Wie Musiker:innen das Urheberrecht umgehen und wieso das eine gute Sache ist
Musikgenres wie Hip Hop, House, Mashups oder Drum’n’Bass beruhen auf dem Samplen. Dabei werden Ausschnitte aus vorhandenen Werken in neue musikalische Strukturen übernommen. So etabliert Sampling in den Studios der Musikproduzent:innen ist, so umstritten ist es aber vor Gericht. Wer die Musik anderer Künstler:innen sampelt, stellt sich meist die Frage: Darf ich das? Wie komme ich an eine Genehmigung? Und: Bekomme ich ohne Genehmigung urheberrechtliche Probleme?
Hintergrund für die rechtliche Unsicherheit ist in Deutschland unter anderem der Rechtsstreit zwischen Ralf Hütter von Kraftwerk und dem Hip-Hop-Produzenten Moses Pelham. Der Streit beschäftigt die Gerichte seit knapp 20 Jahren und wurde bereits vor dem Bundesverfassungsgericht (2016) und dem Europäischen Gerichtshof (2018) verhandelt – bis heute ohne konkretes Ergebnis. Seit Januar 2020 liegt der Fall wieder beim Bundesgerichtshof; die Entscheidung wird am 9. April 2020 verkündet.
Georg Fischer ist Soziologe, Journalist und DJ. Seine kunstsoziologische Studie „Sampling in der Musikproduktion. Das Spannungsfeld zwischen Urheberrecht und Kreativität“ ist im Januar 2020 beim Büchner Verlag erschienen und steht dort als Open-Access-PDF zum Download bereit. Mit nebenstehendem Text fasst Fischer für uns Erkenntnisse seiner Studie zusammen.
Sampling im Licht der empirischen Urheberrechtsforschung
Beim Streit zwischen Kraftwerk und Pelham geht es um komplizierte Fragen der Kunstfreiheit, der freien Benutzung und der Schöpfungshöhe, um die leistungsschutzrechtliche Schutzfähigkeit von Tonfetzen sowie die Konkurrenzbeziehung zwischen sampelnden und gesampelten Stücken.
Mit „Metall auf Metall“ wird das Ringen um die Legalität von Samples auf der niedrigsten Ebene musikalischer Einheiten geführt, bis hinunter zu den einfachen klanglichen Strukturen, deren ursprüngliche Herkunft nur noch für geschulte Ohren zu erkennen ist.
Für Musikschaffende, die mit fremden Samples operieren, bedeutet das große Unsicherheit. Die immensen rechtlichen Restriktionen und die bürokratischen Anstrengungen der Lizenzierung bedeuten erhebliche Eingriffe in ihr Tun. Doch was heißt das konkret?
Als Soziologe habe ich in einer langjährigen Studie erforscht, in welcher Weise sich die strengen urheberrechtlichen Regeln auf die Kreativität von sampelnden Musikproduzent:innen und ihren Labels auswirken. Ich habe also weniger die Frage bearbeitet, wie die urheberrechtlichen Maßgaben für das Sampling juristisch auszulegen wären. Stattdessen habe ich ganz gezielt danach gefragt, mit welchen Strategien Musikschaffende auf die rechtlichen Probleme reagieren und es trotz der widrigen Umstände hinbekommen, ihre samplingbasierte Musik zu veröffentlichen und zu vertreiben.
Dafür führte ich zahlreiche Interviews mit Produzent:innen, Labelbetreiber:innen und Jurist:innen, die mir Auskunft zu ihrer jeweiligen Arbeit gaben und ihre Sicht auf den Sampling-Streit darlegten. Mehrere Produzent:innen besuchte ich öfter im Studio, um dort die Praktiken des Samplings aus nächster Nähe zu erleben und ihre persönlichen Strategien im Umgang mit dem Urheberrecht zu beobachten.
Außerdem verfolgte ich die Wege, die samplingbasierte Stücke durch die verschiedenen Stationen der Musikindustrie nehmen, beispielsweise wenn sie über Plattformen wie Youtube veröffentlicht oder über Verwertungsgesellschaften wie der GEMA lizenziert werden.
Von der Umgehung der Kreativität zur Kreativität der Umgehung
Durch die jahrelange Datensammlung und -analyse erkannte ich nach und nach ein Muster der Problembearbeitung, das sich bei samplingbasierten Produktionen wiederholt zeigte. Dieses Muster besteht darin, dass Produzent:innen und Labels die juristischen Probleme des Samplings nicht auflösen (indem sie etwa Nutzungslizenzen einholen), sondern dazu gezwungen sind, darum herumzuarbeiten.
Ein beliebtes Mittel ist es zum Beispiel, ein benutztes Sample über die GEMA als Coverversion lizenzieren zu lassen, was problemlos geht, wenn beide Parteien Mitglieder der Verwertungsgesellschaft sind. Dieses Vorgehen ist rechtlich natürlich nicht einwandfrei und es funktioniert nur bei Stücken mit höchstens einem Sample – aber es zeigt den Wunsch, die genutzten Samples zu lizenzieren, aber gleichzeitig, dass die derzeitigen musikindustriellen Strukturen dafür nicht funktionieren. Denn Samples können Rechteinhaber:innen einfach ablehnen – Coverversionen nicht.
