Sind die Autoren so reich, dass sie ihr Geld verschenken können?
Rund 179.000 Autoren erhielten in diesem Jahr einen Scheck von der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort). Der durchschnittliche Betrag dürfte zwischen 500 und 1.000 Euro gelegen haben, manche bekommen weniger, manche mehr. Die Höhe der Ausschüttungssumme hängt davon ab, wie viel die einzelnen Autoren in welcher Form wo publiziert haben.
Das Geld ist der Ausgleich für die sogenannte Privatkopie, die im Urheberrecht in den Paragrafen 53 und 54 geregelt ist: Wer Texte „zum privaten Gebrauch“ kopiert, scannt, speichert oder ausdruckt, zahlt für diese Nutzungen einen winzigen Bruchteil an die Verwertungsgesellschaft Wort. Diese schüttet das Geld nach einem ausgetüftelten Verteilungsplan einmal im Jahr an die wahrnehmungsberechtigten Autoren und Verlage aus.
Allerdings zahlen die Nutzer die Abgabe für die Privatkopie nicht direkt – sie ist bereits im Kaufpreis für Computer, Scanner, Kopierer, Drucker, Speichersticks, Smartphones, Tablets etc. enthalten. Vom Ladenpreis eines Smartphones gehen derzeit 6,25 Euro an die Verwertungsgesellschaften. 2015 machten solche Geräteabgaben rund 90 Prozent der Einnahmen der VG Wort aus.
Werfen die Autoren schon am Samstag ihr Geld weg?
1.000 Euro sind für die meisten Autoren viel Geld. Ein Tausend-Euro-Scheck entspricht – gemessen am Durchschnittseinkommen freier Autoren – einem 13. Monatsgehalt. Verlegerinnen wie Liz Mohn oder Friede Springer würden damit schwerlich auskommen. Aber für freie Autoren ist eine Steigerung ihrer Einnahmen aus Tantiemen – bei oft gleichzeitig sinkenden Honoraren – ein Segen.
Seit dem von Martin Vogel am 21. April 2016 erstrittenen Urteil des Bundesgerichtshofs haben Autoren Aussicht auf eine erhebliche Aufstockung ihres Existenzminimums. Der Wert des jährlichen VG-Wort-Schecks könnte sich verdoppeln.
Könnte! Denn eine Aufstockung erreichen die Autoren nur, wenn sie sich mehr für ihre eigenen Interessen interessieren. Momentan sind sie eher dabei, das Geld, das sie von der VG Wort bekommen könnten, den Verlagen zu schenken. Die VG-Wort-Führung bereitet eine solche „Schenkung“ gerade vor. Wenn die 179.000 Autoren nicht aufpassen, ist das Geld, das ihnen laut Bundesgerichtshof (BGH) zusteht, am nächsten Samstag schon wieder weg.
Zwei sehr komplizierte Anträge
Der BGH hatte im April entschieden, dass die von der VG Wort an Autoren und Verlage ausgeschütteten Gelder allein den Autoren zustehen, denn nur Autoren bringen auch eigene Rechte in die Verwertungsgesellschaft ein. Verlage, die das Geld der Autoren in der Vergangenheit zu Unrecht erhalten haben, müssen es nun zurückzahlen, aber…. und jetzt kommt das große ABER dieser Geschichte… fast alle wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, dass die Autoren das ihnen zustehende Geld schnell bekommen. (Sie verhalten sich also ähnlich wie das hoch verschuldete Irland, das Steuernachzahlungen von Apple großzügig ablehnt.)
Die VG-Wort-Funktionäre haben extra zwei hochkomplizierte Anträge aufgesetzt, mit denen sie die Autoren am kommenden Samstag von einer schnellen und umfassenden Rückforderung des Geldes abhalten wollen. Auch die Großen Koalitionen in Berlin und Brüssel arbeiten daran, die einschlägigen Urteile des BGH und des Europäischen Gerichtshofs durch hastig gestrickte Gesetze wieder auszuhebeln, und selbst die Gewerkschafts-Funktionäre, die doch eigentlich die Interessen der Autoren zu hundert Prozent vertreten müssten, wollen, dass ihre Mitglieder auf einen Teil ihres Einkommens zugunsten der Verleger verzichten. Sie hoffen, dass die Verleger den Autoren dafür beim Urhebervertragsrecht entgegenkommen.
Verrückte Welt.
