Was bedeutet die EU-Urheberrechtsrichtlinie für die europäischen Kulturerbe-Institutionen?
Am 17. Mai 2019 wurde die EU-Urheberrechtsrichtlinie (offizieller Name: „Richtlinie (EU) 2019/790 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt“) im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.
Wie bei allen EU-Richtlinien gelten die Bestimmungen nicht unmittelbar, sondern müssen von jedem EU-Mitgliedstaat in nationales Recht umgesetzt werden. Dafür haben die Mitgliedstaaten bis zum 7. Juni 2021 Zeit. Erst wenn der Umsetzungsprozess abgeschlossen ist, können Kulturerbe-Einrichtungen (Museen, Archive, Bibliotheken und ähnliche) in dem jeweiligen Mitgliedstaat von den neuen Regeln profitieren.
Das heißt, es wird noch einige Zeit dauern, bis die neuen Vorschriften wirksam werden. Aber es ist ein guter Zeitpunkt, um die Änderungen und ihre Auswirkungen auf die Kulturerbe-Einrichtungen genauer zu betrachten. Dies ist nicht nur wichtig, um die neuen Regeln anzuwenden, sobald sie in Kraft sind, sondern auch, damit die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten die Bedürfnisse der Kulturerbe-Einrichtungen verstehen und diese bei der Umsetzung der Richtlinie berücksichtigen.
Wir befassen uns in diesem Text mit den Bestimmungen der EU-Urheberrechtsrichtlinie, die für Einrichtungen des Kulturerbes am wichtigsten sind. Zunächst analysieren wir die neuen Regeln für den Zugang zu vergriffenen Werken (Artikel 8-11) und die optionale Bestimmung, die eine Rechtsgrundlage für die erweiterte kollektive Lizenzierung bietet (Artikel 12). Dann beschäftigen wir uns mit Artikel 14, der die Vervielfältigung von gemeinfreien Werken betrifft. Abschließend diskutieren wir die neuen Ausnahmen für die Herstellung von Archivkopien (Artikel 6) und für Text- und Data-Mining (Artikel 3 und 4).
Ermöglichung des Zugangs zu vergriffenen Werken
(Artikel 8 – 11)
Aus Sicht von Kulturerbe-Einrichtungen am wichtigsten sind die geänderten Bestimmungen, die es den Institutionen ermöglichen sollen, die in ihrer Sammlung enthaltenen vergriffenen Werke verfügbar zu machen. Diese Bestimmungen sind auch einer der komplexesten Teile der neuen Richtlinie. Sie werden in den Artikeln 8 bis 11 erläutert (mit entsprechenden Erwägungsgründen 29 bis 43).
Mit den neuen Regeln sollen Kulturerbe-Einrichtungen vergriffene Werke aus ihren Sammlungen online zugänglich machen können, ohne Werk für Werk die Rechte klären zu müssen. Dieses Ziel will die Richtlinie mittels zwei neuer Mechanismen erreichen:
- Verwertungsgesellschaften wird ermöglicht, dass sie Einrichtungen des Kulturerbes Lizenzen für die Nutzung von vergriffenen Werken erteilen können, „unabhängig davon, ob alle Rechteinhaber, die unter die Lizenzvereinbarung fallen, der Verwertungsgesellschaft ein Mandat erteilt haben“ (Artikel 8 Absatz 1).
- Falls es keine entsprechenden Verwertungsgesellschaften gibt, die Lizenzen für bestimmte Arten von Werken erteilen könnten, können sich die Einrichtungen auf einen sekundären Mechanismus stützen: eine urheberrechtliche Ausnahme, die es ihnen erlaubt, vergriffene Werke in ihrer Sammlung online zugänglich zu machen (Artikel 8 Absatz 2).
In beiden Fällen muss den Rechteinhabern ein Opt-out möglich sein: Sie müssen untersagen können, dass ihre Werke zugänglich gemacht werden. Hierfür müssen die Kulturerbe-Einrichtungen und die Verwertungsgesellschaften Informationen über die vergriffenen Werke in einem „zentralen und öffentlich zugänglichen Online-Portal“ veröffentlichen, das vom Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) betrieben werden soll, und zwar sechs Monate vor der Online-Veröffentlichung.
