Grenzenlos verwertet – angemessen vergütet?

Warum gibt es Verwertungsgesellschaften? Die ersten solcher Vereinigungen entstanden im späten 19. und im frühen 20. Jahrhundert in Frankreich: Als Schutz – und Solidargemeinschaften von Komponisten und Bühnenautoren, die sich gegen die für den individuellen Autor nicht kontrollierbare Nutzung ihrer Werke zur Wehr setzten. Dafür gründeten sie Genossenschaften, die einerseits Nutzungsrechte vergeben und andererseits Vergütungen für die Nutzungen der Werke zugunsten der Urheber einziehen sollten.
Zugleich sollten sie die im Künstlerleben erfahrungsgemäß auftretenden Einkommensschwankungen und insbesondere die Altersarmut ausgleichen. Zu diesem Zweck wurde ein Teil der Erlöse an Sozial- und Unterstützungseinrichtungen abgeführt. Beide Ziele gehören in den kontinentaleuropäischen Ländern bis heute zum Auftrag der Verwertungsgesellschaften, während die angelsächsischen Staaten auf vollständiger Ausschüttung der Erlöse bestehen und diese Regelungen ablehnen.
Aus diesen Wurzeln haben sich besonders im Musikbereich starke Verwertungsgesellschaften entwickelt, die den musikalischen Autoren und ihren Verlegern – in den frankophonen Staaten auch den Regisseuren und Film- und Dokumentarautoren – den wesentlichen Teil ihres Lebensunterhalts aus urheberrechtlicher Tätigkeit sichern.
Ein notwendiges, aber nützliches Übel
Das Problem der Rechtsdurchsetzung war und ist, dass die Urheber in den meisten Fällen ihren Primärmarkt außerhalb kollektiver Mechanismen der Rechteverwaltung bedienen. Anders ist es im musikalischen Bereich, in dem Verwertungsgesellschaften auch im Primärmarkt agieren. Der Schriftsteller aber verhandelt individuell mit dem Verleger einen mehr oder weniger befriedigenden Vertrag; die Künstlerin sucht sich einen Galeristen und muss froh sein, wenn zum Anfang ihrer Karriere ihre Werke am Markt angeboten, abgebildet und ins Internet gestellt werden. Für diese Urheber ist ein starkes Urhebervertragsrecht unverzichtbar, denn dem Verwerter stehen sie in den meisten Fällen ebenso wie die audiovisuellen Urheber Aug in Auge und meist als der schwächere Verhandlungspartner gegenüber.
Für die Unternehmen der Kulturwirtschaft sind Verwertungsgesellschaften notwendige, allerdings meist auch sehr nützliche Übel. Einerseits bestehen sie darauf, dass Werknutzungen angemessen vergütet werden und verfügen meist über ausgebaute Kontrollinstrumente, die nicht geregelte Nutzungen erfassen. Andererseits ist es wesentlich einfacher für einen Nutzer urheberrechtlich geschützter Werke – zum Beispiel den Bildverleger –, diese Rechte im Bündel, in einem Arbeitsgang und zu bekannten und öffentlich zugänglichen Bedingungen verlässlich zu erwerben, anstatt jeden einzelnen Rechteinhaber anzusprechen und mit unterschiedlichen Forderungen und Bedingungen konfrontiert zu werden.
Verwertungsgesellschaften im Urheberrecht
Grundlage für diese im Großen und Ganzen für beide Seiten fruchtbare Kooperation sind im Kern zwei Regelungen im Urheberrechtswahrnehmungsgesetz. Erstens der Wahrnehmungszwang: Jede Verwertungsgesellschaft muss jeden Urheber oder ausübenden Künstler aufnehmen und dessen Recht vertreten (Paragraf 6). Zweitens der Abschlusszwang: Die Verwertungsgesellschaft ist verpflichtet, jedermann zu angemessenen Bedingungen die vertretenen Rechte einzuräumen (Paragraf 11). Damit wird ausgeschlossen, dass Kreative durch ihre Verwertungsgesellschaft, aber auch von potentiellen Nutzern ihrer Werke diskriminiert werden.
