Cornelia Haß (DJU) zum VG-Wort-Urteil: „Keine voreiligen Schlüsse”
Hintergrund zum Fall „Vogel vs. VG Wort”
In der Verwertungsgesellschaft Wort nehmen Urheber von Texten und Verlage gesetzliche Vergütungsansprüche gemeinsam wahr. Dazu zählen zum Beispiel Einnahmen aus Kopiergeräteabgaben.Das Landgericht München entschied im Mai 2012 in erster Instanz(AZ 7 O 28640/11, Volltext), dass dieVerteilung der Einnahmen zwischen Autoren und Verlegern auf Grundlage von pauschalen Quoten im Einzelfall unzulässig ist, weil sie gegen das Willkürverbot verstößt. Bei Autoren, die ihre Vergütungsansprüche im Voraus komplett der VG Wort abgetreten haben, kann den Richtern zufolge kein Verleger-Anteil mehr abgezogen werden. Es sei für einzelne Autoren nicht zumutbar, wenn sie durch Pauschalisierungen „offensichtlich unangemessen” benachteiligt würden.
Bislang prüft die VG Wort nicht, welche Ansprüche der einzelne Autor hat, sondern zieht ihm pauschal einen Verlegeranteil von seinen Ausschüttungen ab. Im Bereich der Wissenschaftsliteratur liegt der Verlegeranteil bei 50 Prozent. Das Gericht hält stattdessen eine Einzelfallprüfung für möglich. Die VG Wort hat Berufung eingelegt und die zuständige Aufsichtsbehörde beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) um eine Einschätzung des Urteils und seiner Folgen gebeten.Bis zu einer Entscheidung des DPMA hat die VG Wort alle Ausschüttungen eingefroren. 2011 lagen sie laut Geschäftsbericht bei 120 Millionen Euro.
Der Kläger und Urheberrechtler Martin Vogel wirft den beiden Berufsverbänden Deutsche Journalisten-Union in Verdi (DJU) und Deutscher Jourrnalisten Verband (DJV) im Interview mit iRights.info vor, das unzulässige Verteilungsverfahren unterstützt und ihre Mitglieder falsch über ihre Ansprüche informiert zu haben. Der DJV widerspricht dieser Darstellung in einem Fragen-und-Antworten-Katalog, ohne direkt auf Vogels Kritik einzugehen.
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iRights.info: Welche Schlüsse zieht Verdi aus dem Urteil des Landgerichts München, wonach der pauschale Abzug des Verlegeranteils bei den Ausschüttungen der VG Wort in bestimmten Fällen rechtswidrig ist?
Cornelia Haß: Auch Verdi muss leider zur Kenntnis nehmen, dass die durch das Münchener Urteil erzeugte Rechtsunsicherheit einer umstandslosen Ausschüttung in diesem Jahr im Wege steht. Ansonsten zieht Verdi aus dieser nicht rechtskräftigen Entscheidung keine voreiligen Schlüsse. Es wird sich zeigen, ob dieses Urteil Bestand hat. Die gleiche Kammer des Landgerichts München hat übrigens auch schon einmal im genau gegenteiligen Sinn zum Verteilungsplan der VG Wort entschieden. Es gibt somit nur eine – nicht rechtskräftige – Entscheidung in einem Einzelfall, über die unter Juristen höchst kontrovers diskutiert wird.
Gleichwohl kann dieses Urteil nicht einfach ignoriert werden. Die VG Wort ist gehalten, die daraus folgenden rechtlichen Risiken unter Wahrung der kaufmännischen Sorgfalt abzuwägen und erforderlichenfalls Rückstellungen vorzunehmen. An dieser Vorgehensweise hat Verdi nichts zu kritisieren.
Formal betroffen von der Einzelfallentscheidung ist nur der Verlegeranteil (50 Prozent im Bereich Wissenschaft, 30 Prozent im Bereich Belletristik, 30 oder 40 Prozent im Bereich Journalismus). Die Argumentation des Klägers, der das Landgericht München gefolgt ist, gilt aber leider auch spiegelbildlich: Wo Urheber die Rechte vor Abschluss des Wahrnehmungsvertrags einem Verlag eingeräumt haben, könnten sie selbst demnach keine Rechte mehr in die VG Wort mehr einbringen und dürften somit auch keine Ausschüttungen mehr erhalten. Das allerdings ist höchst zweifelhaft.
„Die Einzelfallprüfung würde zu zusätzlichen Kosten führen”
iRights.info: Wie hat Verdi seit 2002 auf die Einwände Martins Vogels gegen das bestehende Verteilungssystem reagiert?
Cornelia Haß: Wir können diese Einwände nicht nachvollziehen. Zudem ist klarzustellen, dass das Verteilungssystem der VG Wort – prozentuale Aufteilung an Autoren und Verlage – nicht erst 2002 eingeführt wurde, sondern schon frühzeitig nach Gründung der VG Wort. Das Verteilungssystem wurde nach zwei Änderungen des Urheberrechtsgesetzes jeweils an die Rechtslage angepasst.
