Straßenfotografie bleibt Abwägungssache: Verfassungsgericht weist Beschwerde ab
Wer Fotos von anderen Menschen veröffentlicht, muss sie in der Regel vorher fragen. Doch es gibt Ausnahmen: Etwa dann, wenn Bilder ausgestellt oder verbreitet werden, weil es einem „höheren Interesse der Kunst“ dient. So steht es im Kunsturhebergesetz. Für das Genre der Straßenfotografie und ihre dokumentarisch-erzählerischen Aufnahmen im öffentlichen Raum ist diese Ausnahme oft entscheidend.
Aus Sicht vieler Fotografen hat sie nur einen Nachteil: Wann das Pendel für ein „höheres“ Interesse der Kunst, wann für das reguläre Interesse der Abgebildeten ausschlägt, ist selten klar erkennbar. Das „Recht am eigenen Bild“ hat viele Facetten. Nun hat das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde eines Fotografen abgewiesen, der infolge eines Streits um eines seiner Fotos die Kunstform der Straßenfotografie gefährdet sah.
Leihhaus und Schlangenmuster-Kleid: Straßenfotografie in Berlin-Charlottenburg
Der Fotograf Espen Eichhöfer und eine von ihm abgebildete Dame stritten darüber, ob ihr Bildnis im Kontext einer Kunstausstellung der Galerie C/O Berlin verwendet werden durfte. Das Foto, als Tafel auf der Straße vor dem Museumsgebäude aufgestellt, gehörte zur Ausstellung „Ostkreuz. Westwärts – Neue Sicht auf Charlottenburg“. Sie fand 2013 als Open Air vor dem im Umbau befindlichen Amerika-Haus statt.
Eichhöfer hatte die Abgebildete ohne Einwilligung im öffentlichen Raum des Berliner Stadtteils fotografiert. Auf dem Foto war sie in einem Kleid mit Schlangenmuster abgebildet; Designer-Handtasche in der einen, Plastiktüten in der anderen Hand. Sie empfand die Darstellung als unvorteilhaft, fühlte sich herabgesetzt. Auf dem Foto könne es aussehen, als komme sie aus dem im Hintergrund sichtbaren Leihhaus. Auch wenn das Bild in der Öffentlichkeit aufgenommen wurde, zeige es einen privaten Lebensvorgang, argumentierte sie.
Der Fotograf wiederum berief sich auf die Kunstfreiheit. Die Rechte der Abgebildeten würden nur geringfügig beeinträchtigt. Er habe sie nicht als Person porträtiert; vielmehr kämen im Motiv und den Details der Bildkomposition die Gegensätze des Berliner Bezirks, die „Heterogenität Charlottenburgs“ als Allegorie zum Ausdruck.
Fotograf und Agentur wollten Grundsatzurteil erstreiten
Der Fotograf hatte sich nach einer Abmahnung verpflichtet, das Bild nicht weiter zu verwenden, wandte sich aber gegen weitere Forderungen, die die Abgebildete vor Gericht geltend machte. Das Landgericht Berlin hatte ihr zwar keine Entschädigung zugesprochen, Eichhöfer und die Galerie C/O Berlin aber dazu verurteilt, die Anwaltskosten zu tragen.
Die Persönlichkeitsrechte der Abgebildeten seien zwar nicht besonders schwer, aber dennoch erheblich verletzt worden, begründete das Gericht in erster Instanz sein Urteil. Nachdem das Kammergericht Berlin die Berufung zurückwies, kündigten Eichhöfer und seine Agentur Ostkreuz den Gang nach Karlsruhe an. Dazu sammelten sie Geld per Crowdfunding ein.
Verfassungsgericht: Straßenfotografie bleibt möglich
Wie jetzt bekannt wurde, hat das Verfassungsgericht die Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 8. Februar 2018, Aktenzeichen 1 BvR 2112/15). Der Streit werfe keine grundlegenden Fragen zur Kunstfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf, die nicht bereits geklärt worden seien. Auch sei nicht erkennbar, dass die Gerichte den Fall bislang mit einer „grundsätzlich unrichtigen Anschauung“ der Grundrechte beurteilt hätten.
