Besser als die Kulturflatrate wäre eine Infrastruktur-Pauschalabgabe
Wer das geltende Steuerrecht für ungerecht und reformbedürftig hält, wird selten gefragt, ob er denn Steuern insgesamt abschaffen wolle und wie das Gemeinwesen sich dann finanzieren solle. Wer hingegen für Reformen des Urheberrechts eintritt, wird oftmals mit solchen Fragen konfrontiert, die sich eher wie Vorwürfe anhören. Wenn man das Urheberrecht aushöhlt (und Reformbestrebungen werden reflexartig immer nur als Aushöhlung des Rechts verstanden), wovon sollen Kreative dann noch leben?
Die Einkommensschere
Wovon leben sie eigentlich derzeit? Fakt ist: Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist ein Wachstumsmarkt, dessen Beitrag zum Bruttosozialprodukt höher ist als der der Chemieindustrie. Trotzdem kommen die meisten Kreativschaffenden kaum finanziell über die Runden. Doch so wie ein Dan Brown auskömmlich von seiner Arbeit leben kann, während viele andere Schriftsteller arme Kirchenmäuse blieben, gibt es auch in anderen Bereichen Gewinner und Verlierer des Marktes. Es herrscht, grob gesagt, das 80:20-Prinzip: 80 Prozent des Geldes landen bei 20 Prozent der Kreativschaffenden. Kunst und Kultur sind ein Stargeschäft. The winner takes it all.
Glaubt man derart ungebrochen an das Heil freier Märkte, dass man ihre Ergebnisse grundsätzlich für nicht korrekturbedürftig hält, kann man sich an dieser Stelle bequem zurücklehnen. Dann aber braucht man auch kein „stärkeres“ Urheberrecht. Weder eine Ausdehnung des Schutzbereichs, noch härtere Sanktionen zu seiner Durchsetzung, die den 80:20-Effekt eher noch verstärken würden, da die ohnehin schon einträglichen und erfolgreichen Werke noch intensiver und länger monetarisiert werden könnten, während für die weniger kommerziell erfolgreichen Künstler, unter Umständen aber subjektiv interessanteren oder wertvolleren, noch weniger Geld übrig bliebe. Sondern man kann alles dem freien Spiel der Kräfte überlassen.
Im Klartext: Es stimmt nicht, dass Kreative grundsätzlich schlecht verdienen und deshalb stärker geschützt werden müssten. Vielmehr geht die Einkommensschere auf kulturellen Märkten extrem auseinander. Die Frage zu stellen, wovon Kreative leben sollen, wenn sie von ihrer Arbeit nicht leben können, ergibt nur Sinn, wenn man sie als Frage nach einer gerechteren Einkommensverteilung auf diesen Märkten stellt.
Dieser Ansatz begegnet natürlich einem gehörigen Maß an Skepsis. Wer sollte beurteilen, welche Kunst wertvoller ist als eine andere, welche besser bezahlt zu werden verdient, als sie vom Markt bezahlt wird? Tatsache ist jedoch, dass auch heute schon über solche Fragen entschieden wird. Filmförderung, Autorenstipendien, Rundfunkgebühren und sonstige Subventionen: Wenn die Gesellschaft den Markt derart kontinuierlich stützt, muss sie sich auch vorbehalten dürfen, Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer anderen als der bisherigen Verteilung der Gewinne führen. Welche, das müsste verhandelt werden. Unbestritten dürfte aber sein, dass es Kunst und Kultur gibt, an deren Entstehen die Gesellschaft ein Interesse hat, obschon sie sich offenkundig am Markt nicht refinanzieren kann.
Der digitale Wandel
Es gibt immer Kunst, die besser ankommt als andere – sei es, weil sie besser ist, sei es, weil sie massentauglicher ist. In diesem Sinne ist eine ungleiche Einkommensverteilung im Bereich Kunst und Kultur kein Wunder. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass, wenig überraschend, der Markterfolg von Künstlern wesentlich mit ihrer Stellung im Verwertungsprozess zu tun hat. Publizieren kann man heutzutage quasi kostenlos, konkurriert dann aber auf dem Markt mit kapitalstarken Medienkonzernen.
