Ulrich Pokern: „Die Urheberrechtsdebatte ist für uns auch eine Qualitätsdebatte“
Ulrich Pokern: Frei verfügbare Lehrmittel hat es schon früher gegeben. Lehrer nutzten alles mögliche an Ausgangsmaterialien, es wurde ausgeschnitten, aufgeklebt oder anderweitig neu zusammengefügt. Dafür gab und gibt es ein breites Angebot, das ist also nicht neu. Es existiert in diesem Markt Gutes und Schlechtes. Auch wir haben da schon das eine oder andere aufgegriffen und mitunter sind aus entsprechenden Anbietern gute Autoren für unsere Titel hervorgegangen.
Solange sich OER-Autoren und -Anbieter genau wie wir an die rechtlichen Vorgaben halten, also an Rahmenpläne und Curricula, führt das zu einem fairen Wettbewerb und das ist in Ordnung. Für uns arbeiten erfahrene und gute Texter, Autoren, Zeichner, Grafiker, Lektoren, die bringen viel Erfahrung mit und mit denen können wir eine Koexistenz mit OER-Produkten aushalten.
Wenn OER-Autoren und -Produzenten jedoch urheberrechtlich geschützte Bilder oder Materialien ohne Lizenz übernehmen, ist das nicht in Ordnung und verzerrt den Wettbewerb. Wir wissen aus der Arbeit mit Lehrern als Autoren, dass es für viele neu ist, sich mit den Quellen von Bildern oder Zeichnungen zu beschäftigen, das müssen wir immer und immer wieder predigen. Für uns ist die Urheberrechtsdiskussion auch eine Qualitätsdiskussion – und eine Frage der Glaubwürdgkeit des Contents.
iRights.info: Für die meisten Schülerinnen und Schüler bestimmen Smartphones und Internet längst den Alltag, immer mehr Schulen schaffen digitale Lernumgebungen. Wie reagieren Schulmedienverlage darauf?
Ulrich Pokern: Zunächst einmal: Wir bieten schon jetzt eine breite Produktpalette für interaktive Unterrichtsvorbereitung und -planung sowie Unterricht an. Damit ist momentan noch wenig Geld zu verdienen, weil die Kunden dafür kaum bezahlen wollen. Aber wir wissen, dass sich die Informationsaufnahme und die Mediennutzungsgewohnheiten bei Lehrern, Schülern und in den Familien ändern, und es darf für uns keine Dogmen geben, welche Medien wir für unsere Bildungsinhalte nutzen.
Wir haben Bedürfnisse aus der Schulsituation zu befriedigen, stellen immer die Frage, ob etwaige Neuentwicklungen im normalen Schulalltag genutzt werden können, ob die Umsetzungen praxistauglich sind. Wir haben Whiteboard-Materialien, Karten für Beamer-Projektion, Tablet-fähige Vorlagen. Aber es dürfen nicht Neuheiten um der Innovation selbst willen sein, sie dürfen nicht an den Bedürfnissen der Lehrer vorbeigehen.
iRights.info: Was erwarten Schulbuchverlage wie Klett bei kommenden Urheberrechtsreformen von der Politik?
Ulrich Pokern: Grundsätzlich erwarten wir das Stehen zu einer Wertschätzung und dauerhaften Sicherung geistiger Leistungen. Es geht um die Existenzgrundlagen kreativer Menschen. Schulmedien sind ja nicht nur kulturelle Werte, an ihnen sind Urheber beteiligt, die Material erschaffen und davon leben, wie Autoren, Illustratoren, Grafiker, Fotografen und viele andere. Ihnen gegenüber haben wir als Verlag eine Verantwortung, etwa wenn wir Lizenzen verkaufen oder ein Werk für ein anderes Bundesland überarbeiten.
So wie das Urheberrecht derzeit gestaltet ist, spricht daraus ein gewachsener, traditioneller Umgang mit geistigem Eigentum und wir wünschen uns, dass der Gesetzgeber einen weit reichenden, verantwortungsvollen Blick auf das Urheberrecht behält – und nicht, wie beispielsweise die Piratenpartei mal forderte, dessen Abschaffung erwägt.
