WIPO-Blindenvertrag verharrt in Beratungsschleife
Laut einem Bericht von Politico haben die Vertreter von sieben EU-Mitgliedsstaaten – Deutschland, Italien, Großbritannien und ungenannte weitere Länder – im Ministerrat eine Untergruppe formiert. Diese setze sich dafür ein, den bei der Welturheberrechtsorganisation WIPO ausgehandelten Vertrag nicht durch den EU-Rat im Namen der Mitgliedsstaaten zu ratifizieren.
Zuvor solle im EU-Parlament abgestimmt und entschieden werden, wie die Regelungen des Blindenvertrags in die EU-Urheberrechtsrechtlinie eingebettet werden können, an deren Reform ebenfalls gearbeitet wird. Der Bericht bestätigt Befürchtungen, die das internationale Verbraucherforum „Transatlantic Consumer Dialogue“ (TACD) bereits im Februar äußerte.
In dem Vertrag geht es um Ausnahmeregelungen im Urheberrecht, damit Blindenorganisationen länderübergreifend Texte und Bücher für Blinde und Sehbehinderte schneller und besser zugänglich machen können.
WIPO-Blindenvertrag
Das internationale Abkommen über Urheberrechtsausnahmen für Blinde und sehbehinderte Menschen kam im Juni 2013 nach zähem Ringen bei einer Konferenz der Welturheberrechtsorganisation (WIPO) in Marrakesch zustande. Es soll Bibliotheken und Verbänden eine rechtliche Grundlage geben, um urheberrechtlich geschützte Werken in Formate zu bringen, die für Sehbehinderte und Blinde zugänglich sind, ohne dass Rechteinhaber vorher zustimmen müssen. Es ist der erste internationale Vertrag im Urheberrecht, der sich ausdrücklich mit Beschränkungen des Urheberrechts befasst.
Mitgliedsstaaten wollen selbst ratifizieren
Bislang wurde der WIPO-Blindenvertrag zwar vom EU-Rat und 15 Mitgliedsstaaten unterzeichnet, für seine Geltung müssen ihn jedoch mindestens 20 Mitgliedsstaaten oder die EU selbst erneut ratifizieren. Politico führt Kompetenzstreitigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten über eben diese Ratifizierung als Grund der Verzögerung an.
Deutschland, Frankreich und Italien sehen die EU demnach zwar für den grenzüberschreitenden Handel als allein zuständig an, nicht aber fürs Urheberrecht. In einer Stellungnahme wirft die NGO Digitale Gesellschaft dem Ministerrat und der EU-Kommission dazu „Verfahrenstricks und das Vorschieben von Scheinproblemen“ vor. Der Vertrag sei bereits ausgehandelt, werde von allen Seiten unterstützt, die EU-Kommission habe die Umsetzungsmöglichkeiten bereits geprüft.
Unverständnis äußerte laut Politico auch die EU-Parlamentarierin Julia Reda (Piraten, Fraktion Grüne/EFA). In der Urheberrechts-Richtlinie seien ähnliche Ausnahmen für das Urheberrecht bereits zu finden, beispielsweise für Bibliotheken.
Blindenverband: Politischer Wille fehlt
Laut Digitale Gesellschaft reagiert der EU-Rat auf Anfragen von Parlamentariern zum Status des Projekts derzeit ausweichend und verweise auf laufende Beratungen. Wenig Verständnis für das „Brüsseler Hin und Her“ zeigt der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband. In einer Pressemitteilung heißt es, dass die deutsche Bundesregierung dabei eine unrühmliche Rolle spiele.
Wolfgang Angermann, Präsident der Europäischen Blindenunion (EBU), kommentiert darin die Vorgänge. Der Widerstand der deutschen Regierung habe nichts mit juristischen Formalien zu tun. Es fehle „schlicht und ergreifend der politische Wille, uns zu unserem Recht auf Lesen zu verhelfen. Als blinder Mensch aus Deutschland wie auch als Europäer bin ich zutiefst enttäuscht, dass Deutschland eine Ratifizierung durch die EU ablehnt“.
Was der WIPO-Blindenvertrag bringt und wie er umgesetzt werden kann, hat Kaya Köklü vom Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht bei iRights.info analysiert.
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