Thorsten Feldmann: „Man hat als Fotograf schon viele Möglichkeiten, Foto-Veröffentlichungen zu rechtfertigen“
[Aktualisiert am 7.3.2015, näheres dazu unten.]
Hintergrund: Der Berliner Fotograf Espen Eichhöfer hält gerne Alltagsszenen des Berliner Straßenlebens fest. Ein Foto, auf dem eine Passantin abgebildet ist, wird Teil einer Ausstellung. Die Betroffene will sich jedoch so nicht öffentlich gezeigt sehen, mahnt auf Unterlassung ab, die der Fotograf auch erklärt und das Bild abhängt. Dennoch klagt die Betroffene danach auf Schmerzensgeld und Erstattung ihrer Abmahnkosten. Mit ihrer Klage hatte sie im Hinblick auf das Schmerzensgeld keinen Erfolg, ging aber in Berufung. Doch auch der Fotograf geht – unterstützt durch seine Fotoagentur Ostkreuz – in die Berufung, weil er zur Zahlung der Abmahnkosten verurteilt wurde und durch die damit einhergehende Feststellung, dass das Foto in diesem Falle rechtswidrig gewesen sein soll, die künstlerische Freiheit der Straßenfotografie insgesamt gefährdet sieht und daher grundsätzliche Änderungen der Rechtslage erreichen will.
iRights.info: Der Fotograf Espen Eichhöfer und die Fotoagentur Ostkreuz meinen, dass die juristischen Voraussetzungen für Straßenfotografie unscharf sind und dringend klarer definiert werden sollten. Was halten Sie davon?
Thorsten Feldmann: Es geht hier in dem Fall um das Recht am eigenen Bild der abgebildeten Person, das im Paragraf 23 des Kunsturhebergesetzes geregelt ist. Dieses besagt, dass Fotos grundsätzlich nur mit Einwilligung des Betroffenen öffentlich zur Schau gestellt oder verbreitet werden dürfen.
Doch werden im selben Gesetz bestimmte Ausnahmen normiert, wonach zugunsten höherer Interessen eine Veröffentlichung und auch eine Veröffentlichung gegen den ausdrücklichen Willen des Betroffenen erlaubt ist. Dies gilt zum Beispiel für Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte.
Eine weitere ausdrückliche Erlaubnis zur Veröffentlichung betrifft Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt wurden und deren Veröffentlichung einem höheren Interesse der Kunst dient. Dieses höhere Interesse der Kunst würde ich auch für den Fall mit der Dame in der Felljacke annehmen wollen.
iRights.info: Sie meinen die Kunst der dokumentarischen Alltags- und Straßenfotografie.
Thorsten Feldmann: Ja, das kommt auch in einem TV-Beitrag auf Arte zur Sprache, der die ikonografischen Fotografien aus den 50er- und 60er-Jahren diesem Genre zuordnet. Man muss dann abwägen, ob ein Foto dem Interesse der Kunst oder anderen Zwecken dient.
Ferner müssen ausdrücklich die Interessen des Betroffenen, von einer Abbildung verschont zu bleiben, in die Abwägung eingestellt werden. Keinesfalls ist es so, dass Straßenfotografie aus dem Bereich der Kunst von vornherein unzulässig wäre. Es kommt vielmehr auf den Einzelfall an.
iRights.info: Hat die betroffene Dame nicht das Recht, sich dagegen zu wehren, Teil eines Kunstwerkes zu sein?
Thorsten Feldmann: Das Gesetz besagt, dass die Zulässigkeit einer Bildnisveröffentlichung nicht allein vom Willen des Betroffenen abhängt. Deshalb wird er aber nicht schutzlos gestellt. In manchen Fällen überwiegen die Interessen des Betroffenen, in manchen Fällen eben nicht. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Mitunter müssen die persönlichen Interessen hinter dem höheren Interesse der Kunst zurückstehen. Das müsste man dann in diesem Fall diskutieren.