Urheber sind nicht durchweg gezwungen, ihre Rechte durch Verwertungsgesellschaften verwalten zu lassen. Sofern sie allein dazu in der Lage sind, können sie sich selbst um die Wahrnehmung kümmern oder darauf ganz verzichten. Nur wo eine kollektive Rechtewahrnehmung gesetzlich vorgeschrieben ist – wie etwa bei den Regelungen für Kopien in Bibliotheken oder an Schulen und Universitäten – müssen sie einen Wahrnehmungsvertrag abschließen, um an den Vergütungen zu partizipieren.
Auftritt der EU-Kommission
Der Bedeutungsgewinn der Verwertungsgesellschaften im wachsenden Markt der Kulturgüter – vor allem im musikalischen Bereich – ist auch den Dienststellen der EU nicht entgangen. Die Generaldirektion Binnenmarkt hat sich in den letzten Jahren verstärkt dem System der kollektiven Rechtewahrnehmung gewidmet. Konkreter Anlass waren unter anderem Beschwerden großer Medienkonzerne, deren Hauptinteresse darin bestand, die Preise für den Erwerb von Musik zu senken. Die Direktion wurde erstmals im Jahr 2005 tätig und erließ eine Empfehlung zur Online-Nutzung von Musik. Sie will die Rahmenbedingungen im wachsenden Binnenmarkt vereinheitlichen und den Rechteerwerb für grenzüberschreitende Nutzungen erleichtern.
Auch Verwertungsgesellschaften sind an diesem Prozess interessiert, weil sie verhindern möchten, dass sich internationale Rechtepools aus Ländern außerhalb der EU in den Mitgliedsstaaten mit niedrigem Regulierungsniveau etablieren. Solche Rechtepools erkennen meist die in den europäischen Verwertungsgesellschaften übliche Teilung der Erlöse zwischen Urhebern oder ausübenden Künstlern einerseits und den Verwertern andererseits nicht an, weil sie in der Regel von Unternehmensseite begründet wurden. Damit unterlaufen sie europäische Standards des Urhebervertragsrechts und höhlen sie aus.
Damit wird nichts gegen neue Formen der Rechteverwaltung gesagt, jedoch die Forderung erhoben, dass im Bereich der kollektiven Rechteverwertung überall in der EU gleiche Rechte für alle gelten müssen, um faire Marktchancen zu etablieren. Dazu gehört auch, dass alle an der Werkschöpfung Beteiligten angemessenen vergütet werden.
Zerschlagenes Porzellan:
Die Kommission und die Online-Lizenzen
Bis zum Jahre 2005 bestand im Musikmarkt ein funktionierendes System, in dem die nationalen Verwertungsgesellschaften es im Rahmen von Gegenseitigkeitsverträgen sicherstellten, Lizenzen grenzüberschreitend einzuräumen. Auch Staaten mit mehreren konkurrierenden oder auf bestimmte Kategorien von Rechteinhabern beschränkten Gesellschaften wie die USA waren nahtlos eingebunden. Für solche grenzüberschreitenden Online-Lizenzen war nach langen Verhandlungen ein Vertragswerk geschaffen worden, das bei allen Interessengegensätzen unter den Verwertungsgesellschaften ein funktionierendes, wenn auch umständliches Lizenzsystem schuf („Santiago Agreement“).
Dieses Modell wurde von Radio- und TV-Unternehmen als unzulässiges Kartell kritisiert. Die Generaldirektion Binnenmarkt der EU griff diese Kritik auf und erließ die „Empfehlung für die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, die für legale Online-Musikdienste benötigt werden”. Eine Richtlinie dagegen scheute sie noch – wegen der langen Beratungszeit und der erwarteten Interessenkonflikte zwischen kleinen und großen Gesellschaften und den hinter diesen stehenden Staaten. Zwar wurde die Empfehlung als „soft law” ohne Mitwirkungsmöglichkeiten der Mitgliedsstaaten verfasst, faktisch erlangte sie jedoch Gesetzesrang und damit eine hohe Verbindlichkeit.
