VG Wort: Noch keine Einigung über Rückforderung an Verlage
Am vergangenen Samstag fand in München eine Mitgliederversammlung der VG Wort statt, die erste von zwei dazu angesetzten Terminen. Sie sollte laut Tagesordnung darüber entscheiden, wann und wie die Verwertungsgesellschaft das Geld aus der Privatkopievergütung zurückfordert und an Autoren verteilt – jenes Geld, das in den vergangenen Jahren unrechtmäßig an Verleger ausgeschüttet wurde.
Schon zuvor entwickelte sich in der Verwertungsgesellschaft ein Richtungsstreit darüber, welche Rolle den Verlagen zukommen und ob sich die VG Wort grundsätzlich reformieren sollte. So erhielt auch die jüngste Mitgliederversammlung in München große Aufmerksamkeit. Interessanterweise unterscheiden sich die zahlreichen Berichte und Analysen zum Teil erheblich voneinander.
Rückabwicklung von rund 100 Millionen Euro weiter offen
Wie der Buchreport feststellt, geht es um knapp 100 Millionen Euro, die die VG Wort von den Verlagen zurückfordern muss, um sie an die Autoren zu verteilen. Der VG-Wort-Vorstand hatte dazu eine Tischvorlage (PDF) vorgelegt, deren endgültige Gestalt er erst am Vorabend erarbeitet hatte. Wie bereits zuvor bekannt geworden war, sah dieser Plan unter anderem vor, dass Autoren erklären können, auf die ihnen zustehenden Rückzahlungen zu verzichten.
Mit dem konkreten Plan aber überraschte der Vorstand die Mitglieder, wie die Taz schreibt und dazu erläutert: „In zwei entscheidenden Punkten war er überarbeitet: Erstens sollten die AutorInnen ihre Verzichtserklärung anonym abgeben können. Somit könnten die Verlage keinen Druck auf die AutorInnen ausüben. Zweitens: Auch die Presseverlage sollen in die Rückforderung miteinbezogen werden. Dies war im ersten Antrag noch nicht vorgesehen.“
Ursprünglich wollte die VG Wort relativ lange Fristen zur Rückzahlung gewähren. Diese Fristen hatte der Vorstand in seiner Vorlage dann verkürzt – „als Entgegenkommen an die Kritiker unter den Urhebern“, schreibt Stefan Niggemeier bei Übermedien, der als VG Wort-Mitglied an der Versammlung teilnahm. Doch der Vorstandsplan kam nicht durch: Fünf Berufsgruppen stimmten zwar dafür, unter Journalisten und Übersetzern aber fand er nicht die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit.
Nach Einschätzung von Stefan Niggemeier begründete sich die Ablehnung vor allem im Verfahren. So sei es nicht mehr möglich gewesen, „sich vorher mit dem neuen Vorschlag auseinanderzusetzen und ihn zum Beispiel von einem eigenen Juristen prüfen zu lassen.“ Auch Vertreter der Freischreiber lehnten den Vorschlag ab. In einer Pressemitteilung erklärt der Berufsverband freier Journalisten, dass die VG Wort gleichwohl – anders als der VG-Wort Vorstand verlauten lasse – kommende Woche mit Rückforderungen an die Verleger beginnen könne.
Gestörtes Vertrauen, Untergangsszenarien
Demgegenüber sieht die Gewerkschaft Verdi die Freischreiber als verantwortlich dafür, dass die VG Wort „weitgehend handlungsunfähig“ sei, heißt es im Verdi-Magazin „MMM“. Viele Berichte thematisieren die Stimmung unter den Versammlungsteilnehmern, die sich besonders dadurch aufheizte, dass der VG-Wort-Vorstand auch für den korrigierten Plan keine Mehrheit finden konnte. Das löste nach Schilderung des verlegereigenen Börsenblatts ein „Rätselraten“ aus.