Auch dieser Fall ist ein Einzelfall. Ich denke, dass er durch die erste Instanz im Kern falsch entschieden wurde. Zwar hat das Landgericht vollkommen richtig geurteilt, dass es für die Klägerin weder eine Lizenz noch ein Schmerzensgeld geben darf. Das Gericht lag aber mit der Verurteilung des Fotografen zur Zahlung der Anwaltskosten daneben, weil es damit zum Ausdruck gebracht hat, dass es die Veröffentlichung der Fotografie grundsätzlich als unzulässig betrachtet. Dies ist nun auch Gegenstand der anhängigen Berufung, durch die das erstinstanzliche Urteil hoffentlich aufgehoben wird.
iRights.info: Es geht also um die Klärung eines Einzelfalls, aber Sie erkennen keine grundsätzlich neue juristische Dimension, die höhere Gerichte beschäftigen müsste?
Thorsten Feldmann: Einen grundsätzlichen Charakter würde ich diesem Fall nicht verleihen. Der Arte-Beitrag vermittelt so ein bisschen den Untergang des Abendlandes. Er setzt sich nicht mit den rechtlichen Voraussetzungen der Zulässigkeit auseinander, sondern lässt nur den Fotografen zu Wort kommen, der ja befangen ist und daher keine objektive Auskunft zur Sache geben kann.
Fakt ist, dass das Gesetz eine Erlaubnis von Fotoveröffentlichungen zu künstlerischen Zwecken vorsieht. Natürlich gibt es immer Leute, die diese Erlaubnis weiter oder enger auslegen, aber darüber kann und muss man streiten. Dies geschieht im hiesigen Fall wie es in vielen anderen Fällen auch schon geschehen ist.
iRights.info: Das Foto zeigt die Betroffene wohl nahe eines Pfandleihhauses. Das könne Spekulationen über sie nähren. Zudem sehe sie im Gesicht und aufgrund von Faltenwürfen ihres Kleides nicht vorteilhaft aus, heißt es.
Thorsten Feldmann: Das kann ich nachvollziehen, das muss dann gewiss in die Abwägungen einbezogen werden, ob die Abbildung ihrem Ruf besonders abträglich ist – so abträglich, dass im Einzelfall die Kunstfreiheit zurückzutreten hat. Das kann man diskutieren. Man wird prüfen müssen, ob das Foto dahingehend zu deuten ist, dass es eine Sachaussage enthält und ob diese falsch ist. Wenn sie dann falsch ist, wird man dies in der Abwägung berücksichtigen müssen. Persönlich finde ich das Argument aber ein wenig konstruiert.
iRights.info: Der Frau ging es darum, dass dieses Foto nicht mehr in der Ausstellung hängt. Durch das Abhängen wurde es der Öffentlichkeit aller Galeriebesucher entzogen. Dennoch stellt sich die Frage, ob durch das Gerichtsverfahren auch die Nutzung von Fotos durch Medienproduzenten und in sozialen Netzwerken betroffen wäre?
Thorsten Feldmann: Das Kunsturhebergesetz unterscheidet zunächst nicht und spricht von einer „öffentlichen Zurschaustellung oder Verbreitung“, der Maßstab ist also medienübergreifend derselbe. Doch bei der erwähnten Abwägung zum strittigen Fall ist gewiss zu berücksichtigen, dass die Belastungsintensität oder auch der Verbreitungsgrad in so einer Kunstausstellung nicht doch ein wenig geringer ist als bei einer Veröffentlichung im Netz.
Aber das ist nur ein Faktor von vielen. Ich bin mir sicher: Wenn man den Fall sauber und umfassend gerichtlich klärt, wird vermutlich dabei herauskommen, dass man das Foto hätte zeigen dürfen, zumindest in der Ausstellung. Alles andere wäre ein Fall für den BGH und das Bundesverfassungsgericht.
iRights.info: Was ist mit den Millionen Hobbyknipsern? Da nimmt man mal eben eine Straßenszene mit dem Smartphone auf und hat zehn fremde Leute gut erkennbar im Bild – die kann man nicht alle um Erlaubnis fragen. Andererseits kann sich auch nicht jeder zum Künstler und seinen Schnappschuss zur Kunst erklären, oder?
Thorsten Feldmann: Der Kunstbegriff ist bei uns im Recht sehr umstritten. Was ist Kunst? Ist Graffiti Kunst? Diese Diskussionen kennen wir, und darüber wird man sich auch hier im Konkreten zu streiten haben, was dem Interesse der Kunst dient und was nicht.
