GEMA-Youtube-Deal: Nach der Dauerbaustelle ist vor der Dauerbaustelle
Youtube und GEMA haben sich geeinigt – keine Sperrtafeln mehr in Deutschland. Ist nun alles gut? Nicht ganz, meint iRights.info-Redakteur Henry Steinhau in seinem Kommentar. Dass die Vertragsbedingungen nicht öffentlich sind, könnte zu einem Problem werden.
Ja, man darf durchaus erleichtert sein. Dass die GEMA nun endlich Vergütungen von Youtube erhält und die Videoplattform nun endlich die lästigen Sperrtafeln abbaut, fühlt sich gut an. Vielleicht ein bisschen so, wenn aus dem Stadtbild diverse Dauerbaustellen verschwinden, die am Ende nur noch nerven.
Im vorliegenden Fall waren es praktisch zehntausende Absperrungen, die – um im Bild zu bleiben – mitten auf einem beliebten und belebten Video-Boulevard standen und dort immer im Weg waren.
Sicher, manche krochen für ungesperrten Videogenuss durch einen VPN-Tunnel, manche wechselten zu anderen Anbietern. Doch ein großer Teil nahm die Hindernisse auf Youtube früher oder später als dauerhaft und nahezu gleichgültig hin: Warum auf diesen Dauerbaustellen nichts mehr voran ging, wer daran mehr oder weniger Schuld trägt, das wollte bald keiner mehr wissen.
Doch plötzlich ist der Spuk vorbei, die Sperrtafeln verschwinden: freier Zugriff für freie Onliner.
Viele Musiker und Labels freuen sich öffentlich, dass ihre Videos – primär für Promotion und Publikumsbindung produziert und in der Regel kostenlos gestreut – nun auch auf Youtube sichtbar sind und Tantiemen einbringen. Zudem erwarten die Musikurheber Nachzahlungen für bis zu sieben Jahre, weil rückwirkend ab 2009.
Soweit, so gut? Nicht ganz
Da ist beispielsweise die Geheimhaltungsklausel. Auch wenn das für Verträge generell nicht unüblich ist: Eine Verwertungsgesellschaft ist treuhänderisch tätig und ihren immerhin über 70.000 Wahrnehmungsberechtigten Rechenschaft über eingenommene und ausgeschüttete Vergütungen schuldig. Wieso wird für Youtube eine Ausnahme und damit die Transparenz unnötig schwer gemacht?
Dem Youtube- und Google-Eigner „Alphabet“ ist es ein weiteres Mal gelungen, eine Sonderregelung für den Umgang mit urheberrechtlich geschützten Werken auszuhandeln. Man erinnere sich ans umstrittene Leistungsschutzrecht für Presseverlage: Es sieht vor, dass Suchmaschinenbetreiber für sogenannte News-Snippets Abgaben zahlen. Allerdings wies Google diesen Anspruch zurück, listete stattdessen einzelne Verlage vorübergehend aus seinen News aus – und handelte am Ende eine Sondervereinbarung aus, um die fraglichen Vergütungen doch nicht zahlen zu müssen.
Der jetzt erzielte Vertrag mit der GEMA ist eine ebensolche Sonderregelung. Denn Youtube zahlt nicht pro Abruf eines Videos, wie es die Tarife für vergleichbare Online-Nutzungen vorsehen. Vielmehr zahlt Youtube der GEMA und deren Musikurhebern eine pauschale Mindestvergütung und beteiligt sie zusätzlich an erzielten Werbeumsätzen.
Welchen Einfluss die Höhe der Abrufzahlen auf diese Zahlungen haben, die Youtube laut Aussage der GEMA regelmäßig übermitteln will, bleibt völlig unklar. Dazu kommt, dass Youtube auch durch diesen Vertrag gegenüber der GEMA nicht lizenzpflichtig ist – handelt es sich doch um eine freiwillige Vereinbarung, die zudem auf drei Jahre befristet ist.
Irgendwie hat das etwas von einem Kuhhandel
Nur warum dauerte dieser Kuhhandel sieben Jahre und warum kam er gerade zum jetzigen Zeitpunkt zustande?
Zum einen traf hier wohl die deutsche Sturheit einer großen, robusten Verwertungsgesellschaft auf den langen Atem eines Mega-Konzerns mit konditionsstarken Rechtsabteilungen. An ihren unterschiedlichen Rechtsauffassungen zur Rolle und Verantwortung von Youtube als kommerzielle Online-Plattform verkeilten sich die mächtigen Kontrahenten wie zwei Sumo-Ringer. Deren Kämpfe ziehen sich ja mitunter auch recht lange hin.
So dauerte es einige Zeit, bis die GEMA die Rolle des alleinigen Buhmanns abschütteln konnte. Dafür brauchte es Aufklärung, Öffentlichkeitsarbeit und ein Gerichtsurteil, dass Youtube zwang, den Text der Sperrtafeln zu ändern. Danach wurde zumindest einem Teil der Öffentlichkeit klar, dass Youtube an dieser jahrelangen Misere nicht ganz unschuldig war. Und Beulen in der Reputation kann der Google-Konzern gar nicht gut leiden. So wollten nach sieben Jahren voller gerichtlicher Wurfansätze und Würgegriffe wohl beide Seiten den Makel dieses nervigen Sperrtafelkampfes loswerden – und einigten sich außergerichtlich.
