Wem gehört das Geld der VG Wort?

Copyshop. CC BY-SA The Art Gallery of Knoxville
Nehmen wir einmal an, die Mieter eines Landes würden eine Verwertungsgesellschaft gründen. Aufgabe dieser Gesellschaft wäre es, alle Möbelstücke, die von Mietern bei ihrem Auszug zurückgelassen werden, weiter zu verwerten. Der Erlös aus dieser Verwertung flösse in einen gemeinsamen Topf und würde – je nachdem, welche Möbelstücke die Mieter an ihre Verwertungsgesellschaft gemeldet haben – anteilsmäßig ausgeschüttet. Eine praktische Sache für Mieter. Und zwar nur für Mieter! Es sind ja auch deren Möbel.
Nehmen wir weiter an, die Funktionäre dieser Möbel-Verwertungsgesellschaft würden sich über die ureigenen Interessen der Mieter hinwegsetzen und pauschal die Hälfte des Möbel-Erlöses an Vermieter und Hausbesitzer ausschütten. Sie würden ihr Tun damit begründen, dass die Mieter ja niemals Erlöse aus ihren Möbeln erzielen könnten, wenn die Vermieter ihnen nicht vorher die Wohnungen per Mietvertrag zur Verfügung gestellt hätten. Ohne Wohnungen keine Möbel, ohne Möbel keine Erlöse, ohne Erlöse keine Ausschüttung. Also kriegen die Vermieter die Hälfte der Einnahmen.
Diese seltsame, aber plausibel klingende Begründungskette würden die Mieter vermutlich Schulter zuckend akzeptieren – bis ein oberschlauer Mieter auf die Idee käme, gegen die völlig willkürliche Aufteilung der Möbelerlöse zu klagen. Dieser oberschlaue Mieter brächte das jahrelang unbeanstandet praktizierte, aber seinen Interessen schadende Geldverteilungs-Modell mit ziemlicher Sicherheit zum Einsturz.
Die Sturheit der Funktionärs-Juristen
Exakt so wie am Beispiel der Möbel-Zweitverwertung geschildert verlief die reale Auseinandersetzung um die Verwertungsgesellschaft Wort. Am vergangenen Donnerstag entschied der Bundesgerichtshof (BGH) nach jahrelangem Rechtsstreit, dass die pauschale Überweisung der Hälfte der Erlöse an die Verlage rechtswidrig sei.
Eine Verwertungsgesellschaft hat die Einnahmen aus der Wahrnehmung der ihr anvertrauten Rechte und Ansprüche ausschließlich an die Inhaber dieser Rechte und Ansprüche auszukehren … (Aus der Pressemitteilung des BGH zum Urteil, Hervorhebung W.M.)
Die Inhaber der Rechte – das sind in der Regel die Autoren.
Allein der Umstand, dass die verlegerische Leistung es der Beklagten (also der Verwertungsgesellschaft Wort) erst ermöglicht, Einnahmen aus der Verwertung der verlegten Werke der Autoren zu erzielen, rechtfertigt es nicht, einen Teil dieser Einnahmen den Verlegern auszuzahlen.
Nun hätte man sich den Prozess und das Urteil des BGH wirklich sparen können, wenn die Beteiligten vorher ihren Verstand benutzt hätten. Im Urheberrecht steht nämlich ausdrücklich, was der BGH den Prozessbeteiligten jetzt noch einmal in aller Klarheit auseinandersetzte. Warum, so könnte man fragen, war das Offensichtliche den Funktionären der Verwertungsgesellschaft – darunter sicherlich auch exzellente Juristen – so schwer zu vermitteln?
Der Hauptgrund ist wohl, dass selbst die Gewerkschaftsvertreter – die eigentlich ihre Mitglieder, die Urheber, mit ganzer Kraft vertreten sollten – die rechtswidrige Verteilungspraxis der VG Wort jahrelang gedeckt, gerechtfertigt und mit Klauen und Zähnen verteidigt haben.
Partnerschaft contra Interessenvertretung
Natürlich ist es für jede Autorin und jeden Autor sofort einsichtig, dass es ohne einen Verlag, der ein Werk verlegt, auch keine Zweitverwertungsmöglichkeiten geben kann. Im Copyshop kann eine Buchseite nur dann kopiert – und per Geräteabgabe pauschal vergütet – werden, wenn ein Verleger das Buch vorher verlegt hat. Aber diese banale Logik trifft eigentlich auf fast alles in der Welt zu. Ohne Vermieter und deren Investitionen gäbe es keine Wohnungen, in denen Mieter ihre Möbel für eine Zweitverwertung zurücklassen könnten. Ohne die Sonne gäbe es kein Leben auf der Erde.
So einleuchtend diese Kausalketten-Beispiele auch immer sein mögen, so überzeugend sie uns mitteilen, dass wir letztlich alle in einem Boot sitzen – es handelt sich um ein Argumentationsmuster, das den Wesenskern der Interessenvertretung verkennt und immer noch einem Bild von Sozialpartnerschaft verhaftet ist, das in den fünfziger und sechziger Jahren aktuell gewesen sein mag. Oder schütten die Gewerkschaften neuerdings die Hälfte ihrer Einnahmen an die Arbeitgeber aus, weil es ohne deren Investitionen in Fabriken und Läden auch keine Arbeitnehmer gäbe?
