Fachleute warnen vor Verlängerung von Schutzfrist für Musikaufnahmen
In einem Brief an José Manuel Barroso, Präsident der EU-Kommission, sprechen sich Urheberrechtsspezialisten aus mehreren europäischen Ländern gegen die von EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy angekündigte Verlängerung der urheberrechtlichten Schutzfrist für Musikaufnahmen aus.
Juristen, Musiker und Ökonomen aus mehreren EU-Mitgliedsstaaten haben sich in einem Brief (PDF) an EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gewandt. Sie warnen davor, dass die EU-Kommission “in einem spektakulären Kotau vor einer einzelnen Interessengruppe, der multinationalen Plattenindustrie (Universal, Sony/BMG, Warner und EMI)” die Schutzfrist für Musikaufnahmen von derzeit 50 auf 95 Jahre verlängert. Eine solche Fristverlängerung hatte der irische EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy noch für dieses Jahr in Aussicht gestellt.
In den Augen der Unterzeichner des Briefes an Barroso würde eine solche Maßnahme “das Ansehen der Kommission erheblich beschädigen”. Die Fachleute, von denen die meisten Jura und Medienökonomie an angesehenen europäischen Hochschulen unterrichten, sind sich einig: “Die vorgeschlagene Richtlinie zur Verlängerung der Schutzfrist wird Kreativität und Innovation in Europa irreparablen Schaden zufügen.”
Zur Erläuterung: Es geht um die Dauer der Leistungsschutzrechte für Musikaufnahmen, nicht um die Urheberrechte an Kompositionen und Liedtexten. Diese sind bereits heute bis 70 Jahre nach dem Tode der Komponisten/Texter geschützt. Bei der Debatte um die Schutzfristen geht es zum Beispiel um Aufnahmen der Beatles, Rolling Stones und anderer Musiker aus den frühen 60er Jahren. Die Leistungsschutzrechte dafür laufen in den kommenden Jahren aus und die Plattenfirmen, von denen die Leistungsschutzrechte überwiegend verwertet werden, fürchten um ihre Profite.
Einerseits würden von der Verlängerung überwiegend die wenigen, den Markt dominierenden Plattenfirmen mit ihren umfangreichen Katalogen profitieren, betonen die Fachleute. Zugleich würde auf der anderen Seite die Verfügbarkeit historischer Musikaufnahmen deutlich einbrechen. Im Ergebnis würde der Wettbewerb eingeschränkt werden und die Endverbraucherpreise für Musik steigen. Die durch die Fristverlängerung erzwungenen, höheren Lizenzgebühren, die zu einem großen Teil an Rechteinhaber in den USA fließen, würden zudem die Handelsbilanz der EU verschlechtern. (Dazu ist anzumerken, daß die EU deutlich mehr Nutzungsrechte — für Musik, FIlme etc. — aus den USA lizenziert als umgekehrt die USA aus der EU. So fließen jährlich Milliardenbeträge aus der EU ab.)
Um ihrer Argumentation Nachdruck zu verleihen, haben die Fachleute ein Kurzgutachten (PDF) über die zu erwartenden Auswirkungen der von McCreevy geforderten Fristverlängerung erstellt. Anhand der verfügbaren Zahlen kommen sie darin zu dem Schluß, daß die Künstler, in deren Namen McCreevy die Fristverlängerung fordert, keineswegs nennenswerte Mehreinnahmen erzielen würden. Der größte Anteil der neuen Einnahmen würde wenigen Superstars und Rechteinhabern zufließen. Zur Illustration wird auf Schweden verwiesen. Anhand der Statistiken der schwedischen Verwertungsgesellschaften ließe sich zeigen, dass der Anteil der „Zahlungen an tote Komponisten durch die 1995 erfolgte Verlängerung der Schutzfrist um 20 Jahre von 2,4 auf 14,1 Prozent gestiegen ist“. Mit anderen Worten: Es profitieren die Erben.
Bereits 2006 hatte der so genannte Gowers-Bericht eine Verlängerung der Schutzfrist für Musikaufnahmen für ökonomisch nicht wünschenswert erklärt. Im Juli des vergangenen Jahres hatte die britische Regierung sich dem angeschlossen. Daraufhin hatten Vertreter der Musikindustrie angekündigt, für ihre Sache nach Europa zu gehen.
Auch in Deutschland machen sich namhafte Veteranen des Musikgeschäfts für längere Schutzfristen stark und sind damit bei Politikern auf offene Ohren gestoßen. So hatte Kulturstaatsminister Bernd Neuman anlässlich des von der WIPO für den 26. April ausgerufenen “Welttags des geistigen Eigentums” eine Pressemitteilung herausgegeben, in der er neben Internetsperren bei Urheberrechtsverletzungen auch eine Verlängerung der Schutzfrist für Musikaufnahmen forderte: “Zusammen mit meiner französischen Kollegin Christine Albanel habe ich daher den zuständigen EU-Kommissar Charles McCreevy gebeten, das Thema auf EU-Ebene anzusprechen. Er hat angekündigt, noch vor der Sommerpause 2008 der EU-Kommission einen Vorschlag zu diesem Thema zu unterbreiten.”
