EU-Urheberrecht: Weichenstellung für Upload-Filter und Presse-Leistungsschutzrecht
Das Urheberrecht in Europa könnte in Zukunft von verschärften Kontrollen für hochgeladene Inhalte und Lizenzgebühren für Textschnipsel geprägt sein. Der federführende Rechtsausschuss des EU-Parlaments hat am heutigen Mittwoch seine Position zur EU-Urheberrechtsreform festgelegt. Sein Votum bildet die Grundlage für die Abstimmung im Europäischen Parlament.
Im Rechtsausschuss votierten die Mitglieder mit knapper Mehrheit für entsprechende Vorschläge des federführenden Berichterstatters Axel Voss (CDU), die die geplante Richtlinie über das „Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt“ betreffen. Dazu gehören verschärfte Regelungen für hochgeladene Inhalte bei Webdiensten und ein EU-weites Leistungsschutzrecht für Presseverleger.
Lizenzieren oder Filtern
Webdienste, die vor allem dem Veröffentlichen und Teilen hochgeladener Inhalte dienen („online content sharing service providers“), sollen dem vom Ausschuss abgenickten Vorschlag zufolge Lizenzen von Rechteinhabern erwerben oder vorab verhindern, dass urheberrechtlich geschützte Werke auf ihren Seiten erscheinen. Um letzteres zu erreichen, sollen sie „angemessene und verhältnismäßige Maßnahmen“ ergreifen – eine Umschreibung für Filtersysteme, wie sie etwa Youtube bereits einsetzt.
Bislang haften die meisten Webdienste erst dann für Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer, wenn sie darauf hingewiesen wurden und nichts unternehmen. Dem angenommenen Vorschlag zufolge könnten viele Dienste in Zukunft direkt für hochgeladene Inhalte verantwortlich gemacht werden. Verschärfte Pflichten sollen demnach für Webdienste gelten, die Nutzerinhalte „optimieren“, etwa indem sie diese bewerben oder verschlagworten.
Welche Anbieter konkret betroffen wären, ist weitgehend unklar. Bestimmte Dienste wie Wikipedia, wissenschaftliche Dokumentensammlungen oder Cloudspeicher will der Rechtsausschuss von der Regel ausnehmen.
Zu den von Internetwirtschaft und Zivilgesellschaft stark kritisierten Plänen hatte die Abgeordnete Julia Reda (Piraten, Fraktion Grüne/EFA) einen Alternativentwurf eingebracht, der keine Mehrheit im Ausschuss fand. Er sah vor, dass bestimmte Plattformen zwar stärker zu „fairen und angemessenen Verträgen“ mit Rechteinhabern angehalten, nicht aber zu einer generellen Überwachung der Inhalte verpflichtet werden sollen.
Presse-Leistungsschutzrecht
Auch beim Leistungsschutzrecht, welches Presseverlegern das Recht geben soll, für kurze Textauszüge Geld von Suchmaschinen und anderen Onlinediensten zu verlangen, unterscheiden sich die Vorstellungen des Rechtsausschusses nur unwesentlich von den Entwürfen der EU-Kommission und des EU-Rats, der seine Linie bereits Ende Mai umriss.
Leistungsschutzrecht: Was ist das eigentlich? Und wem nützt's?
Wenn es ums Urheberrecht geht, sind meist die Rechte von Autor*innen an ihrem Werk gemeint. Doch das ist nicht alles: Leistungsschutzrechte schützen die Darbietung und Aufführung eines Werks sowie die wirtschaftlich-technischen Aufwände von Medienunternehmen. Was heißt das im Einzelnen? » mehr
Der Rechtsausschuss stimmte dafür, auch Texte von Nachrichtenagenturen mit einem Extra-Schutzrecht zu versehen. Die Schutzdauer solle 5 Jahre betragen (Kommission: 20 Jahre, Rat: 1 Jahr). Für Links soll es eine Ausnahme geben. Autoren sollen nun an den Einnahmen beteiligt werden, falls es solche geben sollte.
Eine im Ausschuss eingebrachte Alternative zum Leistungsschutzrecht fand ebenfalls keine Mehrheit: Eine sogenannte Vermutungsregel sollte es Presseverlegern ermöglichen, zunächst ohne Nachweis der von Urhebern erworbenen Rechte gegen Rechtsverletzungen vorzugehen.
