Verfassungsrichter Masing: EuGH droht, „liberale Linien des Äußerungsrechts zu unterlaufen“
„Der Riese ist getroffen“, hieß es in der FAZ kurz nach dem Google-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), andere Kommentatoren sehen in jeder Löschung von Suchtreffern aus Datenschutzgründen eine ungerechtfertigte Zensur. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich die Diskussion über das EuGH-Urteil, das zwar kein gänzlich neues Recht schafft, einen Löschanspruch aber auch gegenüber Suchmaschinen durchsetzbar macht. Eine bislang nur wenigen bekannte, ebenso abwägende wie zugleich harsche Kritik des Urteils stammt von Johannes Masing.
EuGH-Urteil: Licht, aber erheblich mehr Schatten
Masing ist beim Bundesverfassungsgericht zuständig für Verfahren zu Pressefreiheit, Demonstrationsrecht und Datenschutz. Innerhalb einer Woche nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 13. Mai dieses Jahres hat Masing eine 24 Seiten lange Auseinandersetzung mit dem Urteil verfasst. Sie ist datiert auf den 21. Mai und trägt den Titel „Vorläufige Einschätzung der ‚Google-Entscheidung‘ des Europäischen Gerichtshofs“. Der Kern seiner Einschätzung lässt sich sinngemäß in vier Aussagen zusammenfassen:
- Es sei richtig, dass europäisches Datenschutzrecht auch für Google gelten muss.
- Auch ein „Recht auf Vergessen“ sei grundsätzlich eine sinnvolle Idee.
- Das konkrete Urteil des Europäischen Gerichtshofs stärke jedoch Googles Macht.
- Es schaffe zwischen Persönlichkeitsrechten und Kommunikationsfreiheit „ein Ungleichgewicht, das die liberalen Linien des Äußerungsrechts zu unterlaufen droht.“
Das ist eine schwerwiegende Kritik, die zwar bereits von einigen Experten ähnlich geäußert wurde, allerdings nicht in der Tiefe, in der Masing sie ausführt. Masings Position ist analytisch so fundiert und weitsichtig, wie man es von jemandem erwarten darf, der seit Jahren höchstrichterliche Urteile zum Themenfeld spricht. Daher ist sie hoch interessant für die gesamte Diskussion des Urteils und seiner Folgen. Masings Text selbst veröffentlicht iRights.info jedoch nicht. Warum?
Warum wir Masings Text nicht veröffentlichen
- Hintergrund: Wir mussten abwägen, wie wir einerseits dem Recht der Öffentlichkeit auf Information gerecht werden, andererseits aber auch dem Recht Masings, über seinen Text zu verfügen. Die Analyse ist bislang unveröffentlicht, und wir haben von ihm keine Erlaubnis zur Veröffentlichung bekommen. Den Text dennoch zu veröffentlichen – und damit sein Urheberrecht zu verletzen –, könnten wir nur damit begründen, dass das Interesse der Öffentlichkeit am gesamten Wortlaut schwerer wiegt als Masings Recht, darüber zu bestimmen, wann, wie und wo sein Text veröffentlicht wird.
- Ein Interesse der Öffentlichkeit ist zwar gegeben. Denn es ist ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang, dass sich ein Richter des Bundesverfassungsgerichts mit einer derartigen Einschätzung direkt und vertraulich an Politik und Datenschützer wendet. Denn man kann der Ansicht sein, dass das die Gewaltenteilung zwischen Rechtsprechung und Gesetzgebung berührt. Noch dazu ein Urteil betreffend, das er nicht selbst gefällt hat, aber das Themenfeld betrifft, zu dem er in Deutschland höchstes Recht spricht. Das ist Grund genug für eine Berichterstattung. Aber eben nicht für die Veröffentlichung des Textes.
- Im Fall eines Rechtsstreits wäre die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Gerichte zugunsten Masings entscheiden würden. Doch obwohl wir als kleine Redaktion langwierige und damit teure juristische Auseinandersetzungen scheuen (müssen), war das nicht der Grund, der den Ausschlag gegeben hat. Vielmehr war es die Abwägung (berufs-)ethischer Prinzipien, die in diesem Fall unserer Ansicht nach zu dem Ergebnis kommt, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit auch dadurch angemessen befriedigt werden kann, dass wir ausführliche Auseinandersetzungen mit dem Text veröffentlichen.
- Hätte Masing seine Analyse im Auftrag der öffentlichen Hand – etwa eines Ministeriums oder einer Datenschutzbehörde – verfasst, wären wir wohl zu einem anderen Schluss gekommen.
Masings Analyse verdient eine offene Debatte
Diese Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen, denn das ist ein Ergebnis, das niemanden wirklich zufrieden stellen kann. Liegt das Papier wie bis jetzt nur einzelnen Akteuren aus Politik und Datenschutz vor, verhindert das, dass sich jeder interessierte Bürger mit seiner Position im Detail beschäftigen kann. Daher hoffen wir darauf, dass Johannes Masing seine Ansicht ändert und einer Veröffentlichung zustimmt.
Unsere Leser können sich aber ein Urteil anhand der Einschätzungen bilden, die wir hier veröffentlichen. Eine stammt von Thorsten Feldmann, Ansgar Koreng und Carlo Piltz von der Kanzlei JBB, Experten in Fragen des Datenschutzrechts und der Meinungsfreiheit, die andere vom iRights.info-Mitgründer und Experten für Informationsrecht Till Kreutzer:
2 Kommentare
1 Martin Bündgens am 1. August, 2014 um 00:47
Ja, ich finde es amüsant, wenn Herr Masing den Begriff “Ungleichgewicht” im IT Recht verwendet. Von wem er das nur hat ?
Er hat in der Beurteilung soweit recht, dass es etwas “weit geht”, … nur kann ich einen der Verfassungsrichter, der “Ausspähen von Daten” als “nicht schädlich” bestätigt hat… eben so ein “Ungleichgewicht” nicht ganz ernst nehmen.
Das “Datenschutz” demnach kaum einen Wert für Herrn Masing besitzt steht dieser Analyse doch etwas entgegen :)
2 Tobias Weisserth am 1. August, 2014 um 01:29
Wir sind in anderen Bereichen schon längst weiter, was die Einschränkung von Meinungsfreiheit, freie Rede (in Wort und Bild), sowie die Freiheit der Kunst angeht. Man sehe sich einfach mal das so genannte “Recht am Bild” an, das quasi einem Ausübungsverbot bestimmter Fotografieformen gleichkommt. das “Recht auf Reset” ist davon nicht weit entfernt.
Was sagen Sie dazu?