Abmahnbeantworter: Anwälte sehen noch Mängel an Briefgenerator
Wer zu Unrecht wegen unerlaubten Filesharings abgemahnt wird, soll mit dem Werkzeug Hilfe erhalten: Der Abmahnbeantworter erstellt mit wenigen Klicks ein Antwortschreiben an abmahnende Kanzleien. Dazu muss der Nutzer eine Reihe Fragen beantworten, der Generator wählt die passenden Textbausteine aus und erzeugt einen Brief zum Download. Ins Netz gestellt haben das komfortable Werkzeug der Chaos Computer Club (CCC) und der Förderverein freie Netzwerke, der sich für offene WLAN-Netze einsetzt.
Dienst soll politisches Signal setzen
Mit der letzten Reform an der Störerhaftung sollte das Abmahnrisiko ursprünglich weitgehend entfallen, das Anbieter offener WLANs eingehen. Doch auch bei den seit Ende Juli 2016 geltenden Regelungen fehlen entscheidende Klarstellungen im neuen Gesetzestext. „Wir wollen mehr Menschen ermutigen, ihr Internet mit Nachbarn, Passanten und Netz-Bedürftigen zu teilen“, schreiben die Macher nun auf der Seite des Abmahnbeantworters.
Ob das Werkzeug aber wirksamen Schutz bei Abmahnungen bietet, davon sind nicht alle überzeugt. Zunächst meldete sich der Kölner Anwalt Markus Kompa zu Wort, ebenfalls Mitglied des CCC. In einer Reihe von Beiträgen kritisierte er das Werkzeug und seine Macher heftig, auch polemisch. Ebenso richtete er seine Kritik an zahlreiche Medien, die auf einen Internet-Scherz hereingefallen seien. (Der Scherz lag aber in seiner Darstellung, das Werkzeug sei als Scherz gemeint gewesen.)
Die Anwältin Bea Hubrig, die am Werkzeug mitgearbeitet hat, erläutert das Projekt im Interview mit netzpolitik.org. Hubrig unterstreicht, dass mit dem Werkzeug auch ein politisches Signal gegen den Abmahnmissbrauch gesetzt werden soll. „Von politischer Seite gab es zu wenig Unterstützung, daran etwas zu ändern“.
Die Macher des Tools hoffen, dass Abmahnungen in Zukunft unattraktiver werden, indem das Kostenrisiko zunehmend auf die Abmahner verlagert wird. Dazu soll der Abmahnbeantworter beitragen, indem sich mehr Nutzer wehren, Abmahnungen vor Gericht als unberechtigt feststellen lassen – und die Gegenseite die Kosten der Abgemahnten übernehmen muss. Die größte Abmahnkanzlei in Deutschland nehme ihre Schreiben bereits routinemäßg zurück, wenn Freifunker sich auf das Haftungsprivileg berufen, so Hubrig.
Anwälte sehen vorschnelle Preisgabe kritisch
Der Streit über das Werkzeug macht sich vor allem an der Risikoabschätzung fest, wie sie Anwälte vornehmen. Die Abmahnindustrie setzt darauf, Abgemahnten Angst zu machen, obwohl am Ende nur wenige Fälle vor Gericht landen – Urteile können das Geschäftsmodell ausbremsen. Wer vorschnell Informationen über seinen Fall preisgebe, liefere Abmahnern unnötige Informationen, mit denen sie besser einschätzen können, ob beim Empfänger überhaupt etwas zu holen sei, kritisiert Kompa. „Wer vorgerichtlich sein Pulver verschießt, macht sich für Abmahnanwälte im Gegenteil interessant“.
Der Mainzer Anwalt Niklas Plutte hält die Kritik Kompas für „zwar etwas dramatisch, in der Sache aber zutreffend“. Wenn Abmahner die Anschlussinhaber anhand ihrer Datenspuren herausfischten und Post verschickten, wüssten sie ansonsten noch nichts über den Sachverhalt und die Lebensverhältnisse des Betroffenen. Für die Abgemahnten sei das ein Vorteil. „Wir teilen in unseren Stellungnahmen daher normalerweise keine Detailinformationen zum Sachverhalt mit“, so Plutte zu iRights.info.