Dazu kommt, dass Youtube auch hierzulande seinen kostenpflichtigen Streamingdienst Youtube Red starten will. Dafür mussten die Lizenzen geklärt werden. Womöglich noch rechtzeitig vor Weihnachten, um sich Spotify, Amazon, Netflix und Apple im Wettbewerb um bezahltes Streaming stellen zu können.
Beide erreichten ihr Ziel und wahrten ihr Gesicht
Die GEMA hat endlich Geld für ihre Künstler rausgeholt, öffnet ihnen endlich auch Youtube als Marketingplattform, von der nun auch Vergütungen kommen – wie hoch oder niedrig diese am Ende auch immer ausfallen.
Youtube darf sich weiter als reiner Host-Provider bezeichnen, der selbst keine Inhalte anbietet und damit nicht zu GEMA-Abgaben verpflichtet ist. Das Unternehmen muss auch keine Haftung übernehmen, die über die Störerhaftung der Host-Provider hinausgeht. Neben Content-ID und der Sperrung ab Kenntnis zählen dazu auch Maßnahmen wie Wortfilter, die das Oberlandesgericht Hamburg für vertretbar hielt.
Das heißt: Welche Rolle und welche Verantwortung Youtube gegenüber geschützten Werken auf seinen Servern hat, bleibt weiterhin nicht endgültig geklärt. Antworten darauf hätte am Ende der Bundesgerichtshof geben können. Er wird darüber nun nicht entscheiden.
Stattdessen wurden die sprichwörtlich offenen Baustellen mit dem Sand des Stillschweigens zugeschüttet. Doch die darin liegenden Konflikte bleiben bestehen. Müssen Plattformbetreiber wie Youtube von den Umsätzen mit dem Datenverkehr, den sie auf ihren Servern ermöglichen und vermarkten, etwas an Urheber abgeben, wenn deren Werke dabei sind, oder nicht?
Auf diese Frage suchen Kreativwirtschaft und Politik, Rechtswissenschaft und EU schon länger eine Antwort. Bleibt sie offen, wird es vermutlich noch viel, viel mehr Sondervereinbarungen geben, mitunter befristet und intransparent, wackelig und riskant, verunsichernd und hemmend. Es ist daher den Gesetzgebern in Deutschland und der EU dringend zu raten, diese Dauerbaustellen endlich zu Ende zu bringen.
Korrektur: In einer vorherigen Fassung des Textes hieß es fehlerhaft, dass Youtube gar keine Haftung übernehmen müsse. Die Aussagen über die Störerhaftung von Youtube und das Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg haben wir korrigiert.
3 Kommentare
1 M. Lechat am 6. November, 2016 um 18:19
Auf EU-Ebene gibt es bereits Initiativen, die zukünftige “Tricksereien” à la Youtube/Google unterbinden und für eine faire Vergütung der Kulturschaffenden sorgen sollen. Es wäre wünschenswert, wenn diese Initiativen auch endlich mal von unseren Netzaktivisten unterstützt würden. In den vergangenen sieben Jahren war ja ziemlich genau das Gegenteil der Fall.
http://www.authorsocieties.eu/transferofvalue
2 dr. motte am 11. November, 2016 um 11:56
ein kuhhandel im warsten sinne des wortes. allein schon deswegen, weil 95% der gemaimitglieder sich nicht einig sind. warum sind sie sich nicht einig? weil sie schlecht informiert sind. deswegen können sie auf den gema-vorstand auch keinen druck ausüben. das ist bei der vgwort nicht anders. am ende arbeiten alle verweru´tungsgesellschaften gegen die interessen der musiker und autoren. es braucht also dringent eine interessenvertretung für musiker und nicht für die verlage. wir brauchen endlich gerechtigkeit, offenheit und faire bedingungen für musiker bei verlagen und gema in deutschland! beste grüße aus berlin ;.)
3 Philip am 18. November, 2016 um 11:25
Danke für diesen Artikel. Ich verstehe auch nicht ganz, warum die GEMA plötzlich ein Non Disclourse Agreement mit YouTube akzeptieren konnte/durfte. Hatte die GEMA doch zuvor immer noch behauptet, dass sie als Verein zur Transparenz gegenüber ihren Mitgliedern verplichtet sei:
“YouTube ist derzeit nicht bereit, die Ergebnisse der Verhandlungen offen zu legen. Genau dies fordert aber die GEMA, die auch rechtlich zur Veröffentlichung der Ergebnisse verpflichtet ist.
Dazu Dr. Harald Heker, Vorstandsvorsitzender der GEMA: „Das Transparenzgebot ist für uns von entscheidender Bedeutung. Im Sinne der Urheber ist dies eines unserer wichtigsten Verhandlungsziele.“”
zitiert aus einer Pressemeldung der GEMA: https://www.gema.de/aktuelles/rechtsmittel_fuer_mehr_transparenz_und_rechtssicherheit_gema_legt_in_sachen_youtube_berufung_ein/
Was sagen Sie dazu?