„Befreit die freie Benutzung!“: Mashups in der Popmusik

Mashups in der Popmusik sind Ausdruck einer kreativen Remixkultur, die von Amateuren und Profis gleichermaßen beherrscht wird – führen aber auch zu juristischen Schwierigkeiten und großer Unsicherheit bei ihren Produzenten. Denn Mashups sind illegal, solange nicht die betroffenen Rechte geklärt und Lizenzen eingeholt werden, was aufgrund der komplizierten Rechtslage beinahe nie geschieht.
Mit diesem Problem befasst sich Frédéric Döhl, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Dortmund, in seiner Untersuchung „Mashup in der Musik“. Für das Vorhaben ist er als ausgebildeter Musik- und Rechtswissenschaftler gut gerüstet. Aus diesen beiden Fachperspektiven betrachtet er das Phänomen der Mashups, um Gemeinsamkeiten zwischen ihnen zu erkennen, statt beide Perspektiven gegeneinander auszuspielen.
Aus zwei mach eins
Döhls Hauptinteresse gilt der grundlegenden Form eines Mashups, die er „Basic Mashup“ nennt. Dabei werden Elemente aus zwei unterschiedlichen Popsongs miteinander kombiniert. In der Regel vereint das „Basic Mashup“ die Gesangsspur des einen mit dem Instrumental eines anderen Songs.
Verschiedene Aspekte machen den Reiz eines Mashups aus, sowohl für die Produzenten als auch für die Rezipienten: die Popularität der Stücke, ihre Entfernung zueinander und der überraschende Effekt, der durch ihre geglückte Vereinigung entsteht. Döhl nennt dieses Prinzip „doppelte Fremdreferenzialität“, da sich das Mashup gleichzeitig auf mehrere Stücke bezieht.
Ein gelungenes Mashup macht Spaß und sorgt für seltsame Irritation. Mashup-Künstler wollen „maximale Transformation bei minimaler Manipulation“, so Döhls treffende Umschreibung. Anhand der gewählten Beispiele lässt sich gut nachvollziehen, was der Autor damit meint. 2001 etwa veröffentlichte der britische Mashup-Künstler The Freelance Hellraiser „A Stroke of Genius“, in dem er den Gesang von Christina Aguileras Pophit „Genie in a Bottle“ mit „Hard to explain“ der Indierockband The Strokes kombiniert.
Der Reiz dieses Mashups entsteht aus dem Gegensatz, der durch die ungewöhnliche Kreuzung aus langsamer Liebesschnulze und dem doppelt so schnellen Gitarrenrock entsteht. Obwohl die beiden Lieder aus unterschiedlichen Genres stammen, einem eigenen Aufbau folgen und verschiedene Zielgruppen ansprechen, funktioniert die Kombination.
Starrer Melodienschutz treibt Mashups in die Illegalität
In dem musikwissenschaftlichen Kapitel, das Döhl der Analyse der Kultur und Ästhetik des Mashups widmet, erläutert er die gar nicht trivialen musikalischen Zusammenhänge. Harmonik, Arrangement, Rhythmus, Geschwindigkeit und weitere Faktoren müssen bei der Kombination beachtet werden. Das macht Mashups zu einer Kunstform.
Doch nicht alles, was musikalisch funktioniert, ist urheberrechtlich ohne Risiko. Selbst nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das Sampling unter bestimmten Voraussetzungen genehmigungsfrei macht, sind Mashups in der Regel illegal. Denn im Gegensatz zu den kurzen Samples von wenigen Sekunden, wie sie beispielsweise im Hip-Hop verwendet werden, basieren Mashups auf den kompletten Instrumental- und Gesangsspuren existierender Popsongs. Referenzen und Wiedererkennbarkeit spielen eine zentrale Rolle, und doch entstehen ästhetisch selbständige Werke, so Döhl.
Das deutsche Urheberrecht gesteht der Melodie seit mehr als hundert Jahren einen besonderen Schutz zu. Ohne Genehmigung darf eine fremde Melodie prinzipiell nicht verwendet werden. Zwar wird im Urheberrechtsgesetz die sogenannte „freie Benutzung“ geregelt, also die Maßgabe, nach der künstlerisches Fremdmaterial benutzt werden darf (Paragraf 24 Urheberrechtsgesetz).
