Die Sieben-Tage-Regel – ein untaugliches Mittel

Früher war alles… nun ja, vielleicht nicht besser, aber doch sehr viel einfacher mit diesem Fernsehen. Man hatte eine Handvoll Fernsehprogramme, öffentlich-rechtlich (West) oder staatlich (Ost), man hatte zwei Farben (schwarz und weiß), und wer nicht pünktlich zur Sendung vor dem Fernsehgerät saß, dem blieb nur auf eine Wiederholung zu hoffen und zu warten.
Das ist lange her. Dann wurde es kompliziert. Wir Zuschauer wurden unabhängig(er) von den Sendezeiten, vorausgesetzt, das Geld reichte für einen Videorecorder, und wir schafften es, das Ding korrekt zu programmieren. Die Anbieter jammerten zwar, dass die VHS-Technik ihnen das Geschäft kaputtmachen würde; gleichzeitig entdeckten sie, wie man mit der Hilfe der gleichen Technik Geld verdienen konnte, indem man bespielte Kassetten an die verkaufte, die es nicht geschafft hatten, ihren Videorecorder so zu programmieren, dass er aufnahm, was er aufnehmen sollte.
Und dann kamen die digitalen Medien, die CD, die DVD, die Blu-Ray-Disk, die MP3- und MP4-Dateien. Und seitdem ist alles – sagen wir – unübersichtlich.
Digitaler Kontrollverlust
Die Folge dieser technischen Entwicklung: digitaler Kontrollverlust. Besonders schmerzlich aus der Sicht der Produzenten von Medieninhalten: der Verlust über die finanzielle Kontrolle. Solange nämlich Rechteinhaber die Kontrolle über die Verbreitung von Medieninhalten hatten, konnte die Finanzierung als gesichert angesehen werden: durch Rundfunkgebühren, durch Werbeeinnahmen, durch den Verkauf von Kinokarten, durch öffentliche Förderung, durch den Verkauf von Bild- und Tonträgern.
Technisch nur bedingt befriedigende Kopiermöglichkeiten wurden in Deutschland aus der Sicht der Rechteinhaber durch Hilfskonstrukte erträglich gemacht – erinnert sich noch jemand daran, dass beim Kauf eines Kassetten- oder Videorecorders eine „GEMA-Gebühr“ gesondert ausgewiesen wurde?
Mit der Digitalkopie für jedermann haben sich solche Sicherheiten erledigt. Jeder kann mit Mitteln aus dem nächsten Elektronikmarkt Eins-zu-eins-Kopien von Medieninhalten erstellen, und mit dem WWW und dessen Audio- und Videoplattformen hat jeder die Möglichkeit, mit geringen Investitions- und Betriebsmitteln Medieninhalte für ein theoretisch unbegrenztes Publikum zu publizieren – eigene Inhalte genauso wie angeeignete.
Seit dem Aufkommen der Digitalkopie kämpfen die Rechteinhaber gegen den digitalen Kontrollverlust – mit Mitteln, die sich bisher allesamt als untauglich erwiesen haben. Vor allem Mechanismen zur technischen Verhinderung unberechtigter Verbreitung sind bisher immer gescheitert. Das liegt in der Natur der Sache: Solange Medieninhalte abspielbar sein sollen, sind sie auch kopierbar. Wenn sie das nicht sind, sind sie ausgesprochen nutzlos. Digitale Kopiersperren sind umgehbar und ein einmal geknackter Kopierschutz ist nichts mehr wert.
Ländercodes: Ins eigene Bein geschossen
Aus der Sicht der Konsumenten kommt eine große Intransparenz hinzu. Dabei geht es nicht einmal um mangelndes Unrechtsbewusstsein beim Herunterladen von Medieninhalten. Es genügt, dass den Verbrauchern nicht ausreichend erklärt wird, warum sie für die eine Art von Inhalten eine Gebühr bezahlen sollen, wenn eine andere Art von Inhalten gebührenfrei erhältlich ist, und wieder eine andere Art nur gegen Gebühren entschlüsselt wird. Und dass diese Programminhalte, so unterschiedlich sie erworben werden, im Grunde austauschbar sind.
Die Hersteller und Verkäufer von Videoinhalten haben sich spätestens dann ins eigene Bein geschossen, wenn der ehrliche Verbraucher merkt, dass er die im USA-Urlaub teuer erworbene DVD mit seiner aktuellen Lieblings-TV-Serie auf dem in Europa gekauften DVD-Player nicht abspielen darf. Mit solchen Maßnahmen stellen sich Rechteinhaber nicht als Geschädigte dar, sondern als Profiteure von intransparenten und somit nicht legitimierbaren Regeln.
Die untauglichen Mittel beschränken sich jedoch nicht nur auf technische Versuche, die Kontrolle über Herstellung und Verbreitung digitaler Medien zurückzugewinnen. Womit wir bei jener „Sieben-Tage-Regel“ wären, wonach öffentlich-rechtliche Programmanbieter linear ausgestrahlte TV-Inhalte zwar nachträglich zur Verfügung stellen dürfen, aber eben nur für eine begrenzte Zeit, meist eine Woche.