Bei Fotoveröffentlichungen diskutiert man aber meistens den Aspekt der Zeitgeschichte. Wir hatten in unserer Praxis schon Fälle, bei denen es um die idealtypische Abbildung einer Familie aus den 50er-Jahren ging. Das war dann auch Zeitgeschichte. Man kann also auch ohne Bezug zur Kunst mit historischen Personenaufnahmen arbeiten. Es muss im Einzelfall nur sauber argumentiert sein.
All dies zeigt: Man hat als Fotograf schon viele Möglichkeiten, Foto-Veröffentlichungen zu rechtfertigen, auch ohne Einbeziehung des Abgebildeten. Wenn er nicht zustimmt, dann hat man immer noch die gesetzlichen Möglichkeiten für die Rechtfertigung. Und wenn die dann zu verneinen sind, hat das oft einen triftigen Grund, der im Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zu finden ist.
Natürlich ist es ärgerlich, dass so eine Frau abmahnt, das wirkt schon dünnhäutig. Wenn man sie aber die Unterlassungserklärung erhält, hat sie mehr als sie in meinen Augen verlangen kann und sollte sich damit zufrieden geben und nicht noch mit Kostenforderungen und unbegründeten Schmerzensgeldforderungen nachlegen.
Vor diesem Hintergrund finde ich die Schlagzeilen um „unscharfe Voraussetzungen“ und „klare Definitionen“, die dieser Fall jetzt produziert, ein wenig übertrieben. Das war schon immer so. Es ist aber beileibe noch nie so gewesen, dass die Interessen des Abgebildeten immer zwingend bevorzugt werden oder dass auf jeden Einwurf eines Abgebildeten eine Veröffentlichung untersagt werden müsste – das stimmt nicht.
iRights.info: Könnte es auch als Drohgebärde gemeint sein, nicht immer sofort zu Abmahnungen zu greifen und stattdessen an die Kunst zu denken? Von der man ja auch profitieren kann, etwa in Fotobänden, die in zwanzig Jahren über das Leben im Jahr 2014 erzählen.
Thorsten Feldmann: Naja, ich denke, solche Fälle animieren die Leute eher, abzumahnen und den Medien Geld abzupressen, wenn sogar Fotografen behaupten, dass Straßenbilder per se unzulässig sind. Das wäre dann also keine Drohung, sondern eine Ermutigung, wenn man so einen Fall so groß öffentlich macht. Der zweite Punkt ist, solche Appelle muss man an den Gesetzgeber richten, da wären sie gut aufgehoben.
iRights.info: Der Fotograf und die Agentur Ostkreuz gehen dennoch in die Öffentlichkeits-Offensive, etwa mit ihrer Crowdfunding-Kampagne für die Verfahrenskosten.
Thorsten Feldmann: Ich weiß nicht, was sie treibt. Womöglich gibt es ja einen Zusammenhang mit dem Widerstand gegen die sogenannte Lex Edathy, die Justizminister Heiko Maas jüngst vorgestellt hat (Paragraf 201a, Absatz 2, Strafgesetzbuch). Da geht es um Bildaufnahmen, die geeignet sind, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden. Im Klartext meint das, dass Fotos, die dem Ruf des Betroffenen abträglich sein können, nicht veröffentlicht werden dürfen. Das ist unbestimmt, das ist zu offen, das ist nach meiner Meinung nicht mit der Meinungs- und Pressefreiheit zu vereinbaren. Wenn man sich gegen das Gesetz einsetzt, ist dies eine gute Sache.
Doch in diesem Fall mit diesem Gesetzesentwurf zu argumentieren, als würde es alle Fotos, die bei der Galerie C/O Berlin oder anderswo als Straßenfotografie gezeigt werden, in Zukunft komplett verhindern ist nicht richtig. Im Übrigen ist diese Norm der Lex Edathy im Zusammenhang mit der Verschärfung des Sexualstrafrechts erlassen worden. Das Justizministerium ist mit dem Gesetz weit über das Ziel hinausgeschossen, weil es die Veröffentlichung von Bildern generell tangiert.
In jedem Fall muss das Gesetz verfassungskonform ausgelegt werden – was nicht der Fall wäre, wenn man die Kunstfreiheit oder die Meinungs- und Pressefreiheit unberücksichtigt lässt und den Interessen des Abgebildeten am Unterbleiben einer Veröffentlichung automatisch den Vorrang einräumt. Die Frage ist auch, ob ein solches neues Gesetz überhaupt verfassungsgemäß wäre. Offen gestanden halte ich das Gesetz für skandalös.
iRights.info: Warum?