Vorgeblich sollte sie den Urhebern mehr Wahlfreiheit für eine Verwertungsgesellschaft geben. Mit anderen Worten: Der finnische Komponist sollte fortan die Freiheit erhalten, seine Online-Rechte nicht länger seiner Heimatgesellschaft und auf Grundlage ihrer Vertragsbedingungen einräumen zu müssen, sondern hiermit zum Beispiel die portugiesische Verwertungsgesellschaft beauftragen zu können.
Kollektive Rechtewahrnehmung bleibt beschädigt
Nahezu zeitgleich eröffnete die Generaldirektion Wettbewerb ein Kartellverbotsverfahren gegen das System der allgemeinen Gegenseitigkeitsverträge. Im Rahmen der Dachorganisation CISAC wird damit in typisierter Form die Zusammenarbeit unter den Verwertungsgesellschaften geregelt. Gegen die Verbotsverfügung, die die Kommission zum Abschluss des Verfahrens erließ, klagten die Verwertungsgesellschaften erfolgreich vor dem Gericht der Europäischen Union, das im Jahr 2013 feststellte, dass ihre Verträge nicht gegen das EU-Recht verstoßen hatten.
Dennoch wurde mit Erlass der Verfügung das Netz der Standardverträge gegen den Protest der mittleren und kleinen Mitgliedsstaaten dauerhaft zerschlagen und durch ein System zahlloser, strikt bilateraler Verträge ersetzt, bei denen die Schwächeren meist den Kürzeren zogen. Das Urteil des Gerichts kann das zerschlagene Porzellan nicht mehr kitten.
Nutznießer der Empfehlung von 2005 waren nicht die finnischen Komponisten, sondern die US-amerikanischen Major-Verleger. Sie nutzten die Empfehlung, um ihre dominanten Repertoires aus den Verwertungsgesellschaften und damit aus der kollektiven Wahrnehmung zu gleichen Bedingungen herauszulösen.
Lizenzerwerb de facto erschwert
Dem wettbewerblichen Geist der Empfehlung folgend, schrieben diese Major-Verleger nun die europaweite Verwaltung ihrer Repertoires unter den großen europäischen Verwertungsgesellschaften aus. Diese Gesellschaften bildeten spezielle Lizenzeinrichtungen unter ihrem Dach heraus, die jedoch den Regeln der kollektiven Wahrnehmung nicht mehr in vollem Umfang unterlagen und teilweise sogar zur Bildung länderübergreifender Konsortien führten, die jeweils das Repertoire eines Verlags europaweit repräsentierten.
Der Lizenzerwerb wurde dadurch im Gegensatz zu den Vorstellungen der Kommission nicht erleichtert, sondern erschwert. Will etwa eine Radiostation nun Online-Rechte erwerben, muss sie nicht mehr nur mit ihrer nationalen Gesellschaft reden, sondern für jedes Repertoire außerdem mit je einer weiteren, meist in einem anderen Land ansässigen Verwaltungseinheit. Der stets geforderte „One-Stop-Shop“ war damit Geschichte. Dieser Wandel führt als Nebeneffekt auch dazu, dass neuerdings Musik in älteren Filmwerken ersetzt wird, wenn sie online genutzt werden sollen – weil der Nacherwerb der Rechte zu kompliziert oder zu teuer geworden ist.
Es verwundert nicht, dass die Kommission sich diesen Effekt nicht gewünscht hatte. Schon vor Veröffentlichung des Richtlinienentwurfs und während der Laufzeit des CISAC-Kartellverfahrens unternahm die Generaldirektion Binnenmarkt – argwöhnisch beobachtet von der Generaldirektion Wettbewerb – viele diskrete Versuche, den Geist zurück in die Flasche zu zwingen, aus der er entwichen war. Allerdings bis heute vergeblich.
Der Richtlinien-Entwurf und seine Schwächen
Im Jahr 2012 legte die Kommission einen Entwurf für ihre Richtlinie zur Arbeit der Verwertungsgesellschaften vor, der zwei Ziele verfolgt: allgemeine Grundsätze für die Arbeit der Gesellschaften aufzustellen und spezielle Regeln für den Bereich der Online – Musikverbreitung zu schaffen. Die vorgesehene Richtlinie versucht, „die Voraussetzungen für möglichst effektive Lizenzierungsmethoden der VGs in einem zunehmend länderübergreifenden Kontext zu schaffen“. Mit anderen Worten, sie möchte den „One-Stop-Shop“ erneut ermöglichen, den sie 2005 zerschlagen hatte. Nur: Die starken Rechteinhaber haben kein gesteigertes Interesse, zu kooperieren, und die Verwertungsgesellschaften sind auf ihre Kooperation angewiesen.