Blanko-Vollmachten zur Mehrheitssicherung
Seit Wochen wird nun gewerkschafts-intern dafür getrommelt, dass bei der entscheidenden Mitgliederversammlung der VG Wort am 10. September alles so unrecht bleibt wie es war: dass die Verleger weiterhin das Geld der Autoren einstreichen und möglichst alles verhindert oder verzögert wird, was den Autoren eine unmittelbare Verbesserung ihrer materiellen Situation bescheren könnte. Bundesweit werden Gewerkschaftsmitglieder auf so genannten Informationsveranstaltungen darüber „informiert“, was die Führung der VG Wort zum Thema zu sagen hat.
In unverbindlichen Resolutionen wird zwar gelegentlich der Sorge Ausdruck verliehen, dass die von der VG-Wort-Führung vorbereitete Schenkung an die Verlage (= Anspruchsabtretung) nicht ganz gewerkschaftskonform sei, aber konkrete Gegenanträge, die eine solche Schenkung verhindern würden, beschließt man lieber nicht. Man überlässt die Materie den hauseigenen Juristen. Wer als Gewerkschafter Mitglied der VG Wort ist und am 10. September nicht auf eigene Kosten nach München reisen kann, möge seine Stimme per Blanko-Vollmacht an die Bundesverwaltung der Gewerkschaft schicken. Die wird dann dafür sorgen, dass die Blanko-Vollmacht in die richtigen Hände kommt.
Welches Spiel spielen die Gewerkschaften?
Offenbar gibt es die berechtigte Sorge, dass in München einige Autoren tatsächlich aufstehen und ihre Interessen selbstständig vertreten könnten. Es wäre dann gewiss nicht leicht, solche Autoren davon zu überzeugen, dass ein 500-Euro-Scheck (verbunden mit der vagen Aussicht auf Verbesserungen im Urhebervertragsrecht) besser ist als ein Tausend-Euro-Scheck.
Man wird deshalb versuchen, diese „Störenfriede“ mit allen möglichen Geschäftsordnungsfinessen zu behindern, man wird die betonharte Satzung heranziehen, um jede Veränderung im Sinne der Autoren zu blockieren. Man wird den Autoren Horrorszenarien ausmalen, wenn sie – wider alle Vernunft – 1.000 Euro auf ihrem Konto nützlicher finden als 500. Das sei egoistisch, kurzsichtig und gefährlich. Die Gerätehersteller, werden sie unken, würden ohne starke Verleger am Verhandlungstisch mit den schwachen Autoren Schlitten fahren. Und die Verlage würden ohne VG-Wort-Gelder schon morgen zusammenbrechen, so wie die gesamte Wirtschaft nach der Einführung des Mindestlohns zusammengebrochen ist. Die Einrichtung eines Solidaritäts-Fonds der Verleger, mit dem die großen Verlage den kleinen unter die Arme greifen könnten (ohne dafür das Geld der Autoren anzutasten), werden die Verlagsvertreter zurückweisen und zur abwegigen Idee erklären.
Das alles wird in München erwartungsgemäß so oder so ähnlich ablaufen. Was mich aber nach 43 Jahren Mitgliedschaft in der Deutschen Journalisten-Union (DJU) wirklich umtreibt, ist die Frage, warum die Autoren-Gewerkschaften dieses Spiel mitspielen. Was haben sie davon? Warum vertreten sie nicht die materiellen Interessen ihrer Mitglieder – in der VG Wort und beim Urhebervertragsrecht? Das wäre ihre Aufgabe. Dafür wurden sie gegründet. Und dafür zahlen Gewerkschaftsmitglieder Beiträge. Sie zahlen ihre Beiträge nicht dafür, dass man ihre Rechte zum Gegenstand eines Kuhhandels macht oder Entscheidungen, die zu ihren Lasten gehen, als sinnvoll und vertretbar verkauft.
Übliche Zahlungsfrist: 30 Tage
Die VG-Wort-Führung will den Verlagen bei der Rückzahlung der zu Unrecht erhaltenen Gelder nicht nur extrem viel Zeit einräumen, sie will auch die reichen Presseverleger von einer Rückzahlung ausnehmen. Und sie will Musterformulare bereitstellen, mit denen Autoren auf die Rückzahlung des Geldes freiwillig verzichten können. Diese „Abtretungsformulare“ werden die Verleger ihren Autoren vorlegen, und ich möchte die Autoren sehen, die dann – auf sich allein gestellt – mutig vor ihren Verlegern bekennen: Sorry, ich bin jung, ich brauche das Geld.
Es gehört nicht zu den Aufgaben der VG Wort, den Autoren berechtigte Vergütungsansprüche auszureden oder Verzichtsformulare aufzusetzen. Ginge es mit rechten Dingen zu, wäre es die Aufgabe der VG Wort, Irrtümer der Vergangenheit anzuerkennen und das den Verlagen unter Vorbehalt überwiesene Geld im Rahmen der üblichen Zahlungsfristen zurückzufordern.
