Drei Mythen über Open Educational Resources
Hinter dem Begriff Open Educational Resources (OER) steckt die Idee, Lehr- und Lernmaterialien frei zugänglich zu machen, damit sie von jedermann weitergegeben, weiterentwickelt und geteilt werden können. Der Ansatz basiert auf Prinzipien anderer, teils schon seit langem etablierter „Open-Bewegungen“ wie Open Source, Open Content oder Open Access.
Das Prinzip der Open Educational Resources wirft unter anderem rechtliche, wirtschaftliche und Qualitätsfragen auf. Oft werden diese als Argument herangezogen, um Plausibilität, Machbarkeit und Nutzen von Open Educational Resources schon im Grundsatz infrage zu stellen. Tatsächlich sind freie Lehr- und Lernmaterialien auch kein Selbstgänger. Unüberwindbare Probleme sind aber in keinem der hier beschriebenen Bereiche ersichtlich.
Mythos 1: OER bergen große urheberrechtliche Probleme
Man könnte überspitzt sagen, dass die Existenzgrundlage für Open Educational Resources darin liegt, dass es Urheberrechte gibt. Bei OER-Materialien handelt es sich zumeist um urheberrechtlich geschützte Inhalte. Der Urheber selbst entscheidet, ob, von wem und unter welchen Umständen sein Werk genutzt wird. Verlage und andere Verwerter übernehmen es häufig, diese Rechte geltend zu machen, indem sie sich Rechte der Urheber mehr oder weniger umfassend abtreten lassen.
Wenn Inhalte urheberrechtlich geschützt sind, muss jeder, der sie verwenden will, vorher um Erlaubnis fragen und im Zweifel für die Nutzung auch zahlen. Open Educational Resources und die dabei eingesetzten Open-Content-Lizenzen wenden diese Prinzipien teils ins Gegenteil: Sie basieren zwar grundsätzlich auf dem Urheberrecht und sehen auch keineswegs vor, dass deren Inhaber auf Urheber- und Nutzungsrechte verzichten müssten. Statt jedoch auf das Prinzip der Kontrolle und Rechteklärung im Einzelfall zu setzen, gestatten sie pauschal jedem, das Material mehr oder weniger frei zu verwenden, ohne dass der Nutzer mit dem Anbieter des Materials in direkten Kontakt treten muss.
Damit setzen Open-Content-Lizenzen ebenso wie die in der digitalen Welt allgegenwärtigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Nutzungsbedingungen von Diensten oder Webseiten auf Verträge. Jeder, der Open Educational Resources verwendet, also kopiert, verändert oder weitergibt, erhält die hierfür notwendigen Nutzungsrechte. Im Gegenzug erklärt er sich implizit mit den vertraglichen Regelungen einverstanden, also vor allem damit, die in der Lizenz vorgesehenen Nutzerpflichten einzuhalten.
Freigabe oder nicht: Rechteinhaber entscheidet
Die Entscheidung, Material unter einer Open-Content-Lizenz, freizugeben, obliegt dabei allein dem Rechteinhaber, also dem Urheber oder Verwerter. Open Educational Resources basieren auf freiwilligen Entscheidungen und stehen insofern perfekt mit dem Urheberrecht in Einklang. Die einen entscheiden sich für eine mehr oder weniger weitreichende Freigabe aller Nutzungen und damit für Open Educational Resources, Open Content oder Open Source. Andere beharren eher auf dem Ansatz „Alle Rechte vorbehalten“ und vergeben Nutzungsrechte individuell.
Weitreichende Änderungen von Urheberrechtsgesetzen sind daher nicht nötig, damit Open Educational Resources funktionieren. Open-Content-Lizenzen sind Verträge; in Verträgen kann man das Verhältnis von Nutzer und Anbieter aufgrund der Vertragsfreiheit annähernd beliebig regeln. Gesetzliche Regeln sind hier nur insofern relevant, als Rahmenbedingungen erforderlich sind, damit Verträge zu Open-Content-Lizenzen möglichst ungehindert abgeschlossen werden können.