Eine andere Umgehungsstrategie besteht darin, ein problematisches Samples durch eine nachgespielte Variante zu ersetzen, da so die Klärung der Leistungsschutzrechte entfällt. Mittlerweile gibt es zahlreiche Tonstudios, die auf das perfekte Nachspielen von Samples spezialisiert sind.
Wenn Produzent:innen ihre Stücke bei Youtube oder Soundcloud hochladen wollen, stellen sich andere Probleme. Wenn die Samples von den Uploadfiltern erkannt und automatisch gelöscht werden, behilft man sich mit Tricks: Manche stellen einige Sekunden Vogelgezwitscher an den Anfang oder verändern die Geschwindigkeit, wodurch die Stücke nicht mehr erkannt werden können.
Die Gesamtheit dieser Phänomene beschreibe ich mit dem Begriff der Umgehungskreativität. Ich vertrete die These, dass die Kunstwelt des Samplings ohne die verschiedenen kreativen Umgehungsstrategien nicht so vielfältig und stabil existieren könnte, wie sie das derzeit tut.
Urheberrecht: Hemmnis oder Anreiz für Kreativität?
Bei der Frage, wie sich das Urheberrecht auf die Kreativität beim Sampling auswirkt, gibt es zwei dominante Lager: Die eine Seite behauptet, dass Kreativität aufgrund der urheberrechtlichen Restriktionen verhindert und marginalisiert werde. Sampling gehöre zu den grundlegenden künstlerischen Verfahren und die Beschränkungen zerstören Kreativität.
Die andere Seite behauptet im Wesentlichen das Gegenteil, nämlich dass das Urheberrecht die maßgebliche Grundlage für Kreativität stelle, da es als Kontroll- und Verwertungsinstrument den wichtigsten Anreiz zur Produktion und Verwertung neuer Werke biete.
Beide Lager stehen sich in der Debatte um die Rolle des Urheberrechts in der digitalen Welt gegenüber, da sie mit politischen Extrempositionen arbeiten. Den Begriff der Kreativität benutzen beide Positionen aber eher alltagsprachlich oder als Kampfbegriff, ohne genau zu definieren, was durch eine übermäßige Regulation genau verloren geht.
Schaut man in Bezug auf das Sampling genauer hin, entdeckt man: Es ist nicht so schwarz-weiß, wie es die beiden Extrempositionen suggerieren – sondern deutlich komplizierter und in Grautönen geschichtet. Meiner Meinung nach simplifizieren beide Extrempositionen das urheberrechtliche Verhältnis in ein marktgängiges Input-Output-Schema, das die Vielfalt und Stabilität der Anpassungsstrategien in der Praxis verdeckt.
Das Argument der Umgehungskreativität bedeutet hingegen, dass sampelnde Musikproduzent:innen den urheberrechtlichen Kontrollmechanismen der Musikindustrie nicht vollkommen hilflos ausgeliefert sind. Sie haben Wege und Mittel gefunden, sich selbst zu helfen und ihre Sampling-Praxis zumindest mittelfristig aufrechtzuerhalten, auch wenn sie die Situation nicht endgültig lösen können. Auch behalten sie ihre Kniffe meist für sich oder geben sie nur hinter vorgehaltener Hand weiter.
Zwischen Verwertbarkeit, Sichtbarkeit und Komplexität
Umgehungskreativität heißt aber auch, die eigenen Ressourcen zumindest teilweise aufzugeben. Dies zeigt sich am Spannungsverhältnis zwischen den drei Seiten von ökonomischer Verwertbarkeit, künstlerischer Sichtbarkeit und ästhetischer Komplexität. Ich benutze dieses Dreieck als Schema, um die urheberrechtlichen Verluste beim Sampling genauer zu bestimmen.
Generell können bei samplingbasierter Musik maximal zwei der drei genannten Ressourcen erzielt werden. Alle drei gleichermaßen zu erzielen, ist äußerst schwierig und unwahrscheinlich.
(1) Ökonomisch verwertbar wird samplingbasierte Musik eigentlich nur dann, wenn alle benutzten Samples sauber lizenziert werden. Das ist für die meisten Produzent:innen und Labels nur dann möglich und sinnvoll, wenn sie sich bei der Auswahl ihrer Samples beschränken und nur wenige, also ein bis zwei Samples pro Stück verwenden.
Oft ist wegen der Klärung von Kompositions- und Leistungsschutzrechten sogar das schon zu viel. Denn meist wollen die gesampelten Rechteinhaber:innen zu hohen prozentualen Anteilen beteiligt werden. Das führt dazu, dass in Produktionen, die ökonomisch einträglich und am Markt sichtbar sein sollen, tendenziell nur minimal Samples einsetzen.