Diese Sechs-Monats-Frist soll den Rechteinhabern eine reelle Chance geben, die Nutzung zu untersagen, bevor ihre Werke online verfügbar gemacht werden (Artikel 10 Absatz 1). Nach Ablauf dieser Frist dürfen die Kulturerbe-Einrichtungen die Werke auf ihrer Website für nicht-kommerzielle Zwecke veröffentlichen. Das geschieht dann entweder im Rahmen einer Lizenz, die zwischen der Einrichtung und einer Verwertungsgesellschaft vereinbart wurde, oder unter Berufung auf die Ausnahme. In beiden Fällen trägt die Kulturerbe-Einrichtung kein Risiko, für Urheberrechtsverletzungen haften zu müssen.
Es gibt zwei offensichtliche Schwachstellen in diesem Prozess. Erstens kann es sich bei vielen Werken für Kulturerbe-Einrichtungen als zu kompliziert erweisen, sie als vergriffen zu identifizieren. Nach der Richtlinie sind Werke vergriffen, „wenn nach Treu und Glauben davon ausgegangen werden kann, dass das gesamte Werk […] für die Öffentlichkeit nicht erhältlich ist, nachdem ein vertretbarer Aufwand betrieben wurde, um [dies] festzustellen“ (Artikel 8 Absatz 5).
Während diese Definition für veröffentlichte Werke wie Bücher und Zeitschriften sinnvoll ist, wird es viel schwieriger sein, sie auf andere Arten von Werken anzuwenden, wie Werke der bildenden Kunst, audiovisuelle Werke oder Fotografien (obwohl Erwägungsgrund 30 klarstellt, dass Werke, die „ursprünglich nicht für gewerbliche Zwecke gedacht waren oder niemals gewerblich genutzt wurden“, in der Definition enthalten sind).
Der zweite Schwachpunkt ist, dass die Richtlinie die Mitgliedstaaten zwar verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Verwertungsgesellschaften Lizenzen für Sammlungen vergriffener Werke vergeben können, die auch Werke von Urhebern enthalten, die (noch) nicht von der Verwertungsgesellschaft vertreten werden. Allerdings ist nicht vorgesehen, dass dies von den Verwertungsgesellschaften zwingend verlangt werden kann. Das bedeutet, dass Verwertungsgesellschaften es ablehnen können, Lizenzen zu erteilen, zum Beispiel weil das für sie wirtschaftlich nicht interessant sind.
Sofern dann zwar eine Verwertungsgesellschaft existiert, aber keine Lizenz erteilt oder erteilen will, kann die Kulturerbe-Einrichtung nicht mit der Bereitstellung der Werke fortfahren. Denn die beschriebene Rückfall-Ausnahme gilt nur in Situationen, in denen es keine einschlägige Verwertungsgesellschaft gibt.
Der Dialog mit den Rechteinhabern wird von wesentlicher Bedeutung sein
Glücklicherweise können diese beiden Schwachstellen bei der jeweiligen nationalen Umsetzung der Richtlinie sinnvoll angegangen werden. Artikel 11 verpflichtet die Mitgliedstaaten, „Rechteinhaber, Verwertungsgesellschaften und Einrichtungen des Kulturerbes in den einzelnen Branchen“ zu konsultieren, bevor sie spezifische Anforderungen festlegen, wann ein Werk als vergriffen gilt.
Die Mitgliedstaaten sind ferner aufgerufen, „den regelmäßigen Dialog zwischen den Interessenvertretungen der Nutzer und Rechteinhaber einschließlich der Verwertungsgesellschaften sowie anderen einschlägigen Organisationen der Interessenträger […] für die einzelnen Branchen“ zu fördern.
Die Frage, wie nützlich die Richtlinie in der Praxis sein wird, hängt also stark davon ab, wie gut die Kulturerbe-Einrichtungen und die Verwertungsgesellschaften zusammenarbeiten.