Gerade für Netzpublikationen bietet sich der Einsatz von Open-Content-Lizenzen an da sie – verglichen mit den urheberrechtlichen Regelungen – verhältnismäßig leicht verständlich sind. Sie steigern damit die Rechtssicherheit bei der Nutzung von Bildungsmaterialien, die häufig bereits ohnehin frei ins Netz gestellt werden. Dies kommt Anbietern und Nutzern gleichermaßen zugute.
Creative Commons ist für Nutzer relativ leicht zu überblicken
Wer Open Educational Resources nutzen möchte, wird durch die Lizenz in der Regel sehr klar über die hierbei zu beachtenden Regeln aufgeklärt, über den Umfang der Nutzungsrechte, deren Grenzen und die Nutzerpflichten. Das gilt vor allem für die Creative-Commons-Lizenzen, von denen es neben einem komplexen rechtlichen Text auch eine allgemeinverständliche Kurzfassung gibt, die durch Piktogramme zusätzlich veranschaulicht wird. Dies ist ein wichtiger Punkt, denn die meisten Menschen sind keine Urheberrechtsspezialisten und wissen in aller Regel nicht – schon gar nicht im Detail – was das Urheberrecht ihnen erlaubt und was nicht. Neben ihrer Funktion als verbindliche rechtliche Vereinbarung haben Open-Content-Lizenzen daher auch eine wichtige Erklärfunktion.
Stellt man etwa eine urheberrechtlich geschützte Bildungsressource frei zugänglich ins Internet, ohne darüber aufzuklären, was die Nutzer hiermit machen dürfen, unterliegt die Nutzung den urheberrechtlichen Regeln. Manches ist hiernach ohne Zustimmung, anderes nur nach vertraglicher Rechteklärung zulässig. Welche Handlungen der Zustimmung bedürfen und welche nicht, kann aber kaum jemand beurteilen. Etwa, ob und unter welchen Umständen Inhalte zum Beispiel als Privatkopie heruntergeladen und gespeichert werden dürfen, ob man sie auch auf eine andere Webseite stellen, daraus zitieren darf und so weiter.
Stellt man das Material dagegen unter einer Open-Content-Lizenz ins Netz, kann der Nutzer zum Beispiel schnell überblicken, dass er mit dem Inhalt alles machen, ihn teilen, kopieren und speichern, weitergeben darf. Er muss aber den Autoren nennen, auf die Quelle hinweisen und darauf, dass der Inhalt unter dieser Open-Content-Lizenz steht. Zwar kann auch die Interpretation von Open-Content-Lizenzen in Grenzfällen sehr kompliziert sein – verglichen mit der Komplexität der gesetzlichen Regelungen sind die weitaus meisten Fragen jedoch recht einfach zu klären, selbst für juristische Laien.
Anbieter können geeignete Lizenz wählen
Auch für den Anbieter von Open Educational Resources gibt es in rechtlicher Hinsicht einiges zu bedenken. Der Inhaber von Urheber- oder ausschließlichen Nutzungsrechten kann mit seinen Inhalten machen, was er will. Bei der Entscheidung, unter welchen Bedingungen er eine Nutzung gestatten will, kann er jedoch viele Fehler machen. Das gilt für Vermarktungsstrategien auf der Basis des klassischen „Alle Rechte vorbehalten“ genauso wie für OER-Publikationsmodelle. Hier ist es besonders wichtig, diejenige Lizenz auszuwählen, die am ehesten das gewährleistet, was man mit der Publikation erreichen will.
Wenn man davon ausgeht, dass das Potenzial von Open Educational Resources besonders darin liegt, dass Lehr- und Lernmaterialien nicht nur zentral weiterentwickelt, verbessert und angepasst werden können, sondern diese Aufgabe am besten von organisierten Communities erfüllt wird, wäre eine Lizenz unsinnig, die die Bearbeitung des Materials untersagt. Würde eine solche Lizenz etwa bei der Wikipedia eingesetzt, könnte die Online-Enzyklopädie nicht funktionieren.
Die mit Open Educational Resources verbundenen Rechtsfragen können zwar durchaus kompliziert sein, unüberwindbare rechtliche Hindernisse ergeben sich aber nicht. Selbst wenn eine einzelne Regelung OER-Konzepten im Wege stehen sollte, könnte sie durch die Politik ausgeräumt werden. Rechtspolitischer Handlungsbedarf ist aber zumindest auf dem Gebiet des Urheberrechts derzeit nicht erkennbar.