(2) Produzent:innen können sich auch dafür entscheiden, erkennbare Samples gar nicht oder nur unzureichend zu lizenzieren. Dann gehen sie das Risiko von Klagen und finanziellen Entschädigungszahlungen ein, weswegen viele nur unter Pseudonym veröffentlichen.
Oder sie gehen dazu über, ihre Musik im Underground, also beschränkt auf bestimmte Szenen, zu veröffentlichen. Dies beschneidet allerdings ihre potentielle Sichtbarkeit als Künstler:innen sowie die generelle Sichtbarkeit von samplingbasierten Stücken, da die Praxis in unsichtbare, versteckte Bereiche abwandert.
(3) Schließlich gibt es für Musikschaffende die Möglichkeit, die ästhetische Komplexität ihrer Werke zu verringern, um künstlerische Sichtbarkeit und ökonomische Verwertbarkeit aufrechtzuerhalten. Konkret heißt das, Werke mit langen Samples, die zudem gut erkennbar sind, zu meiden.
Werke, die aus dutzenden, hunderten oder sogar tausenden Samples bestehen, sind – obwohl technisch möglich und ästhetisch reizvoll – gar nicht möglich oder nur nach ausdauernden und ressourcenverschlingenden Lizenzierungsverhandlungen. Dies führt in der Folge aber auch dazu, dass komplexe ästhetische Beschäftigungen mit bekannten Songs, insbesondere kritische Auseinandersetzungen und Zusammenführungen von weit auseinanderliegenden Quellen, strukturell abnehmen.
Wenn Praxis und Regeln nicht mehr zusammenpassen
Umgehungsstrategien sind Mittel, mit denen sich Musikschaffende einen gewissen Handlungsspielraum erschaffen, um weiterhin Samples benutzen zu können. Geschickt nutzen sie Schwachstellen in den musikindustriellen Lizenzierungsgefügen aus und erkämpfen sich auf Kosten ihrer eigenen Ressourcen teilweise ihre Reproduktionshoheit zurück.
Den Problemen komplett entfliehen können sie allerdings nicht. Trotzdem sind viele Musiker:innen von der Legitimität des Samplings als Kunstform überzeugt, auch wenn sie rechtlich fragwürdig oder sogar illegal handeln.
Dass samplingbasierte Musik trotz ihrer urheberrechtlichen Illegalität nach wie vor stabil existiert und eine bemerkenswerte stilistische Vielfalt zu bieten hat, wirkt zunächst einmal unlogisch, ist aber nicht zu leugnen. Mittels Sampling setzen sich Musikschaffende kreativ, kritisch oder konstruktiv mit anderer Musik auseinander. Sie führen Musikstücke zusammen, die ursprünglich nicht zusammen gehörten, und schaffen dadurch neue ästhetische Verbindungen. Und sie zeigen, dass die Vorstellung einer inspirationsfreien Kunst ein Mythos ist.
Insgesamt betrachte ich die Existenz und Bandbreite der Umgehungskreativität als Anzeichen dafür, dass es hier einen ausgewachsenen gesellschaftlichen Konflikt gibt. Dieser hat sich nicht kurzfristig entwickelt, sondern über Jahre hinweg aufgestaut und wird in Recht, Kunst und Wirtschaft gleichermaßen diskutiert, wie gerade der Fall „Metall auf Metall“ eindrücklich zeigt.
Die Praktiken des untersuchten Bereichs stimmen mit den dafür vorgesehenen Regelsystemen nicht überein. Es gibt also eine deutliche Kluft zwischen den Mechanismen der Regulation und den tatsächlichen Ausdrucksformen, die mittels Samplings realisiert werden.
Das ist umso verwunderlicher, wenn man bedenkt, dass die Musikindustrie in der reibungslosen Lizenzierung von Coverversionen bereits ein Instrument gefunden hat, mit referentiellen Kopien zu verfahren. Gäbe es rechtssichere Verfahren, mit denen sich Samples genauso schnell und ressourcensparend lizenzieren ließen wie beim Cover, würden alle Beteiligten auf lange Sicht profitieren: Die gesampelten Künstler:innen erhielten Mehreinnahmen, die sampelnden Künstler:innen wären sichtbarer und die Öffentlichkeit bekäme eine komplexere und kritischere Auseinandersetzung mit aktueller Musik.
1 Kommentar
1 Schmunzelkunst am 23. Januar, 2020 um 20:05
Was das Urheberrecht bzw. das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers anbetrifft, habe ich ja schon einiges gesagt. Zuletzt hier im Kommentar vom 14.01.2020: https://heise.de/-4632312
Deshalb hier nur ein Beispiel für meine praktischen Schritte auf Abwegen der “Umgehungskreativität”: https://youtu.be/m2ipPv26hXU (nur 5 Sek.)
Was sagen Sie dazu?