzichten Sie auf werbende Links, wir haben den obigen entfernt]
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