Auf nationaler Ebene bieten diese Dialoge allen Beteiligten die Möglichkeit, sich auf tragfähige Regeln zu einigen, wie der Status von Sammlungen von vergriffenen Werken zu bestimmen ist; klare Festlegungen darüber zu treffen, für welche Arten von Werken die Rückfall-Ausnahme nicht gilt; und Vertrauen zwischen Kulturerbe-Einrichtungen und Verwertungsgesellschaften aufzubauen, das den Abschluss von Lizenzverträgen nach Umsetzung der Richtlinie erleichtern kann.
Die entscheidende Rolle des zentralen, öffentlichen Online-Portals
Neben einer guten Zusammenarbeit auf nationaler Ebene wird es auch darauf ankommen, dass das von der EUIPO zu entwickelnde „zentrale, öffentliche Online-Portal“ so gestaltet ist, dass es den Prozess der Online-Verfügbarkeit von vergriffenen Werken erleichtert. Durch die Konzeption des Portals als Dienstleistung zur Erleichterung der Massendigitalisierung von vergriffenen Werken könnte es die Auswirkungen der Richtlinie erheblich verstärken.
Das bedeutet, dass das Portal neben den in der Richtlinie festgelegten Mindestanforderungen auch als Informationsdrehscheibe für Kulturerbe-Institutionen dienen sollte, die Sammlungen von vergriffenen Werken digitalisieren wollen. Es wäre eine dauerhafte Quelle für Informationen über vergriffene Werke und der Opt-outs, die von den Rechteinhabern registriert wurden.
Das Portal muss Batch-Uploads über ein Web-Interface ermöglichen, Schnittstellen zu anderen Programmen bieten und häufig verwendete Metadaten-Formate unterstützen, die im Kulturerbe-Einrichtungen verwenden. Für visuelle Werke sollte das Portal außerdem die Veröffentlichung von Miniaturansichten als Teil der erforderlichen Identifizierungsinformationen erlauben.
All dies erfordert, dass die EUIPO alle relevanten Interessengruppen – Kulturerbe-Institutionen, Verwertungsgesellschaften und Rechteinhaber – eng in den Gestaltungsprozess einbezieht.
Eine einzigartige Gelegenheit
Trotz ihrer offensichtlichen Komplexität haben die neuen Regeln für vergriffene Werke das Potenzial, Bewegung in die eingefahrene Situation zu bringen, in der sich viele Kulturerbe-Institutionen bei der Digitalisierung ihrer Sammlungen befinden. Der Umsetzungsprozess bietet ihnen die Möglichkeit, ihrer Stimme in ihren Mitgliedstaaten Gehör zu verschaffen.
Dies bedeutet, mit den zuständigen Regierungsvertretern zusammenzuarbeiten, damit sie die Bedürfnisse und Realitäten von Kulturerbe-Einrichtungen verstehen können. Ebenso wichtig ist es, mit den Verwertungsgesellschaften und Rechteinhabern in einen Dialog zu treten, um konkrete Lösungen zu finden, die für beide Seiten funktionieren.
Kollektive Lizenzvergabe mit erweiterter Wirkung
(Artikel 12)
Artikel 12 der Richtlinie erlaubt (verlangt aber nicht), dass die Mitgliedstaaten erweiterte kollektive Lizenzierungssysteme (EKL) einführen, die über den relativ engen Fall von vergriffenen Werken hinausgehen, der im vorherigen Teil behandelt wurde. Erweiterte kollektive Lizenzen gelten auch für Werke von Rechteinhabern, die nicht von Verwertungsgesellschaften vertreten werden, und zwar – so die Richtlinie – „in genau bestimmten Bereichen der Nutzung […], in denen die Einholung der Erlaubnis der Rechteinhaber in jedem Einzelfall normalerweise beschwerlich und […] praxisfern ist“.