Mythos 2: Open Educational Resources sind das Ende aller Geschäftsmodelle
Bei Open Educational Resources geht es zunächst nicht primär darum, neue Geschäftsmodelle für Bildungsverlage zu schaffen oder bestehende Märkte und Angebote zu verdrängen. Auch müssen sie herkömmliche Produkte wie Schul- oder Lehrbücher nicht ersetzen oder überflüssig machen. Stattdessen handelt es sich um einen Ansatz zur Förderung von Bildung. Bildung ist ein gesamtgesellschaftliches Interesse, kein Geschäftsmodell.
Open Educational Resources können dabei helfen, die Verfügbarkeit, Aktualität und Qualität der Lehr- und Lernmaterialien zu verbessern. Sie können dynamischer erzeugt und überarbeitet, zudem leichter an die Bedürfnisse von Lehrenden und Lernenden angepasst werden. Durch andere Produktionsumstände und weitergehende Nachnutzungsmöglichkeiten entstehen auch andersartige Produkte, die gegenüber herkömmlichen Lehrbüchern oder Skripten ihre Vor- und Nachteile aufweisen.
Sollte sich herausstellen, dass die Vorteile von Open Educational Resources überwiegen, können die Erkenntnisse auch für klassische Bildungsmaterialien fruchtbar gemacht werden. Ist das nicht der Fall, werden sich die tradierten Materialien und ihre Produktions- und Distributionsumgebungen behaupten und Open Educational Resources könnte als Ansatz auch wieder verschwinden. Auch kann sich herausstellen, dass sich beide Systeme ergänzen und friedlich miteinander koexistieren.
All das ist möglich und welche Entwicklung sich letztlich ergibt, ist momentan reine Spekulation. Ebenso spekulativ sind Annahmen darüber, ob sich Open Educational Resources positiv, negativ oder neutral auf den herkömmlichen Bildungsmarkt auswirken. Dies ist auch letztlich nicht zentral, denn das vorrangige Ziel ist bildungspolitischer und nicht ökonomischer Natur.
Auch OER erlauben Refinanzierung oder neue Geschäftsmodelle
Das bedeutet nicht, dass Finanzierungsfragen oder Geschäftsmodelle unberücksichtigt gelassen werden können oder sollten. Im Gegenteil: Es kostet Geld, Bildungsmaterialien zu erstellen, zu vertreiben, aktuell zu halten und zu verbessern. Das gilt unabhängig davon, ob sie dann nach dem Prinzip der Open Educational Resources oder im Rahmen tradierter Distributionsmodelle von Verlagen vertrieben werden.
Diese Kosten müssen aufgebracht und je nachdem, in welcher Konstellation OER-Materialien entstehen, auch wieder amortisiert werden. Weil Open Educational Resources in der Regel im Internet bereit gestellt und per definitionem von jedem Nutzer frei geteilt und weitergegeben werden können, fällt die herkömmlich primäre Einnahmequelle praktisch aus. Wenn das Material frei und legal im Internet zirkuliert, ist es schwierig, allein mit der Überlassung von Kopien Einnahmen zu erzielen oder Gewinne zu machen. Auf dem Konzept der Überlassung eines Werkexemplars gegen Entgelt basieren jedoch die primären Einnahmequellen der Verlagswirtschaft und auch Refinanzierungsmodelle der öffentlichen Hand.
Das aber bedeutet lediglich, dass für die Refinanzierung und kommerzielle Vermarktung neue Wege beschritten werden müssen. Das Prinzip der Open Educational Resources steht einer Kommerzialisierung oder Refinanzierung der freien Bildungsmaterialien nicht entgegen. Ob und inwieweit Kosten amortisiert oder Gewinne erzielt werden können, ist keine Frage des Prinzips von Open Educational Resources, sondern eine Frage des jeweils gewählten Modells und natürlich auch der Qualität der Materialien.
