Das große Verlagssterben: Lobby-Pingpong mit dem Börsenverein
Ende Oktober erschreckte der Börsenverein des deutschen Buchhandels die Stützen der deutschen Kulturnation mit einer alarmierenden Meldung: Die von der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) verlangten Rückzahlungen von 100 Millionen Euro, die den Verlagen zwischen 2012 und 2015 zu Unrecht ausgeschüttet und damit den Autoren entzogen wurden, könnten den Kulturstandort Deutschland an den Rand des Ruins bringen.
Gute Bücher würden nicht mehr verlegt, Autoren müssten verhungern und Kinder wären in Tränen aufgelöst, weil der Gabentisch zu Weihnachten leer bliebe. Die vom Börsenverein unterstützte Kurt-Wolff-Stiftung veröffentlichte parallel dazu einen herzzerreißenden Brief:
Die Rückzahlungsforderungen, die nun anstehen, lassen bereits die größten deutschen Verlagsgruppen schwitzen. Sie werden einige unserer unabhängigen Kolleginnen und Kollegen jedoch derart treffen, dass sie wahrscheinlich in die Insolvenz gehen müssen… Angesichts dessen (…), dass wahrscheinlich alle Verlage nun weniger Bücher produzieren werden, angesichts dessen, dass einigen Verlagen der Konkurs droht, angesichts dessen, dass Buchprojekte nun nicht realisiert oder fortgeführt werden, angesichts all dessen kann man von einer sehr ernsthaften Krise sprechen. Von einer Krise der Verlage und einer Krise der Literatur.
20 bis 25 Prozent aller Verlage, so der Börsenverein, seien durch die Rückzahlungsforderungen der VG Wort „akut existenzgefährdet“. Der Staat müsse deshalb unverzüglich handeln. Er müsse Gesetze ändern und Finanzhilfen gewähren. Kulturstaatsministerin Monika Grütters und die Bundestagsabgeordneten der Parteien werden dringend aufgefordert, den absehbaren Crash der deutschen Kulturnation in letzter Minute zu verhindern.
Verwertungsgesellschaften und Pauschalvergütung: Abgaben für Urheber
Musik senden im Radio, Artikel kopieren im Copyshop, Bücher ausleihen in der Bibliothek – Urheber haben das Recht, an jeder wirtschaftlichen Nutzung ihrer Werke finanziell beteiligt zu werden. Das geschieht oft in Form von Pauschalvergütungen, die von Verwertungsgesellschaften eingesammelt und weitergegeben werden. » mehr
Das Pingpong der Lobbyisten
Monika Grütters reagierte sofort: „Mit Sorge“, schrieb sie Anfang November, „beobachte ich das seitens der VG Wort in Folge der Gerichtsentscheidungen eingeleitete Rückforderungsverfahren. Dies belastet gerade kleine Verlage ganz enorm, teilweise existentiell. Mich erreichen alarmierende Berichte aus der Branche, dass trotz des guten Willens der Beteiligten auch Insolvenzen nicht auszuschließen sind.“
Mit den „alarmierenden Berichten aus der Branche“ meinte Frau Grütters vermutlich den alarmierenden Bericht des Börsenvereins. Dieser schrieb artig zurück: „Der Appell von Monika Grütters ist ein wichtiges Zeichen für die deutschen Verlage.“ So funktioniert Lobby-Pingpong in Berlin.
Die Autoren aber, die aufgrund der zurückgehaltenen Gelder seit Jahren „akut existenzgefährdet“ sind (nach meiner privaten Pi-mal-Daumen-Schätzung 20 bis 25 Prozent), haben die Kulturstaatsministerin nie so stark erschüttert, dass sie „betroffen“ oder “besorgt” darauf reagiert hätte. Was auch daran liegen mag, dass die Vertreter der Autoren nicht so dreist mit Zahlen operieren wie die Funktionäre der Verlage.
Fakten oder Fake-News?
Man möchte ja doch wissen, wie der Börsenverein jene „horrenden“ Zahlen ermittelt hat, die er so ‚überzeugend’ hinausposaunt, dass sie ungeprüft von Zeitungen und Rundfunksendern übernommen werden. Anstatt sich über falsche Facebook-Berichte aufzuregen, könnten die Medienseiten ja mal prüfen, ob es sich bei den Zahlen des Börsenvereins um belegbare Fakten oder um Fake-News handelt.
