Leif Kramp: Öffentlich-rechtliche Inhalte brauchen Archivierungs-Pflicht
iRights.info: Die öffentlich-rechtlichen Sender sehen sich immer häufiger Forderungen gegenüber, bereits ausgestrahlte Sendungen besser zugänglich zu machen, etwa in offenen, kostenlosen Online-Archiven. Sind die Forderungen realistisch?
Leif Kramp: Diesen Zugang fordern ja häufig Museen oder die Wissenschaften ein, etwa für kulturgeschichtliche Forschung, oder auch andere Interessengruppen für gezielte Recherchen. Die mussten und müssen mitunter viel Geld bezahlen, weil für das Sichten von Archivmaterial bestimmte Archivdienstleistungen notwendig sind. Das heißt, die Ansprüche an die Senderarchive gehen gar nicht so sehr vom einzelnen Nutzer aus, der privat etwas haben möchte. Vielmehr sind damit Erwartungen an einen breiteren, kulturellen Zweck verbunden.
iRights.info: Der Kritik nach werden die Sender diesen Erwartungen mit ihrer derzeitigen Archivarbeit aber nicht gerecht.
Leif Kramp: Die öffentlich-rechtlichen und zumindest die großen privaten Rundfunkanstalten betreiben professionelle Programmarchive, die der Produktion und der Sendeabwicklung zuliefern. Sie haben ein eng umrissenes Aufgabenfeld und meist verhältnismäßig wenig Ressourcen. Es handelt sich zudem nicht um eigene Hoheitsbereiche, sondern um weisungsgebundene Abteilungen, die der Unternehmensleitung unterstehen.
Insofern müssen die Senderarchive vor Kritik in Schutz genommen werden, gerade auch vor dem Hintergrund der Digitalisierung, die großen technischen und personellen Aufwand erfordert. Dazu kommen Budgetzwänge. Das alles bedeutet meiner Ansicht nach: Um den geforderten Zugang zu vergangenen Sendungen zu verbessern, müssen die Sender ihre Archive dazu befähigen.
iRights.info: Und warum machen das die Sender bisher nicht?
Leif Kramp: Dafür braucht es mehr als nur wohlmeinende Äußerungen der Intendanten und Geschäftsführungen, sondern konkrete Vorgaben im Sinne eines Auftrags und die dazugehörige finanzielle Ausstattung. Bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten können aber auch die Intendanten nur begrenzt über ihre finanziellen Möglichkeiten entscheiden.
iRights.info: Warum?
Leif Kramp: Es braucht eine klare vertragliche vorgegebene Zuordnung eines Teils des Rundfunkbeitrages für archivische Leistungen, die kulturellen Zwecken dienen soll, insbesondere der Bildungsarbeit. Das heißt, diese archivischen Leistungen müssen als Aufgabe im Dienste der Öffentlichkeit definiert werden – und es muss für sie von vornherein eine klare Zuteilung von Mitteln geben.
iRights.info: Können die Sender diese Zuteilungen nicht schon jetzt selbst vornehmen?
Leif Kramp: Natürlich läge das im Rahmen des Möglichen. Doch die Mittel für die primäre Aufgabe der Senderarchive – die Unterstützung des Produktionsablaufs – sind schon knapp genug. Daher wäre es verbindlicher, wenn diese neue Art der Beitragszuteilung durch die gesetzlich zuständige „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten“ (KEF) festgelegt und damit den Sendern verbindlich vorgegeben würde. Anderenfalls bleibt es eben den internen Agenden der Sender überlassen – und im Zweifelsfall gehen ihnen erfahrungsgemäß andere Dinge vor.
iRights.info: Der Regisseur Dominik Graf sagt, dass sich die Sender nach ihrem Selbstverständnis fragen lassen müssen. Sie säßen auf einem riesigen kulturellen Erbe, seien aber nicht in der Lage, dies zugänglich zu machen.
Leif Kramp: Da hat er in gewisser Weise Recht. Es gab ja in der Vergangenheit schon Lösungen, um mit den Zugangsproblemen konstruktiv umzugehen. So wurden in Einzelfällen beispielsweise Wissenschaftler von den Sendern angestellt, diese hatten dann als Mitarbeiter des Senders einen besseren Zugriff auf das archivierte Material. Solche oder andere Workarounds können aber immer nur Ausnahmen bleiben und sind als modellhafte Alternative nicht geeignet.
iRights.info: Wird die Öffnung der Senderarchive nicht auch von den gesetzlichen Auflagen für die Online-Mediatheken verhindert, wenn etwa viele Inhalte nach sieben Tagen gelöscht werden müssen?
