Warum gibt es keinen Open-Source-Impfstoff gegen das Covid-19-Virus?
Die Covid-19-Pandemie gehört zweifellos zu den größten gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Seit dem Ausbruch des Virus im Dezember 2019 sind mehr als drei Millionen Menschen an den Folgen einer Infektion mit Covid-19 gestorben. Zudem zeigen sich desaströse Nebeneffekte: Wirtschaften leiden unter Lockdowns; Kinder können nicht zur Schule gehen; und eine zunehmende Zahl von Menschen hat mit psychischen Problemen zu kämpfen.
Im Dezember 2020 wurde die erste Person mit dem offiziell genehmigten mRNA-Impfstoff von Pfizer/BioNTech namens „COMIRNATY“ in Großbritannien geimpft. Russland begann mit Massenimpfungen mit dem Impfstoff Sputnik-V. Kurze Zeit später erhielten auch weitere große Pharmaunternehmen wie Moderna, AstraZeneca, Sinovac oder Johnson & Johnson Zulassungen zur Markteinführung ihrer Impfstoffe.
Dennoch kommen die Impfkampagnen langsamer voran als erwartet: Die Nachfrage für Impfstoffe übersteigt die Produktionskapazitäten der Pharmaunternehmen. Außerdem werden die Impfstoffe weltweit nicht in gleichem Maße verteilt. Der ungleiche Zugang zu Impfstoffen ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit – er erhöht auch das Risiko, dass das Virus in nicht- oder nur wenig geimpften Ländern mutiert und neue Infektionswellen ausgelöst werden.
Gibt’s da nicht auch was mit Open Source?
Im Januar 2021 bezeichnete der WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus das Ungleichgewicht bei der Verteilung von Impfstoffen als „katastrophales moralisches Versagen“. Er forderte die Länder des Globalen Nordens auf, den Schutz geistigen Eigentums aufzuheben, damit Länder auf der ganzen Welt Impfstoffe produzieren können.
Auch die People’s Vaccine Alliance – ein Zusammenschluss von über 50 gemeinnützigen Organisationen, darunter Amnesty International oder Oxfam – fordert auf ihrer Website, den Impfstoff Covid-19 als Gemeingut anzubieten:
Die größte Chance für die allgemeine Sicherheit liegt darin, die Verfügbarkeit des COVID-19-Impfstoffs als globales Allgemeingut für alle zu gewährleisten. Dies wird nur möglich sein, wenn sich die Art und Weise, wie Impfstoffe produziert und vertrieben werden, ändert – die Pharmaunternehmen müssen es möglich machen, dass der COVID-19-Impfstoff so weit wie möglich produziert wird, indem sie ihr Wissen patentfrei zur Verfügung stellen.
Stattdessen schützen die Unternehmen ihre Monopole und errichten Barrieren, um die Produktion einzuschränken und die Preise in die Höhe zu treiben. Das gefährdet uns alle. Kein einziges Unternehmen kann genug Impfstoffe für die ganze Welt produzieren. Solange Impfstofflösungen unter Verschluss gehalten werden, wird es nicht genug für alle geben. Wir brauchen einen Volksimpfstoff, keinen Profitimpfstoff. (Übersetzung durch Georg Fischer, Anm. d. Red.)
In diesem Text widmen wir uns deshalb der folgenden Frage: Wäre es nicht möglich, die Entwicklung eines Open-Source-Impfstoffs zu organisieren, der weltweit produziert und verteilt werden könnte? Warum dies nicht in Frage kommt, dazu geben uns Medienartikel und Regierungserklärungen eine Reihe von Argumenten. Schauen wir uns diese einmal an.