Den Anmerkungen des Verfassungsgerichts zufolge haben die Gerichte es im Streit angemessen berücksichtigt, dass das strittige Foto mehr als nur einem „kunstinteressiertem Publikum“ in den Ausstellungsräumen zugänglich gewesen sei. Die Fotografierte sei durch ihr Bildnis auf einer Tafel im öffentlichen Raum „als Blickfang einer breiten Masse ausgesetzt“ gewesen.
Da dieser Umstand für den Streit entscheidend sei, werde Straßenfotografie als Kunstform durch die Gerichtsentscheidungen „nicht generell unmöglich gemacht“. Solche prinzipiellen Hürden hatten Eichhöfer und die Agentur Ostkreuz an der Rechtsprechung kritisiert.
Straßenfotografie als Genre: Ausnahme Einwilligung
Trotz der nicht angenommenen Beschwerde äußert sich die Agentur Ostkreuz in einer Pressemitteilung wohlgestimmt. Das Verfassungsgericht habe in seiner Begründung gleichwohl anerkannt, dass „die ungestellte Abbildung ohne vorherige Einwilligung“ zu den Charakteristika der Straßenfotografie gehöre.
Das Fehlen einer Einwilligung sei auch vom Verfassungsgericht als „strukturtypisches Merkmal“ des Genres benannt worden. Anders gesagt: Was normalerweise rechtlich die Regel, ist in dieser Kunstform die Ausnahme. In der Tat knüpft das Verfassungsgericht an einen Grundsatz an, den es bereits in früheren Entscheidungen entwickelt hatte. Ein Kunstwerk müsse „werkgerecht“ beurteilt werden, also nach den Maßstäben der jeweiligen Kunstform und des Genres.
Kunstfreiheit vs. öffentlicher „Blickfang“
Für Fotografen ändert sich durch den Ausgang des Streits unmittelbar nichts: Ob Fotos ausnahmsweise auch ohne Einwilligung der Abgebildeten ausgestellt oder verbreitet werden dürfen, muss wie bislang im Einzelfall, unter Abwägung gegen Persönlichkeitsrechte bewertet werden. Die Randbemerkung des Verfassungsgerichts könnte Fotografen aber zugute kommen, falls weitere Fälle vor Gericht landen.
Doch auch ungefragt Abgelichtete können sich mit dem Ausgang des Rechtsstreits bestätigt sehen: Je stärker strittige Fotografien in der Öffentlichkeit sichtbar sind, je mehr sie als „Blickfang“ über den rechtfertigenden Kontext der Kunst hinaus verwendet werden, desto stärker können Gerichte auch die Rechte der Abgebildeten gewichten.
Daraus folgt nach der Begründung des Verfassungsgerichts nicht, dass die Kunstfreiheit nur auf Museen und andere der Kunst zugewiesenen Räume beschränkt bleibt. Allerdings zählt neben dem Gehalt eines Werks auch sein Kontext: Wo und wie es präsentiert wird, kann andere mehr oder weniger stark in ihren Rechten berühren.
1 Kommentar
1 Schmunzelkunst am 11. April, 2018 um 13:05
“Für Fotografen ändert sich durch den Ausgang des Streits unmittelbar nichts”. Aber mit Wirksamwerden der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ab dem 25. Mai 2018 sieht das zumindest für ins Internet hochgeladene Fotos wahrscheinlich anders aus.
vgl. z.B. Benjamin Horvath:
http://www.cr-online.de/blog/2018/03/09/das-ende-der-freien-veroeffentlichung-von-personenbildnissen-fuer-die-meisten-von-uns/
Diese und andere Publikationen mit gleichem Tenor werden zur Zeit in Fotokreisen heiß diskutiert.
MfG
Johannes
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