Plutte hält den Gedanken des Abmahnbeantworters für gut, das Werkzeug aber bislang nicht für praxistauglich. Auskünfte zum Sachverhalt seien nur dann sinnvoll, wenn absolut klar sei, dass der Abgemahnte nicht haftet. „So liegt es aber häufig nicht“, meint Plutte und verweist auf die „unscharfen Grenzen“ der Störerhaftung. Die Gesetze begrenzen die Störerhaftung zwar im Prinzip schon lange, Gerichte haben in unterschiedlichen Konstellationen dennoch immer wieder entschieden, dass Anschlussinhaber haften, weil sie bestimmte Pflichten verletzt hätten.
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Ein Werkzeug für wirklich klare Fälle
Ähnlich äußert sich die Anwältin Viola Lachenmann im Gespräch mit iRights.info. Auch ihre Kanzlei vertritt abgemahnte Nutzer in Filesharing-Fällen. „Das größte Problem ist, wenn Leute beim Absender der Abmahnung anrufen oder wenn sie schriftlich irgendwelche Angaben machen, die dann letztlich gegen sie verwendet werden können“.
Umsichtig sollten Abgemahnte laut Lachenmann auch dann bleiben, wenn sie nicht selbst, sondern Familienmitglieder für die Rechtsverletzung infrage kommen. Beim Abmahnbeantworter lässt sich dazu etwa auswählen, man teile sein Netzwerk mit der Familie. Abgemahnte, die sich darauf berufen, würden zwar von manchen Kanzleien nichts mehr hören, bei anderen aber lande der Streit auch mal vor Gericht – und das Risiko verlagere sich auf Familienmitglieder und Kinder. Bei Kindern müssen Eltern zudem im Zweifel nachweisen, dass sie belehrt wurden. Hier sei es fraglich, ob sich die abmahnenden Kanzleien mit den Textbausteinen des Abmahnbeantworters zufriedengeben.
Sind die Abgemahnten sich ihrer Sache ganz sicher, kommt es für Lachenmann auf einen Versuch mit dem Werkzeug an: „Wenn der Abgemahnte sagt: Ich zahle auf gar keinen Fall, die können mich mal und ich war es nicht! – dann kann man es ja mal probieren“. Solche klaren Fälle seien aber eher selten. Lachenmann schätzt, dass rund 8 von 10 Betroffenen, die sich an sie wenden, selbst unerlaubtes Filesharing genutzt hatten. Das berücksichtigt auch der Abmahnbeantworter: Wer sich nicht sicher ist, ob er die Rechtsverletzung nicht doch begangen hat, bekommt keinen vorformulierten Brief, sondern wird auf eine Google-Suche nach Anwälten weitergeleitet.
Kritik aus Eigennutz?
Würden Anwälte aber überhaupt ein Werkzeug gutheißen, das einen Teil ihrer Tätigkeit in die Hände der Betroffenen selbst legt? Bislang sind sie noch wenig von der Automatisierung ihrer Arbeit betroffen. „Wenn ich als verteidigender Anwalt ein kostenfreies Tool wie den Abmahnbeantworter kritisiere, entsteht leicht der Eindruck, dass ich mich um Einkünfte sorge“, sagt Niklas Plutte.
Oftmals entschieden jedoch kleine Details über die richtige Reaktionsweise auf Abmahnungen – die könne der Abmahnbeantworter jedenfalls bis jetzt nicht abdecken. Viola Lachenmann sagt: „Ich erfinde nicht bei jedem Schreiben das Rad neu, sonst würde es deutlich teurer. Aber man muss trotzdem die Leute anhören. Jeder Fall ist anders“.
Wer abgemahnt wurde, muss für weitere Hilfe nicht immer tief in die Tasche greifen. Viele Verbraucherzentralen haben Beratungsangebote, zahlreiche auf Filesharing-Fälle spezialisierte Anwälte werben mit einer kostenlosen Erstberatung. Wer will, kann dann immer noch den Briefgenerator nutzen.
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