Ein gordischer Knoten aus Datenschutz und Meinungsfreiheit
Hintergrund zu diesem Artikel: Verfassungsrichter Masing – EuGH droht, “liberale Linien des Äußerungsrechts zu unterlaufen”. Update, 14.08.2014: Masings Papier jetzt auch im Wortlaut.
Der Konflikt zwischen Datenschutz und Meinungsfreiheit ist erst durch das „Google“-Urteil des Europäischen Gerichtshofs in das Bewusstsein einer breiteren Fachöffentlichkeit gelangt. Zwar wurde das Urteil zunächst teilweise positiv rezipiert. Nachdem die erste Euphorie verflogen ist, mehren sich mittlerweile die skeptischen Stimmen. Diese haben nun in dem Richter am Bundesverfassungsgericht Johannes Masing einen prominenten Mitstreiter gefunden. In seiner scharfsinnigen Analyse legt Masing den Finger mit großer Treffsicherheit in die Wunden, die das Urteil aufgerissen hat.
Die Konsequenzen, die Masing in seiner Analyse zieht, überzeugen und sollten insbesondere auch im Rat der Europäischen Union und bei den andauernden Verhandlungen zur Datenschutz-Grundverordnung Beachtung finden. Denn dort haben die Mitgliedstaaten noch die Möglichkeit, Einfluss auf die zukünftigen Regelungen des europäischen Datenschutzes zu nehmen und Gefahren für die Kommunikationsfreiheiten einzudämmen, die sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs ergeben. Daneben lässt Masings Analyse hoffen, dass notwendigenfalls auch aus Karlsruhe Impulse erwartet werden dürfen, die dazu beitragen werden, das Gleichgewicht zwischen den betroffenen Grundrechten weder herzustellen.
1. Volle Verantwortung ohne Abstufung
Masing kritisiert zu Recht, dass der Europäische Gerichtshof den Suchmaschinenbetreibern die volle inhaltliche Verantwortung für Informationen auf Drittseiten zuweist. Der Generalanwalt hatte in seinen Schlussanträgen (Randzeichen 84 ff.) dafür plädiert, Verantwortlichkeiten abzustufen. Der Gerichtshof war anderer Ansicht. Das Konzept, die Verantwortlichkeit zwischen dem ersten Verbreiter der fraglichen Information, also der von Google verlinkten Website, und nachfolgenden Verantwortlichen abzustufen, die diese Informationen lediglich weiterverbreiten, etwa Suchmaschinenbetreiber, wurde auch von einigen Mitgliedstaaten im Rahmen der Verhandlungen zur Datenschutzgrundverordnung vorgebracht, wie sich aus einem kürzlich veröffentlichten Dokument aus der zuständigen Ratsarbeitsgruppe (Dapix) ergibt (11289/14, PDF).
Masing bezieht in seinem Papier keineswegs einseitig Position zugunsten von Google und anderen Suchmaschinenbetreibern. Sondern er lenkt den Blick zu Recht auch darauf, dass das Urteil des EuGH die potenziellen Einflussmöglichkeiten der Suchmaschinenbetreiber auf den Kommunikationsverkehr nicht etwa schmälert, sondern im Gegenteil eher verstärkt. Denn der Gerichtshof hat die Suchmaschinenbetreiber in die Position von Verfassungsrichtern gehoben. Er hat ihnen nicht nur das Recht, sondern sogar explizit die Aufgabe zugewiesen, zwischen Grundrechten abzuwägen. Dadurch entscheiden sie letztlich auch über den Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen im Netz. Die innerhalb der Rechtswissenschaft intensiv geführte Debatte über Netz- und Suchmaschinenneutralität scheint dabei am EuGH komplett vorbeigegangen zu sein. Hier hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es geboten wäre, den Einfluss der Suchmaschinenbetreiber auf den Informationszugang der Nutzer rechtlich zu begrenzen. Nicht aber, ihn umgekehrt durch eine höchstrichterliche Entscheidung noch zu intensivieren oder zu legitimieren.
Doch die Probleme, die sich aus dem Urteil des EuGH ergeben, entstammen nicht alle erst der Auslegung durch den Gerichtshof, so Masing weiter. Sie sind vielmehr bereits in der undifferenzierten Rechtslage auf europäischer Ebene angelegt. Dort wird in der geltenden Datenschutz-Richtlinie lediglich eine einzige Form der Verantwortlichkeit geschaffen, die zum einen undifferenziert gleiche Pflichten für öffentliche und private Akteure festschreibt. Zum anderen soll der Kommunikationsfreiheit allein im Rahmen einer wenig konkreten „umfassenden Abwägung“ eine besonders zu beachtende Stellung (in Form der Pflichtenreduzierung) eingeräumt werden. Das aber auch nur dann, wenn es sich um eine Verarbeitung ausschließlich zu journalistisch-redaktionellen Zwecken handelt.