Diese Regelung gilt für ARD, ZDF, deren Kanäle und dritten Programme sowie für das Deutschlandradio. Die Deutsche Welle ist davon ausgenommen, weil sie sich mit ihren Angeboten explizit an Nutzer außerhalb Deutschlands wendet und deshalb nicht im Wettbewerb mit anderen deutschen Sendern steht.
Diese Regelung ist keine deutsche Erfindung, und sie ist auch nicht überall auf sieben Tage begrenzt; in anderen Ländern, bei anderen Sendern – bei der BBC beispielsweise – gibt es eine 30-Tage-Regel zum Angucken verpasster Sendungen.
Streit um die Sieben-Tage-Regel
Die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK) stellt die Sieben-Tage-Regel als Bedrohung des Geschäftsmodells von Dokumentarfilmern dar: Inhalte, die ein Sender für die lineare Ausstrahlung erworben hat, werden ohne Kompensation für die weitere Verbreitung zur Verfügung gestellt, heißt es im AG Dok-Papier „7 Tage oder ewig?“ (PDF).
Die AG DOK stellt die Sieben-Tage-Regel in Frage, weil selbst die zeitliche Begrenzung wenig als Schutz ihrer wirtschaftlichen Interessen tauge. Da die Nutzer ihr stärkstes Interesse an bereits ausgestrahlten Sendungen innerhalb dieser Zeit in den Mediatheken gratis befriedigen könnten, würde darunter die Nachfrage nach DVDs dieser Produktionen leiden. Aus diesem Grund – so die Argumentation der AG DOK – lasse sowohl von den ausstrahlenden Anstalten als auch von den Produzenten das Interesse nach, DVDs zu produzieren – und damit fallen die dadurch generierten Einkünfte weg.
Aus der Sicht der öffentlich-rechtlichen Programmveranstalter dagegen ist die Regel ein politischer Kompromiss, den man lieber heute als morgen los wäre. Die siebentägige Frist ist den Konsumenten nur schwer vermittelbar und schmälert die Attraktivität öffentlich-rechtlicher Mediatheken.
Aus der Sicht der Konsumenten schließlich ist die Regel unverständlich, glauben sie doch, über den Rundfunkbeitrag bereits dafür bezahlt zu haben, die Inhalte jederzeit sehen zu dürfen. In einer Zeit, in der der faktische Medienkonsum immer weniger durch die Vorgaben einer linearen Ausstrahlung, sondern immer mehr durch die ständige Verfügbarkeit im Netz bestimmt wird, leuchtet eine derartige Einschränkung nicht ein.
Und auch technisch gesehen ist die Depublikation nach sieben Tagen wirkungslos. Wie auch im Falle von kommerziellen Video-Plattformen (Youtube und weitere) ist das Speichern einer Kopie eines Video-Inhaltes zwar ein Verstoß zumindest gegen Nutzungsbedingungen, technisch aber problemlos möglich.
Es bedarf also – anders als von den Interessenvertretern kommerzieller Content-Produzenten und -Anbieter gerne behauptet – keinesfalls eines schwach entwickelten Unrechtsbewusstseins, wenn Verbraucher Kopierschutz-Mechanismen umgehen oder für das Streaming bereitgestellte Inhalte herunterladen und speichern. Es reicht, dass die Rechtslage dem Verbraucher völlig unklar – und auch nicht erklärbar – ist.
Ein neues Urheberrecht ist gefordert
Der Rechtekomplex, der gerne unter der Überschrift „Urheberrecht“ zusammengefasst wird, stammt aus der Zeit, als Ressourcen zur Publikation noch knapp waren. Er ist von den technischen Möglichkeiten des frühen 21. Jahrhunderts ebenso wie von den veränderten Konsumgewohnheiten abgehängt worden. Bisher hat der Gesetzgeber nur versucht, durch das Fortschreiben bestehender Regeln diesen Entwicklungen gerecht zu werden, und ist damit – für jeden sichtbar – gescheitert.
Was Industrie und Verbraucher stattdessen brauchen, ist ein neues Urheberrecht, das auf den neuen Grundlagen der Produktion und der Verbreitung aufgebaut ist; eines, das durch Transparenz und Klarheit die berechtigten Ansprüche einer kommerziell arbeitenden Industrie ebenso berücksichtigt wie die ebenso berechtigten Ansprüche des Verbrauchers.
Wie groß diese Herausforderung an Gesetzgeber und Gesellschaft ist, zeigt sich daran, dass diese grundlegende Reform des Urheberrechts seit Jahren gefordert wird – unter anderem von der gerne zitierten, aber nie näher definierten „Netzgemeinde“ – ohne dass etwas Greifbares geschehen ist.
1 Kommentar
1 Tim am 31. März, 2015 um 09:55
Wenn der Staat etwas (mit-)finanziert, gehört es anteilig der Allgemeinheit. Das sollte für öffentlich-rechtliche Medieninhalte ebenso gelten wie für Produkte und Entwicklungen der Privatwirtschaft, die durch Subventionen finanziert wurden.
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