Einen Anlass, auf Einwände von Seiten einer Person, die erkennbar eine Mindermeinung vertritt, zu reagieren, gab es für Verdi nicht. Verdi hält es für die Aufgabe der Gremien in der VG Wort, sich mit solchen Einwänden auseinanderzusetzen. Einen Einfluss auf diese Gremienentscheidungen hat Verdi nicht.
iRights.info: Würden Sie im Nachhinein sagen, Verdi hätte die frühen Einwände Vogels gegen den pauschalen Abzug des Verlegeranteils ernster nehmen müssen?
Cornelia Haß: Nein.
iRights.info: Das Landgericht München hält eine Orientierung an den Verträgen für geboten. Auch konnten die Richter das von der VG Wort vorgebrachte Argument nicht nachvollziehen, dass die Einzelprüfung der Rechteverteilung erheblichen organisatorischen Mehraufwand bedeuten würde. Wie sehen Sie das?
Cornelia Haß: Eine Einzelfallprüfung der Rechteverteilung würde aus Verdi-Sicht zu einem erheblichen Verwaltungsmehraufwand und damit zusätzlichen Kosten führen, die dann nicht ausgeschüttet werden könnten.
iRights.info: Künftig könnte man alle Gelder prinzipiell für die Urheber vorhalten. Verlage müssten dann ihre Ansprüche geltend machen, bevor eine Ausschüttung erfolgt. Damit hätte man das Problem des Verwaltungsaufwandes entschärft, den eine Einzelprüfung jedes Vertrages der Urheber machen würde. Was halten Sie von der Idee?
Cornelia Haß: Das wäre ein Weg zur Verwaltungsvereinfachung. Aber bis dato war die Idee in den Gremien der VG Wort nicht durchsetzbar.
„Die Beteiligung der Verlage basiert auf einem Kompromiss”
iRights.info: Wie ist dieses System historisch gewachsen?
Cornelia Haß: Diese Frage sollte besser an die VG Wort gerichtet werden. Bis Juni 2002 waren die Vergütungsansprüche gegen die VG Wort an die Verlage abtretbar. Sie wären also in vielen Fällen auch abgetreten worden. Genau dem sollte durch den festen Verteilungsmodus ein Riegel vorgeschoben werden. Der hinter diesem Modus stehende Konsens ist übrigens auch im Normvertrag für den Abschluss von Verlagsverträgen (§ 2 Abs. 4) nachlesbar, wonach die von der VG Wort verwalteten Rechte dem Verlag zwecks „gemeinsamer Einbringung” eingeräumt werden – also zur Verteilung nach dem Schlüssel der VG Wort.
iRights.info: Warum hat Verdi nach der Reform des Urheberrechtsgesetzes von 2002 nicht darauf bestanden, die Verteilungspläne zu ändern und den pauschalen Abzug des Verlegeranteils abzuschaffen?
Cornelia Haß: Nochmals: Verdi hat in der VG Wort weder Sitz noch Stimme. Der Eindruck, Verdi hätte auf einer Änderung der Verteilungspläne „bestehen“ und eine solche durchsetzen können, ist also unrichtig.
Anzumerken ist schließlich auch, dass die VG Wort nach der 2002 in Kraft getretenen Reform die Verteilungspläne tatsächlich modifiziert hat. Die entsprechenden Beschlüsse haben die Gremien der VG Wort gefasst. Nachdem die maßgebliche Bestimmung in § 63a UrhG mit Wirkung ab Januar 2008 erneut – leider mit einem etwas unzulänglichen Wortlaut – geändert wurden, hat die VG Wort die Verteilungspläne daran angepasst.
iRights.info: Können Sie begründen, warum der pauschale Abzug des Verlegeranteils im Interesse der Autoren lag und liegt?
Cornelia Haß: Natürlich liegt es nicht im Interesse der Autoren, wenn von den Ausschüttungen ein Verlegeranteil abgezogen wird. Die Beteiligung der Verlage basiert auf einem Kompromiss, der viele Jahrzehnte von beiden Seiten akzeptiert wurde. Es geht dabei um einen in der VG Wort gefundenen Verteilungsmodus, der auch von der Aufsichtsbehörde – zuständiger Beamter war auch Martin Vogel – nicht beanstandet wurde. Es ist nicht Sache von Verdi Regelungen zu „begründen“, die Verdi nicht vereinbart hat.
iRights.info: Hat Verdi die Interessen seiner Mitglieder in den Gremien der VG Wort ausreichend vertreten?
Cornelia Haß: Verdi ist als Organisation in den Gremien nicht vertreten. Soweit Verdi-Mitglieder als Wahrnehmungsberechtigte oder Mitglieder der VG Wort in dieser Verwertungsgesellschaft Mandate ausüben, tun sie das legitimiert durch Wahlen in der VG Wort und sind in keiner Weise an Vorgaben von Verdi gebunden.
Es ist ärgerlich, wenn suggeriert wird, die Interessenvertretung durch Verdi sei möglichweise an einer Stelle unzureichend, wo Verdi überhaupt keine Handlungsoptionen hat.