Wie das Patentsystem für Impfstoffe funktioniert
Die meisten der geschilderten Argumente beziehen sich auf das Patentsystem und seinen Nutzen – sogar in Zeiten einer globalen Pandemie. Ein Patent ist ein Exklusivrecht zum Schutz einer Erfindung, etwa eines neuen Produkts oder Verfahrens. Solch eine geschützte „Erfindung darf nicht ohne die Zustimmung des Patentinhabers kommerziell hergestellt, benutzt, vertrieben, importiert oder verkauft werden“ (Übersetzung durch Georg Fischer, Anm. d. Red.). Das schreibt die WIPO, die Weltorganisation für geistiges Eigentum, vor. Patentinhaber erhalten zeitlich befristete Monopole (für 20 Jahre oder länger), die es ihnen erlauben, ihre Erfindungen zu verwerten.
Ein Patent für einen Impfstoff erzeugt demnach eine künstliche Knappheit, die den Wert des Impfstoffs steigern soll. Neben der Substanz des Impfstoffs selbst („Substanzpatent“) lassen sich in der Regel auch die Verfahren zur Herstellung der Substanz patentieren („Verfahrenspatent“). Dies geschieht entweder durch die Patentinhaberin des Substanzpatents oder andere, die ihr Verfahrenspatent an die Patentinhaberinnen der Substanz lizenzieren.
Die Patentinhaberin entscheidet, wer wieviel ihres Impfstoffs im Rahmen der Lizenzierung herstellen darf. Der Hauptgrund zur Erteilung von Patentrechten ist die materielle Belohnung der Erfinder. Patente dienen somit als Anreiz für Kreativität und Innovation, und gleichzeitig zwingen sie ihre Erfinder, ihre Innovationen öffentlich zugänglich zu machen. Aber: Trägt diese Argumentation auch in Zeiten einer weltweiten Gesundheitskrise?
Argument 1: Der Schutz geistigen Eigentums mittels Patenten ist der beste Weg, um zukünftige Innovationen sicherzustellen
Im Oktober 2020 forderten Indien und Südafrika, den Patentschutz für Covid-19-Impfstoffe zeitlich befristet auszusetzen. Dies würde, so die beiden Länder, dazu beitragen, die Knappheit der Impfstoffe zu überwinden, die Preise zu senken und die weltweit ungleiche Impfstoffverteilung auszugleichen.
Die EU, Großbritannien und – bis zu ihrem kürzlich bekannt gegebenen Kurswechsel – die USA waren dagegen: Sie argumentierten, dass dieser Schritt die wichtigsten Innovationsanreize für Pharmaunternehmen unterlaufe. Die WTO-Vertreter dieser wohlhabenden Länder sind – beziehungsweise im Fall der USA waren – der Ansicht, den Arzneimittelherstellern weiterhin Innovationsanreize geben zu müssen, um auf künftige Mutationen vorbereitet zu sein. Ihre Forschung refinanziere sich aus den Gewinnen der bestehenden Impfstoffe. Und durch die Aussicht auf zukünftige Gewinne würden die Unternehmen Investorengelder einwerben.
Dieses Argument ist allerdings keineswegs unbestritten – und zwar im Allgemeinen genauso wie bei den Covid-19-Impfstoffen im Besonderen. Erstens beschreibt die Refinanzierung von Forschung und Entwicklung über die Verwertung bestehender Patente nur einen Aspekt der Arzneimittelentwicklung. Im Fall der Covid-19-Impfstoffe etwa haben die Staaten rund 86 Milliarden Euro investiert, um eine effiziente Entwicklung zu unterstützen und materiell zu fördern. Die Anreize waren also schon während des Entwicklungsprozesses gegeben – und damit vor der festen Zusage der Entwickler, dass der Impfstoff tatsächlich einhält, was er verspricht.
Öffentliches Geld – öffentliches Gut?
Gerade weil die Entwicklung der Impfstoffe zu einem großen Teil öffentlich finanziert wurde, wenden Kritikerinnen ein, dass Pharmaunternehmen ihre Patentrechte nicht für Profit ausnutzen sollten – vielmehr sollte der Impfstoff als öffentliches Gut behandelt werden.
