Diskotheken-Monitoring und Remixkultur: Das verschleppte Problem

Foto: CC BY David Schwertgen
Obwohl Sampling-basierte Musik, Remixe und Mashups in der Popmusik seit Jahren etabliert sind und auch in vielen Diskotheken und Clubs aufgeführt werden, haben sie ein doppeltes Problem: Mit dem Urheberrecht, weil die Stücke wegen der komplizierten Rechteklärung oft nicht in den regulären Markt gelangen. Daraus ergibt sich ein Problem der Verwertung: Die Stücke können in der Regel nicht im Rahmen des Diskotheken-Monitorings der GEMA identifiziert werden, sodass weder die gesampelten noch die sampelnden Urheber Tantiemen erhalten.
2013 lancierte die Verwertungsgesellschaft GEMA eine umfassende Tarifreform für Diskotheken und DJs. Viele Clubbetreiber, Musiker und Verbände kritisierten die Reform wegen der teils massiven Kostensteigerungen; gleichzeitig wuchsen Zweifel daran, ob die Ausschüttungen aus dem Diskotheken-Monitoring gerecht verteilt würden.
Der Verband der Clubbetreiber, die Clubkommission, bemängelte beispielsweise, dass das Monitoring zu undurchsichtig sei und Akteure aus der Clubszene strukturell benachteilige, weil ein bedeutender Anteil der Stücke nicht erkannt werde. Gemeinsam mit der Livemusik-Kommission (Livekomm) und dem Verband der Musikspielstätten in Deutschland gründete die GEMA daraufhin eine eigene Arbeitsgruppe, die sich etwa ein Jahr lang mit den technischen und statistischen Möglichkeiten des Diskotheken-Monitorings beschäftigte.
Nach einer Marktanalyse kam sie zu dem Ergebnis, vom bisherigen Anbieter Mediacontrol zur französischen Firma Yacast wechseln: „Wir haben den Wechsel zu Yacast vorgenommen, um als GEMA im Clubbereich schlagkräftig zu sein“, so Marc Grittke, der in der GEMA für die Musikmeldungen im Aufführungs- und Senderecht verantwortlich ist.
Wie die GEMA ermittelt, was gespielt wird
Der Anbieter wechselte, das statistische Hochrechnungsverfahren blieb aber weitgehend gleich. Monitoringboxen – auch „black boxes“ genannt – werden an die Musikanlage des Clubs angeschlossen und zeichnen die komplette Musik auf. Anschließend wird per Zufallsprinzip pro Tanzfläche eine Stunde ausgewählt, innerhalb der die gespielten Stücke identifiziert werden. Aus Kostengründen werden allerdings nur 120 der etwa 5.500 Tanzflächen in Deutschland per Monitoring ausgewertet.
Etwa 6.200 Stunden Musik pro Jahr werden damit erhoben. Auf Basis des erhobenen Datenmaterials rechnet die Firma hoch, wie oft Stücke aufgeführt werden und ermittelt, wie die Tantiemen an die GEMA-Mitglieder verteilt werden. Die durchschnittliche Ausschüttung liegt derzeit laut GEMA bei rund 3 Cent pro wiedergegebener Spielminute. Um 500 Euro Tantiemen zu erhalten, müsste ein Werk also zusammengenommen mehr als 16.500 Minuten lang gespielt werden. Der hohe Wert resultiere daraus, dass die GEMA im Diskothekenbereich vergleichsweise geringe Einnahmen verzeichne, so Grittke.
Welche Diskotheken am Monitoring teilnehmen, ermittelt das Institut für Wirtschafts- und Sozialstatistik der Technischen Universität Dortmund per Zufallsprinzip. Großstädte werden wegen ihres vielfältigen Musikrepertoires besonders berücksichtigt und mit mehr Boxen versehen als ländliche Gegenden. Wird eine Diskothek ausgewählt, fragen Yacast und GEMA, ob sie die Monitoringbox installieren möchten.
Olaf Möller von der Livekomm, der in der Arbeitsgruppe mitwirkte, erklärt allerdings, dass viele Diskotheken gegenüber der GEMA generelle Vorbehalte hegen und so wenig wie möglich mit ihr zu tun haben wollen: „Das Misstrauen gegenüber der Verwertungsgesellschaft ist groß. Schon allein deswegen ist es nicht drin, ein 100 Prozent flächendeckendes Monitoring zu machen. Da ist noch viel weitere Aufbauarbeit nötig. Wir versuchen sowohl die Anzahl der Diskotheken in der Stichprobe als auch den zeitlichen Umfang der Stichproben selbst zu erhöhen. Ob uns das gelingt, kann ich gerade nicht sagen, vor allem wegen der großen Vorbehalte auf Seiten der Clubs.“
Remixkultur bleibt im Untergrund
Es gibt aber auch Probleme, die die Musik selbst betreffen. In zahlreichen deutschen Diskotheken wird nicht nur das „Standardrepertoire“, wie es die GEMA nennt, aufgeführt. Dieses kann Yacast mit einer Quote von 95 bis 97 Prozent identifizieren. Jenseits des Standardrepertoires gibt es jedoch in Nischengenres wie Hip-Hop, House, Dubstep oder Techno einen bedeutenden Anteil an Musik, der für den normalen Konsumenten nicht so einfach zugänglich ist. Oft kann diese Musik nur im Club gehört werden.