Weitere Reformpläne
Im Schatten der besonders kontroversen Themen hat der Rechtsausschuss auch zu weiteren Eckpunkten der Urheberrechtsreform Stellung genommen. Dabei teilte er zumeist die Grundideen der EU-Kommission, stimmte aber für Änderungen im Detail:
- Text- und Data-Mining: Die Kommission will das Urheberrecht beim automatisierten Auswerten großer Datenbestände neu regeln. Eine Ausnahme soll klarstellen, dass keine separate Erlaubnis nötig ist, wenn Forschungseinrichtungen beim Data-Mining Kopien erstellen oder Datenbanken nutzen, zu denen sie Zugang haben. Der Rechtsausschuss stimmte dafür, dass diese Befugnis auch für Museen, Archive und Bibliotheken gelten soll. Im Umkehrschluss wären Datenauswertungen von Unternehmen, Bürgern oder Journalisten nicht mehr eindeutig erlaubnisfrei; weitere nationale Regelungen sollen dem Rechtsausschuss zufolge aber möglich bleiben.
- Unterricht: Eine weitere Ausnahmeregelung soll klarstellen, dass Texte, Bilder und andere Werke auch digital genutzt werden können, um den Unterricht zu veranschaulichen. Die Regelung zielt unter anderem auf Lernplattformen, die grenzüberschreitend verfügbar sind. Nationale Sonderregeln etwa für Schulbücher und Noten, für die Verlage passende Lizenzen anbieten, sollen nach Vorstellung des Rechtsausschusses ausdrücklich möglich bleiben.
- Archivkopien: Um ihre Bestände zu erhalten, sollen Museen und Archive erlaubnisfrei Kopien erstellen dürfen. Der Rechtsausschuss unterstützte dazu den Vorschlag der EU-Kommission für eine EU-weit verpflichtende Urheberrechts-Ausnahme. Zusätzlich schlägt er vor: Wenn Werke bereits frei von Urheberrechten sind, sollen es auch Reproduktionen sein, die zu ihrer Erhaltung erstellt werden.
- Digitale Bibliotheken: Sind Bücher und andere Werke vergriffen, sollen Museen, Archive und andere Kultureinrichtungen sie leichter online stellen können. Die EU-Kommission will das erreichen, indem Verwertungsgesellschaften im Namen aller Urheber oder Verlage Lizenzvereinbarungen schließen können, die EU-weit gültig wären. Der Rechtsausschuss will zusätzlich eine gesetzliche Erlaubnis, wo solche Vereinbarungen nicht möglich sind. Die Regelung solle zudem auch für solche Werke gelten, die nie kommerziell verwertet wurden.
- Kopiervergütung: EU-Kommission und Rechtsausschuss sind sich im wesentlichen einig, dass Verlage weiterhin Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften erhalten sollen – zumindest in Ländern, die es so geregelt haben. Gerichte hatten zuletzt entschieden, dass die Ausschüttungen grundsätzlich den Urhebern zustehen und die pauschale Verlegerbeteiligung gekippt.
- Urheber-Verträge: Die EU-Kommission will Regelungen einführen, um die meist schwache Verhandlungsposition von Urhebern zu stärken. Ähnlich wie im deutschen Urheberrecht müssten Verwerter über Erlöse informieren und bei unerwarteten Verkaufsschlagern nachzahlen. Der Rechtsausschuss will zusätzlich das Prinzip der „fairen und angemessenen Vergütung“ EU-weit festschreiben und Urhebern ermöglichen, nicht genutzte Rechte zurückzurufen.
- Video on Demand: Um Lücken im Angebot von Videostreaming-Diensten zu schließen, soll eine unabhängige Stelle bei schwierigen Lizenzverhandlungen helfen. Ein formalisierter „Verhandlungsmechanismus“ für Videodienste und Filmstudios solle jedoch freiwillig bleiben, so der Rechtsausschuss zum Vorschlag der EU-Kommission.
Zusätzliche Anträge für eine Erweiterung von Nutzungsfreiheiten fanden im Rechtsausschuss keine Mehrheit. Dazu zählte der Vorschlag, eine EU-weit verpflichtende Panoramafreiheit für Aufnahmen im öffentlichen Raum einzuführen. Gleiches gilt für einen weiteren Vorschlag, der Nutzern mehr Freiheiten beim Posten von Ausschnitten aus geschützten Werken erlauben sollte – etwa beim Teilen von GIFs, die nur selten als Zitat oder andere erlaubte Nutzung durchgehen.
Wie geht es weiter?
Es wird erwartet, dass das EU-Parlament Anfang Juli im Plenum über seine Haltung zu den Entwürfen abstimmt. Dass das Parlament vom Votum des federführenden Rechtsausschusses in wesentlichen Punkten abweicht, wäre ungewöhnlich, ist aber nicht ausgeschlossen.
Sollte das Parlament etwa andere Positionen zum Leistungsschutzrecht oder den Upload-Filtern einnehmen, müsste es mit den EU-Staaten im Rat und der Kommission einen Kompromiss aushandeln. Zumindest der Rechtsausschuss liegt mit dem heutigen Votum aber zu weiten Teilen auf gleicher Linie. Die Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights rechnet damit, dass die Richtlinie im Dezember 2018 oder Januar 2019 in finaler Fassung beschlossen werden könnte.
