EuGH-Urteil: Gefahr für die Verwertungsgesellschaften?
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs liegt schon ein paar Monate zurück und wurde öffentlich kaum diskutiert. Allerdings könnte sie Experten zufolge massive Folgen für die Strukturen und die Verteilungspraxis deutscher Verwertungsgesellschaften haben, die Verlage an ihren Einnahmen beteiligen – darunter die VG Wort, die GEMA und die VG-Bildkunst. Die Verwertungsgesellschaften nehmen im Namen von Urhebern – etwa Autoren, Komponisten und Fotografen – Verwertungsrechte wahr. Beispielsweise erheben sie Geräteabgaben, die den Urhebern einen Ausgleich dafür verschaffen sollen, dass ihre Werke für private Zwecke kopiert werden (siehe iRights.info-Übersicht zu Verwertungsgesellschaften)
Im Februar 2012 entschieden nun die Luxemburger Richter im Streit zwischen einem österreichischen Regisseur und einem Produzenten: gesetzliche Vergütungsansprüche aus Geräteabgaben stehen originär dem Filmschaffenden, also dem Urheber zu (Rechtssache C-277/10). Mit Blick auf die sogenannte Urheberrechtsrichtlinie (Richtlinie 2001/29, Art. 5 Abs. 2 Buchst. B) erklärten die EuGH-Richter in der sogenannten „Luksan“-Entscheidung, der Regisseur müsse „unbedingt“ die Zahlung dieses Ausgleichs erhalten.
Die Entscheidung wirft nun die Frage auf, inwieweit die Verteilung der Einnahmen aus gesetzlichen Vergütungsansprüchen durch die großen deutschen Verwertungsgesellschaften nach EU-Recht zulässig ist. Beispielsweise werden in der VG Wort satzungsgemäß die Einnahmen – die größtenteils aus Kopiergeräteabgaben stammen – zwischen Urhebern und Verlagen aufgeteilt. Im Bereich der Wissenschaftsliteratur liegt der Verlegeranteil zum Beispiel bei 50 Prozent (Verteilungsplan Wissenschaft, Paragraf 3). Es geht um viel Geld. Die Einnahmen der VG Wort aus der Kopiergerätevergütung betrugen 2011 laut Geschäftsbericht rund 70 Millionen Euro.
„Gerätevergütung steht allein dem Urheber zu“
Doch die bisherige Ausschüttungspraxis könnte gegen EU-Recht verstoßen. Der Urheber- und Medienrechtler Norbert P. Flechsig (Universität Tübingen) folgert in einem Aufsatz (Multimedia und Recht, Ausgabe15, Mai 2012) zum Luksan-Urteil des EuGH, „dass es unionsrechtlich unzulässig ist, dass Urheber auf den Anspruch auf einen Ausgleich für sogenannte Privatkopieausnahmen verzichten können sollen“. Am Beispiel VG Wort würde das bedeuten: Die Autoren können ihren gesetzlichen Anspruch auf Einnahmen aus der Kopiergeräteabgabe nicht an die Verlage abtreten, er steht ihnen in vollem Umfang zu. Der Abzug des Verlegeranteils wäre bei den Einnahmen aus Geräteabgaben unzulässig. Die VG Wort hätte Einnahmen in Millionenhöhe systematisch falsch verteilt.
Flechsig formuliert allgemein für die Verwertungsgesellschaften:
Ein automatischer Abzug vom Vergütungsanspruch des Urhebers oder Vorenthalt von Urheberrechtsansprüchen zu Gunsten von Verlegeranteilen auf Grund bestehender Verteilungspläne erscheint (…) unzulässig, weil unionswidrig.
Verteilungspläne sind laut Flechsig nicht in der Lage, „gesetzlich zwingende Zuweisungen gegen den Willen des Urhebers zu verschieben“.
Joachim von Ungern-Sternberg, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof (BGH), kommt in einem Kommentar zur „Luksan“-Entscheidung (GRUR 2012, Heft 4, 321 – 331) ebenfalls zu dem Schluss: „Der Anteil am Aufkommen aus der Gerätevergütung steht im Ergebnis allein dem Urheber zu.“ An diesem Ergebnis kann laut Flechsig und von Ungern-Sternberg auch der Passus im deutschen Urheberrechtsgesetz (Paragraf 63a Satz 2 im UrhG) nichts ändern, der den Verlegeranteil an der Gerätevergütung in den Verwertungsgesellschaften bislang legitimiert. Folgt man Flechsigs Argumentation ist der Passus in der Praxis unwirksam. Von Ungern-Sternberg geht noch weiter. Es sei fraglich, ob Paragraf 63a S. 2 des deutschen UrhG mit EU-Recht vereinbar ist.
Zusammengefasst: Möglicherweise verstößt eine jahrzehntelang praktizierte Beteiligung der Verlage an gesetzlichen Vergütungsansprüchen der Urheber gegen EU-Recht. Die deutsche Gesetzgebung, die den Verlegeranteil legitimiert, könnte unwirksam sein oder europäisches Recht verletzen.
Staatliche Aufsicht will EuGH-Urteil prüfen
Mittlerweile beschäftigt sich die staatliche Aufsicht der Verwertungsgesellschaften, das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA), mit der EuGH-Entscheidung. Auslöser war allerdings nicht das EuGH-Urteil selbst, sondern eine Klage des Patentrichters und Urheberrechtlers Martin Vogel gegen die VG Wort.