7 Kommentare
1 Robert A. Gehring am 21. Juli, 2008 um 08:42
So, Charlie McCreevy hat’s getan. Die EU-Kommission hat auf seine Initiative hin beschlossen, einen Richtlinienentwurf zur Verlängerung der Schutzfrist für Musikaufnahmen in der EU von 50 auf 95 Jahre nach Erscheinen vorzulegen. Das bedeutet zum Beispiel (sollte der Richtlinienvorschlag angenommen werden) daß Sir Cliff Richard für seine frühen Aufnahmen “bis er 113 ist” (Times) wird kassieren können. Und EMI, die Plattenfirma, bei der zum Beispiel die Rechte an den frühen Beatles-Aufnahmen liegen, wird noch in alle Ewigkeit dafür kassieren dürfen. Warum in neue Musiker und Musikerinnen investieren, wenn man doch von den alten leben kann? Abgesehen von der Innovationsfeindlichkeit ewiger Schutzrechte stellt sich aus ökonomischer Sicht auch die Frage, warum denn eigentlich Bäcker, Buchhalter oder Friseure nicht auch 95 Jahre lang Anspruch auf Vergütung für ihre jeweilige Leistung haben sollten? Ob wohl McCreevy auf diese Frage eine plausible Antwort hätte?
2 hufi am 22. Juli, 2008 um 07:24
Ja, Robert, offensichtlich hat sich da etwas zum Schlechten entwickelt; zumal damit die Sache viel komplizierter werden wird. Eine neue Schutzfrist mit einer neuen, dem Urheberrecht nicht identischen vermischt wird. Wenisgtens hätte man das harmonisieren können. Kann aber sein, dass das auch noch kommt und die Schutzfrist für Urheberrechte ebenfalls verlängert wird.
Damit wird eine Entwicklung umgekrempelt, die einmal schon anders differenziert worden ist – und wenn ich es richtig sehe, sogar vom Bundesverfassungsgericht gebilligt wurde.
Was ich gar nicht verstehe, ist, dass das dann sogar rückwirkend gelten soll. Das macht ja aus legalen Verhaltsweisen mit einem Schlag illegale. Ist das nicht dem Rechtsempfinden vollkommen entgegen?
3 Robert A. Gehring am 22. Juli, 2008 um 08:12
Ich habe nicht den Eindruck gewonnen, daß bei der ganzen Angelegenheit “geistiges Eigentum” — um mal Urheber-, Patent- und Markenrecht unter diesem Schlagwort zusammenzzufassen — großer Wert auf “Rechtsempfinden” gelegt wird. Es gilt die Regel: Wer die bessere Lobby-Arbeit verrichtet, gewinnt.
Natürlich verlieren einige Leute jetzt ihr Geschäft. Die haben zum Teil viel Geld und Zeit in die Restauration alter Musikaufnahmen zum Beispiel von Schellackplatten gesteckt, das Ergebnis auf CD gebrannt und die CDs mit wenig Gewinn verkauft. Das ist in Zukunft illegal.
McCreevy will ja ein Teil der neu generierten Einnahmen für Pensionen von Künstlern ausgeben. Da stellt sich natürlich auch die Frage, an welche Künstler. Qui bono, wer wird profitieren?
Ich vermute mal stark, die Einnahmen werden nicht gleichmäßig auf alle Studiomusiker, Sänger usw. verteilt werden sondern nach einem Verteilschlüssel, der sich nach der Anzahl der verkauften Musikaufnahmen richtet, an denen sie beteiligt waren. So ähnlich läuft das ja heute schon bei den Verwertungsgesellschaften.
Wer wird also am meisten profitieren? Die (ehemaligen) Stars natürlich, die ohnehin mit ihren Musikaufnahmen schon sehr, sehr, sehr viel Geld verdient haben. Sir Cliff Richard, Roger Daltrey, die Beatles, Udo Jürgens, und so weiter und so fort. Verdienen werden auch noch ihre Kinder und ihre Enkel.
Und verdienen werden natürlich auch die Plattenfirmen, bei denen die Rechte liegen: EMI, Universal, Warner, Sony-BMG. Die haben ja in den vergangenen Jahrzehnten alle in den 50er, 60er, 70er und 80er Jahren erfolgreichen, kleineren Firmen geschluckt. (So sind sie zu ihrem Marktanteil von zusammen rund 80% gekommen.)
Und was ist mit den “verarmten” Session-Musikern, die in den späten 50er Jahren an zwei oder drei seit Jahrzehnten nicht mehr verkauften Aufnahmen beteiligt waren? Die haben ihre Schuldigkeit in der Lobby-Kampagne getan. Vom Tantiemen-Kuchen werden sie kaum ein paar Krümel abbekommen. Denen geht es nicht anders als den Bäckern, Buchhaltern oder Friseuren. Sie werden auch weiterhin arm dran sein.
Worauf wird sich die Musikindustrie wohl als nächstes konzentrieren? Meine Prognose: Den Handel mit gebrauchten Tonträgern verbieten zu lassen. In den USA versuchen sie das ja schon massiv — bisher noch erfolglos. Vielleicht finden sie ja bei Charlie McCreevy Unterstützung…
4 hufi am 23. Juli, 2008 um 11:15
Nur einmal eine Nebenfrage: Wie sieht das eigentlich mit der Erbschaftssteuer aus. Gilt die auch für Einnahmen, die aus Urheberrechtserträgen der verstorbenen Rechteinhaber gewonnen werden?
Und ein Nachtrag: Ich habe mich durch die 24 Seiten des Entwurfs zwar recht schnell gewühlt, aber gewühlt. Manche Stellen lesen sich wie Kindergarten: Weil der Verkauf von CDs so schwierig ist und ein wirtschaftliches Risiko darstellt, muss der Musikindustrie auf diesem Wege geholfen werden. Ist aber das wirklich Aufgabe einer solchen EU-Kommission, oder überschreitet sie damit nicht ihren Auftrag?
Was sagen Sie dazu?