Die NGO Human Rights Watch, die sich für die Wahrung der Menschenrechte einsetzt (Anm. d. Red.), fordert: „Regierungen sollten sich dringend zusammenschließen, […], transparent sein und kooperieren, um den Nutzen der von ihnen finanzierten wissenschaftlichen Forschung zum Wohle der Menschheit zu teilen.“
Eine Idee für eine solche staatliche Intervention stammt von Südafrika und Indien (und wird von der WHO unterstützt): Die Inhaberinnen von geistigem Eigentum sollen gezwungen werden, für die Zeit der Pandemie auf die Rechte ihres geistigen Eigentums zu verzichten.
Zwar kreist die öffentliche Debatte zu dieser Idee hauptsächlich darum, den Patentschutz aufzuheben – tatsächlich wäre eine solche Ausnahmeregelung aber weit umfassender: Sie würde „fast alle Rechte des geistigen Eigentums wie Urheberrecht und verwandte Rechte, gewerbliche Muster, Patente, nicht offengelegte Informationen und deren Durchsetzung betreffen, die Hindernisse für die Bewältigung der COVID-19-Pandemie darstellen können“, so die Resolution.
Argument 2: Die Freigabe von Patenrechten ist nicht hilfreich: Den Herstellern fehlt das Know-How zur Produktion patentfreier Impfstoffe
Der US-Pharmahersteller Moderna erhielt Millionen öffentlicher Mittel (hauptsächlich von den USA und zwischenstaatlichen Organisationen wie der CEPI) und willigte ein, die eigenen Patentrechte während der Pandemie nicht durchzusetzen. Das klingt zunächst sehr erfreulich, um Zugang zu Impfstoffen in Entwicklungsländern herzustellen, Massenproduktion auf der ganzen Welt zu fördern und damit die Preise pro Dosis zu senken.
Allerdings erfordert die Impfstoff-Produktion mehr Wissen, als über ein Patent geteilt wird: Die Produktion eines Impfstoffs gelingt erst durch die Kombinationen verschiedener Patente (zum Beispiel zum Schutz einer Technologie zur Impfstoffentwicklung, von bestimmten Molekülen oder Präparaten).
Ein Medikament oder Impfstoff ist daher in der Regel an ein ganzes Bündel von Patentrechten gebunden; diese werden entweder von Dritten lizenziert oder gehören demselben Patentinhaber, der auch den Impfstoff entwickelt hat).
Patente sind das eine – Urheberrechte und Geschäftsgeheimnisse das andere
Die Gesetzgebung schützt mittels Immaterialgüterrechte jedoch nicht nur Erfindungen über Patente, sondern auch andere Formen relevanten Wissens durch Urheberrechte sowie den Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Beiden kommt eine große Relevanz bei der Produktion von Impfstoffen zu. Urheberrechte etwa schützen die technischen Geräte, die es braucht, die mRNA für die Impfstoffe herzustellen (insbesondere Software, die in diesen Geräten zum Einsatz kommt).
Geschäftsgeheimnisse, so eine Brancheneinschätzung, „umfassen Daten aus klinischen Studien (beispielsweise, welche Kandidaten funktionieren und welche nicht, oder wie verschiedene Patientenpopulationen auf sie reagieren), eine biologische Datenbank oder Zelllinien, die für die Produktion verwendet werden.“
Diese Sicht teilt auch Ellen ‘t Hoen, Mitbegründerin eines Medizinischen Patent-Pools der WHO und Direktorin einer gemeinnützigen Organisation namens „Medicines Law & Policy“, die sich für einen besseren Zugang zu Medikamenten einsetzt. Laut ihrer Einschätzung ist die Zusammensetzung von Impfstoffen weitaus komplexer als die von „üblichen“ Medikamenten.
Manche Impfstoffe werden mittels lebendiger Organismen kultiviert. Die Hersteller müssen also genau über Kultivierungsverfahren und Zelllinien Bescheid wissen. Und dieses Wissen wird in der Regel geheim gehalten – geschützt durch Geschäftsgeheimnisse.