Der Bayerische Journalistenverband (BJV) sieht nach der Mitgliederversammlung ein „gestörtes Vertrauensverhältnis“ innerhalb „der altehrwürdigen Verwertungsgesellschaft“. Der Riss trenne nicht nur Verleger und Autoren, sondern auch die einzelnen Autorengruppen: „Altgediente Mitglieder suchen den Konsens, während neue Mitglieder Spezlwirtschaft wittern und entsprechend massiv auftreten.“
Aus Sicht der Süddeutschen Zeitung hätten freie Journalisten „mit einer radikalen Forderung“ die VG Wort blockiert, wofür diese von anderen Teilnehmern mit „höhnischen Rufen und gereckten Mittelfingern“ bedacht wurden. Zur angespannten Stimmung unter den Autoren-Berufsgruppen schreibt der Buchmarkt: „Damit scheint das Tischtuch zwischen einzelnen Autoren und Journalisten wenn nicht zerschnitten, so doch einer ernsten Zerreißprobe ausgesetzt.“
FAZ-Medienredakteur Michael Hanfeld beschreibt die Versammlung sogar als ersten Teil einer „Zerstörung“ der VG Wort. Er schreibt von „verbrannter Erde“, die durch die Diskussionen und die abgelehnten Beschlussvorlagen entstanden sei. Wie Stefan Niggemeier darstellt, hatte die Ablehnung jedoch weniger mit Differenzen über den Umgang mit den Verlagen zu tun als mit Differenzen über den Umgang der VG Wort mit ihren Mitgliedern selbst: „Einige fühlten sich überrumpelt von einem plötzlichen, offenkundig mit der heißen Nadel gestrickten Neuentwurf.“
Für Joachim Güntner in der Neuen Zürcher Zeitung dagegen war es „kein schwarzer Samstag in München.“ Zwar würden die Autoren mangels Beschlüssen vorerst kein Geld bekommen, doch nun müsse die VG Wort eben über eine neue Beschlussvorlage beraten. „Beruhigend ist bloss“, so Güntner, „dass die Schwarzmaler, die schon den Zerfall der Verwertungsgesellschaft in eine Autorenvereinigung hier, eine Verlegervereinigung dort befürchtet haben, ihre Pinsel einpacken können.“
Auf einen interessanten Aspekt weist dann noch Meedia hin. So bleibe auch nach der Mitgliederversammlung ungeklärt, wie viel der von ihr verwalteten Gelder die VG Wort für Rechtsanwälte ausgegeben hat, bis Gerichte ihr Modell der pauschalen Verlegerbeteiligung kippten. Ein Antrag, den Mitgliedern und Wahrnehmungsberechtigten diese Kosten offenzulegen, fand keine Zustimmung. Die VG Wort habe immerhin bestätigt, dass rund eine Million Euro vor allem für Gutachten ausgegeben worden seien.
Vorstand Staats: Verlagslandschaft nicht gefährdet, VG Wort nicht unterwandert
Was aber folgt nun aus dieser Versammlung, die ohne Beschlüsse zu den Rückzahlungen blieb? Aus Sicht der VG Wort selbst vor allem der Auftrag, zunächst intern über das weitere Vorgehen zu beraten, wie sie in einer Presseerklärung (PDF) mitteilt. „Wir werden bis zur nächsten außerordentlichen Mitgliederversammlung im November eine Lösung finden müssen“, betonte auch VG Wort-Vorstand Robert Staats im Deutschlandradio.
Staats dazu: „Dass die Verlage das Geld zurückzahlen, steht außer Frage, … das war heute auch nicht streitig. Es ging mehr darum, wie man das Ganze organisiert.“ Auf Fragen des Interviewers sieht Staats zugleich weder eine „Unterwanderung“ oder „Zerstörung“ der VG Wort noch eine „Zerschlagung der Verlagslandschaft“. Ein Zusammenschluss von Autoren und Verlagen in einer Verwertungsgesellschaft sei auch weiterhin sehr sinnvoll, besonders wo es um die aufwändige Vergütung digitaler Verwertungen gehe, so Staats.