In der Auseinandersetzung um die Ausschüttungspraxis der VG Wort wurden und werden die beiden Bilder gern durcheinander geworfen: hier die enge partnerschaftliche Beziehung zwischen Autor und Verlag (die es durchaus gibt), dort die konsequente Interessenvertretung mittels organisierter Berufsgruppen. Auf Seiten der VG Wort, die mit ihren heute über 400.000 registrierten Autoren sicherlich mehr Interessenvertretung der Autoren als Sozialpartnerschafts-Vermittler sein muss, wurde viel zu lange so getan, als mache die „besondere Beziehung“ zwischen Autor und Verlag die Interessenvertretung der Autoren vollkommen überflüssig. Und das in einer Zeit, in der Autoren aufgrund sinkender Verlags-Honorare stärker auf die VG-Wort-Tantiemen angewiesen sind.
Wenn verdienstvolle Verleger nun verschreckt aus allen Wolken fallen, weil sie Gelder auf falscher Grundlage erhalten haben, ist das nicht den Autoren oder den Richtern des BGH anzulasten, sondern jenen Funktionären, die bis zuletzt stur darauf setzten, dass die Klage gegen die VG Wort keinen Erfolg haben würde.
Und noch etwas: Wohin die jetzt so lauthals beschworene „Partnerschaft“ zwischen Autoren und Verlagen im umgekehrten Falle führt, kann man an der Entwicklung des Leistungsschutzrechts gut studieren. Da haben sich die Verleger sehr schnell von ihrer ursprünglichen Idee verabschiedet, die Hälfte der zu erwartenden Tantiemen an die Autoren auszuschütten. Von der einst geplanten gemeinsamen Verwertungsgesellschaft ist längst nicht mehr die Rede. Obwohl es – logischerweise – ohne Autoren auch keine Verlagsleistungen geben kann, die unter den Schutz des Urheberrechts fallen.
Dies ist ein Crosspost von wolfgangmichal.de mit freundlicher Genehmigung.
9 Kommentare
1 Schmunzelkunst am 26. April, 2016 um 11:24
Ich würd’ das Geld den Herstellern der Kopiergeräte geben ;-).
2 E.N.Truestet am 26. April, 2016 um 11:31
Betonköpfiges Ausharren macht eine Sache nicht besser. Im Gegenteil. Miteinander Reden und Verhandeln wäre das Bessere gewesen. Nun ist das Verlagskind im Brunnen und es zeigt sich wieder einmal, dass (Markt-)Macht nicht alles ist, wenn Rechtslogik angewendet wird.
E. N. Truestet
3 Eva Brandecker am 26. April, 2016 um 11:35
Eine ganz schöne Analyse, zu der ich aber Folgendes anmerken möchte:
Sie schreiben: “Nehmen wir einmal an, die Mieter eines Landes würden eine Verwertungsgesellschaft gründen.” Müsste der Vergleich nicht so lauten, dass die Mieter und Vermieter eines Landes gemeinsam die Gesellschaft gründen? (so habe ich es bisher immer gelesen, falsch?)
Dann schreiben Sie, dass die Vermieter ihre Ansprüche mit dem Argument begründen, sie haben ja die Räume z.Verfügung gestellt, und ohne Räume … etc.
Müsste es dann nicht adäquat heißen: die Vermieter haben jahrelang mit für den Unterhalt der Räume (Beheizung. Reparaturen, etc.) gesorgt – Umzüge bezahlt, Besichtigungstouren zum Ansehen der Möbel organisiert, Personal abgestellt, dass die Möbel pflegt + repariert, Konstruktionsfehler verbessert, Werbung erstellt für die Verkaufsaktion der Möbel, etc. sicher können einem da noch mehr Parallelen einfallen … Steuern, sonst. Abgaben ….
Unter dieser anderen Voraussetzung hört sich die Verteilung der Verwertungserlöse doch schon anders an, schlüssiger und fairer, finde ich.
Zum realen Beispiel: Sie haben vollkommen recht, dass es äußerst seltsam ist, dass diese Verwertungsgesellschaft seit der Gründung 1958 in ihren Statuten eine falsche Formulierung verwendet, die juristisch beleuchtet so nicht sauber ist.
Und dass niemand je daran gedacht hat, das gerade zu rücken – in welcher Richtung auch immer. Ja, eigentlich hätten VG-Wort, Börsenverein, etc. und deren kluge Justiziare das eigentlich erkennen müssen.
Mal laut gedacht: Ist nicht eigentlich die VG-Wort haftbar zu machen, weil sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Verlage in die Mitgliedschaft gezogen hat – oder der Börsenverein, weil er seiner Pflicht als Interessensvertreter des Buchhandels nicht korrekt nachgekommen ist?
Weitere interessante Fragen wären: Woher nimmt die VG-Wort eigentlich das Geld, für die sicher wahnsinnig hohen Prozesskosten – die ja wohl der Verlierer tragen muss? Ist Kapital vorhanden, bzw. welchen Anteil an den Prozesskosten tragen die Autoren o. Verlage?