Thorsten Feldmann: Beim Aspekt der Bloßstellung denken die Politiker ja immer an Fotos, die von Dritten auf Facebook gepostet werden und die jemanden zeigen, der in seinem eigenen Erbrochenen auf einer Party auf dem Boden liegt, nicht mehr Herr seiner selbst ist und am Montag danach ins Büro kommt, wo sich dann alle gemeinsam freuen. Wenn man die Bloßstellung hinreichend eng auslegt, ist das ja auch in Ordnung. Nur scheint mir der Wortlaut uferlos.
Außerdem: Fotos, die Bloßstellungen der Abgebildeten bedeuten, können in der Demokratie und damit für die Meinungsfreiheit mitunter von großem Wert sein. Denken Sie mal an das Foto aus Rostock-Lichtenhagen, wo der Mann mit der vollgepissten Hose und im Deutschland-Trikot den Hitlergruß zeigt. Das ist natürlich eine Bloßstellung, aber das muss gerechtfertigt sein – ist doch klar, und darf doch nicht strafbar sein. Natürlich ist der Typ bloßgestellt und sein Ruf ist erheblich beeinträchtigt. Ja, aber so ist es! Und über den Paragraf 201a wäre die Veröffentlichung dieses Bildnisses vielleicht strafbar. Das darf nicht sein.
iRights.info: Die ungefragte Verwendung dieses Fotos ist ja gerade in der Diskussion. Tragen Debatten um Abmahnung, Persönlichkeitsrechtsverletzung und Kunstfreiheit dazu bei, über Künstler und Medien hinaus auch breite Bevölkerungskreise zu sensibilisieren?
Thorsten Feldmann: Ich finde solche Debatten generell gut, denn dann erkennt auch der Laie, wie das Leben in juristischer Hinsicht funktioniert. Wie aber Jan Böhmermann gegen den Fotografen vorgeht und diesen disst, finde ich nicht in Ordnung. Er ist klar im Unrecht, der Fotograf ist klar im Recht. Natürlich hätte der Fotograf vor seiner Abmahnung anders handeln können. Aber wenn er sich für die Abmahnung entscheidet und Jan Böhmermann diese akzeptiert, dann sollte er den Fotografen nicht an den – auch noch öffentlich-rechtlichen – Medienpranger stellen. Er hätte ja für seine Meinung streiten können, hat er aber nicht gemacht. Das ist unanständig.
Zur Aktualisierung am 7.3.2015: Zum Zeitpunkt des Interviews war nicht bekannt, dass der Fotograf zur Erstattung der Abmahnkosten verurteilt wurde. Damit stellt das Gericht fest, dass das Foto rechtswidrig gewesen sein soll. Der Fotograf geht nach eigener Aussage in Berufung, weil er dadurch nicht nur die künstlerische Freiheit der Straßenfotografie insgesamt gefährdet sieht. Dieser Sachverhalt ist für die Bewertung des Rechtsstreits entscheidend. Wir haben daher mit Thorsten Feldmann Rücksprache gehalten und das Interview entsprechend aktualisiert.
3 Kommentare
1 Wolfgang Ksoll am 4. Februar, 2015 um 09:16
Was soll es uns lernen? Personen sollen bei uns weniger Rechte haben als Häuser (siehe Streetview :-)
Na ja, ist ja Karneval.
2 Henry Steinhau am 4. Februar, 2015 um 09:29
@Wolfgang Ksoll: Gewiss nicht. Thorsten Feldmann erklärt doch dazu, dass das Persönlichkeitsrecht nicht generell sondern in bestimmten Fällen auch mal hinter der Kunstfreiheit zurückstehen müsse, worüber dann aber auch – wenn es Zweifel oder Klage gibt – (gerichtlich) gestritten werden könne.
(Und „Karnevalsrecht“ ist ja sowie was ganz anderes ;-)
3 Kristian Peters am 4. Februar, 2015 um 16:55
@ Herr Ksoll
Ein Haus hat keine Recht an seiner eigenen Fassade. Google anonymisiert auf Antrag vollständig freiwillig. Ein sehr problematisches und in meinem Augen völlig falsches Verhalten, denn dadurch entstehen genau diese Rechtsirrtümer.
Grüße
Kristian Peters
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