Neue Forderung zur Patent-Aussetzung bei Covid19-Impfstoffen – Alternatives Insulin in der Entwicklung
Die Covid19-Pandemie hat die Welt nach wie vor fest im Griff. Das lässt den Ruf nach einer internationalen Strategie zur Impfstoff-Freigabe lauter werden. Die Situation ist allerdings verfahren: Seit einiger Zeit schon verhandelt die Welthandelsorganisation (WTO) eine Ausnahmeregelung von den Urheberrechtsbestimmungen des TRIPS-Abkommens zur Regelung des internationalen Handels. Hintergrund ist eine temporäre Aussetzung der Schutzrechte der Patente für die Covid19-Impfstoffe.
TRIPS-Abkommen regelt Patent- und Urheberrechte
Die Abkürzung TRIPS steht für „Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights“. Dieses Abkommen über handelsbezogene Aspekte geistigen Eigentums trat 1995 in Kraft und gilt als als einer von drei Pfeilern der Welthandelsorganisation – neben den Freihandelsregeln für Waren (GATT) und Dienstleistungen (GATS).
Das TRIPS-Abkommen soll sicherstellen, dass Staaten für den Schutz geistigen Eigentums bestimmte, festgelegte Standards einhalten müssen, wenn sie am internationalen Freihandel teilnehmen wollen. Das beinhaltet beispielsweise die Regel, dass Urheberrechte für ein Werk mindestens 50 Jahre lang gelten.
Das TRIPS-Abkommen schützt auch Patente, also Schutzrechte, die ein Staat für eine Erfindung an Einzelpersonen oder Unternehmen erteilen kann. Für eine gesetzlich bestimmte Zeit führt das Patent dazu, dass niemand sonst die Erfindung ohne Erlaubnis des Inhabers oder der Inhaberin nutzen oder vermarkten darf. In Deutschland gilt dieser Schutz gemäß Paragraph 16 des Patentgesetzes 20 Jahre lang.
EU und Deutschland: Widerstand gegen temporäre Patentaussetzung
Im Oktober 2020 hatten zunächst Indien und Südafrika bei der Welthandelsorganisation beantragt, die TRIPS-Bestimmungen – also auch die Schutzrechte für Impfstoff-Patente – für die Zeit der Pandemie auszusetzen.
Das sollte ihnen die Möglichkeit geben, selbst die benötigten Impfstoffe herzustellen. Mittels freiwilliger Lizenzen können Inhaber*innen von Patenten das „Rezept“ für die Herstellung von mRNA-Impfstoffen freigeben. Dabei müssen die Nachnutzer*innen aber besondere Konditionen einhalten und Lizenzgebühren bezahlen.
Mehr als 100 Länder unterstützen den Vorschlag von Indien und Südafrika, darunter auch die USA. Zahlreiche Länder wie das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, Australien, Brasilien, Japan, Norwegen oder die Schweiz lehnen die Aussetzung allerdings ab.
Auch die Europäische Union und allen voran Deutschland weigern sich, den Vorschlag für den sogenannten „TRIPS-Waiver“ in der Welthandelsorganisation zu unterstützen. Ihre Befürchtung: Ohne Patentschutz werde sich der Anreiz zu Innovation und Forschung für Pharmafirmen verringern.
Eine zügige Entscheidung ist unwahrscheinlich. Im September und Oktober werden die WTO-Mitglieder erneut zusammenkommen, um zu beraten.
Offener Brief: Ausnahme von TRIPS beschleunige Impfstoffproduktion
Der jüngste Aufruf von mehr als hundert Wissenschaftler*innen und Jurist*innen richtet sich insbesondere an die widerständigen Länder und fordert sie auf, die Ausnahmeregelung zu unterstützen.
In dem Schreiben heißt es, die TRIPS-Ausnahmeregelung sei eine notwendige und verhältnismäßige Maßnahme, um die Produktion von COVID-19-Impfstoffen und -Therapeutika zu steigern. Sie stehe auch für die Verpflichtung des TRIPS-Übereinkommens, dass wohlhabende Länder globale Technologietransfers und Wissensweitergabe fördern sollen.
Weiter heißt es in der Erklärung:
Die pharmazeutische Industrie beteiligt sich nach wie vor nicht in ausreichendem Maße freiwillig an den vorgeschlagenen globalen Mechanismen zur gemeinsamen Nutzung von geistigen Eigentumsrechten, Daten und Know-How zur Pandemiebekämpfung. Daher ist die Möglichkeit, die Regeln des TRIPS-Abkommens auszusetzen, von entscheidender Bedeutung, um eine radikale Erhöhung der Produktionskapazitäten und damit der Versorgung mit COVID-19-Impfstoffen sicherzustellen. (Übersetzung iRights.info)
Bereits Anfang des Jahres hatten sich zahlreiche Forscher*innen des College of Law der American University in Washington dafür ausgesprochen, Restriktionen geistigen Eigentums temporär außer Kraft zu setzen, um die Verbreitung des Covid19-Virus einzudämmen (iRights.info berichtete).
Kommt bald ein Open-Source-Insulin?
Einen echten Systemwechsel hin zu Open-Source-Impfstoffen hat es bislang nicht gegeben. Die komplexe Gemengelage bei der Impstofentwicklung und -produktion erklärten Milena Leybold und Leonhard Dobusch kürzlich bei iRights.info (Warum gibt es keinen Open-Source-Impfstoff gegen das Covid-19-Virus?).
Auch in anderen medizinischen und pharmazeutischen Bereichen wird schon seit längerem über Alternativen zu restriktiven Patent- und Urheberrechten diskutiert, so beispielsweise auch bei der Produktion von Insulin. Das Hormon Insulin, das eigentlich von der Bauchspeicheldrüse gebildet wird und den Glukosespiegel im Blut kontrolliert, ist für Diabetiker*innen lebenswichtig, aber auch sehr teuer.
Eine Gruppe, die sich als „Biohacker“ bezeichnet, will das weltweit erste Open-Source-Modell zur Insulinherstellung entwickeln. Dafür haben sie die gemeinnützige Organisation Open Insulin Foundation gegründet. Die Organisation hat es sich zum Ziel gesetzt, die nachhaltige Herstellung und Open-Source-Alternativen von Insulin zu fördern.
Auch sollen offene Äquivalente zu proprietären Produktionsanlagen, nachhaltige Regulierungswege, um das Insulin an die Öffentlichkeit zu bringen, sowie Pläne für lokale Produktionspiloten im kleinen Maßstab entwickelt werden.
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