Insgesamt wurde der erste Kommissionsentwurf seinem anspruchsvollen Auftrag nur zum Teil gerecht. Mehrere kritische Punkte sind hier festzuhalten:
1. Ohne Zulassungspflicht droht Cherrypicking
Der Richtlinien-Entwurf sah keine generelle Zulassungspflicht für Verwertungsgesellschaften vor, wodurch ein unfairer Wettbewerb um die Rechteinhaber zu entstehen droht. Der Entwurf sah stattdessen vielmehr vor, dass auch für Verwertungsgesellschaften die Dienstleistungs-Richtlinie gelten soll. Diese regelt, dass im Dienstleistungsbereich jeder Mitgliedsstaat die Zulassungsvoraussetzungen des Entsendestaates anerkennt und auf eigene zusätzliche Formalien verzichtet. Die Richtlinie auch im Bereich der Rechtewahrnehmung anzuwenden, hätte Tür und Tor für „Cherrypicker“ geöffnet, die als im Ausland legitim tätige, weitgehend unkontrollierte Unternehmen einige starke Rechtsinhaber vertreten hätten, ohne den sonstigen sozialen und Kulturförderverpflichtungen und einer klaren Aufsicht zu unterliegen.
2. Das Solidarsystem braucht exklusive Rechteeinräumung
Zweitens stellte der Entwurf die Exklusivität der Rechteeinräumung an Verwertungsgesellschaften in Frage. Exklusivität bedeutet, dass allein die Verwertungsgesellschaft das ihr eingeräumte Recht vertritt, solange der Wahrnehmungsvertrag besteht. Will der Rechteinhaber es selbst wahrnehmen oder durch einen Dritten wahrnehmen lassen, muss er zunächst deren Zustimmung einholen. Dies ist ebenfalls ein heikler Punkt, insbesondere aus urhebervertraglicher Sicht. Wird diese Exklusivität aufgehoben, könnte das zwar auf den ersten Blick als Befreiung des Urhebers aus der Bevormundung durch eine Verwertungsgesellschaft erscheinen. Die Sache hat aber eine Kehrseite: Wer sein Recht einem Dritten nicht exklusiv eingeräumt hat, kann unter Druck gesetzt und veranlasst werden, die Nutzung seines Rechts zu schlechteren Bedingungen zu gewähren. Damit droht dem Solidarsystem der Verwertungsgesellschaften langfristig der Einsturz.
Allerdings ist den Kritikern dieser Position zuzugestehen, dass es durchaus sinnvoll sein kann, wenn ein Mitglied einer Verwertungsgesellschaft über sein Werk insoweit verfügen kann, als es sich um karitative oder kostenlose Nutzungen handelt, die er außerhalb der kommerziellen Verwertung ermöglichen will. Sicher wird auch das Creative-Commons-Modell seinen Weg in die Verwaltungspraxis der Verwertungsgesellschaften finden müssen, wenn die Urheber es nutzen wollen. Die Diskussion hierüber wird kontrovers geführt.
3. Fehlender Nachweis über Nutzungen
Drittens legte der Entwurf zu Recht den Verwertungsgesellschaften eine hohe Transparenzpflicht auf. Zu Recht, weil Nutzer von Werken kritisierten, dass die Repertoires einiger Gesellschaften nicht transparent erkennbar seien: Die Erwerber von Kollektivlizenzen fürchteten, die Katze im Sack zu kaufen. Es fehlt jedoch die komplementäre Verpflichtung der Nutzer, ihrerseits als Grundlage für korrekte Abrechnungen die vorgenommenen Nutzungen nachzuweisen und zu dokumentieren.