Es ist also die Kombination aus Patenten, Urheberrechten und Geschäftsgeheimnissen, die einen Wettbewerbsvorteil sichert. Es reicht nicht aus, die Ausübung von Patent- und Urheberrechten auszusetzen: Um die Impfstoffentwicklung voranzutreiben, müssten auch die Geschäftsgeheimnisse offengelegt werden. Moderna beispielsweise gibt keinerlei Information über den Herstellungsprozess (inklusive Zelllinien etc.) preis; die Impfstoffproduktion verbleibt daher trotz Verzicht auf Durchsetzung von Patentrechten exklusiv in deren Hand.
Auch das Know-How zur Herstellung ist relevant
Ein Kommentar im Wall Street Journal von November 2020 fasste das Problem des fehlenden Herstellerwissens folgendermaßen zusammen: „Es ist nicht sicher, dass Entwicklungsländer überhaupt die Möglichkeiten haben, groß angelegte, komplexe Technologien wie den mRNA-Impfstoff von Moderna oder den monoklonalen Antikörper-Cocktail von Eli Lilly herzustellen – geschweige denn zu vertreiben.“
Ellen ‘t Hoen hingegen argumentiert, dass zumindest Produktionskapazitäten in den Entwicklungsländern vorhanden wären. Deren Nutzung erfordere allerdings „die Weitergabe des Know-hows und der Technologie durch diejenigen, die sie in den Händen haben“.
In der Vergangenheit wurden Wissen und Technologie durchaus in Länder wie Indien transferiert – trotz vergleichbarer Bedenken, dass sie diese nicht anwenden könnten (beispielsweise im Kontext der Produktion und Nutzung von Tamiflu, Hepatitis-Medikamente oder Gileads Remdesivir). Die Frage, warum es nicht möglich sei, Geschäftsgeheimnisse offenzulegen – gerade während einer globalen Pandemiekrise – bleibt also bestehen.
Wie kommt man zu einem Open-Source-Impfstoff?
Reto Hilty, Direktor des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb, gibt einen weiteren Aspekt zu bedenken: Er sagt, dass Schutzrechte von Covid-Impfstoffen – insbesondere Impfstoffe, die auf der mRNA-Technologie basieren – „auch noch andere, sehr vielversprechende Anwendungsgebiete haben, nämlich in der Krebstherapie“.
Hilty argumentiert, dass der Verzicht auf grundlegende geistige Eigentumsrechte für solche vielversprechenden Bereiche während einer Pandemie-Krise gefährlich sein kann. Das Engagement der Pharmaunternehmen, in diese Zukunftstechnologien zu investieren, könne verloren gehen. In Einklang mit Argument 1 geht er also davon aus, dass das Patentsystem die Hauptantriebskraft ist, um zukünftige Erfindungen zu sichern, was die Kraft der intrinsischen Motivation der Erfinderinnen unterschätzen könnte, in diesen Krisenzeiten zu helfen. Gibt es da draußen nur gewinnorientierte Initiativen?
Nein. Die „Open Source Pharma Foundation“ (OSPF) hat es sich als gemeinnützige Organisation zum Ziel gesetzt, „erschwingliche neue Therapien in Bereichen mit großem Gesundheitsbedarf zu entwickeln, indem sie Open-Source-Prinzipien der Softwareindustrie nutzt“. Die Stiftung umfasst vier Projekte, die auf die Covid-19-Pandemie reagieren. Eines davon heißt „OpenVax“. Das Projekt steht unter der Leitung von OSPF und wird in Zusammenarbeit mit der Harvard Medical School und dem National Institute for Research in Tuberculosis der indischen Regierung durchgeführt. OpenVax ist nach eigener Angabe kurz davor, „mehrere Phase-3-Studien zum COVID-19-Impfstoff zu starten“.