Der sogenannte „starre Melodienschutz“ aus dem zweiten Absatz dieser Norm schränkt die Reichweite der „freien Benutzung“ jedoch sogleich wieder ein. Dieser Melodienschutz bleibt auch nach dem Urteil des Verfassungsgerichts unangetastet. In der Konsequenz führt das zu der Situation, dass die Regelungen eine „freie Benutzung“ von Melodien komplett verunmöglichen. Das ist ein großes Problem für Mashup-Künstler: Was soll ihnen nach dem Abzug von Melodien noch bleiben?
Juristische vs. ästhetische Selbständigkeit
Die juristische Auslegung eines selbständigen Werks gerate mit den künstlerischen Möglichkeiten und den referenziellen Kompositionstechniken von Mashups, Remixen und Sampling in Konflikt, da wegen des „starren Melodienschutzes“ zu viel Musik pauschal ausgeschlossen werde, so Döhl. Er sieht die Rechtssprechung bei Mashups aufgrund des Melodienprivilegs in einer fatalen Sackgasse.
Einen Ausweg schlägt er mit der Weiterentwicklung des Prinzips ästhetischer Selbständigkeit vor, das er in Grundzügen in der Regelung zur freien Benutzung schon angelegt sieht. Dort ist bereits formuliert, dass ein „selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist,“ genehmigungsfrei veröffentlicht und verwertet werden darf.
Döhl fordert, die „freie Benutzung“ im Sinne einer lebendigen Remixkultur zu überdenken und zu Gunsten einer Ästhetik der Referenz flexibler auszulegen. Das Prinzip der „freien Benutzung“ solle also nicht weiter verengt, sondern auf Grundlage ästhetischer Prinzipien weiterentwickelt werden: „Befreit die freie Benutzung!“ so seine bündige Forderung.
Der Autor macht deutlich, dass er eine rein ökonomische Argumentation bei der juristischen Bewertung von Mashups und Sampling-basierter Musik für zu einseitig hält. Es geht Döhl nicht um die Frage, ob und nach welchen Maßgaben Samples lizenziert werden müssen und wieviel Geld für wieviel Sample bezahlt werden soll. Das ist seiner Meinung eine nachgelagerte Frage.
Der Kern seiner Untersuchung liegt darin, das Prinzip der „ästhetischen Selbständigkeit“ herauszuarbeiten. Ästhetische Selbständigkeit ist für Döhl das verbindende Element zwischen juristischer und musikwissenschaftlicher Bewertung referenzieller Musikpraxis. Es ist das Verdienst der Studie, diesen Zusammenhang zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen klar zu markieren und detailliert zu diskutieren.
Über ästhetische Selbständigkeit sei „im Angesicht ihrer ästhetischen Spezifik, Qualität und kulturellen Relevanz“ zu entscheiden. Das Konzept biete bereits Auswege, um Mashups aus der Illegalität zu holen. Man müsse nur „einen Raum für Lebendigkeit fremdreferenzieller Musikproduktion innerhalb des Urheberrechtssystems“ schaffen. Dafür muss auch das Recht seiner Argumentation zufolge verstärkt auf aktuelle musikwissenschaftliche Erkenntnisse zurückzugreifen.
Hier weist Frédéric Döhls Studie Parallelen zum Sampling-Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf, auch wenn sein Buch bereits vor dem Urteil fertiggestellt wurde: In beiden Fällen geht es um eine Stärkung der freien Benutzung gegenüber einschränkenden Bestimmungen.
Obwohl die Sprache insbesondere im Kapitel der urheberrechtlichen Analyse stark von juristischem Jargon gefärbt ist, bleibt das Buch für interessierte Laien gut verständlich. Es ist über weite Strecken flott und unterhaltsam geschrieben. Die zahlreichen Musikbeispiele, Musikerzitate und musikwissenschaftlichen Details machen es zu einer reichhaltigen Lektüre für Interessierte an Musik- und Rechtswissenschaften und laden zur selbständigen Beschäftigung mit der Materie ein.
Frédéric Döhl, Mashup in der Musik. Fremdreferentielles Komponieren, Sound Sampling und Urheberrecht, 416 S., Transcript (Print und E-Book), EUR 39,99.
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