2. Strikte Trennung zwischen Rechtmäßigkeit des Nachweises und Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung
Darin erschöpft sich die berechtigte Kritik von Masing allerdings nicht. Denn es ist eine Sache, den Suchmaschinenbetreibern die Verantwortung für die Interessenabwägung aufzubürden, die vorzunehmen ist. Dass Suchmaschinenbetreiber gewisse Verantwortlichkeiten besitzen, erkennt auch Masing an. Auf einem anderen Blatt stehen jedoch die Aussagen des Gerichtshofs dazu, welche Vorgaben bei der Abwägung zu beachten sind.
Der Europäische Gerichtshof hat eine strikte Trennung vorgenommen: zwischen der Rechtmäßigkeit eines Nachweises von Informationen durch den Suchmaschinenbetreiber einerseits und der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung der betreffenden Informationen auf der Originalwebseite andererseits. Masing sieht darin eines der Kernprobleme des Google-Urteils und des europäischen Datenschutzrechts, das ihm zugrunde liegt. Im Presse- und Äußerungsrecht sind diese Fragen direkt verknüpft, was auch eine wichtige Rolle bei der Frage der Rechtmäßigkeit der Verbreitung von Informationen spielt. Im Hinblick auf das Datenschutzrecht erklärt der Europäische Gerichtshof diese Verknüpfung für irrelevant.
Eigentlich, so Masing, besteht eine Art Waffengleichheit zwischen dem Äußernden und dem von der Äußerung Betroffenen. Diese Waffengleichheit wird auch in der Rechtsprechung anerkannt. Wenn nun der Europäische Gerichtshof die Frage danach, ob die Äußerung zulässig ist, von der Frage entkoppelt, ob es zulässig ist, die Äußerung auffindbar zu machen, wird diese Waffengleichheit aufgehoben – und zwar einseitig zugunsten des Persönlichkeitsschutzes. Der Gerichtshof gibt in seinem Urteil vor, dass bei der Abwägung, die die Suchmaschinenbetreiber vornehmen müssen, die Grundrechte der betroffenen Personen aus den Artikeln 7 und 8 der Grundrechtecharta, „im Allgemeinen“ den Interessen der Internetnutzer vorgehen. Das kritisiert Masing zu Recht. Über Jahrzehnte hinweg wurde in Rechtsprechung und Literatur zum Äußerungsrecht die Maßgabe entwickelt, das in der Regel die freie Rede den Vorrang hat. Der Europäische Gerichtshof hat das, so Masing richtig, aufgehoben und ins Gegenteil verkehrt.
3. Zweckbindung beschränkt private Kommunikation
Eine weitere Schwachstelle des europäischen Datenschutzrechts in seiner Auslegung durch den Gerichtshof liege, so Masing, in den engen Anforderungen an die Zweckbindung. Diese Zweckbindung im Datenschutzrecht soll sicherstellen, dass Daten nur für den Zweck verarbeitet werden, für den sie erhoben worden sind. Das Prinzip wurde ursprünglich entwickelt, um die Datenverarbeitung öffentlicher Stellen einzuschränken. Dort hat das auch seinen Grund: Der Staat ist – im Gegensatz zum Bürger – kein Träger von Freiheitsrechten; eine von ihm vorgenommene Datenverarbeitung muss sich an den gesetzlich festgelegten Zwecken orientieren.
Eine unreflektierte Übertragung des Prinzips der Zweckbindung auf das Verhältnis zwischen Privaten lehnt Masing jedoch zumindest dann ab, wenn es eine Kollision mit der Meinungsfreiheit gibt. Von dritter, objektiver Seite her beurteilen zu wollen, wann welche Daten für welche Zwecke noch notwendigerweise veröffentlicht werden müssen, werde dem Prinzip des Informationsaustauschs zwischen Privaten nicht gerecht.
4. Meinungsfreiheit wird nicht berücksichtigt
Der Europäische Gerichtshof gibt vor, dass strikt zu trennen ist zwischen
- der Prüfung, ob es zulässig ist, auf eine Information hinzuweisen, und
- der Prüfung, ob es zulässig ist, die Information zu veröffentlichen.
Das bringt es notwendigerweise mit sich, dass die Interessen der Äußernden – also etwa von Verlagen, Bloggern und anderen – in dem Abwägungsprozess keine oder allenfalls eine mittelbare Rolle spielen, nämlich lediglich als Teil der Interessen der Internetnutzer.
Dieses Prüfkorsett ist – dies sei hier zur Entlastung des EuGH angemerkt – so in der geltenden Datenschutzrichtlinie angelegt. Danach (Art. 7 lit. f ) ist die Datenverarbeitung dann zulässig, wenn sie erforderlich ist, um die berechtigten Interessen desjenigen zu verwirklichen, der die Daten übermittelt (der Suchmaschine) oder desjenigen, dem die Daten übermittelt werden (des Nutzers). Den Interessen der Betreiber der Originalwebseiten (etwa Medienunternehmen) wird hier keine Rechnung getragen.