4. Unterschiede der Verwertungsgesellschaften nicht beachtet
Viertens waren die Vorschriften über die Binnenstruktur der Verwertungsgesellschaften im ersten Entwurf oft praxisfern und entsprachen nicht der Realität. So wurde nicht zwischen Verwertungsgesellschaften unterschieden, die auf der Basis registrierter Titel arbeiten und solchen, die das gesamte Repertoire ihrer Mitglieder nur im Bereich der Zweitverwertung verwalten, aber nicht werkmäßig erfassen können. Das ist zum Beispiel bei Fotografen oder Journalisten der Fall, weil viele primäre Nutzungsverträge ohne ihre Einschaltung abgeschlossen werden.
5. Rückruf zu pauschal geregelt
Der Entwurf sah schließlich extrem kurze und praxisferne Rückrufmöglichkeiten für Rechtsinhaber gegenüber ihren Verwertungsgesellschaften vor, die dem Umstand nicht Rechnung trugen, dass die Verwertungsgesellschaften mit Nutzern oft mehrjährige Verträge abschließen. Diese sind nicht mehr möglich, wenn die Gesellschaft nicht mehr langfristig für ihr Repertoire garantieren kann.
Vor allem dort, wo Verwertungsgesellschaften gesetzliche Vergütungsansprüche wahrnehmen, sind derartige Rückrufmöglichkeiten sinnlos, weil die Bedingungen der Rechtewahrnehmung sich aus dem Gesetz selbst ergeben und dem Autor dadurch jeder Verhandlungsspielraum entzogen wurde. Der Vorwurf an die Verfasser der Richtlinie in diesem und anderen Fällen ist, dass sie nicht unterscheiden, ob Nutzungsrechte oder Vergütungsansprüche verwaltet werden.
6. Online-Musik-Lizenzierung und Rechte-Datenbank
Speziell im Bereich der Online-Musik ist die Hilflosigkeit angesichts der entstandenen Situation die Grundlage dieses Teils des Richtlinienentwurfs. Kleine Verwertungsgesellschaften sollen größere nun verpflichten können, ihr Repertoire mitzuverwalten, um Mehrgebietslizenzen vergeben zu können. Das ist sinnvoll und erforderlich – schon aus Gründen der Erhaltung der kulturellen Vielfalt, zu der sich die EU international verpflichtet hat. Im derzeitigen System besteht die Gefahr, dass kleine, ökonomisch unattraktive Repertoires auf dem Markt unsichtbar werden.
Weiteres Ziel der EU zur Rekonstitution des „One-Stop-Shops“ ist es, eine universelle Datenbank zu entwickeln, mit der die an Lizenzen interessierten kommerziellen Nutzer wenigstens schnell feststellen können, wer ein für sie interessantes Werk verwaltet. Eine solche Datenbank ist freilich hoch brisant und wird deshalb in der CISAC seit langem sehr zögerlich diskutiert. Zum einen sind die Kosten immens und die Vereinbarung gemeinsamer Standards zwischen allen Beteiligten hoch kompliziert, weil ihre Beziehungen von Misstrauen – zum Beispiel der Urheber gegenüber manchen Verlegern – geprägt sind. Zum anderen besteht die Befürchtung, dass eine solche Datenbank, die im besten Fall zu jedem Werk den Rechteinhaber aufführt, Verwertungsgesellschaften langfristig überflüssig macht, da deren größtes Kapital das Repertoire und die exklusive Beziehung zu den Rechteinhabern ist.
Mögliche Folgen des Entwurfs
Damit wären aus der Sicht mancher Marktteilnehmer zwar endlich die Mammuts ausgestorben; aus der Sicht der Rechteinhaber – vor allem der mittleren und kleinen – wäre aber auch die Schutz- und Trutzfunktion starker Verwertungsgesellschaften verloren und sie fänden sich, mangels starken Urhebervertragsrechts, auf verlorenem Posten wieder.
Ob dieser Teil der Richtlinie das Ziel erreicht, den Schaden auszugleichen, den die Empfehlung von 2005 angerichtet hat, ist derzeit nicht abzusehen. Es wird vor allem vom guten Willen und der Bereitschaft der großen Rechteinhaber zur Kooperation abhängen. Viel spricht dafür, dass sie ihre neu gewonnene Freiheit, Lizenzbedingungen auf einem freien Markt auszuhandeln, kaum wieder aufgeben werden, um unter das Dach einer erneuerten kollektiven Wahrnehmung der Online-Rechte zurückzukehren, wenn auch in einer „light”-Version. Auch hier wird erst das Vermittlungsverfahren in Brüssel zeigen, welcher Weg eingeschlagen wird.