Diese Bestimmung ist zwar nicht auf Kulturerbe-Einrichtungen als Begünstigte beschränkt (erweiterte kollektive Lizenzen werden in einigen EU-Mitgliedstaaten verwendet, um die Nutzung urheberrechtlich geschützter Materialien für Bildungszwecke zu ermöglichen), sie kann aber auch für Kulturerbe-Einrichtungen von Interesse sein. Denn sie könnte die Digitalisierung ganzer Sammlungen im Rahmen einer einzigen Lizenzvereinbarung ermöglichen, und das ganz unabhängig von ihrem Urheberrechtsstatus, also ob sie vergriffen oder noch im Handel erhältlich sind.
Im Vergleich zu den weiter oben beschriebenen Bestimmungen über die Nutzung von vergriffenen Werken haben die Bestimmung zu den erweiterten kollektiven Lizenzen den Nachteil, dass sie nur im Inland gelten. Die lizenzierten Werke dürfen nur den Nutzern in den Mitgliedstaaten, in denen die Lizenz abgeschlossen wurde, zur Verfügung gestellt werden. Dies bedeutet, dass Einrichtungen des Kulturerbes den Zugang zu Sammlungen, die sie über solche kollektiven Lizenzen online gestellt haben, durch Geo-Blocking einschränken müssten.
Solange dies der Fall ist – der Artikel enthält eine Klausel, die die Europäische Kommission auffordert, die Beschränkung der grenzüberschreitenden Nutzung innerhalb der nächsten zwei Jahre zu überprüfen – wird Artikel 12 aus Sicht der Kulturerbe-Einrichtungen, die an einem möglichst breiten Zugang zu ihren digitalisierten Beständen interessiert sind, problematisch bleiben.
Gemeinfreie Werke der bildenden Kunst
(Artikel 14)
Artikel 14 der Richtlinie klärt ein Grundprinzip des EU-Urheberrechts. Er stellt klar, dass „nach Ablauf der Dauer des Schutzes eines Werkes der bildenden Kunst Material, das im Zuge einer Handlung der Vervielfältigung dieses Werkes entstanden ist, weder urheberrechtlich noch durch verwandte Schutzrechte geschützt ist, es sei denn, dieses Material stellt eine eigene geistige Schöpfung dar“.
Mit anderen Worten, die Richtlinie legt fest, dass Museen und andere Institutionen des Kulturerbes das Urheberrecht an (digitalen) Reproduktionen von gemeinfreien Werken in ihren Sammlungen nicht mehr in Anspruch nehmen können. Damit regelt der Artikel ein Thema, das in den letzten Jahren für einige Kontroversen gesorgt hat, und passt die EU-Urheberrechtsvorschriften an die in der „Europeana Charta zum Gemeingut“ enthaltenen Grundsätze an.
In der Praxis bedeutet dies, dass Länder, in denen Reproduktionen durch Leistungsschutzrechte geschützt sind – etwa in Spanien und in Deutschland – ihre Gesetze nun so ändern müssen, dass diese Rechte bei Vervielfältigungen von gemeinfreien Werken der bildenden Kunst nicht mehr in Anspruch genommen werden können. Dabei ist zu beachten, dass der Wortlaut des neuen Artikels 14 nicht nur die fotografische Reproduktion von zweidimensionalen Kunstwerken umfasst (zum Beispiel Gemälde), sondern auch die Reproduktion von dreidimensionalen Werken (zum Beispiel 3D-Scans von skulpturalen Werken).
Diese Bestimmung verlangt zwar von Kulturerbe-Einrichtungen, dass sie ihre Praktiken anpassen – sie können sich nicht mehr auf das Urheberrecht berufen, um die Weiterverwendung von veröffentlichten digitalen Reproduktionen zu beschränken. Aber es bedeutet nicht, dass sie diese kostenlos zur Verfügung stellen müssen. Es steht den Instituten weiterhin frei, Reproduktionen, etwa in Form von Postkarten oder Postern, zu verkaufen, wie unter Erwägungsgrund 53 der Richtlinie erklärt wird.