Fazit: Kein Untergang, aber alle müssen reden
Dass es nun mindestens zwei weitere Monate dauern wird, bis es zu einem neuen Plan über die Rückabwicklung und die Nachvergütung kommen kann, ist aus Sicht der in der VG Wort vertretenen Autoren bedauerlich. Allerdings: Noch mehr würden sie es wohl bedauern, wenn sich später herausstellen sollte, dass sich in dem in letzter Minute geänderten Plan Zugeständnisse oder Modalitäten verbergen, die sie gar nicht eingehen wollten.
Darüber sollten Mitglieder und Vorstand in den nächsten Wochen reden. Wohin es dagegen führt, sich blind auch nur auf die Rechtmäßigkeit der von der VG Wort praktizierten Verfahren zu verlassen, konnten die darin versammelten Autoren in den vergangenen Jahren bereits erleben. Angesichts der in München zu Tage getretenen Zerwürfnisse zwischen den Berufsgruppen – und auch unter den Autoren – scheint es aber tatsächlich erforderlich, dass alle Beteiligten aufeinander zugehen und miteinander reden. Ob nun vom Vorstand moderiert oder mit Hilfe eines Mediators.
Fraglich ist aber, ob die VG Wort tatsächlich zur Untätigkeit bei Rückforderungen an Verlage verdonnert ist, wie es nun vielerorts zu lesen ist. Da es ganz offensichtlich viele zahlungsbereite und auch zahlungsfähige Verlage gibt, ließe sich das Geld dort bereits zurückfordern. Den oft als Einwand genannten Problemfällen zahlungsunfähiger Verlage muss sich die Verwertungsgesellschaft so oder so widmen.
Offenlegung: Ich gehöre zum ehrenamtlich arbeitenden Vorstand der Freischreiber. Ich bin Wahrnehmungsberechtigter, aber kein Mitglied der VG Wort (und war somit nicht bei der Versammlung in München anwesend).
6 Kommentare
1 Thierry Chervel am 15. September, 2016 um 07:56
Wie wär’s, wenn Ihr darauf hinweist, dass Martin Vogel seinen Standpunkt mehrfach im Perlentaucher dargelegt hat.
https://www.perlentaucher.de/ptautor/martin-vogel.html
2 Henry Steinhau am 15. September, 2016 um 08:10
@Thierry Chervel: Danke für den Hinweis. Wir sind ja auf den jüngsten Beitrag von Martin Vogel im Perlentaucher erst kürzlich ausführlich eingegangen, siehe (nun) auch in der Linkliste am Fuße des oben stehenden Artikels.
3 David Dambitsch, Journalist am 15. September, 2016 um 08:38
Als Wahrnehmungsberechtigter (nicht Miglied, da wird ein feiner Unterschied gezogen) der VG Wort unterstütze ich vor allem Dr. Vogel und dessen beim BGH erwirktes Urteil vollumfänglich und hoffe darauf, dass alle Beteiligten dieses nunmehr respektieren und danach handeln.
Dr. Vogels Position – hier nachzulesen – ist VG Wort und Verlegerlobby ausdrücklich zur Lektüre empfohlen.
4 Christian Blees am 16. September, 2016 um 17:20
Hallo,
der vermeintliche Link zu dem Michael-Hanfeld-Artikel in der FAZ führt irrtümlicherweise zum Beitrag von MMM.Wäre schön, wenn Du das ggf. korrigieren könntest.
Gruß,
CB
5 Henry Steinhau am 16. September, 2016 um 17:24
@Christian Blees: Danke für den Hinweis, ist jetzt korrigiert.
6 Lisa Graf-Riemann am 19. September, 2016 um 00:11
Die VG Wort sollte endlich mit den Rückforderungen anfangen. Das BGH-Urteil ist im April 2016 ergangen. Die Verlage, zumindest die solventen, bunkern seit 2012 ihre Gelder aus den VG Wort Ausschüttungen und sind bereit, sie rückzuerstatten, allein die VG Wort hat sie bisher nicht dazu aufgefordert.
Dafür wurde auf der MV darüber gestritten, ob “unverzüglich” (Dr. Vogel/Freischreiber) oder “schnellstmöglich” mit der Rückforderung begonnen werden solle. Ich plädiere für “sofort” und “endlich anfangen”, das Urteil umzusetzen.
Was sagen Sie dazu?