Was ist passiert? Im Mai 2012 entschied das Landgericht München in erster Instanz zu Gunsten Vogels, dass der pauschale Abzug des Verlegeranteils von VG-Wort-Ausschüttungen im Einzelfall gegen das Willkürverbot verstößt (AZ: O 28640/11, Volltext). Das Urteil hat erstmal nichts mit der „Luksan“-Entscheidung des EuGH zu tun. Die VG Wort hat gegen den Münchener Richterspruch Berufung eingelegt. Der Ausgang des Rechtsstreits ist offen.
Allerdings berief sich Vogel vor dem Landgericht München auf das „Luksan“-Urteil des EuGH (siehe iRights.info-Interview mit Martin Vogel). Auch wenn die deutschen Richter nicht auf die europarechtliche Argumentation eingingen, scheint das DPMA nun hellhörig geworden zu sein. Im Zuge einer Prüfung des Münchner Urteils und seiner Folgen für die Ausschüttungen der VG Wort will man auch die Luksan-Entscheidung des EuGH unter die Lupe nehmen. „Die Erwägungen des EuGH in dem (…) sogenannten Luksan-Urteil werden (…) mit einfließen“, erklärte eine DPMA-Sprecherin am Donnerstag gegenüber iRights.info.
Folgt das DPMA der Expertise der beiden Juristen Flechsig und von Ungern-Sternberg, besteht dringender Handlungsbedarf bei allen Verantwortlichen. Dann kann das bisherige System der Verlegerbeteiligung so nicht weitergehen, unabhängig von der Klage Martin Vogels. Dass die bisherige Praxis keine ganz saubere Rechtsgrundlage hat, ist unterdessen keine Einzelmeinung mehr. Der Rechtswissenschaftler Thomas Hoeren kommentiert im Interview mit dem Magazin „brand eins“ zuspitzend: „Auch Verlage (…) kassieren mit, ohne juristisch dazu einen Hauch von Berechtigung zu haben.“
Kommt es also zum großen Knall? Ist das traditionelle System der gemeinsamen Rechtewahrnehmung von Urhebern und Verlagen rechtlich nicht mehr haltbar? Das DPMA will die Ergebnisse seiner Prüfung spätestens bis zum 1. August vorlegen. Weil die Untersuchung noch nicht abgeschlossen sei, könne man noch keine Aussagen zu den Auswirkungen bei den verschiedenen Verwertungsgesellschaften machen, so die Sprecherin.
Schweigsame Akteure
Von den Verwertungsgesellschaften ist zum möglicherweise folgenreichen „Luksan-Urteil“ des EuGH erstaunlich wenig zu hören. Die VG-Wort verweist auf mehrfache Anfrage auf den laufenden Gerichtsstreit mit Martin Vogel, statt konkret auf die EuGH-Entscheidung und ihre möglichen Konsequenzen für die Verteilungspläne einzugehen. „Grundsätzlich ist anzumerken, dass die VG Wort derzeit alle rechtlichen Fragen in Zusammenhang mit der Sache Vogel gegen VG Wort prüft“, so eine Sprecherin gegenüber iRights.info. Ob zu diesen rechtlichen Fragen auch die „Luksan“-Entscheidung des EuGH gehört, ließ sie offen.
Eine breite, transparente und öffentliche Diskussion über die Folgen des EuGH-Urteils steht also noch aus. Das Bundesjustizministerium wollte sich gegenüber iRights.info hierzu nicht äußern – unter Verweis auf das laufende Verfahren Vogel gegen VG Wort. Die Begründung überrascht, weil sich das EuGH-Urteil losgelöst von diesem Verfahren betrachten lässt – die Münchener Richter haben europarechtiche Fragen ausdrücklich nicht erwogen. Doch der BMJ-Sprecher konnte offiziell nicht einmal bestätigen, ob Auswirkungen des Luksan-Urteils auf die deutsche Gesetzgebung im Ministerium geprüft werden oder eben nicht.
Die große Frage, ob Paragraf 63a Satz 2 des Urheberrechtsgesetzes nach EU-Recht unwirksam ist, und der deutsche Gesetzgeber tätig werden müsste, um das bisherige System zu sichern oder zu reformieren, stellt sich in jedem Fall, unabhängig von der Klage Vogels oder der Prüfung durch das DPMA. Auch die Gewerkschaften der betroffenen Urheber haben noch keine breite, öffentliche Diskussion zum EuGH-Urteil und seinen Folgen in Gang gebracht.
Selbst ein Auseinanderbrechen der betroffenen Verwertungsgesellschaften scheint nicht ausgeschlossen, sollten große Teile der Verlegeranteile für unzulässig erklärt werden und wegfallen. Für den Fall, dass Verleger aus den Verwertungsgesellschaften aussteigen, kursiert die Theorie, dass die Position der Urheber bei der Durchsetzung ihrer gesetzlichen Vergütungsansprüche geschwächt würde. Das Magazin der Gewerkschaft DJV „Journalist“ kommentiert in dieser Richtung: „Dass die Urheber durch die Spaltung gestärkt werden – etwa wenn es darum geht, mit der Geräteindustrie über die Höhe ihrer Reprographie-Abgabe zu verhandeln – darf allerdings bezweifelt werden.“
Die Frage, wie berechtigt solche Sorgen und Erwägungen sind, könnte eine breite, transparente, öffentliche Debatte über die Interessen der Urheber, der Verleger und über die Strukuren der Verwertungsgesellschaften beantworten. Anscheinend warten die Verantwortlichen und die betroffenen Interessenverbände erstmal auf die Entscheidung des DPMA.
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