Der Grund für die Beschränkung des Aufführungsortes liegt auch in Urheberrechten. Viele der in den Clubs gespielten Stücke enthalten unlizenzierte Fremd-Samples und sind dadurch streng genommen illegal, darunter Sampling-basierte Tracks, eigene Versionen („Edits“), Remixe oder Mash-ups. Solche Stücke sind bei den DJs sehr beliebt und machen einen bedeutenden Anteil der Clubkultur aus, sie stehen aber in der Regel nicht in den Datenbanken zur Verfügung, die Yacast zur Identifizierung benutzt.

White-Label-Pressung. Foto: CC BY-SA Marcus Andrews
Meist wird diese Musik nur in Mini-Auflagen bei Underground-Labels veröffentlicht („White Labels“) oder zirkuliert in Szene-internen Kreisen. Sampling-basierte Musik ist damit in doppelter Hinsicht problematisch: Erstens urheberrechtlich, weil die Stücke wegen der komplizierten Klärung von Urheber- und Leistungsschutzrechten normalerweise nicht in den regulären Markt gelangen; zweitens bei der Vergütung, weil sowohl die originalen als auch die aufsattelnden Urheber der Sampling-basierten Stücke nicht für die Ausschüttung des Diskotheken-Monitorings erreicht werden. Das urheberrechtliche Problem wird zu einem verwertungstechnischen Problem.
Kein Extra-Monitoring für Sampling
Da auch Leistungsschutzrechte beim Sampling eine Rolle spielen, kommt an diesem Punkt die GVL, die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten ins Spiel. Anders als die GEMA vertritt die GVL die ausübenden Künstler und die Akteure der Tonträgerherstellung, die an der Produktion eines Musikstücks beteiligt sind. Deren Rechte an der Einspielung und der konkreten Aufnahme bestehen unabhängig vom Urheberrecht des eigentlichen Stücks. Die GVL stellt den Diskotheken dafür eine pauschale Gebühr in Rechnung, die etwa 26 Prozent der GEMA-Abgaben beträgt.
Ein Diskotheken-Monitoring wie die GEMA führt die GVL allerdings nicht durch: „Wir haben ein ganz anderes Kosten-Nutzen-Verhältnis als die GEMA“, erklärt Tilo Gerlach, einer der beiden Geschäftsführer der GVL. „Wir haben 2008, als wir uns intensiv mit dem Thema Diskotheken-Monitoring beschäftigt haben, festgestellt, dass die damit verbundenen Kosten erheblich sind und dass die Abweichung vom Airplay oder von sonst zu verteilenden Geldern so groß auch gar nicht ist.“
Die GVL verfolgt ein anderes Programm: Sie erfasst nicht via Monitoring die Diskotheken, sondern reserviert stattdessen einen Anteil an den verteilbaren Geldern für Neuerscheinungen und schüttet diesen separat aus. Gerlach betont aber, dass Samples durchaus berücksichtigt werden können – sofern die entsprechenden Informationen dazu vorliegen: „Wenn uns bei einer bestimmten Aufnahme aus unserer Datenbank gemeldet wird, da ist ein bestimmtes Sample enthalten, und daran haben diese und jene Musiker mitgewirkt, dann kriegen die natürlich genauso Geld von uns im Rahmen der Verteilungspläne wie jeder andere beteiligte Musiker. Wir machen da keinen Unterschied. Die Frage ist eher, woher weiß man, was da benutzt wird.“
Vergütungssystem für Samples noch Zukunftsmusik
Informationen darüber, welche Samples verwendet wurden, sind aber äußerst heikel. Viele Musikproduzenten scheuen die Offenlegung ihrer Sample-Quellen, da sie fürchten, die Stücke teuer nachlizenzieren zu müssen oder gar, dass die Veröffentlichung verboten wird. Die vorherige Klärung der Urheberrechte gelingt oft nicht, da Lizenzen einfach abgelehnt oder die Lizenzgebühren beliebig hoch angesetzt werden können.
Trotz all dieser rechtlichen Barrieren existiert Sampling-basierte Musik in vielfältiger Art – sie hat sich nur andere Orte und Veröffentlichungsformen gesucht. Interessant wäre daher ein Verwertungssystem, das der musikalischen Praxis Rechnung trägt – ein System, in dem Samples als solche erkannt und automatisch die entsprechenden Vergütungen an die Originalurheber bereitgestellt werden. Das würde einerseits voraussetzen, dass Sampling ohne Genehmigung möglich ist – was in der derzeitigen urheberrechtlichen Lage ziemlich aussichtslos erscheint. Andererseits müsste jegliche Musik in digitalisierter Form vorliegen und Samples dadurch separat identifizierbar sein, was ebenfalls Schwierigkeiten bereiten dürfte.