Im August 2020 begann die Stiftung damit, Finanzmittel in Höhe von 10 Millionen US-Dollar von der US-Regierung und privaten Investoren einzuwerben (unter anderem mittels Crowd-Funding). Dennoch scheint die Initiative ins Stocken geraten zu sein – ein Phänomen, mit dem kleine Forschungs- und Entwicklungs-Initiativen offensichtlich öfters zu kämpfen haben, bevor sie in die kostenintensiven Phase-3-Studien gehen. Einige Wissenschaftlerinnen der Universität Finnland behaupten, dass die größte Herausforderung darin besteht, die Finanzierung für diese kostspielige und riskante Phase zu erhalten – was uns zum dritten und letzten Argument führt.
Argument 3: Es ist zu riskant, kleine Teams von Wissenschaftlerinnen zu unterstützen, die einen patentfreien Impfstoff entwickeln wollen
Kalle Saksela, Virologe an der Universität Helsinki, gibt an, dass ihre Initiative zur Entwicklung eines Impfstoffs nicht von der finnischen Regierung unterstützt wurde. Die Begründung: Die Organisation könne das Risiko nicht alleine schultern. Es ist schwer, diesen Punkt nachzuvollziehen. Besonders wenn man bedenkt, wie viele Milliarden Euro Regierungen an Firmen wie Moderna oder AstraZeneca für die Impfstoffentwicklung ausgegeben haben – bevor überhaupt klar war, ob der Impfstoff eine Marktzulassung erhalten würde.
Doch während das Risiko bei der Medikamentenentwicklung auf die Solidargemeinschaft verteilt werden kann, tragen die großen Pharmaunternehmen nach erfolgreicher Zulassung den Großteil des Risikos, wenn Impfschäden auftreten. Sobald ein Impfstoff ein Allgemeingut ist, muss die Haftungsfrage nach einer Zulassung anders geregelt werden.
Eine Frage der Organisation?
Wir sind Organisationswissenschaftlerinnen. Die Frage, wie die Haftung besser aufgeteilt werden könnte, damit kleinere Teams die Entwicklung eines patentfreien Impfstoffs voranbringen, der dann von vielen Herstellern auf der ganzen Welt produziert wird, betrachten wir als eine Sache der Organisation.
Zwischenstaatliche und interorganisationale Kooperationen (inklusive „Big Pharma“) sind wahrscheinlich der Schlüssel für eine alternative Organisation der Haftung. Die Regierungen müssen zusammenarbeiten, um die Entwicklung zu unterstützen und die Haftung für etwaige Impfschäden aufzuteilen (nicht im Zusammenhang mit Fehlern bei der Herstellung, sondern nach der dritten Runde der klinischen Studien).
Auch würde es die Motivation erhöhen, sich an der Entwicklung einer neuen medizinischen Behandlung oder eines Impfstoffs zu beteiligen, sofern es keine Verpflichtung gäbe, für die Risiken aufzukommen. Während der aktuellen Pandemie sind bereits einige organisations- und regierungsübergreifende Kooperationen entstanden. Darunter zum Beispiel die von der WHO unterstützte Initiative „Access to COVID-19 Tools (ACT) Accelerator“. Die Initiative soll die globalen Bemühungen zur Entwicklung, Produktion und Verteilung von Covid-19-Medikamenten und -Impfstoffen ankurbeln.
Darunter ist auch die COVAX-Initiative (Covid-19 Vaccine Global Access), die eine gerechte Verteilung von Impfstoffen rund um den Globus sicherstellen will. Leider fehlen diesen organisationsübergreifenden Bemühungen teilweise die finanziellen Mittel, bisher haben sie ihre Ziele verfehlt.
Einen guten Überblick über die Versprechen der derzeitigen Akteure auf dem Covid-19-Impfstoffmarkt liefert IAM Media: Kein einziger „Inhaber von Rechten zur Impfstoff-Produktion hat sich verpflichtet, sein Patent, seine Daten und sein Know-how offen über den Covid-19 Technology Access Pool der WHO zu teilen.“ Die Kooperationen hätten an Zugkraft verloren.
Zum Abschluss: Treibt die Pandemie einen Systemwechsel voran?
