Die EU-Urheberrechtsreform kommt, die Personalien enttäuschen
„Hier in der EU haben wir vorbereitende Arbeiten, Dialoge, öffentliche Konsultationen, rechtliche und wirtschaftliche Studien durchgeführt. Wir haben endlos abgeschätzt, untersucht, analysiert. Jetzt ist es Zeit zu handeln.“
So klingt eine EU-Kommissarin, die zum Urheberrecht kein Blatt mehr vor den Mund nehmen muss. Die scheidende Digitalkommissarin Neelie Kroes fand bei einer Rede im Juli klare Worte: Der aktuelle Rechtsrahmen für das Urheberrecht sei lückenhaft, unflexibel und oft irrelevant. Er sei ein Werkzeug der Verhinderung, Limitierung und Kontrolle, wo er doch Offenheit, Innovation und Kreativität ankurbeln sollte. Doch es wird nicht mehr die mittlerweile 74-jährige Kroes sein, die handelt. Ende Oktober gibt sie ihr Internet-Portfolio ab.
In der kommenden Kommission sind die Karten neu gemischt. Der ehemalige estnische Premier Andrus Ansip steht als Vizepräsident dem neu geschaffenen Querschnittsteam „Digitaler Binnenmarkt“ vor, in dem Günther Oettinger als „Kommissar für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft“ mit anderen Mitgliedern der Kommission zusammenarbeiten soll. Oettinger folgt Kroes als Chef der „Generaldirektion für die Digitale Agenda“ nach – die jedoch erfreulicherweise um die Kompetenz für das Thema Urheberrecht aufgewertet wird, das bisher im Binnenmarkt-Ressort ein eher trauriges Dasein fristete. Und, auch das ist neu: Oettinger steht zusätzlich der IT-Abteilung der Kommission vor.
Ein ACTA-Freund und ein Kommissar ohne Expertise
Digitale Themen nehmen in Junckers Kabinett also eine prominentere Position ein als je zuvor. Die Personalien enttäuschen jedoch: Oettinger hat keine Expertise in seinem Bereich vorzuweisen, auch wenn er in einem Interview bereits angab, „er traue sich zu, sich einzuarbeiten“. Ansip fiel noch im Februar 2012 als glühender Verfechter des Freihandelsabkommens ACTA auf, als bereits Zehntausende gegen die davon ausgehende Gefahr für die Netzfreiheit demonstrierten. Was ist von diesem Team zu erwarten?
Juncker gab seinen Kommissar*innen konkrete Missionen mit auf den Weg – und die Urheberrechtsreform steht dabei ganz oben auf der Prioritätenliste. Schon in den ersten sechs Monaten sollen sie „die Urheberrechtsregeln im Licht der digitalen Revolution modernisieren“ – was erfordern werde, „nationale Silos einzureißen“, wobei gleichzeitig „die reichhaltige kulturelle Diversität Europas voll berücksichtigt“ werden soll.
Oettinger soll „Nutzer ins Zentrum seines Handelns stellen“ und ihnen grenzenlosen Zugang zu Diensten, Musik und Filmen sicherstellen. Für den Wirtschaftssektor müsse Rechtssicherheit hergestellt werden. Die Kultur- und Kreativindustrie müsse man „dabei unterstützen, ihr wirtschaftliches Potenzial auszuschöpfen“ sowie „Rahmenbedigungen schaffen, die Startups vorantreiben“. Ansip wurde beauftragt, der Industrie zu helfen, „neues Publikum anzusprechen“ und „sich auf das digitale Zeitalter einzustellen“. Das Ziel: 250 Milliarden Euro zusätzliches Wachstum, hunderttausende neue Jobs und „eine dynamische Wissensgesellschaft“.