„Verdi hat weder formellen noch informellen Einfluss auf die Gremienarbeit der VG Wort”
iRights.info: In den Gremien der VG Wort sitzen einige Verdi/DJU-Mitglieder (siehe Verdi/DJU-Übersicht). Lutz Franke ist beispielsweise Vorsitzender des Verwaltungsrats. Gerlinde Schermer-Rauwolf sitzt im Verwaltungsrat der VG Wort und ist seit 2000 Mitglied im Beratungsteam Mediafon, einem Verdi-Service für Freie und Selbstständige. Der ehemalige Verdi-Justiziar Wolfgang Schimmel ist rechtlicher Berater in Berufsgruppe 1 in der VG Wort (Autoren und Übersetzer schöngeistiger und dramatischer Literatur). Würden Sie sagen, Verdi hat gar keinen Einfluss auf die Entscheidungen der VG Wort?
Cornelia Haß: Sie könnten einfach einmal in der Satzung der VG Wort nachlesen. Dann würden sich solche von tiefem Misstrauen geprägte Nachfragen erledigen. Auf die Idee, die gleichen Fragen dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels zu stellen, wollen Sie offensichtlich nicht kommen. Ich bin mir relativ sicher, dass Sie von dort ähnliche Antworten bekämen wie von mir, wie von allen Urheberverbänden, aus deren Mitgliedschaft jemand eine Funktion in der VG Wort übernommen hat und Sie könnten begreifen, wie die VG Wort nach ihrer Satzung strukturiert ist und wie Entscheidungsprozesse dort ablaufen.
Verdi begrüßt es, dass Mitglieder der Gewerkschaft auch in anderen Organisationen oder eben in Verwertungsgesellschaften Vertrauen genießen und dort in Funktionen gewählt werden. Das freut uns so, dass wir diese Mandate und Funktionen auch öffentlich bekannt machen, soweit die betreffenden Mitglieder einverstanden sind; was bei den Mitgliedern der DJU der Fall ist. Bei den Funktionen in der VG Wort hat Verdi aber keinerlei Einfluss auf die Wahlen, auch kein Vorschlagsrecht. Es gibt keine Bindung dieser Mitglieder an Beschlüsse von Verdi oder irgendwelche Weisungsrechte. Das gilt auch und speziell für die von Ihnen namentlich genannten Personen.
Verdi als Organisation hat also in der Tat formell „gar keinen Einfluss” auf Entscheidungen, die in den Gremien der VG Wort getroffen werden.
Die DJU und Verdi hatten mangels formellen Einflusses, insbesondere aber wegen der Mehrheitsbildung in der VG Wort, niemals die Möglichkeit, den kritisierten Verteilungsschlüssel zu verändern. Deshalb ist der Verteilungsschlüssel nach einer kurzfristigen Änderung aufgrund des mittlerweile modifizierten § 63a UrhG wieder auf dem Niveau, das Martin Vogel während seiner Tätigkeit als zuständiger Aufsichtsbeamter niemals beanstandet hat.
Wolfgang Schimmel fungiert als rechtlicher Berater in BG 1 und ist nicht weisungsgebunden durch Verdi. Insofern hat Verdi weder formellen noch informellen Einfluss auf die Gremienarbeit der VG Wort.
„Verdi rät nicht dazu, irgendwelche Forderungen zu stellen”
iRights.info: Rechnen Sie mit Schadensersatzforderungen der Autoren und raten sie Ihren Mitgliedern nun, Nachforderungen zu stellen?
Cornelia Haß: Die – auch durch die Öffentlichkeitsarbeit von Martin Vogel angeheizte – Debatte um die Ausschüttungspraxis der VG Wort legt es nahe, dass auch weitere Autorinnen und Autoren Forderungen gegen die Verwertungsgesellschaft erheben. Mittlerweile wird ja auch für eine „Crowdfunding-Klage“ geworben (siehe: Telepolis), um unter Einschaltung eines Anwalts „möglichst viel Druck auf die VG Wort“ auszuüben, damit die laufende Ausschüttung schnell erfolgt.
Verdi rät zurzeit von allen Kosten treibenden Maßnahmen ab. Bis zur Entscheidung der Aufsichtsbehörde, kann die VG Wort nicht ausschütten. „Druck“ führt also gegenwärtig zu nichts außer unnötiger Arbeit bei der VG Wort und Kosten. „Druck“ ist auch unnötig, weil die VG Wort ausschütten will und das tun wird, sobald die haftungsrechtlichen Risiken ausgeräumt sind.
Verdi rät „nun“ aus den genannten Gründen nicht dazu, irgendwelche Forderungen zu stellen. Sollte die Entscheidung des Landgerichts München im weiteren Instanzenzug bestätigt werden, wird die VG Wort ihre Ausschüttungspraxis zu überprüfen haben. Sollte das – wider Erwarten – nicht zu einem befriedigenden Ergebnis führen, prüft Verdi die Durchsetzung berechtigter Nachforderungen im Rahmen des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes.
Was sagen Sie dazu?