Neben den drei angeführten Argumenten gibt es auch strategische Gründe, die das protektive Auftreten der Regierungen erklären. Anstatt zu Gunsten von Ländern des Globalen Südens auf geistige Eigentumsrechte zu verzichten, sind wohlhabende Länder – allen voran die EU-Mitgliedsstaaten – der Ansicht, so viel wie möglich schützen zu müssen: Länder wie China dürften kein geistiges Eigentum „stehlen“ und dadurch zukünftige Wettbewerbsvorteile erlangen.
Der ehemalige stellvertretende Direktor des National Economic Council plädiert für andere zwischenstaatliche Mechanismen (wie zum Beispiel die „Quad“), anstatt Schutzmaßnahmen aufzuheben. Auch weist er auf die Gefahr hin, „einen Präzedenzfall für die gemeinsame Nutzung von Technologie zu schaffen“.
Mechanismen wie diese erfordern Vertrauen und damit Zeit. Besonders letztere ist während einer Pandemie knapp. Und während Regierungen darüber nachdenken, wie sie ihre Impfstoffkampagnen mit den für ihre Länder gekauften Dosen organisieren und wie sie den Globalen Süden unterstützen könnten, hat China seine eigenen Impfstoffe entwickelt und Millionen von Dosen an 69 Entwicklungsländer gespendet.
Wir können die Auswirkungen eines Verzichts auf geistige Eigentumsrechte bei der Impfstoffentwicklung und -produktion noch nicht beurteilen. Wenn es aufgrund politischer Fragen notwendig ist, sich weiterhin auf das Schutzsystem des geistigen Eigentums zu verlassen, könnten Mechanismen wie Patent-Pooling und öffentlich finanzierte freiwillige Lizenzmodelle (einschließlich Wissenstransfer) eine Option sein.
Wie uns jedoch die Covid-19-Pandemie gelehrt hat, müssen für den Fall einer globalen Pandemie nachhaltig stabile interorganisatorische und zwischenstaatliche Kooperationen aufgebaut werden; diese sind möglicherweise schwer zu erreichen, wenn man sich bereits mitten in einer Krise befindet. Die Entwicklung von Open-Source-Impfstoffen hängt offensichtlich von einem Systemwechsel in der pharmazeutischen Industrie, von der Nutzung geistiger Eigentumsrechte, von Haftungsfragen und von Finanzierungsmechanismen ab.
Die Covid-19-Pandemie könnte mehr sein als ein einmaliger Anlass, um den Status quo zu hinterfragen. Die Pandemie könnte der Ausgangspunkt für einen solchen Systemwechsel werden. Ein Rahmen für das Experimentieren mit alternativen Formen der Impfstoffentwicklung und -produktion – sowie die Motivation, um sich in Zukunft nachhaltiger auf globale Pandemien vorzubereiten.
Milena Leybold forscht als Organisationswissenschaftlerin an der Universität Innsbruck zu kreativen Prozessen in der Pharmabranche. Leonhard Dobusch forscht als Wirtschaftswissenschaftler und Jurist an der Universität Innsbruck zu offenen Organisationsformen und privater Regulierung, insbesondere im Bereich von Immaterialgüterrechten.
Im FWF-geförderten Projekt „Organisieren von Kreativität unter regulatorischer Unsicherheit: Alternative Ansätze zum Immaterialgüterrecht“ erforschen sie gemeinsam mit Konstantin Hondros und Sigrid Quack (Universität Duisburg-Essen) alternative Regulierungsansätze in der Pharma- und Musikindustrie.
Der oben stehende Text ist ursprünglich in englischer Sprache beim Forschungsblog governance across borders erschienen; er wurde von Georg Fischer ins Deutsche übertragen und redaktionell angepasst. Statt des bei iRights.info üblichen Gendersterns wechselt die deutsche Version zwischen weiblicher und männlicher Form.
1 Kommentar
1 Emre am 9. Oktober, 2021 um 00:21
Also wenn der Open Source Impfstoff so wird wie Open Source Software, dann wirds schwierig, man vergleiche GIMP mit Photoshop.
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