Eine neue obligatorische Ausnahme für Archivkopien
(Artikel 6)
Artikel 6 der Richtlinie enthält eine weitere Bestimmung, die sich speziell an Einrichtungen des Kulturerbes richtet. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten, in ihren nationalen Rechtsvorschriften eine Ausnahme einzuführen, die es Einrichtungen des Kulturerbes gestattet, „Werke und sonstige Schutzgegenstände, die sich dauerhaft in ihren Sammlungen befinden, unabhängig vom Format oder Medium für die Zwecke der Erhaltung dieser Werke oder sonstigen Schutzgegenstände in dem für diese Erhaltung notwendigen Umfang zu vervielfältigen“.
Während eine Reihe von Mitgliedstaaten solche Ausnahmen bereits in ihren Urheberrechtsgesetzen haben, stellt diese neue Ausnahme sicher, dass Kulturerbe-Einrichtungen in allen EU-Mitgliedstaaten Kopien der Werke erstellen können, die sie in ihren Sammlungen haben.
Im Erwägungsgrund 28 wird ferner klargestellt, dass die „Einrichtungen des Kulturerbes die Möglichkeit haben, Dritte — einschließlich in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Dritte — in ihrem Namen und unter ihrer Verantwortung Kopien anfertigen zu lassen“. Diese letzte Ergänzung ist eine wichtige Klarstellung, da sie Raum für die gemeinsame Nutzung von Digitalisierungsgeräten über (grenzüberschreitende) Digitalisierungsnetze bietet und den Einsatz externer Auftragnehmer bei der Erstellung von Archivkopien ermöglicht.
Text- und Data-Mining
(Artikel 3 und 4)
Schließlich führt die EU-Urheberrechtsrichtlinie nicht nur eine, sondern zwei neue Ausnahmen für Text- und Data-Mining ein (Artikel 3 und 4), die von allen Mitgliedstaaten umzusetzen sind. Die erste Ausnahme (Artikel 3) erlaubt es „Forschungseinrichtungen und Einrichtungen des Kulturerbes“, Vervielfältigungen und Entnahmen von urheberrechtlich geschützten Werken vorzunehmen, zu denen sie rechtmäßig Zugang haben, „zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung für […] Text und Data Mining“.
Unter dieser Ausnahme können Kulturerbe-Einrichtungen alle Werke, die sie in ihren Sammlungen haben (oder zu denen sie auf anderem Wege rechtmäßigen Zugang haben), textlich und datentechnisch erfassen, solange dies zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung geschieht.
Die zweite Ausnahme (Artikel 4) ist nicht auf Text- und Data-Mining zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung beschränkt. Stattdessen erlaubt sie allen (einschließlich Einrichtungen des Kulturerbes), Vervielfältigungen oder Entnahmen von Werken, zu denen sie rechtmäßigen Zugang haben, für das Text- und Data-Mining anzufertigen, unabhängig vom zugrunde liegenden Zweck. Die Rechteinhaber können ihre Werke vom Anwendungsbereich der Ausnahme ausschließen, indem sie die Werke „in angemessener Weise, etwa mit maschinenlesbaren Mitteln im Fall von online veröffentlichten Inhalten, mit einem Nutzungsvorbehalt versehen“.
Zusammengenommen bieten diese beiden Ausnahmen den Institutionen des Kulturerbes genügend Raum für Text- und Data-Mining. In Fällen, in denen sich die Rechteinhaber ihre Rechte vorbehalten haben und sie sich nicht auf die in Artikel 4 eingeführte allgemeine Ausnahme berufen können, können sie auf die spezifische Ausnahme für wissenschaftliche Forschung in Artikel 3 zurückgreifen.
Wohlgemerkt gilt die spezifische Ausnahme für die wissenschaftliche Forschung nicht nur, wenn die Kulturerbe-Einrichtung die Forschung selbst durchführt, sondern auch wenn sie es externen Forschern ermöglicht, Werke aus ihren Sammlungen für das Text- und Data-Mining zu verwenden.