Zudem ist das Prinzip, durch den Verkauf von Werkexemplaren die Arbeit der Urheber zu refinanzieren, durch den digitalen Wandel zusätzlich unter Druck geraten. Werke, die in digitaler Form vorliegen, lassen sich verlustfrei kopieren und verbreiten, während sich dieser Prozess zugleich nicht mehr kontrollieren lässt. Mit dem Verkauf einzelner Exemplare lässt sich also kein Gewinn mehr erwirtschaften. An die Stelle des Verkaufs von immateriellen Gütern in Form von Waren ist die Kontrolle des Zugangs zu solchen Gütern getreten. Dabei hat sich die Verwertungskette beträchtlich verlängert:
Inhalteseite | Infrastrukturseite | ||
Urheber | Verwerter | Diensteanbieter | Netzanbieter |
Rezipienten | |||
Autoren, | Verleger | UGC-Portale | Telekom, |
Filmemacher, | Labels etc. | Onlinehoster | O2, |
User Generated Content | Newsdienste etc. | 1&1 etc. |
Rezipienten geben heute wohl kaum weniger Geld für Mediennutzung aus als vor zehn oder zwanzig Jahren. Eine Telefon/Internet-Flatrate, eine mobile Flatrate, SMS-/Roaming und sonstige Gebühren, Download-Kosten für Anwendungen, vom Geld für Endgeräte ganz zu schweigen. All dies sind Access-Kosten, aber Access heißt: Zugang zu einer Vielfalt von Inhalten. Nur kommt bei den Urhebern wenig von diesem Geld an.
Seit Langem stehen deshalb Diensteanbieter in der Kritik, die mit neuen Geschäftsmodellen auf urheberrechtlich geschützte Inhalte aufsetzen, ohne im urheberrechtlichen Sinne Werknutzer zu sein. Folglich müssen sie auch keine Tantiemen an Rechteinhaber zahlen. Zum Beispiel Rapidshare: Der Musik- und Filmindustrie stößt es bitter auf, dass Onlinehoster die Haftung für Urheberrechtsverstöße auf ihre Nutzer abwälzen, während sie selbst für widerrechtlich eingestellte urheberrechtlich geschützte Inhalte nur dann zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie nachgewiesenermaßen Kenntnis davon haben. Rapidshare profitiert von geschützten Inhalten, ohne zu zahlen, meinen die traditionellen Verwerter. Dito Google News: Zwar verwendet die Suchmaschine nur kleine Ausschnitte geschützter Texte, trotzdem möchten die Zeitungsverleger den Urheberrechtsschutz am liebsten so weit ausdehnen, dass solche Dienste miterfasst wären – und folglich tantiemenpflichtig.
Doch auch von der anderen Seite werden die Diensteanbieter bedrängt. Die Netzanbieter, also die Telekommunikationsunternehmen von Vodafone über O2 bis hin zu 1&1, fühlen sich ebenfalls ausgenutzt, weil Videoportale, soziale Netzwerke und ähnliche Unternehmen die ihnen zur Verfügung gestellte Infrastruktur nutzen, um mit datenintensiven Diensten Geld zu verdienen, dafür aber nur wenig an die Netzanbieter zahlen. Die Telekommunikationsunternehmen wollen deshalb, dass die Diensteanbieter zukünftig Geld dafür blechen, dass ihre Datenpakete schneller als normal zum Endnutzer weitergeleitet werden.
Der zentrale Verteilungskampf spielt sich also zwischen Verwertern, Diensteanbietern und Netzanbietern ab. Verlage und Labels streiten mit Onlinehostern und Videoportalen, die ihrerseits im Clinch mit Telekommunikationsunternehmen liegen. Dass aber diejenigen, die im Netz derzeit am meisten Geld verdienen, von beiden Seiten der Verwertungskette her unter Druck stehen, wird letztlich weder den Urhebern noch den Nutzern etwas bringen. Denn weder werden die Urheber mehr Geld bekommen, wenn die Diensteanbieter an die Verwerter zahlen, noch werden die Nutzer einen billigeren Zugang zu den Inhalten bekommen, wenn die Netzanbieter bei den Diensteanbietern abkassieren.
Im Gegenteil, sie werden sogar mehr zahlen müssen, weil sie zukünftig für neue, „übertragungssichere Qualitätsdienste“ zusätzlich zur Kasse gebeten werden. Schließlich hat der Wettbewerb auf der Zugangsseite, wie er durch Priorisierungsmaßnahmen befördert werden soll, erklärtermaßen zum Ziel, mehr Geld in die Kassen der Netzbetreiber zu spülen. Die Folge: Für Urheber bleibt am Ende noch weniger übrig als bisher.