Damit verbunden ist auch die von Masing angesprochene Problematik, dass die Betreiber der Originalquellen keine eigenen Rechte in dem Verfahren geltend machen können. Der Europäische Gerichtshof räumt dem Schutz der Persönlichkeit gegenüber den Äußerungsfreiheiten den Vorrang ein. Er tut das, indem er unangemessen strikt die Rechtmäßigkeit des Verlinkens einer Äußerung von ihrer eigentlichen Rechtmäßigkeit abkoppelt, so Masing zu Recht.
5. Suchmaschinen müssen Inhalte filtern
Weiterhin weist Masing auf eine Folge des Google-Urteils hin, die sich in Zukunft möglicherweise nur noch schwer korrigieren lässt: Die durch den Europäischen Gerichtshof festgelegte Verantwortlichkeit der Suchmaschinenbetreiber verlangt nicht nur eine nachträgliche Kontrolle. Die erforderliche Abwägung der Interessen hat der Verantwortliche nicht erst auf Antrag des Betroffenen durchzuführen, sondern sie besteht als generelle Sorgfaltspflicht.
Dies ergibt sich auch aus dem Gesetz: Nach Artikel 7 der Datenschutzrichtlinie haben die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Regelungen vorzusehen, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten „lediglich erfolgen darf“, wenn die Voraussetzungen eines Erlaubnistatbestandes erfüllt sind. Die Abwägung im Rahmen des Artikels 7 muss also vor der Verarbeitung erfolgen. Wie diese proaktive Prüfpflicht für Suchmaschinenbetreiber mit der Haftungsprivilegierung der E-Commerce-Richtlinie (Artikel 14) und dem Verbot der proaktiven Überwachung von Informationen (ebendort in Artikel 15) konform gehen kann, ist eine noch völlig offene Frage.
6. Suchmaschinenbetreiber überfordert
Masing spricht in seiner Stellungnahme offen das Problem an, das derzeit in der Öffentlichkeit deutlich sichtbar wird. Die Suchmaschinenbetreiber als private Akteure sind mit den Pflichten, die ihnen der Gerichtshof aufgebürdet hat, sowohl tatsächlich als auch rechtlich überfordert. Er skizziert deutlich die Folgen, die sich aus dieser Überforderungssituation ergeben. Suchmaschinenbetreiber werden zu Anlaufstellen dafür, Verletzungen des Persönlichkeitsrechts im Internet zu beseitigen, und müssen ein Abwägung zwischen zwei Parteien vornehmen. Dabei kennen sie die Hintergründe des Konflikts nicht, und sie müssten sich eigentlich zunächst umfassend Informationen beschaffen, um eine ausgewogene Entscheidung fällen zu können.
Diese Ermittlungen können die Suchmaschinenbetreiber natürlich nicht leisten. Sie werden daher im Zweifel dazu neigen, beanstandete Informationen ohne weitere Überprüfung zu löschen, denn nur so können sie sich der eigenen Haftung mit Gewissheit entziehen.
Wer in solch einer Situation die Lösung darin sieht, die Abwägung doch lieber den staatlichen Datenschutzbehörden zu überlassen, verkennt die Konsequenz, die sich daraus ergibt und die Masing für bedenklich hält: dass die Datenschutzbehörden damit zu allgemeinen und verfassungsrechtlich bedenklichen Kommunikationsregulierungs-Behörden würden. Überdies wäre damit ein behördlicher Eingriff in die Informationsfreiheit der Nutzer verbunden, den Artkel 11 der Grundrechtecharta bereits nach dem Wortlaut verbietet.
Fazit
Es besteht ein Konflikt zwischen Datenschutz und Meinungsfreiheit, der in den Fundamenten des Rechts angelegt ist und durch das Urteil des EuGH zu Tage gefördert wurde. Ob er aufgelöst werden kann, darf bezweifelt werden. Beide – sowohl Datenschutz, als auch Meinungsfreiheit – fordern für sich einen Regelvorrang gegenüber dem jeweils anderen. Für die Meinungsfreiheit ergibt sich das unter anderem aus dem Lüth-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, während für den Datenschutz ähnliches dem Volkszählungsurteil entnommen werden kann – wenngleich das Urteil freilich damals noch im Wesentlichen auf die Datenverarbeitung durch den Staat gezielt hat.
Es entbehrt also nicht einer gewissen Ironie, dass es nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht war, das diesen gordischen Knoten zu knüpfen begonnen hat. Umso erfreulicher ist es, dass man sich an eben jenem Gericht nun offenbar Gedanken darüber macht, wie er wieder entwirrt werden kann. Masing stellt dabei genau die – gleichermaßen unbequemen wie drängenden – Fragen, mit denen sich der EuGH nicht befassen mochte. Es spricht Einiges dafür, dass er sich wohl nicht zu Wort gemeldet hätte, wenn er der Ansicht wäre, dass der gegenwärtige Diskurs in richtigen Bahnen und in die richtige Richtung verläuft. Sein Schritt, der Diskussion die – aus seiner Sicht – angemessene Richtung zu weisen, verdient Respekt und Unterstützung.
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