Die Richtlinie lässt den Stakeholdern Spielraum, einige der Modalitäten von Text- und Data-Mining zu definieren, beispielsweise die Standards für die Speicherung der dabei erstellten Kopien (Artikel 3 Absatz 2) und die Maßnahmen, die die Rechteinhaber ergreifen können, um „die Sicherheit und Integrität der Netze und Datenbanken zu wahren“ (Artikel 3 Absatz 3). Es wird wichtig sein, dass Einrichtungen des Kulturerbes zu diesen Diskussionen beitragen und ihren Beitrag mit den Organisationen koordinieren, die die Interessen von Forschern und Forschungseinrichtungen vertreten.
Nächste Schritte
Zusammengenommen haben die oben genannten Bestimmungen das Potenzial, die Position der Kulturerbe-Einrichtungen in Europa deutlich zu verbessern.
Während die meisten dieser Bestimmungen in der Umsetzung relativ eindeutig sind und wenig Spielraum lassen, besteht für Kulturerbe-Einrichtungen eine große Chance, mit den jeweiligen nationalen Entscheidungsträgern zusammenzuarbeiten und ihren Wünschen und Anliegen Gehör zu verschaffen. Dies wird besonders wichtig für die Teile der Richtlinie, die sich mit Text- und Data-Mining und dem Zugang zu vergriffenen Werken befassen. Hier hat der nationale Gesetzgeber bei der Richtlinienumsetzung erhebliche Handlungsspielräume.
Die Mitgliedstaaten haben bis zum 7. Juni 2021 Zeit, die Regeln umzusetzen. Deshalb ist es zum jetzigen Zeitpunkt wichtig, mit den nationalen Gesetzgebern zusammenzuarbeiten (und sich mit anderen Interessengruppen abzusprechen), da die meisten Entscheidungen in der Regel frühzeitig im Umsetzungsprozess getroffen werden.
Dieser Artikel erschien zuerst auf der Website der Europeana Foundation „Explainer: What will the new EU copyright rules change for Europe’s Cultural Heritage Institutions“ von Paul Keller, CC BY 4.0. Übersetzung: Redaktion iRights.info.
1 Kommentar
1 Schmunzelkunst am 11. September, 2019 um 19:05
Nur ein Hinweis zum letzten Satz im Abschnitt “Gemeinfreie Werke der bildenden Kunst (Artikel 14)”:
Der Erwägungsgrund 53 der Richtlinie darf nicht falsch verstanden werden. Wenn originalgetreue Reproduktionen gemeinfreier Werke keinen eigenständigen urheberrechtlichen Schutz genießen, darf jeder, der sie hergestellt hat, diese auch verkaufen – und nicht etwa nur die mit der Erhaltung des Kulturerbes betrauten Einrichtungen. Das sollte selbstverständlich sein und muss eigentlich gar nicht besonders betont werden. Der Hinweis auf die Postkarten im Erwägungsgrund 53 ist m. E. nur ein Beispiel, das zeigen soll, um was es hier geht. Genau lautet der Satz dort: “All das sollte mit der Erhaltung des Kulturerbes betraute Einrichtungen nicht daran hindern, Reproduktionen wie etwa Postkarten zu verkaufen.” Und genau dieser Satz führt jetzt wieder zu Missverständnissen.
In der Fachliteratur wird bereits erwähnt, dass der Erwägungsgrund 53 auch so verstanden werden kann, dass eine gewerbliche Nutzung, die über den bloßen Zugang zur Kultur hinausgeht “nicht privilegiert sein soll” (vgl. Schulze, “Fotos von gemeinfreien Werke der bildenden Kunst”, GRUR 8/2019). Schulze sagt aber auch, dass man den Passus auch so verstehen kann, dass “der Verkauf von Postkarten nur ein Beispiel dessen sein soll, was künftig ohne Berücksichtigung etwaiger Lichtbildrechte gestattet ist”. So sehe ich das auch. Man muss aber höllisch aufpassen, dass sich bei der Umsetzung der EU-Richtline in deutsches Recht am Ende nicht die Lobby der Reproduktionsverwerter durchsetzt.
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