Nutzungsgetreue Vergütung – mit und ohne Samples
Finanzielle Gründe sind maßgebend dafür, dass keine nutzungsgetreue Vergütung stattfindet, aber auch technische, rechtliche und kulturelle. Dieser Auffassung ist auch Tilo Gerlach von der GVL: „Wir wissen, wir können aus Kostengründen nicht in jeder Diskothek – es kann auch in jedem anderen Outlet sein, zum Beispiel im Fußballstadion – die Musiknutzung erfassen. Wir haben auch rechtlich gar keinen Anspruch darauf, dass man uns diese Musikmeldung liefert. Diesen Anspruch gibt es eben nur bei der Live-Musik. Bei der Konservenmusik, über die wir hier sprechen, sind die Diskotheken nicht verpflichtet, uns Musikmeldungen zu machen.“
Beim Monitoring geht es aber nicht nur ums Geld. Für den Juristen Tobias Heinemann, der an der HU Berlin zu Verwertungsgesellschaften forscht, ist die Sache komplizierter, weil Verwertungsgesellschaften per Gesetz auch zur Förderung kultureller Vielfalt verpflichtet sind. Heinemann gibt zu bedenken, dass bei vollständig nutzungsgetreuen Abrechnungen die Vielfalt leiden könnte, da der Mainstream deutlich stärker abgebildet wäre: „Wegen der Treuhandstellung der Verwertungsgesellschaften kann die GEMA Rechtsinhabern nur mehr ausschütten, wenn sie anderen Rechtsinhabern etwas wegnimmt. Führt die komplett nutzungsgetreue Verteilung dann statt zur Förderung der kulturellen Vielfalt vielleicht zur Förderung des eintönigen Mainstreams? Eine komplett nutzungsgetreue Verteilung erscheint mir aber gerade aufgrund der Kulturförderung als möglicherweise zu weitgehend.“
Auch die Livekomm fordert, dass das Monitoring-Verfahren der GEMA in Zukunft zumindest nutzungsgetreuer werden und auch mehr Einsicht und Kontrolle bieten soll. Olaf Möller weist darauf hin, dass die Firma Yacast der GEMA mehr Möglichkeiten zur Einsicht einräume als der vorherige Partner Mediacontrol.
Gläserner DJ nicht in Sicht
Der derzeitige Verteilungsplan der GEMA sieht vor, dass die Grundzüge des Monitoring-Verfahrens veröffentlicht werden. Wegen der Manipulationsgefahr wird das Monitoring trotzdem nicht vollständig nachvollziehbar gehalten, es bleibt in weiten Teilen selbst eine „black box“. Für Diskothekenbetreiber beispielsweise ist nicht ersichtlich, zu welchen Zeitpunkten die Boxen von Yacast mitschneiden. Selbst die Liste der am Monitoring beteiligten Diskotheken wird unter Verschluss gehalten. Ein Überblick über die in deutschen Diskotheken gespielte Musik und deren Ausschüttung ist dadurch kaum möglich, der „gläserne DJ“ steht derzeit also nicht zur Debatte.
Möller erklärt zudem, dass eine 100-Prozent-genaue Erfassung derzeit technisch nicht möglich sei. Dies habe sich bei der Marktanalyse der Arbeitsgruppe herausgestellt: „Es gab und gibt immer eine Rest-Ungenauigkeit, keiner der getesteten Anbieter konnte eine 100-prozentig genaue Erfassung erreichen. Die nicht identifizierten Stücke müssen dann Musikverständige manuell überprüfen.“ Das Diskotheken-Monitoring ist also immer nur so stark wie die dahinter stehende Datenbank.
Eine Möglichkeit zur Verbesserung bestünde darin, dass Labels und Musiker selbst ihre Stücke der Datenbank hinzufügen. Marc Grittke zufolge bereitet die GEMA das bereits vor: „Wir als GEMA wollen in den nächsten Monaten eine Upload-Möglichkeit anbieten für die Musikwerke unserer Mitglieder. Durch den parallelen Upload der eigenen Musikwerke kann man sich dann sicher sein, dass diese richtig monitoriert werden.“
Der Upload bei der GEMA würde nicht die vorherige Klärung der Sample-Lizenzen ersetzen, könnte aber zumindest dazu beitragen, die Probleme bei der Verwertung von Remix- und Sampling-basierter Musik zu verringern. Auch könnte man überlegen, dass Musiker und Produzenten die benutzten Samples bei der Registrierung des Stücks in einer Verwertungsgesellschaft gleich mitangeben. Bei der GEMA-Anmeldung von Coverversionen ist das bereits ein praktiziertes Modell.
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