Nutzungsfreiheiten sind zentral, nicht kostenlose Inhalte
Dass „offen“ immer „kostenlos“ bedeutet, ist ein Irrglaube. Das angestrebte Ziel solcher Ansätze liegt nicht primär in kostengünstigeren oder gar kostenlosen Inhalten, sondern in Nutzungsfreiheiten, nach denen das Material verwendet, bearbeitet und weitergegeben werden darf, ohne hierfür zahlen oder individuelle Verträge schließen zu müssen. Beispielsweise kann ein Lehrbuch durchaus als Open Educational Resource gelten, obwohl es verkauft wird. Ein Kaufpreis für das Exemplar eines Lehrbuchs verstößt weder gegen das Prinzip der (Nach-)Nutzungsfreiheit noch gegen die grundsätzlich vorgesehene Freiheit von Lizenzgebühren.
Ein auf das Netz bezogenes Finanzierungsbeispiel wären Zugangskosten für Bildungsserver, auf denen Open Educational Resources angeboten werden. Der Nutzer müsste zwar für den Zugang bezahlen, könnte die Inhalte jedoch frei verwenden. In diesem Modell liegt der Anreiz zum Bezahlen nicht darin, Zugang zu Inhalten zu bekommen, den es auch anderswo gibt, sondern im Service des Anbieters. Der Service ergibt für den Nutzer einen über die verfügbaren Inhalte hinausgehenden Mehrwert, etwa weil die Materialien hier besonders gut strukturiert und recherchierbar sind oder das Angebot sehr groß ist. Statt sich alle Inhalte aus unzähligen Quellen zusammensuchen zu müssen, finden sie sich an einem zentralen Punkt. Das ist komfortabel, spart Zeit und ist damit Geld wert.
Ob und inwieweit solche Geschäfts- oder Refinanzierungsmodelle machbar sind, hängt von der jeweiligen Konstellation ab. Hier gilt im Prinzip nichts anderes als bei Online-Inhalten im Allgemeinen. Auch für Musik, Presseerzeugnisse oder Filme mussten die Geschäfts- und Finanzierungsmodelle in der digitalen Welt angepasst werden. Beispiele sind Werbefinanzierungen, Spendenmodelle, Zugangs- und Abonnementgebühren für Services, Crowdfunding-Projekte oder auch staatliche Förderung. Um Open Educational Resources zu finanzieren oder Geschäftsmodelle für sie zu entwickeln, kommt eine Vielzahl von – meist innovativen und relativ neuen – Konzepten in Betracht. Manche haben sich bereits bewährt, manche können als gescheitert angesehen werden, andere werden erprobt.
Wikipedia zeigt Motivation zum Mitmachen, auch ohne finanziellen Anreiz
Ein Beispiel für ein enorm erfolgreiches Finanzierungsmodell ist die Wikipedia, deren erheblicher Kostenaufwand für Technik, Administration und Organisation ausschließlich durch Spenden finanziert wird. Es zeigt, dass die notwendigen Kosten aufgebracht werden können, hochwertige Inhalte aber auch gänzlich ohne Autorenhonorare oder Lizenzkosten entstehen können. Warum investieren derart viele Menschen freiwillig und ohne jede Vergütung so viel Zeit, um Beiträge für die Wikipedia zu schreiben, zu pflegen oder zu verbessern? Für dieses Engagement gibt es viele mögliche und nachgewiesene Motive, die von persönlichem Reputationsgewinn über den Wunsch, etwas Gutes zu tun bis zum Streben nach Anerkennung innerhalb einer Community gehen.
Ein wesentlicher Aspekt darunter ist die Motivationswirkung des „kleinen Beitrags“. Kleine Beiträge wie Aktualisierungen, Korrekturen oder Ergänzungen machen einen Großteil der in die Wikipedia investierten Zeit aus. Ein kleiner Beitrag ist nicht weniger wichtig für das Projekt, aber wesentlich weniger aufwändig für den Bearbeiter. Die Hürde zum Mitmachen ist entsprechend geringer als bei langen Texten oder ganzen Büchern. Diese Erkenntnis gilt für Bildungsinhalte nicht weniger als für enzyklopädische Inhalte. Offensichtlich sind keine finanziellen Anreize erforderlich, um Menschen zu motivieren, sich bei einem guten und interessanten Projekt mit erheblichem Gemeinnutz zu engagieren und Zeit zu investieren.