Wenn man nicht gut schützt, was intelligente Menschen mit viel Mühe erarbeitet und produziert haben, dann werden diese Menschen nicht lange damit weiter machen, und dann sinkt die Qualität der Lehrmedien drastisch. Die Urheberrechtsdebatte ist für uns auch eine Qualitätsdebatte.
Bisherige urheberrechtsrelevante Verfahren, wie die kollektive Wahrnehmung von Verwertungsrechten durch die VG Wort oder die Erlaubnis zur Privatkopie, aber auch jüngste Neu-Regelungen, wie die 10 Prozent-Kopier-Regel für Lehrmedien, die betrachten wir als gangbaren Weg. Wir wissen ja, wie es in der Schule läuft, wie Lehrer mit Lehrmaterialien umgehen, deshalb haben wir diese Neuregelungen ja auch mit auf den Weg gebracht – weil wir alles, was sich im machbaren Rahmen bewegt, gerne unterstützen.
*In eigener Sache: Am 6. September veranstaltet die Initiative Urheberrecht zusammen mit dem iRights Lab den Urheberkongress 2013. In dieser Reihe befragt iRights.info Referentinnen und Referenten des Kongresses zur Zukunft des Urheberrechts.
5 Kommentare
1 Jöran Muuß-Merholz am 4. September, 2013 um 14:41
In der ersten Frage geht es um OER – in der Antwort aber um “frei verfügbare Lehrmittel”.
OER ist aber keinesfalls mit “frei verfügbar” gleichzusetzen.
OER heißt: frei zur Weiternutzung, Weiterverarbeitung, Weitergabe. Und darauf geht Herr Pokern in seiner Antwort leider gar nicht ein.
Ich empfehle als Einstieg ins Thema die Publikation der UNESCO: “Was sind Open Educational Resources?”
http://www.unesco.de/uho_8_2013_publikation_oer.html
2 Jöran Muuß-Merholz am 4. September, 2013 um 14:53
Noch eine nicht legitime Vermischung:
“Solange sich OER-Autoren und -Anbieter genau wie wir an die rechtlichen Vorgaben halten, also an Rahmenpläne und Curricula, führt das zu einem fairen Wettbewerb und das ist in Ordnung.”
Warum sollte sich ein OER-Autor an Rahmenpläne und Curricula halten müssen? Natürlich wäre das sehr förderlich für die Akzeptanz seiner Materialien. Aber ich kann durchaus zu irgendeinem Thema, das mich sehr interessiert, OER-Materialien so erstellen, wie ich es für richtig halte.
Die Verantwortung für den Einsatz in der Schule liegt ja – Pädagogische Freiheit sei dank – beim Lehrer (und ggf. den entsprechenden Konferenzen).
3 Henry Steinhau am 4. September, 2013 um 15:06
@Jöran Muuß-Merholz: Es gibt in zahlreichen Bundesländern für einige Fächer die Zulassungspflicht für Schulbücher, etwa Politik, Geschichte und Religion. Dies erwähnte Herr Pokern im Interview (ich kürzte diese Passage jedoch heraus – nicht aus inhaltlichen Gründen sondern ausschliesslich wegen der Textlänge).
4 Herbert H. Heebert am 19. September, 2013 um 04:45
Zitat:
“Es geht um die Existenzgrundlagen kreativer Menschen. Schulmedien sind ja nicht nur kulturelle Werte, an ihnen sind Urheber beteiligt, die Material erschaffen und davon leben, wie Autoren, Illustratoren, Grafiker, Fotografen und viele andere. Ihnen gegenüber haben wir als Verlag eine Verantwortung, etwa wenn wir Lizenzen verkaufen oder ein Werk für ein anderes Bundesland überarbeiten.”
Hier sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die von Herrn Pokern beschützten Urheber durch Total-Buy-Out-Verträge von allen Lizenz-Einnahmen der Verlage abgeschnitten werden.
Trotz exzessiver, jahrelanger und (neuerdings) medienübergreifender Verwertung der Werke kann schon lange kein Urheber mehr von der Arbeit für Schulbuch-Verlage leben.
5 zeidler am 7. Januar, 2016 um 13:35
wie kann ich denn herrn pokern direkt erreichen?
henry zeidler
Was sagen Sie dazu?