Also noch mal zum Mitschreiben für Feuilletonredakteure: Bis zu einem Viertel (!) aller (!) Verlage seien in ihrer Existenz bedroht, wenn sie das Geld, das ihnen seit 2012 nur unter Vorbehalt ausbezahlt worden ist, zurückzahlen müssen. Börsenvereins-Justiziar Christian Sprang hatte dazu im November 2015 im hauseigenen Blatt geschrieben:
Aufgrund der Risiken aus dem Verfahren Vogel gegen VG Wort hatten die VG Wort und andere Verwertungsgesellschaften bereits ihre Ausschüttungen an Autoren und Verlage in den Jahren 2012 bis 2014 unter Rückforderungsvorbehalt gestellt. Nach dem Aussetzungsbeschluss des Bundesgerichtshofs im Vogel-Verfahren hatte die VG Wort in 2015 nur Gelder an Verlage ausgeschüttet, die ihr für den Fall der Rückforderung eine schriftliche Rückzahlungsgarantie gegeben haben. Schon diese Maßnahmen basierten auf Gutachten von Anwälten, die von Geschäftsführung und Gremien der Verwertungsgesellschaft in Auftrag gegeben wurden, um Haftungsrisiken zu vermeiden.
Es war den Verlagen also seit Jahren klar, dass das Geld, das sie bekommen haben, unter Rückforderungsvorbehalt stand. Es wäre vernünftig gewesen, dieses Geld nicht in die laufenden Geschäfte zu stecken; wer es dennoch tat, ging bewusst ein Risiko ein.
0,5 Prozent vom Umsatz
Aber um welche Summen geht es überhaupt? Wie viele Verlage sind von diesen Rückforderungen betroffen? Die VG Wort spricht von rund 4.200 Verlagen. Dazu zählen große Unternehmen wie Random House, Klett oder C.H.Beck, mittlere wie Piper, Hanser oder Suhrkamp und kleinere wie Reclam oder Orell Füssli. Die hundert größten deutschen Buchverlage haben 2015 einen Umsatz von 5,71 Milliarden Euro erzielt.
Das ist eine Menge Geld, wobei die Bildungs- und Fachbuchverlage – wie Cornelsen und Haufe – in den vergangenen Jahren ordentlich zulegen konnten, während die klassischen Publikumsverlage – wie Rowohlt oder Ullstein – stagnierten oder Einbußen erlitten. Zur Dramatik besteht dennoch kein Anlass. Der Jahresumsatz der hundert größten Buchverlage bewegte sich 2015 zwischen 7,3 und 510 Millionen Euro.
Nimmt man die Höhe der vom Börsenverein wegen ihrer Wirkung gern verbreiteten Rückzahlungssumme von 100 Millionen Euro, so errechnet sich ein durchschnittlicher Rückzahlungsbetrag von lediglich 23.809 Euro pro Verlag oder 5.952 Euro pro Jahr und Verlag. Bei kleinen und Kleinst-Verlagen wird die gesamte Rückzahlungssumme eher im vierstelligen Bereich liegen, während große Verlage wie Springer Nature (Umsatz: 510 Mio. Euro) oder Westermann (Umsatz: 300 Mio. Euro) eine sechs- bis siebenstellige Summe aufbringen müssten. Würde der VG-Wort-Vorstand endlich konkrete Zahlen nennen, könnte die Diskussion auch entspannter geführt werden.
Beschränkt man sich nur auf den Umsatz der hundert größten Buchverlage – der Gesamtumsatz aller Verlage wäre größer – und stellt die jährliche Ausschüttung der VG Wort in Höhe von 25 Millionen Euro daneben, dann macht der Anteil der VG Wort-Ausschüttungen am Umsatz der Verlage nicht einmal 0,5 Prozent aus. Man muss schon von einer enormen Rechenschwäche befallen sein, um das als “akut existenzgefährdend” hinstellen zu können.
Kleinstverlage schützen mit dem Geld noch kleinerer Autoren?