Dieses Vorgehen wäre die VG Wort den 179.000 Autoren schuldig. Stattdessen schlägt sie sich auf die Seite der Verlage und tut alles, um die Rückzahlung an die Autoren so schwer und langwierig wie möglich zu gestalten. Die Rechtsaufsicht der VG Wort, das Deutsche Patentamt, schweigt dazu. Die Oppositionsparteien schweigen. Die Gewerkschaften taktieren. Und die Autoren? Sind sie wirklich so reich, dass sie ihr Geld einfach verschenken können?
Dies ist ein Crosspost von wolfangmichal.de mit freundlicher Genehmigung.
7 Kommentare
1 Fred H. am 5. September, 2016 um 17:24
Danke für die detailreichen Infos. Das was da auf uns zu kommt scheint mir erst der Anfang zu sein. Insbesondere im Hinblick auf die Änderungen am VGG. Das wird ein Spiel über Bande. Wie beim Schach müssen wir mehrere Züge vorausschauen.
Viele Grüße
F.H.
PS: Vielleicht ist in diesem Zusammenhang dies hier von Interesse – ein Arbeitskreis verlagsfreier Autoren – http://vgwatch.wikia.com
2 E.N. am 5. September, 2016 um 20:42
Genau! Übliche Zahlungsfrist … warum nicht für die Verlage und die VG Wort?
Weil sie sich über Gerichtsurteile mit stillschweigender Erlaubnis der staatlichen Aufsicht und sogar unter Ermunterung von Politikern hinwegsetzen dürfen – in den letzten Jahren wurde der VG Wort ja von Gesetzgebern versprochen, sie würden das Gesetz schon noch in ihrem (der VG Wort und der Verlage) Sinne ändern.
Das reicht in diesem unserem vorbildlichen Lande, das sich so stolz über korrupte Unrechtsstaaten erhebt, anscheinend aus, um sich straflos auf Kosten Hunderttausender über das offiziell geltende Recht hinwegzusetzen.
Worauf sollen die Bürger dieses Staates eigentlich noch vertrauen, wenn höchstrichterliche Urteile wirkungslos bleiben?
Es ist damit zu rechnen, dass mein Vorredner recht behält: Das ist erst der Anfang, ein katastrophaler Präzedenzfall – wenn es so kommt, wie von der VG Wort proklamiert und von den meisten Beobachtern erwartet: Für die Zukunft wird sowieso alles wieder so ungefähr auf den alten Verteilungsplan umgestellt, und auf die aberzig Milliönchen, die die Verlage in den letzten Jahren trotz Vorbehalt der Nachforderung anderweitig verbraten haben, werden die Urheber verständnisvoll oder resigniert verzichten müssen.
3 Günther Lietz am 5. September, 2016 um 21:22
Tja, die Autoren haben Angst nicht mehr verlegt zu werden und deswegen einknicken; die Angstmacher kassieren ab. Angstmaschine Deutschland halt, da denkt keiner mehr rational. Aber wirklich katastrophal und unverschämt ist das Verhalten der Gewerkschaften. :(
4 E.N. am 6. September, 2016 um 02:27
Könnte man den “Angst-Spieß” nicht umdrehen?
Aus den über die Jahre seit 2012 schätzungsweise 400.000 Betroffenen ergeben sich grob überschlagen mit Partnern und Kindern fast eine Million Menschen. Bei einem minimalen engen Bekanntenkreis ergibt das zwei Millionen Menschen beziehungsweise eine halbe 5-Prozent-Klausel-Truppe.
Werden diese Menschen, wenn sie hautnah einen seit Jahren systematisch angebahnten Rechtsbruch miterleben, der für sie und ihre Freunde/Verwandten handfeste Konsequenzen hat und von dem sie bis vor Kurzem glaubten, ein höchstrichterliches Urteil müsse ihm ein Ende setzen können – die meisten scheinen es insgeheim immer noch zu glauben -, also werden diese Menschen, wenn es “amtlich” wird, dass sich die VG Wort und die Verlage nicht nach Gesetzen zu richten brauchen, noch irgendein Vertrauen in unsere staatlichen Institutionen haben können?
Was werden diese Menschen in Zukunft wählen? Werden sie ihre Kinder im Geiste des Gemeinwesens, der Solidarität, des Vertrauens und des Glaubens erziehen, in Deutschland seien vor dem Gesetz alle gleich? Oder werden sie gute Gründe haben, die Rattenfänger verschiedener beziehungsweise fehlender Couleur zu wählen?