Auch Eigentums- oder Besitzansprüche an den Inhalten – zum Beispiel in Form von Urheberrechten – scheinen oft keine Voraussetzung für die Teilnahme an solchen Projekten zu sein. Auch wenn den Autoren solche Rechte an ihren Beiträgen zustehen mögen, geben sie diese doch über die sehr liberale Creative-Commons-Lizenz der Wikipedia unmittelbar wieder frei.
Finanzierung: Spenden, Förderung, Werbung oder Crowdfunding denkbar
Wäre die Wikipedia ein Einzelfall, könnte man aus diesen Fakten kaum allgemeinverbindliche Erkenntnisse ableiten. Tatsache ist jedoch, dass es tausende Projekte dieser Art gibt und sich Abermillionen Menschen in solchen Projekten engagieren. Weitere Beispiele sind Open-Source-Communities, in denen unzählige Programmierer mit freiwilligen Beiträgen für den Erfolg von Produkten wie Linux oder anderer Open-Source-Software und damit für die Umwälzung einer gesamten Branche gesorgt haben.
Auch bei Open Educational Resources hätten meines Erachtens solche Projekte erhebliche Erfolgsaussichten, denen Erfahrungen aus der Wikipedia zugrunde gelegt werden. Da freie Lehr- und Lernmaterialien einen erheblichen gesellschaftlichen Mehrwert erbringen können und – erfolgreiche und gut organisierte Projekte vorausgesetzt – erbringen werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich eine kritische Masse an Autoren finden wird, die sich freiwillig und aus intrinsischen Motiven beteiligen, ohne hierfür bezahlt zu werden. Dass Viele mitmachen, ist neben einer guten Organisation wiederum Garant dafür, dass Aktualität, Qualitätskontrolle und viele weitere Anforderungen gewährleistet werden. Als Finanzierungsmodelle kommen Spenden, staatliche Förderung, Werbung, Crowdfunding oder Kombinationen aus all diesen Ansätzen in Betracht.
Wirtschaft unterstützt auch Open-Source-Projekte
An der Open-Source-Branche zeigt sich, dass sich auch die Wirtschaft selbst ohne unmittelbaren Return on Investment finanziell engagiert, wenn Projekte mittelbar wirtschaftsfördernde Effekte versprechen. So investieren IT-Unternehmen wie IBM oder Google große Summen in Open-Source-Projekte, entweder durch unmittelbare finanzielle Zuwendungen an Stiftungen, andere Organisationen oder dadurch, dass Mitarbeiter abgestellt werden, um sich darin zu engagieren.
Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass gute Open-Source-Software allen Beteiligten zugute kommt und die Investitionen häufig zwar erheblich, aber wesentlich geringer sind als bei Eigenentwicklungen. Auch gut organisierte und erfolgreiche OER-Projekte können für die Wirtschaft von großem Interesse sein, dienen sie doch der verbesserten Bildung der Menschen, die in der Wirtschaft arbeiten. Ob sich solche Effekte realisieren lassen, ist derzeit noch kaum abzusehen. Es ist aber auch nicht anzunehmen, dass die Erfolgsfaktoren anderer Open-Bewegungen hier gänzlich versagen.
Mythos 3: Die Qualitätssicherung bei OER ist schlechter
Es liegt auf der Hand, dass die Qualitätsanforderungen an Bildungsmaterialien hoch sind. Ob sich diese Qualitätsstandards auch bei Open Educational Resources halten lassen, hängt sehr von ihrem Entstehungsprozess ab. Hier sind zunächst alle Modelle denkbar, die auch bei herkömmlichen Bildungsmaterialien angewendet werden. Der OER-Begriff sagt noch nichts darüber aus, wie die Lehr- und Lernmaterialien entstehen, sondern zielt auf die Nutzungsmöglichkeiten, die solche Materialien eröffnen. Redaktionelle Prozesse unter Anwendung von Peer-Review-Verfahren sind ebenso möglich wie andere herkömmliche Methoden. Keines dieser Verfahren ist für sich genommen schon Garant für eine hohe Qualität des Materials – das gilt aber für „proprietäre“ Lehr- und Lernmaterialien genauso wie für Open Educational Resources.