Konsultation zeigte Unterstützung für Urheberrechtsreform
Nutzer*innen ins Zentrum des Handelns stellen – wie das aussehen würde, hat uns die Urheberrechtskonsultation der Kommission vorgezeichnet, die zum Jahreswechsel durchgeführt wurde und eine der höchsten bislang erreichten Beteiligungsraten verzeichnen konnte. Das Urheberrecht ist, so stellte sich heraus, selbst in Zeiten steigender EU-Skepsis ein Bereich, in dem die europäische Öffentlichkeit eine Harmonisierung und Europäisierung breit unterstützt. „Die weit überwiegende Mehrheit der Endnutzer findet, dass die EU die Idee eines einheitlichen europäischen Urheberrechtstitels verfolgen sollte“, so die offizielle Auswertung der Antworten. Effektiver könnte man die Silos nicht einreißen.
Gefährdet das die angemahnte Diversität? Ganz im Gegenteil. Dass Urheberrechtsgesetze an Landesgrenzen halt machen, obwohl Europäerinnen und Europäer das schon lang nicht mehr tun, hemmt derzeit die Produktion und Verbreitung europäischer Kultur. Dem länderübergreifenden Rundfunksender Arte beispielsweise, der wichtige Impulse für kulturelle Diversität und Austausch leistet, erschweren die unterschiedlichen, in seinem Sendebereich geltenden Urheberrechtsschranken derzeit die Arbeit, wie das ZDF in seiner Antwort auf die Konsultation der Kommission erklärt.
Kulturelle Vielfalt statt drakonischer Rechtsdurchsetzung
Wer Vielfalt unterstützen will, muss sich auf die Seite der Kleinen und der Neuen stellen, statt die Interessen großer und lobbystarker internationaler Verwertungskonzerne zu bedienen. Start-ups gedeihen, wenn das Recht Platz für Innovationen lässt, die zum Zeitpunkt seines Entstehens noch nicht absehbar waren, etwa in Form einer offen formulierten Fair-Use-Klausel. Neue Künstler*innen brauchen Aufmerksamkeit und Verbreitung – auch durch Teilen und Verlinken – dringender als drakonische Rechtsdurchsetzung. Diversität wird durch ein kulturelles Ökosystem geschaffen, in dem mehr Menschen ermöglicht wird, von passiven Konsument*innen zu Kreativschaffenden zu werden – in dem Mashup- und Remixkunst also gefördert und nicht abgeschreckt wird.
Um kulturelle Vielfalt zu erreichen, muss man also rechtliche „Vielfalt“ eindämmen. Und ein einfacher zu durchschauendes Urheberrecht schafft gleichzeitig auch Rechtssicherheit. Aufgrund der optionalen Liste an Ausnahmen in der aktuell geltenden Urheberrechts-Richtlinie gäbe es rein rechnerisch unglaubliche 1.099.511.627.776 Möglichkeiten, sie umzusetzen.
Den Wandel aufzuhalten wird niemandem nützen
Kulturschaffenden dabei zu helfen, sich auf das digitale Zeitalter einzustellen – das ist auch mein Ziel. Ich widme mich im EU-Parlament dem Urheberrecht, weil ich enthusiastisch bin angesichts der Möglichkeiten, die uns neue Technologien für Produktion, Zugänglichmachung und mündigen Umgang mit Kunst und Kultur eröffnen. Wir müssen gemeinsam neue Modelle erproben, mit denen wir diese Neuerungen voll zur Geltung kommen lassen, ohne dadurch Künstler*innen zu verunmöglichen, ihren Lebensunterhalt mit ihrer kreativen Arbeit zu bestreiten.
Allzu oft bekommt man den Eindruck, die Strategie der etablierten und mächtigen Player der Kreativindustrie sei viel eher, den strukturellen Wandel aufzuhalten zu versuchen, als ihn als Chance zu begreifen. Ob Ansip und vor allem Oettinger aber die richtigen Personen dafür sind, ihnen deutlich zu machen, dass das mitnichten ihre Rettung, sondern ihren Untergang verheißen würde – daran gibt es Grund zum Zweifel.
Was sagen Sie dazu?