Es mag naiv oder überspannt klingen, aber: Ist schon jemand vor mir auf die Idee gekommen, dem Hüter der Werte unseres Landes, also Herrn Bundespräsident Gauck, darzulegen, dass hier keineswegs nur finanzielle Interessen auf dem Spiel stehen, sondern auch die Haltung von Millionen Menschen gegenüber unserem Staatswesen?
Und glauben Sie mir, liebe Leser: Wenn die momentan noch schweigende Mehrheit der Urheber vor vollendeten Tatsachen steht, die sie jetzt noch nicht wahrhaben will, wird sie doch noch die Stifte spitzen. Und dann bekommt auch die “wirklich breite” Öffentlichkeit mit, was passiert ist. Dann ist sogar eine “Milliardenbetrug”- oder “Milliardenklau”-Schlagzeile in der Nicht-Wort-Zeitung drin. Die sorgt dann aber nur noch für Aufregung, Ärger, Verdrossenheit etc.
Wenn jemand meint, es bringt vielleicht etwas, dieses Szenario einem Mann vor Augen zu halten, der so vernetzt ist, dass er durchaus veranlassen könnte, dass das Deutsche Patent- und Markenamt als Aufsichtsbehörde der VG Wort das tut, was der Vollstreckungsbeamte oder die Polizei mit unsereinem tut, wenn wir säumig sind oder uns nicht an Gerichtsbeschlüsse halten …
… dann könnte er ihm doch in einem Brief dieses unschöne Szenario darlegen. Das ihm Angst macht. Ich persönlich lasse meinen Entwurf bis nach der Sitzung am 10. September liegen, die wird sicherlich eine Abwandlung erfordern.
Ihr seid doch alle Schreiber, oder? Dann möchte ich euch nahelegen, jetzt zu schreiben und gleich nach dem Wochenende etwas Ausgegorenes parat zu haben. Wenn ihr dafür Zeit und Kraft habt … ich werde heute Nacht ziemlich genau dreieinhalb Stunden schlafen und vielen wird das auch öfter so gehen, ich weiß …
5 D. B. am 6. September, 2016 um 10:24
Als Selfpublisher bin ich bei den anstehenden Regelungen, egal wie sie ausfallen werden, eh am A… gekniffen. Ich muss meinen Verlagsanteil für meine eigenen texte komplett zurückzahlen, bekomme aber nur den zur Verteilung übrig bleibenden Rest als Autor wieder ausgeschüttet bekommen. Insolvente Verlage, die den Vorbehalt ignorierten, Presseverleger, die eventuell ausgenommen werden und viele Kosten, die den Ausschüttungsbetrag mindern, lassen eine seriöse geschäftsführung am Ende richtig dämlich aussehen. Frechheit siegt – Dummheit zahlt…
6 Kirsten Liese am 10. September, 2016 um 13:14
Ich bin den Freischreibern äußerst dankbar, über diese unfassbaren Machenschaften aufzuklären. Instinktiv waren das auch meine Eindrücke der diversen Newsletter der VG Wort, in denen Autoren manipuliert werden sollten anzunehmen, sie hätten einen Vorteil davon, wenn die Verlage weiter mitberücksichtigt würden. Nun ist mir klar: Ich befinde mich tatsächlich im falschen Film!
Leider wusste ich nicht eher, dass ich schon längst hätte Mitglied werden können, dann hätte ich heute wachsam mit abstimmen können. Über meine Aufnahme wird erst im November beschieden. Das gehört wohl auch zur Politik der VG Wort dazu, dass viele der Wahrnehmungsberechtigte gar nicht wissen, dass sie Mitglied werden- und ihre Interessen vertreten können.
Schon in früheren Jahren habe ich mich – was die undurchsichtigen Online Ausschüttungen angeht- oft gefragt, ob die VG Wort wirklich MEINE Interessen vertritt. Schon verrückt. Und die Gewerkschaften machen mit….
Natürlich hat kein Autor Geld zu verschenken. Viele leben an der Armutsgrenze, das macht die ganze Chose erst Recht zu einer Farce!
7 Annina Boger am 10. September, 2016 um 15:02
Lobbying macht vor nichts und niemandem Halt.
Danke für diesen aufschlussreichen Beitrag. Auch ich stellte beim Lesen unwillkürlich Vergleiche an mit den Warnungen bis Drohungen, die stets von der Wirtschafts- und Arbeitgeberseite erfolgen, wenn es um die Festsetzung und gesetzliche Verankerung von Mindestlöhnen geht (nicht nur in Detuschland!). Autoren arbeiten sehr hart und bringen viele Opfer für ihre Berufung. Bleibt zu hoffen, dass wir unsere Intelligenz nicht nur zum Schreiben, sondern auch zum Wahrnehmen unserer Rechte einsetzen.
Was sagen Sie dazu?