Natürlich: Der Anteil der VG-Wort-Ausschüttung am Umsatz eines Verlags ist umso größer, je umsatzschwächer er ist. Doch das wird von den vorgesehenen Rückzahlungsmodalitäten bereits berücksichtigt. Nirgendwo sonst im Wirtschaftsleben wird mit säumigen Schuldnern so kulant und verständnisvoll verfahren wie bei der VG Wort. Die Zahlungsfristen, die die Autoren den Verlagen gewähren, sind länger als üblich, die Möglichkeiten des Zahlungsaufschubs vielfältig, auf die Eintreibung von Bagatellbeträgen wird ohnehin verzichtet.
Auch wäre kein Autor gegen eine Unterstützung gefährdeter Kleinstverlage analog zum österreichischen Förderungs-Modell. Die Autoren wollen und werden den kleinen Verlagen nicht schaden, im Gegenteil, sie werden ihnen – wo immer dies notwendig erscheint – entgegenkommen. Und umgekehrt können sich die von den Feuilletons so bedrängten Autoren auf das solidarische Handeln vor allem der kleinen Verlage verlassen.
Doch die notorisch klamme Situation mancher Kleinstverlage wird vom reichen Börsenverein ja nur deshalb ins Feld geführt, weil man damit die Herzen notorisch klammer Autoren erweichen kann. Da traut sich dann keiner mehr zu fragen, warum man ausgerechnet kleine Autoren, deren Existenz mindestens ebenso gefährdet ist wie die Existenz kleiner Verleger, mit kulturellen Untergangsszenarien dazu drängen will, auf ihre schmalen Rückforderungsbeträge (von wenigen hundert Euro im Schnitt) „freiwillig“ zu verzichten?
Warum springen nicht die Milliardäre und Multimillionäre Bertelsmann, Springer Science oder Westermann in die Bresche und helfen ihrer angeblich so bedrängten Branche? Allein mit dem Jahresgewinn von Bertelsmann könnten sämtliche Rückforderungen der VG Wort 30 Jahre lang beglichen werden.
Dies ist ein Crosspost von wolfangmichal.de mit freundlicher Genehmigung.
3 Kommentare
1 dot tilde dot am 23. November, 2016 um 08:59
die rückzahlungen gefährden die branche, klar. und die forderungen nach einhaltung der emissionsgrenzen zwingen volkswagen, zehntausende mitarbeiter zu entlassen.
diese hinterhältigen, überraschend vorraussehbaren gesetzlichen grundlagen der modernen geschäftstätigkeit. dass aber auch immer einer kommen muss um die zukunft der vergangenheit zu verhindern.
wie soll man da in ruhe sein mühsam konstruiertes selbstbild verbreiten?
.~.
2 David Dambitsch, Journalist am 25. November, 2016 um 17:43
Viele – nicht alle – Verlage und deren Lobbyisten jammern seit dem im April 2016 ergangenen BGH-Urteil einseitig und fortdauernd laut in allen denkbaren Medien und negieren dabei kontinuierlich, was den Urhebern von vielen – nicht allen – Verlagen seit Jahren zugemutet worden ist und wird – strategisch wohl kalkulierend, dass Urhebern eine solche Lobbymaschinerie eben nicht zur Verfügung steht. Gebot der Fairness – Fehlanzeige.
Unter welchen finanziellen Bedingungen Urheber existieren müssen, wird öffentlich in diesem Zusammenhang hingegen kaum thematisiert. Irritierend!
3 Walther am 30. November, 2016 um 10:09
Eine Branche, die ihr Geld damit verdient, bis zu 70% der Veröffentlichungen schlicht bei ausländischen, meist amerikanischen Beststellern zu kopieren, weil dieses Kopiergeschäft einfach risikoloser ist, hat es weder verdient, daß die Buchpreisbindung fortbesteht, noch hat sie es verdient, daß man sie ob der aktuellen Rückzahlungen bemitleidet. Ich kann die deutsche Verlagsbranche erst wieder ernstnehmen, wenn sie sich wirklich um den deutschsprachigen Autor bemüht, ihn fördert und auf die Büchertische bringt. Vorher ist sie nichts als Business und muß ihren Verpflichtungen nachkommen wie jeder andere Selbstständige, also viele Autoren, Lektoren, Übersetzer, Agenten und Druckdienstler, auch.
Was sagen Sie dazu?