Korrektur: Der vom Rechtsausschuss beschlossene Text sieht beim Leistungsschutzrecht nur noch eine Ausnahme für „Verlinkungshandlungen“ vor, aber nicht mehr für Links „die von nur wenigen Worten oder sehr kurzen Textauszügen begleitet werden“. Diese Formulierung fehlt in der heute vom Parlament veröffentlichten, finalen Fassung.
2 Kommentare
1 Eberhard Ortland am 21. Juni, 2018 um 12:32
Vielen Dank für die differenzierte Berichterstattung und den Link zur Beschlußvorlage, die sich von den vorher bekannten Versionen der vorgeschlagenen Richtlinie in einigen relevanten Punkten unterscheidet.
Dem besonders problematischen Art. 13 sind im parlamentarischen Prozeß schon einige Zähne gezogen worden. Dennoch bleibt es bei dem grundsätzlichen Problem, daß Internetnutzer einer Vorzensur durch Medienkonzerne unterworfen werden sollen, die nach ihren eigenen Maßstäben darüber sollen entscheiden können, ob ein von einem Nutzer zur Publikation über eine Internetplattform hochgeladene Datei ggf. bestehende Urheberrechte an Inhalten verletzt, deren Rechte von den betreffenden Konzernen verwertet werden.
Es ist richtig und wichtig, daß die Plattformen, die derartige Vorzensur ausüben, Beschwerden gegen Fehlentscheidungen der Filtersoftware zügig klären müssen und daß die zu erwartenden Eingriffe in die Kommunikationsfreiheit der Nutzer auch einer Kontrolle durch ordentliche Gerichte unterworfen werden (CA 14: Art. 13 (2)).
Aber der Rechtsweg ist aufwendig und riskant. Deshalb bleibt zu fürchten, daß die Filtersysteme Kommunikationsversuche, die ein Gericht als legal beurteilen würde, blockieren und dadurch in unser Grundrecht, unsere Meinung in Wort, Schrift oder Bild zu äußern und zu verbreiten (Art 5 (1) GG), massiv eingreifen.
Zu den zu erwartenden schädlichen Folgen der vorgeschlagenen und nun vom Rechtsausschuß empfohlenen Regelung gehört neben der Einschränkung der Äußerungsfreiheit einzelner Nutzer auch die erhebliche Belastung der „online content sharing service providers“, denen die Installation der geforderten Filter-Algorithmen abverlangt wird: Youtube hat sein ContentID-System schon, andere große Plattformen können es sich leisten, so etwas zu installieren; aber für unabhängige und nicht-kommerzielle Plattformen würden die Betriebskosten vermutlich prohibitiv hoch, so daß durch diese Regelung die Vielfalt der zur Verfügung stehenden Publikationskanäle im Internet empfindlich eingeschränkt werden dürfte.
Es ist zu befürchten, daß die Umsetzung der vorgeschlagenen Richtlinie durch die nationalen Gesetzgeber in ca. 2 Jahren zu einer Situation führt, in der (ähnlich wie zuletzt bei der Implementierung der DSGVO) große Teile der europäischen Öffentlichkeit bemerken werden, was für ein Zensurregime da im Namen von “Europa” über uns verhängt wurde, und spätestens dann Forderungen nach einer Befreiung von diesem europäischen Regime und einer Zerschlagung der EU Zulauf bekommen.
Zu den politisch brisanten Aspekten der gestrigen Entscheidung gehört die Übersicht über die Unterstützer: https://twitter.com/Senficon/status/1009502415849213952
Der Vorschlag des Berichterstatters Axel Voss (CDU / EVP) für die Unterstützung der Richtlinie hätte keine Mehrheit gefunden ohne die Stimmen der Europa-feindlichen Nationalisten und Rechtspopulisten (ENF, EFDD), deren Kalkül zwar zynisch, aber in ihrem Sinne durchaus erfolgversprechend erscheint: Wir versuchen, die EU so unerträglich wie möglich zu machen, damit sie alsbald von größeren Teilen der Bevölkerung abgelehnt wird.
Wem an einer friedlichen und gemeinsamen Regelung der europäischen Angelegenheiten liegt, der sollte alles tun, um zu verhindern, daß dieser Plan aufgeht. Hoffen wir auf Einsicht im Plenum des Europäischen Parlaments!
2 Ciburski am 17. September, 2018 um 11:06
Wir sind anscheinend nicht betroffen, da reiner Cloud-Service. Als Reaktion haben wir jetzt noch die Möglichkeit ganze Webseiten in unsere Cloud zu verschieben eingebaut. Wir arbeiten weiter an unserem zensurresistenten Cloud-Service. Es scheint ja immer schlimmer zu werden mit den EU-Gesetzen. Ein Fehlschlag nach dem anderen.
Was sagen Sie dazu?