Wie geht es weiter mit dem Entwurf?
Der Richtlinienentwurf wurde in einem großen Diskussionsprozess zunächst zwischen der Kommission und den beteiligten Kreisen erörtert. Die zuständigen Ausschüsse des EU-Parlaments für Kultur, Recht und Wirtschaft haben umfangreiche Stellungnahmen mit zahllosen Änderungsvorschlägen vorgelegt, die viele der in den Stellungnahmen aufgeworfenen Bedenken aufgegriffen haben, darunter etwa das Max-Planck-Institut für Immaterialgüterrecht und die Verwertungsgesellschaften selbst. Insbesondere der anfangs kritisierte Vorrang der Dienstleistungsrichtlinie wurde zwar nicht ganz beseitigt, aber doch wesentlich relativiert. Überwiegend stellen die Änderungsvorschläge heraus, dass im Rahmen der Rechteverwaltung gleiche Regeln für alle gelten müssen, seien sie private Dienstleister oder Verwertungsgesellschaften. Ebenso wurde auf die Notwendigkeit einer starken inländischen Kontrolle auch bei grenzüberschreitender Lizenzierung hingewiesen.
Die Beratungen auf Ebene der Mitgliedsstaaten hat die irische Ratspräsidentschaft in einem ausführlichen Papier vom 31. Mai 2013 zusammengefasst (Interinstitutional File 2012/0180, COD). Sie konnte jedoch in ihrer Amtszeit noch keine Beschlussfassung herbeiführen. Der nächste Schritt ist jetzt der große Kompromissfindungsprozess zwischen Kommission, Rat und Parlament, der nach der Sommerpause 2013 bevor steht. Solange dessen Ergebnis nicht feststeht, kann keine abschließende Bewertung gegeben werden.
Das Resultat bleibt offen
Welcher Kompromiss sich am Ende niederschlagen wird, lässt sich derzeit nur im Kaffeesatz lesen. Zu vielfältig sind die Interessen, selbst die Kommission offenbart starke Interessengegensätze zwischen Binnenmarktregulierung durch leichteren kollektiven Rechteerwerb und dem Ausbau des Wettbewerbs in allen Wirtschaftsbereichen auf Biegen und Brechen.
Soviel scheint immerhin sichtbar zu sein: Die aus mangelnder Kenntnis der Situation resultierenden Fehler des Entwurfs sind erkannt und großenteils beseitigt. Viel wird davon abhängen, wie die Frage des Vorrangs der Dienstleistungsrichtlinie gelöst wird und ob gemeinsame Standards der Regulierung mit gleicher Wirkung für Verwertungsgesellschaften und private Unternehmen gefunden werden. Ebenso zentral ist die Frage, ob in ein und demselben Land die gleichen Zulassungs- und Kontrollvorschriften für Rechteverwalter unterschiedlicher regionaler Herkunft angewendet werden.
Der Erfolg bei der Reform der kollektiven Rechtewahrnehmung wird sich an zwei Zielen messen lassen müssen: Zum einen, ob es schnell, verwaltungskostengünstig und möglichst aus einer Hand möglich wird, Rechte dort zu erwerben, wo sie genutzt werden sollen. Zum anderen muss das Ziel aber auch sein, dass Urheber und ausübende Künstler angemessene Vergütungen erhalten – unabhängig davon, in welchem Land der Union und durch welches Unternehmen diese Rechte genutzt werden.
Prof. Dr. Gerhard Pfennig ist Sprecher der Initiative Urheberrecht, die zahlreiche Urheberverbände und Gewerkschaften vertritt. Er ist Rechtsanwalt und war bis 2011 geschäftsführendes Vorstandsmitglied der VG Bild-Kunst und der Stiftung Kunstfonds in Bonn.
1 Kommentar
1 Detlef Lauster am 16. August, 2014 um 14:15
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