Leif Kramp: Natürlich ist diese Pflicht zur Depublikation eine zentrale medienpolitische Frage, sie wird ja seit ihrer Einführung diskutiert. Doch hinter dieser Debatte steht das Problem, dass der Staat keine Archivverantwortung für Fernsehen und Rundfunk übernimmt. Die Überlieferung von Fernsehen und Radio ist in den meisten Landesarchivgesetzen – und das ist die Basis der Archivarbeit der öffentlichen Hand – nicht verankert, sondern explizit ausgeklammert oder gar nicht erwähnt. Bei Büchern gibt es die Pflicht, ein Exemplar an die Deutsche Nationalbibliothek zu liefern.
iRights.info: Und diese Pflicht gibt es für Fernsehen und Radio nicht?
Leif Kramp: Für die – freiwillige – Hinterlegung von Filmen ist das Bundesarchiv zuständig – immerhin. Doch für das Fernseh- und Radioerbe fühlt sich der Staat nicht verantwortlich, hier ist die Überlieferung im sprichwörtlichen Sinne auf Gedeih und Verderb den Sendern überlassen. Die geben sich zwar durchaus Mühe, auch aus eigenem Interesse, aber eine verlässliche öffentliche Zugänglichkeit ist dadurch freilich nicht gegeben.
iRights.info: Sind Sie also dafür, die Rundfunkstaatsverträge und Archivrecht zu reformieren?
Leif Kramp: Ich gehöre nicht zu denen, die immer gleich nach Reglementierungen rufen. Doch für die verlässliche Sicherung und eine bessere Zugänglichkeit des audiovisuellen Kulturerbes, das öffentliche Rundfunk- und Fernsehanstalten hinterlassen, braucht es verbindliche Regelungen, die über Selbstverpflichtungen hinausgehen. Es muss also eine Pflicht zur Ablieferung an eine externe Sammlungseinrichtung zur systematischen öffentlichen Überlieferungsbildung geben. Oder eine Vorgabe der KEF über zweckgebundene Zuteilungen aus den Rundfunkbeiträgen an die Archive, verbunden mit einer klaren Aufgabendefinition, was die Archive für die externe Kultur- und Bildungsarbeit leisten müssen.
iRights.info: Und Sie meinen, dass sich daraus auch Änderungen für die Online-Mediatheken ergeben, sie besser zugänglich werden?
Leif Kramp: Das ist eine Frage der Ausgestaltung des Auftrags der Rundfunkanstalten jenseits der aktuellen Programmgestaltung: Wenn das Rundfunkerbe in seiner kulturellen Relevanz politisch ernst genommen wird, dann liegt eine längerfristige oder gar dauerhafte Verfügbarkeit einmal gesendeter Inhalte nahe. Dies muss nicht grundsätzlich kostenlos sein. Entscheidend ist, dass es überhaupt ein Angebot gibt, auch zu marktüblichen Preisen.
iRights.info: Wird die Sieben-Tage-Regel Ihrer Ansicht nach Bestand haben?
Leif Kramp: Das hängt vom politischen Willen ab, aber auch von der Marktentwicklung. Zurzeit befinden sich Video-on-demand-Angebote im Aufwind. Ob die Pläne einer Online-Plattform für die Vermarktung von Sendungen der öffentlich-rechtlichen Anbieter doch noch von Erfolg gekrönt sein werden oder aber die Inhalte in möglichst großer Breite auf anderen Wegen zugänglich gemacht werden, ist letztlich nicht der entscheidende Punkt. Wichtig ist, dass es verlässliche Anlaufstellen gibt.
2 Kommentare
1 Björn am 15. April, 2015 um 09:22
Alleine schon wenn man das Thema “Zwangsgebühr” für die ÖR-Sender berücksichtigt – auch wenn es jetzt “wohlwollend” Rundfunkbeitrag genannt wird, wäre eine Möglichkeit der langfristigen (offiziellen) Abrufmöglichkeit für die ausgestrahlten Inhalte sehr gut. Es gäbe bestimmt genügend Möglichkeiten die finanziellen Mittel dafür an anderen Stellen einzusparen.
2 Kanne am 15. April, 2015 um 20:44
Es irritiert mich, daß das Deutsche Rundfunkarchiv (eine gemeinnützige Stiftung der ARD) in diesem Interview nicht erwähnt wird.
Was sagen Sie dazu?