4 Wolfgang Michal am 26. April, 2016 um 17:48
@Eva Brandecker Gegründet wurde die VG Wort, so viel ich weiß, auf Initiative der Schriftsteller… (der Vergleich soll übrigens nur verständlich machen, worum es geht).
Natürlich erbringen Verlage Leistungen – aber darum geht es gar nicht. Würde man die erwähnte Kausalverknüpfung von Verlag und Autor auf sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse angewandt, kämen wir in Teufels Küche. Es ist nun mal im dt. Urheberrecht so geregelt, dass die Rechteinhaber die Urheber sind. Die Verleger (siehe Presse) machen ihrerseits Leistungsschutzrechte geltend (die sie übrigens mit den Autoren nicht teilen wollen).
Wie E.N.Truestet (lustiger Name) oben schreibt, hätte man im Verlauf der Auseinandersetzung miteinander reden können, aber Martin Vogel wurde von Anfang an übel ausgegrenzt und zum Querulanten abgestempelt.
Die Prozesskosten muss die VG Wort bezahlen (und das geht natürlich von der zu verteilenden Summe ab).
Ob man die VG Wort als solche haftbar machen kann, weiß ich nicht, das müssten notfalls Juristen klären. Man kann den Vorstand bei der nächsten Wahl aber für seine teure Sturheit zumindest politisch haftbar machen und z.B. nicht entlasten.
Problematisch ist auch, dass gewisse Autorenvertreter (ich will hier gar nicht von Seilschaften sprechen) den Verteilungsplänen immer zugestimmt haben. Diese Autorenvertreter sollten jetzt so viel Anstand besitzen und zurücktreten.
5 Eva Brandecker am 26. April, 2016 um 20:59
Nun das ist in der Tat sehr unklug gewesen, komischerweise wird darüber nichts oder nur wenig in den Medien berichtet (… hätte man im Verlauf der Auseinandersetzung miteinander reden können, aber Martin Vogel wurde von Anfang an übel ausgegrenzt und zum Querulanten abgestempelt…)
In anderen Ländern hörte ich, dass dort sowieso zwei verschiedene Verwertungsgesellschaften existieren, vielleicht das bessere Modell.
6 TW am 27. April, 2016 um 12:35
Herzlichen Dank — schöner und lesenswerter Text. Wenn doch alle so logisch denken würden wie Sie ..
7 AB am 27. April, 2016 um 13:54
Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung zu §63a UrhG ausdrücklich ausgeführt, dass Verlage an den gesetzlichen Vergütungsansprüchen beteiligt werden sollen! Die Verlage und mit ihren Worten “Funktionäre” haben sich also auf den Gesetzgeber verlassen, normalerweise fährt damit ganz gut. Und warum hat der Gesetzgeber das so begründet? Nicht, weil es ohne Verlage keine Bücher gäbe, sondern weil sie genauso wie die Autoren durch die Privatkopien, Bibliotheksausleihe etc., geschädigt werden. Wird ein Buch teilweise kopiert, ausgeliehen oder ins Intranet gestellt, wird es nicht mehr gekauft. Die vom Verlag getätiten Investitionen können sich so nicht mehr amortisieren. Ihr Vergleich hinkt.
8 Schmunzelkunst am 28. April, 2016 um 09:25
Mit den Argumenten in Kommentar 7 ließe sich auch eine Kopiervergütung für Bücher mit gemeinfreien Werken begründen, auf die sich das Urheberrechtsgesetz gar nicht anwenden lässt. Die vollständige Abschaffung
der Privatkopie-Abgaben ist für alle die beste Lösung. Das System ist überholt. Eine gerechte Ausschüttung der Einnahmen ist ohnehin unmöglich, weil man nicht zählen kann und darf, wie oft welche Werke privat kopiert werden. Mein augenzwinkernder Smilie in Kommentar 1 war nicht ernst gemeint ;-).
9 geheim am 1. Mai, 2016 um 20:31
Ein Autor bekommt vom Verlag ein Honorar X für sein Buch. Bislang ist es so, dass sich Autor und Verlag dann die Tantiemen Y von der VG Wort teilen.
Wenn in Zukunft der Autor die VG Wort-Tantiemen Y komplett bekommt, kann der Verlag das eigentlich einfach vom Honorar abziehen. Dann ist das Honorar halt einfach X – (1/2 Y).
Dem Autoren kann man das geringere Honorar sicherlich mit der Begründung verkaufen, dass er ja jetzt aufgrund des Urteils mehr von der VG Wort bekommt.
Problematisch wird das nur für Verlage, die ihre Autoren schlicht und einfach nicht bezahlen. Wenn, wie es etwa im wissenschaftlichen Bereich üblich ist, die Autoren für ihre Texte nichts bekommen und sogar noch Druckkostenzuschüsse bezahlen müssen, dann kann der Verlag das nicht einfach vom Honorar abziehen. Ich bin mir aber sicher, dass einige ihre Druckkostenzuschussforderungen entsprechend erhöhen werden.
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