Kulturflatrate und Netzneutralität
Dennoch hält sich hartnäckig die Meinung, der Streit ums Urheberrecht sei ein Interessenkonflikt zwischen Urhebern und Nutzern. So hartnäckig, dass es scheinbar sogar schon eine Patentlösung zu seiner Befriedung gibt: die Kulturflatrate. Die Grundidee dieses hauptsächlich von den Grünen vertretenen Modells besteht darin, dass Bürgerinnen und Bürger eine Art Internet-GEZ-Gebühr zahlen sollen, die dann an Urheber ausgeschüttet werden könnte. Im Gegenzug soll die öffentliche Zugänglichmachung urheberrechtlich geschützter Werke zu nicht-kommerziellen Zwecken legalisiert werden.
Reizvoll ist an diesem Modell, dass zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden könnten. Zum einen könnte erreicht werden, dass das Geld ohne Umwege über Intermediäre direkt von den Rezipienten an die Produzenten künstlerischer Werke fließt. Indem man die Intermediäre ausbootet, könnte man sicherstellen, dass Urheber einen größeren Teil vom Kuchen abbekommen als heute, wo sie sich die Erlöse mit Verwertern, Diensteanbietern und Telekommunikationsunternehmen teilen müssen.
Zugleich könnte man dafür sorgen, dass das Geld auf der Urheber-Seite anders verteilt wird als bisher. Man könnte beschließen, die Erlöse nicht mehr nach bloßem Markterfolg, sondern nach anderen Kriterien zu verteilen. Wie auch immer man das macht – eine gerechtere Verteilung als die derzeitige, bei der wenige Großverdiener gut fahren, während die meisten Künstler Hungerkünstler bleiben, müsste hinzubekommen sein.
Eine Kulturflatrate in diesem Sinne wäre ein ziemlich radikaler Eingriff in den freien Markt. Zweifellos könnte er tatsächlich zu einer gerechteren Verteilung beitragen. Nur findet er auf der falschen Seite statt. Er beseitigt den freien Wettbewerb auf Seiten der Inhalteanbieter, während er ihn dort, wo er am meisten schadet, nämlich auf Seiten der Infrastrukturanbieter, unangetastet lässt. Im Kern läuft die Kulturflatrate darauf hinaus, den Preis für kulturelle Inhalte nicht mehr vom Markt bestimmen zu lassen, sondern stattdessen eine Pauschalabgabe für die Nutzung jeglicher Inhalte zu erheben. Stellte man sich das Modell spiegelbildlich auf der anderen Seite der Verwertungskette vor, also nicht dort, wo die Urheber ihr Geld verdienen, sondern wo die Nutzer es zahlen, sähe es so aus, dass man den Wettbewerb der Netzeanbieter abschaffen und stattdessen eine Pauschalabgabe für die Inanspruchnahme jeglicher Zugangsinfrastruktur erheben müsste.
Vielleicht wäre das nicht die schlechteste Lösung. Wenn jeder Bürger fünf Euro im Monat zahlen würde, um pauschal alle Telekommunikationsnetze nutzen zu dürfen, hätte er jeden Monat eine Menge Geld für die Bezahlung von Urhebern übrig, was sicher dazu beitragen könnte, den Streit ums Urheberrecht einvernehmlich zu beenden. Mit einer solchen Pauschalabgabe könnten womöglich nicht alle Verluste kompensiert werden, die den Telekommunikationsunternehmen durch diesen gesellschaftlich wünschenswerten Wandel entstehen würden. Aber dann müssten sie sich eben neue Geschäftsmodelle ausdenken, die unter den gewandelten Bedingungen funktionieren und von den Kunden auch tatsächlich nachgefragt werden. Und das Problem mit der Netzneutralität wäre auch gelöst.
Dass niemand eine solche Forderung erhebt, während die Kulturflatrate in aller Munde ist, zeigt deutlich, welches Kräfteverhältnis derzeit zwischen Inhalteanbietern und Infrastrukturanbietern herrscht.
Ilja Braun arbeitet als Übersetzer, Journalist und als Referent der Linksfraktion für die Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“ in Berlin und Köln.
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