An der Wikipedia zeigt sich, dass auch Communities sehr effizient Qualitätssicherung betreiben können, wenn sie gut organisiert sind. Untersuchungen haben schon 2005 ergeben, dass sich die – zu diesem Zeitpunkt noch relativ junge – Wikipedia mit Referenz-Publikationen wie der Encyclopedia Britannica in punkto Korrektheit und Editionsqualität durchaus messen konnte . Im Vergleich zum digitalen Brockhaus hatte die Online-Enzyklopädie sogar die Nase vorn. Seitdem wurden die Prozessen und Strukturen in der Wikipedia noch weiterentwickelt und es dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass sie traditionellen Publikationen dieser Art heute weit überlegen ist. Besonders bei der Aktualität der Beiträge spielen Communitys mit einer großen Anzahl an Beteiligten ihre Stärken aus.
Daraus folgt nicht, dass Qualitätssicherung bei OER-Plattformen ebenso gut funktionieren muss wie in einer Online-Enzyklopädie; ebensowenig, dass solche Modelle herkömmlichen Produktionsmodellen generell überlegen sind. Die Anforderungen an Lehr- und Lernmaterialien, die beispielsweise in Schulen oder Universitäten als Standardliteratur verwendet werden, werden noch höher sein als bei einer Enzyklopädie. Wikipedia hat aber dem Einwand den Bogen entzogen, dass Materialien, die in dezentralen Strukturen entwickelt und im Prinzip von jedermann verändert werden können, generell qualitativ minderwertig seien oder sich die Qualität nicht dauerhaft erhalten lasse. Wikipedia zeigt vielmehr deutlich, dass intelligente Organisationskonzepte und Anreizmodelle ohne weiteres für hohe Qualität sorgen können. Abseits von konkreten Erkenntnissen aus Modellprojekten bleiben Diskussionen über Qualitätssicherung und die Gefahren neuer Modelle ohnehin rein theoretisch.
Probieren geht über Studieren
Open Educational Resources machen es im Idealfall zugleich möglich, dass sie von denjenigen Menschen geschaffen, aktualisiert, angepasst werden, die sie selbst nutzen – sei es als Lehrender oder als Lernender. Ein Lehrer, der in einem Lehrskript für Physikunterricht für die achten Klasse eine Mangel entdeckt, kann diesen selbst beheben und seine verbesserte Fassung wieder anderen bereitstellen, die sie nutzen können. Der Lehrer an einer Schule in Brasilien kann ein Skript aus Deutschland bei Sprache, Didaktik und den jeweiligen Inhalten an die Anforderungen in seinem Land anpassen. Nicht zuletzt sind intelligente OER-Strategien dadurch ein möglicher Weg, um das Nord-Süd-Gefälle im Bildungsbereich zu vermindern. Organisation wie die UNESCO sehen daher in Open Educational Resources großes Potenzial und fördern das Konzept.
Alles in allem: Man muss nicht davon überzeugt sein, dass Open Educational Resources ein guter und richtiger Ansatz sind, um Bildung zu fördern. Wer sie aber nur als Gefahr sieht und unreflektiert auf vermeintliche Nachteile verweist, muss sich vorwerfen lassen, das offensichtliche Potenzial bewusst zu ignorieren oder schlicht nicht zu verstehen. Neben Bildungsträgern und -institutionen, Lehrenden und Lernenden und damit letztlich der Gesellschaft kann hiervon auch die Verlagswirtschaft profitieren. Wie immer bei neuen Konzepten für tradierte Anwendungsfelder müssen neue Wege beschritten, Dinge ausprobiert, für gut befunden und wieder verworfen werden, bevor sich die besten Konzepte herauskristallisieren. Finanzierungs- oder Qualitätssicherungsfragen sind dabei Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Unüberwindbare Hürden aber sehen anders aus.
Hinweis: Mit freien Bildungsmaterialien beschäftigt sich auch die OER-Konferenz von Wikimedia Deutschland, die am 12. und 13. September 2014 in Berlin stattfindet. Das iRights.Lab gehört zu den Unterstützern der Konferenz.
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